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WLAU I MIR: Ein Bühnenwerk

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Ein Bühnenwerk WLAU I MIR

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Prosa

Reportage aus der Zukunft von Geri Weber, Sonderkorrespondent der DANACHRICHTEN mit Zeitmaschine in der zukünftigen Ukraine.

Hauptbahnhof in Kiew.
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Hauptbahnhof in Kiew. Foto: Naumenkophotographer (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 15. Dezember 2025
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Ich stehe im Windschatten eines frisch polierten Reiterdenkmals, das gestern noch Lenin war, heute zwei Reiter zeigt und morgen vermutlich eine Parkbank sein wird. Auf dem Sockel prangt in goldenen Lettern: «WLAU I MIR». Daneben in kleineren Lettern: «Lieber Bruder». Ich bin gelandet – nicht nur in Kiew, nicht nur in Moskau, sondern in einer merkwürdig zusammengefalteten Hauptstadt, die gleichzeitig beide ist. Die Leute nennen sie «Kiowgorod», andere schlicht «Zwischendrin». Ein Taxifahrer zuckt mit den Schultern: «Es ist wie bei Schaschlik-Spiessen: näher zusammen, Flamme gleichmässiger.» Ich nicke. Und drücke das noch warme Gehäuse meiner Zeitmaschine an die Brust, als wäre es ein Haustier, das gleich weglaufen könnte.

«W-w-w…as für ein Schild», bringe ich heraus. Ich stottere nur, wenn ich nervös bin. Heute bin ich sehr nervös. Denn das Schild erzählt die Zukunft, die ich überprüfen soll: Die beiden Wladimirs – Putin und Selenski – sind ein Paar geworden. Es steht auf Postkarten, auf T-Shirts, auf Kantinenservietten. Es steht in Blicken, die ich einfange, wenn ich nachfrage. Es steht in der Luft wie frisch gestrichene Farbe.

Begegnung im Wintergarten

Das offizielle Statement – ich bekomme es, weil ich einen Reporter-Ausweis trage, auf dem «Gestern, Heute, Morgen» steht – wird in einem gläsernen Wintergarten verlesen. Ein Raum zwischen Zarenpalast und Start-up-Küche. Hinter der Pressewand hängen Sonnenblumen und eine Karte Eurasiens, auf der die Grenze wie ein Gummiband gelöst ist.

Selenski (den alle wieder zärtlich «Wolodja» nennen) tritt ans Mikrofon, Putin (den alle wieder förmlich «Wladimir Wladimirowitsch» nennen) einen halben Schritt daneben. Beide tragen dieselbe Krawattenfarbe – ein dunkles Grün, das an die Wälder der Karpaten erinnert oder an die Manschetten eines Duma-Sessels.
«Frieden», sagt Selenski, «ist kein Vertrag, sondern eine Praxis.» Er spricht leise. Putin setzt an: «Brüder sein heisst, sich zu widersprechen und zusammen zu bleiben.» Danach kommt eine Zeile, die alle zitieren werden: «Wladimir liebt Wladimir – und beide lieben die Ruhe.» Es klingt, als hätte ein Haiku eine Uniform angezogen.

Ich hebe die Hand. «W-w-was bedeutet ›Wlau i mir‹?», frage ich, schiebe hinterher: «Ich habe gehört, es heisse auf Albanisch lieber Bruder.» Selenski lächelt. «Die Worte sind wie Nachbarn. Man vergisst ihre Zäune. Wlau, vëlla, brat – alles Brüder. Und mir ist der Frieden. Wenn Sie wollen: Wir haben das Schild falsch geschrieben, aber richtig gemeint.» Putin meint mit einer belehrenden Note und einem Lächeln am Schluss: «Wir sind die Herrscher des Friedens, Brüder und Schwestern können das.»

Die Anwesenden lachen. Ich auch. Monty-Python-Humor hat seine Lieblingsdisziplin: die ernste Pointe im Clownskostüm.

Die Stadt, die zusammenwuchs

«Kiowgorod» ist eine seltsame, schöne Chimäre. Ein Boulevard heisst «Prospekt der Versöhnung», eine Seitenstrasse «Gasse der verpassten Gelegenheiten». Ein alter Mann verkauft Buttons: «Ein Land, zwei Wladimirs, null Kanonen.» Ein Junge zeigt mir eine Schulaufgabe: «Beschreibe die Zeit vor dem Frieden in genau fünf Wörtern.» Er hat geschrieben: «Lang, laut, leer und teuer.»

Ich notiere Stimmen:

Natascha, Bäckerin: «Wir backen wieder gemeinsam. Früher kamen Grenzbeamte vor die Brottheke. Jetzt kommen Pärchen.»

Ihor, Schweisser: «Ich baue Brücken, endlich wieder für Autos statt Panzer.»
Artem, Barista: «Der Cappuccino heisst jetzt ‹Wlaudoppio›. Zwei Schüsse, eine Tasse.»

Zwischendrin meldet sich meine Zeitmaschine. Ein Piepen wie von einem übermütigen Teekessel. Ich tippe darauf, als wären es die Tasten eines Klaviers, das nur eine Tonart kennt: Zukunft Dur. Das Display zeigt: «Zeitsprung 48h empfohlen: westliche Reaktionen». Ich seufze. «W-w-wie höflich.» Dann springe ich.

Brüssel: Ein Lächeln, das in den Akten stecken bleibt

Der Himmel über Brüssel hat die Farbe von Konferenzkaffee. Im Ratsgebäude herrscht Draftwetter: Dutzende Entwürfe fliegen durch die Luft – Non-Papers, Memos, Papiertiger, die sich gegenseitig die Streifen leihen. Ein Diplomat sagt mir ins Diktiergerät: «Das ist… äh… überraschend.» Ich frage: «Positiv?» Er lächelt in die Tasche, in der sein Handy vibriert. «Sagen wir: kompliziert.»

Eine Kommissarin spricht von «Regelwerkkompatibilität» – man müsse prüfen, ob Liebe als Sicherheitsarchitektur tauge. Ein anderer flüstert: «Es gibt keine Freude. Nicht, weil Frieden schlecht wäre. Sondern weil die Welt unübersichtlicher wird, wenn zwei grosse Erzählungen plötzlich kuscheln statt kämpfen.» Ich notiere: Europa hat für alles eine Richtlinie, ausser für Umarmungen zwischen Feinden.

Im Foyer tanzen die Börsenkurse den Fandango. Gas runter, Getreide rauf, Aktien quer. Die Trader fuchteln mit Charts, als wären es Käsespiesse beim Empfang. Jemand murmelt: «Die Versicherungspolicen hassen Frieden, der länger als drei Wochen hält. Er macht ihre Prämien unromantisch.»

Ich treffe eine NGO-Vertreterin. «Wir sind alarmiert», sagt sie. «All die Menschenrechtsfälle, all die Verfahren – was passiert damit? Frieden darf kein Weichzeichner sein.» Ich nicke. Der Frieden ist kein Radiergummi. Eher ein Leuchtstift, der die vergilbten Stellen sichtbar macht.

Berlin: Kanzler Merz und das Duett der Disziplin

Im Kanzleramt sind die Lampen heller geworden. Ein Schild an der Drehtür: «Bitte sachlich bleiben.» Drinnen steht Kanzler Merz vor einer Pinnwand. Er spricht von «Ordnungsliebe» und «Verlässlichkeit». Er spricht, als sei jeder Satz eine Steuererklärung: korrekt, kantig, kühl.

Zwischen Kaffee und Kalendereintrag höre ich Sätze wie: «Wir müssen Selenski zurück in die europäische Wertefamilie integrieren – ohne russische Hausordnung.» Der Kanzler versucht, man munkelt es, Selenski zu «umwerben». Ein Wort, das plötzlich wieder Mode ist, wie Hosenträger. Er lädt ihn zu Arbeitsessen, zu Spaziergängen, zu einem Konzert der Berliner Philharmoniker, bei dem die Pauke auffällig sanft geschlagen wird.
In der Stadt kursiert ein Gerücht – eins dieser erwachsenen Gerüchte mit gebügeltem Hemd und zu viel Parfüm: Selenski habe eine Nacht mit Merz verbracht, «fremdgegangen» im politischen Sinn. Am Morgen danach, heisst es, standen zwei Krawatten in derselben Waschschüssel. Ich frage nach, stosse auf ironische Lippen, die sagen: «Hach, Berlin». Ich notiere: Gerüchte sind die Streusel auf dem Kuchen der Macht – hübsch, süss, nicht nahrhaft.

Wie es politisch ausging? Merz schafft es nicht, Selenski «von Putin wegzubekommen». Es gibt Fotos mit festen Handdrücken, es gibt Communiqués mit Sätzen wie «intensive Gespräche in konstruktiver Atmosphäre». Aber am Ende steht auf dem gemeinsamen Statement: «Frieden bleibt. Wir auch.» Merz sagt später im Bundestag: «Wir unterstützen die Ukraine – mit oder ohne verliebte Nachbarn.» Der Applaus klingt wie ein zusammengefaltetes Papierflugzeug.

Washington: Der Händedruck, der ein Angebot trägt

«I like peace. Peace likes me.» Die Stimme am anderen Ende der Leitung ist unverkennbar. Ich sitze in einem Hotel, dessen Teppichmuster an G-20-Logos erinnert. Trump ist am Apparat – der Ex, der Neo, der Immer-Titelträger, je nachdem, welche Sprachregelung die jeweilige Stunde gerade hat.

Er findet das alles «eigentlich ganz ok». Trotzdem knirscht etwas zwischen den Zähnen seiner Sätze: Neid. Nicht auf den Frieden als solchen, sondern auf die Schlagzeilen der Liebe. «He won Putin's heart,» sagt er über Selenski, «but I can win Ukraine's future.» Dann kommt das Angebot, das wie ein Lastwagen mit Fernlicht in die geopolitische Nacht fährt: Geld und Technologie. Kostenlos, sagt er, fast beiläufig, als verschenke er Ketchup zu Pommes: «Energy, AI, chips, you name it. Ukraine will be rich, sovereign, the best.» Im Gegenzug – oh, es gibt immer einen Gegenzug – solle die Ukraine ihre Bodenschätze klug «verheiraten»: Förderrechte, Beteiligungen, wilde Ehen zwischen Lithium und Nasdaq.

Ich frage: «Und Russland?» Er lacht kurz. «Russia can watch and learn.» Dann klickt es. Das Gespräch ist vorbei, und der Hotelteppich bleibt, was er ist: ein Knotenmuster, in dem man sich leicht verheddert.

Die «Qualition der Willigen»

Der Name schreibt sich falsch und marschiert richtig. «Qualition der Willigen» – eine Koalition, die ihren Namen von einer Tippfehlerpressekonferenz bezieht und ihn aus Trotz behält. Mitgliedsstaaten, die betonen, dass sie «klassische Werte» schützen wollen. In ihren Papieren steht viel von «Ordnung, Normalität, Stabilität». Und dann dieser Satz, den ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme: «Die Homosexualität ist zu verbieten.»

Ich stehe an einem Zaun, hinter dem eine Parade in Pastellfarben vorbeizieht: Kreuze, Banner, Hymnen, eine «christliche Armee», die das Evangelium wie ein Regelwerk trägt. Ich fühle eine alte Kälte, die neue Fahnen trägt. «W-w-warum?», frage ich einen Sprecher. Er lächelt freundlich und kalt: «Weil Frieden ohne Sünde stärker ist.» Ich atme. Zähle still: eins, zwei, drei. Antworte: «Frieden ohne Menschen ist gar nichts.» Er schaut, als hätte ich ihm die Batterie aus der Fernbedienung genommen. Ich notiere: Wo das Schwert ist, ist die Religion.

Selenski und Putin – die Wladimirs – reagieren gemeinsam. Eine kurze Ansprache vom Balkon eines Rathauses, das noch Baustelle ist: «Liebe ist kein Exportgut. Sie bleibt. Und sie ist nicht verhandelbar.» In der Menge jubelt jemand mit einer Fahne, auf der zwei Sonnenblumen tanzen. Neben mir weint ein alter Soldat, stoisch, als hätte man ihm einen Helm abgenommen, der zu lange auf dem Kopf sass.

Werkstätten des Friedens

In einer Fabrik, die gestern Drohnenpropeller herstellte, werden heute Windradflügel gewalzt. Der Meister erklärt mir, wie man «Kriegslinien in Stromleitungen» verwandelt. Er hält einen Vortrag über Drehmomente, der endet mit: «Und die Leute schlafen wieder durch.» Ich liebe solche Sätze. Unromantisch und voller Liebe.

Eine Schule führt ein neues Fach ein: «Widerspruchslehre». Kinder lernen zu streiten, ohne zu schreien. Eine Schülerin zeigt mir ihr Heft: «Heute: Wie man verliert, ohne zu verschwinden.» Ich denke an all die Verhandlungen, die ich gesehen habe – wie man in Konferenzräumen gewinnt und in Strassen verliert. Hier scheint man den Spiess umzudrehen.

Es gibt auch die Geschäftsseite. Banken entdecken «Friedensanleihen» – Papiere, deren Zins an umgesetzte Versöhnungsprojekte gekoppelt ist: Brücken, Reha-Zentren, gemeinsame Museen. Einer nennt das «Love-Linked Bonds». Ich empfehle ihm, das nie wieder zu sagen.

Rücksprünge und Gegenbeweise

Ich drücke die Zeitmaschine wie einen Notausknopf für Gedanken. Sprung: minus 72 Stunden. In Moskau hatte ein Moderator die Zukunft als «schlechte Sitcom» bezeichnet. Sprung: plus 10 Tage. In Kiew sagt eine Aktivistin, der Frieden sei «kein Netflix-Finale, sondern eine Serie mit viel zu langer Staffel». Sprung: plus 3 Wochen. An der Grenze, die jetzt eine Touristenattraktion ist, verkauft man Souvenir-Grenzstempel. Ich lasse mir einen in den Pass drücken. Darauf zwei Köpfe im Profil, dazwischen ein Brot – halb Borodinsky, halb Pampushka. Geschmackseinheit.

Ich suche den Haken. Reporter sind Hakenfinder. Ich stosse auf Gerichtsakten, die nicht geschlossen sind. Auf Familien, die nicht vergeben können. Auf Polizisten, die zu lange denselben Gürtel tragen. Ich notiere: Frieden ist ein Löffel – er schöpft, was unten verbrennt, nicht automatisch heraus. Und doch: Die Küche riecht nicht mehr nach Sprengstoff, sondern nach Dill.

Ein Abend im «Wlaudimir»

Es gibt jetzt eine Bar, die so heisst. Man trinkt dort «Bruderwodka» – zwei Gläser, ein Strohhalm. Ich sitze an der Theke neben einem Mann, der einmal Analyst war und jetzt Poet ist. «Früher zählte ich Raketen. Heute Silben.» Er schenkt mir ein Gedicht:

Zwei Wladimirs
ein Spiegel
und dahinter
endlich keine Wand.

Ich klopfe auf die Theke. Die Bardame kichert, als ich «W-w-wlaudoppio» bestelle. «Mit Milchschaum?» – «Mit Hoffnung.»

Randnotiz: Die Nacht in Berlin

Weil die Frage bleibt, und weil ich es gehört habe, und weil Monty Python uns lehrt, dass man die heiligen Kühe melken darf, solange man ihnen nicht weh tut: Diese Nacht, die Berlin so gern erzählt, ist in meinen Aufzeichnungen ein Gerücht. Vielleicht sassen zwei Männer in einem Zimmer und sprachen, bis es hell wurde. Vielleicht stand eine Waschschüssel daneben. Vielleicht war es auch nur eine Pfütze vom Regen. Entscheidend ist, was am Morgen geschah: Niemand lief weg. Das ist in der Politik bereits ein zärtlicher Skandal.

Die kleine Gegend der grossen Mächte

Die USA machen Angebote, die EU macht Verfahren, die «Qualition» macht Drohbriefe in Frakturschrift. Und Russland und die Ukraine? Sie machen – was sie so lange nicht machen durften – Fehler. Die Art Fehler, aus denen keine Grabsteine werden, sondern Werkstattberichte.

An den Rändern knirscht es. Minderheitenreche, Sprachfragen, alte Schuld. Eine Juristin erzählt: «Am schwierigsten ist, dass Gerechtigkeit nicht dieselbe Geschwindigkeit hat wie Liebe.» Ich schreibe mir das in Grossbuchstaben: GESCHWINDIGKEITSLUECKE. Zwischen Gefühl und Gesetz klafft oft ein Spalt, gross genug für Zynismus. Ich sehe Aktivisten mit Klemmbrettern über diesen Spalt Brücken legen. Provisorisch, aber begehbar.

Rückfrage an die Zukunft

Ich frage seltsam gern Fragen, deren Antwort ich fürchte. Also stelle ich sie in der letzten Pressekonferenz, bevor meine Zeitmaschine mir wieder ein Ultimatum stellt: «Was, wenn diese Liebe aufhört?»

Putin blickt auf seine Krawatte, Selenski in die Menge. Dann sagt Selenski: «Dann bleibt uns, was wir gebaut haben.» Putin nickt. «Und das ist mehr als Erinnerung.» Ich höre hinter mir jemanden flüstern: «Vielleicht ist der Frieden wie ein Zelt: Er funktioniert auch, wenn die Camper sich streiten, solange die Heringe halten.»

Draussen nieselt es, freundlich. Ein Regen, der eher ein Hinweis ist als eine Wetterlage.

Epilog im Maschinenraum

Ich sitze wieder vor meiner Zeitmaschine. Eine unscheinbare Kiste mit einer patinierten Kurbel, einem Display, das nur drei Farben kennt, und einer Taste, auf der «Vielleicht» steht. Ich lege die Hand darauf und zögere. Man sollte nicht zu lange Zukunft einatmen – man wird davon beschwipst und beginnt, Gegenwart schlechtzureden.

«W-w-wird das so bleiben?», frage ich die Maschine. Sie antwortet, wie sie immer antwortet: gar nicht. Also antworte ich mir selbst:

Vielleicht.

Vielleicht ist dieses Paar ein Vorspiel, kein Finale.

Vielleicht wird man sich wieder entlieben und trotzdem nicht erschiessen.

Vielleicht werden die, die «Verbote» brüllen, merken, dass man Liebe nicht beschlagnahmen kann, ohne die Sprache zu verlieren.

Vielleicht werden die, die Angebote machen, endlich zuhören, statt bewerten.

Vielleicht wird Europa lernen, dass Freude nicht in Checklisten passt.

Vielleicht wird Deutschland merken, dass Ernst nicht genug ist.

Vielleicht wird Amerika entdecken, dass Souveränität nicht käuflich ist, nur pflegbar.

Vielleicht ist Wlau i mir falsch geschrieben und richtig gedacht.

Vielleicht würde ein wenig mehr Liebe der ganzen Welt gut tun.

Ich schliesse den Deckel. Die Kiste summt, als lächle sie. In meiner Jackentasche liegt der Souvenir-Grenzstempel. Zwei Profile, ein Brot. Ich streiche darüber, als wäre es ein Talisman.

Auf dem Rückweg ins Jetzt gehe ich an einer Wand vorbei. Jemand hat darauf gemalt: zwei Kinder, die sich an den Händen halten, und darunter steht: «Nicht jeder Frieden ist romantisch. Aber jeder Frieden ist nützlich.» Ich bleibe stehen. Lache – dieses kurze Lachen, das mehr Luft macht als Lärm. Dann gehe ich weiter.

Nachsatz für die Redaktion

Die Zukunft, die ich beschreibe, ist keine Prognose, sondern ein Besuch. Ich habe keine Gewissheiten mitgebracht, nur Bilder und Sätze, die nachwirken. Ob die Liebe der Wladimirs hält, ist weniger wichtig, als dass der Frieden gelernt wird – wie Fahrradfahren: mit blauen Knien, schiefen Lenkern, triumphalen 30 Metern. Wenn wir Pech haben, fallen sie. Wenn wir Glück haben, stehen sie wieder auf. Und wir alle halten kurz die Luft an, stottern vielleicht ein bisschen – und gehen dann weiter.

Geri Weber