Facebook Algorithmen Überwachung über alles

Prosa

„Ich hab keinen Bock mehr!“ „Worauf?“ „Auf diesen Facebook Kram.“ „Dann melde dich doch ab.“ „Ja, sollte ich mal machen … dieses scheiss ausspionieren.“ „Ja, ja.“ „Ne echt, weiss du was passiert ist?“ „Ne.“

Jörn Birkholz
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Jörn Birkholz Foto: Jörn Birkholz (PD)

2. März 2015
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Korrektur
„Das is schon richtig krank; ich schicke ne Mail an Florian, wegen Party nächste Woche in London, eine Minute später geh ich bei Facebook rein, und da erscheinen an der Seite mehrere Reiseangebote zu England! Wie schnell sind die denn, die Penner, Mann!?“
„Das sind Algorithmen.“
„Ja, das weiss ich auch, alle Daten werden gesammelt, man wird durchgecheckt, wegen Werbung schalten bla, bla bla, aber trotzdem, nach einer Minute!?“
„Dann meld dich doch ab.“
„Ja, das bringt's doch auch nicht, und hast du nicht zugehört, diese Google Jungs lesen meine Mails!“
„Tja, früher hast du bei deiner kleinen Schwester im Tagebuch gelesen, heute liest dein Grosser Bruder deine Post.“
„Du nimmst ja sowieso nie was ernst. Dieser offene Brief von der Zäh an Merkel war schon mal wenigstens n Anfang …“
„Verschon mich damit.“
„Nein, das ist auf jeden Fall gut, das die mal was tun. Die war neulich auch bei Maybrit Illner, da ging's ja gerade um diese Spähangriffe.“
„Wohlstandsprobleme.“
„Was?!“

„Mit sowas können sich Leute gut beschäftigen, die materiell abgesichert sind - die verdammte Bildungselite.“
„Ach meinst du?“
„Du kannst ja mal nen Hartz IV Bezieher zum Thema Abhören befragen. Wenn du ab Mitte des Monats nur noch etwa hundert Euro zum Fressenkaufen hast, siehst du die Dinge ohnehin differenzierter, also mehr vom Bodensatz aus.“
„Mann Macker, ist dir eigentlich klar, dass die Hartz IV Bezieher ihr Konto offenlegen müssen, ausserdem wird das Internet überwacht. Ebay Verkäufe usw. werden denen von ihrem Satz abgezogen, dass macht die Sache für die nicht grad leichter.“
„Was n das fürn Argument, so viel Schwarzverdiener gibt's unter den Hartz IV Jungs nun auch wieder nicht.“
„Ja, ist ja gut.“

„Oder nimm die Griechen; ob jetzt die Drachme kommt oder nicht, blechen muss eh der normale Dimitrios mit seiner dreiköpfigen Familie. Die Selbstmordrate in Griechenland ist seit Beginn der Krise um dreissig Prozent nach oben geschossen, so n Opa hat sich vorm Parlament angezündet, um die Jugend aufzurütteln, wie er im Abschiedsbrief schrieb. Weder die Jugend noch sonst jemand rüttelte der auf, und zwar nicht aus Desinteresse, sondern aus Erschöpfung. Wenn deine Julia Zäh, mal nicht weiss von welchen Geld sie sich was zu Essen kaufen soll, da wird diese Abhör- und Spionagethematik auf ihrer persönlichen Prioritäten-Liste so weit in den Keller rutschen, wie der VfB Stuttgart in der Tabelle.“
„Das mag ja alles sein, trotzdem ist dieses Ausspionieren eine grosse Sauerei, und dagegen sollte man was tun.“
„Ja, dann geh doch mit gutem Beispiel voran, und meld' dich fürs erste bei Facebook ab.“

„Bist du bescheuert, ich hab achthundertsiebzig Freunde, weisst du wie schwer das war, die alle zu bekommen, ausserdem sind da auch einige Schauspieler und Musiker dabei, sowas gibt man doch nicht auf.“
„Glückwunsch. Wann trefft ihr euch?“
„Sehr witzig.“
„Revanchierst du dich denn wenigstens mit persönlichen Recherchen?“
„Hä?“
„Na, man kann bei Facebook, doch so schön psychologische Muster der Zielpersonen erstellen.“
„Wie das denn?“
„Mann, du bist wirklich genauso begrenzt, wie die meisten bei Fakebook. Du schnappst dir einen Freund deiner Wahl und dann geht's los.“
„Du meinst sein Profil?“

„Genau, du kannst ein ganzes Stück weit abchecken, wie die Leute ticken; postet Eine beispielsweise überdurchschnittlich oft, dass sie sich gleich gemütlich alleine in die Badewanne legt, oder vor den Fernseher knallt, dann ist es nicht sehr schwer zu erraten, das die Alte vor Einsamkeit bald stirbt, oder Leute mit übersteigerten Profilneurosen, die übermässig oft, Bilder von sich in allen möglichen Situationen hochladen, und damit meine ich nicht die völlig Verblödeten, die ihren letzten Vollrausch in Lloret de Mar online gestellt haben. Da gibt es viele subtile Abstufungen, aber im Grossen und Ganzen ist das alles sehr aufschlussreich, oder wenigstens hilfreich bei der Entscheidungsfindung, welcher Entscheidung auch immer.“ „Du bist doch total Psycho.“

„Die ganze Welt ist Psycho? Vor zehn Jahren telefonierte man noch, wenn man Date-technisch was klar machen wollte. Aber, wehe du benutzt heutzutage dein Handy zu voreilig als Telefon, da kannst du dich dann gleich als Stalker begraben lassen.“
„Apropos begraben lassen, ich war neulich im Osten.“
„Ukraine?“
„Ne schlimmer, Templin.“
„Wo ist das denn?“
„In der Nähe von nirgendwo, mitten in der Uckermark, die Kanzlerin ist da aufgewachsen.“
„Was interessiert mich, wo diese Salzsäule ihre bescheuerte Jugend verbracht hat.“
„Mehr gibt's zu Templin nun mal nicht zu sagen.“
„Und was wolltest du dann da?“
„Hab n Kumpel besucht.“
„Aha.“

„Ja, ich war da vorher noch in so 'nem REWE, und da war so ne Muti einkaufen mit ihrem Kind, und irgendwann hörte ich, wie sie zum Kind sagte: 'Hör jetzt mal auf die Leute zu beobachten.' Fand ich gut den Satz.“
„Ja, im Osten wird die Vergangenheit wenigstens anständig verarbeitet und Bespitzelung wird schon im Keim erstickt, vorbildlich … kannst den Satz ja bei Facebook posten.“
„Keine Zeit, muss zu ner Demo.“
„Alter spinnst du, was denn für ne Demo?“
„Gegen Überwachung.“
„Ich fass es nicht … Ich hab übrigens gerade mal Juli Zeh bei wikipedia aufgerufen.“

„Schon wieder am Spionieren?“
„Recherchieren.“
„Mann, lass doch mal die arme Frau in Ruhe.“
„Ne wart mal das ist interessant, die hat den Deutschen Buchpreis genau in dem Jahr bekommen, als ihr Papi Direktor vom Bundestag wurde - nämlich 2002.“
„N glücklicher Zufall, aber die hatte doch bestimmt auch schon vorher viele Preise abgesandt?“
„Ne, eben nicht, nur so n komischen Essayistik Preis - noch nie von gehört.“
„Na, dann war das Jahr 2002 für die Familie Zeh doch ein recht erfolgreiches Jahr.“

„Das kannst de laut sagen, danach geht's bei dem Mädel auch ab, ein Preis nach dem anderen, selbiges gilt für die Buchveröffentlichungen, vor 2002 war da eher tote Hose.“
„Ja wie bei mir, mein Buch will ja auch kein Verlag haben.“
„Ach ja, du hattest ja auch ein Buch geschrieben. Wo arbeitet nochmal dein Vater?“
„Jetzt in Rente, war vorher bei der Post.“
„Tja, das hilft sicher.“
„Bestimmt.“
„Genau so, wie bei Demos abzuhängen.“
„Wo ich schon längst sein sollte!“
„Na dann viel Spass!“

Tatsächlich haben wir uns mal wieder verquatscht. Wieso telefonier ich eigentlich immer so lange mit diesem unpolitischen Asi? An der Französischen Strasse steige ich aus der U-Bahn. Obwohl ich schon zu spät dran bin, zücke ich mein Tabakpäckchen, um mich einen Augenblick bei einer Zigarette zu sammeln. Ein ausgemergelter Grossstadthippie tritt auf mich zu.

„Kannste mir ne Kippe drehen?“
Ich reiche ihm meine gerade Gedrehte und beginne für mich eine Neue.
„Haste Feuer?“
Ich gebe es ihm.
„Was ist denn mit deinen Fingernägeln los?“
„Zu lang und zu viel geraucht.“
„Bist du n Verrecker?“
„Äh, was ist denn ein Verrecker?“
„Jemand der sich nicht um sich kümmern kann. Jemand wie du!“
„Hm, eigentlich nicht.“
Er hält mir einen halb aufgebrauchten sixpack Aldi-Plastikbier hin.
„N Bier?“
„Hm, na ja.“
„Das ist ne Frage.“
„Nein grad nicht.“
„Ich reiss mir heute noch n Fräulein auf.“
„Dann viel Erfolg!“
„Kennst du das, du wachst irgendwo auf und weisst überhaupt nicht, wo du bist?“
„Ja, das kenn ich.“

Er betrachtet mich einen Augenblick spöttisch und lässt mich dann einfach stehen. Etwas verdattert bahne ich mir meinen Weg durch die Touristenmassen zum Ort des Geschehens. Eine konsequente Überwachungspolitik hätte mir doch mindestens hier in der Innenstadt eine solche Begegnung ersparen müssen. Stattdessen fühle ich mich überwacht und irgendwie kompromittiert. So genau hat sich schon lange keiner mehr meine Hände angesehen.

Ich treffe die Schlange beim grünen Segment. Wie ich sie liebe, diese gutherzigen Neoliberalen, die auch unserem freundlichen Mitbürger von vorhin 2003 die Rahmenregeln definiert haben für sein fröhliches Spiel des Lebens. Seine recyclebaren Babyfläschchen haben sie ihm verordnet und für ewig danke und Amen.

Der Demonstrationszug bewegt sich auf einer Schleife durchs Regierungsviertel, ein Lauti-Wagen bei jeder Gruppe. Vertreter der Regierungsparteien sucht man bei dieser Veranstaltung natürlich vergeblich. Ein Plakat zeigt Obama und Merkel in Bondgirl-umklammert-Bond Pose, betitelt mit: „Lizenz zum töten auf Basis von Metadaten“. Leider weniger sachlich verbreiten einige USA-Kritiker auf Umhängetafeln ihren Judenhass. Die SPD ist überhaupt kein Thema. Wolfgang Zeh hat seine Tochter geschickt. Die hat sich für die Gruppe der Piratenpartei entschieden, wo sie eine engagierte Rede hält, während die daheimgebliebenen Parteifreunde ihre Mahlzeiten abfotografieren und twittern - eine echte Sternstunde der informationellen Selbstbestimmung. Jeder Mensch, jeder Hund, jede Ratte, jedes Kaninchen soll geblendet sein von diesem Licht. Natürlich soll nie etwas unangenehmes an selbiges Licht kommen.

Edathy konnte leider auch nicht persönlich erscheinen; der hatte ja schon seinen grossen und letzten Auftritt. Er hat aber offenbar Sympathisanten bei den Freien Demokraten. Die halten ein Transpi mit der Botschaft „Ich will selber entscheiden, welche Videos ich im Internet gucke.“ Durch irgendeinen grotesken Zufall laufen diese Deppen direkt hinter der Antifa-Abteilung. Ich will selber entscheiden, welche Videos ich im Internet gucke - das klingt erstmal harmlos, hat aber irgendwie ein Geschmäckle, wie der Berliner Schwabe sagen würde, aber nicht sagt, weil er selber FDP wählt oder dasselbe in grün. Dafür löst sich jetzt ein Vermummter aus dem schwarzen Block, geht auf den schmierigsten der Plakathalter zu und ergreift das Wort: „Du hast doch nur Angst um deine Steuer-CD! Die interessiert dich doch weit mehr als zum Beispiel der Schutz der Intimsphäre der kleinen Blondzöpfe in deinen Spyglasses-Pornos!“

Dem FDP-Mann schwellen angesichts der Kinderporno-Referenz die Halsadern, bis ihm der steife Hemdkragen platzt. Es bewahrheitet sich nun wieder die alte Weisheit, dass die Menschen sich an die Hälse fassen müssen, um sich besser zu verstehen. Der Autonome reagiert auf den Würgegriff mit Beinarbeit. Die Tritte kommen hart und präzise. Endlich mal einer, der es kann, denke ich.

Die Bullen, die sich bisher angesichts der Dominanz der bürgerlichen Parteien im Protestzug ruhig verhielten, brechen aus ihrer geschlossenen Reihe und knüppeln den Unruhestifter nieder. Der Bollerwagen von DemoTV rollt heran und der Fahrer verhöhnt die Polizisten: „Ihr seid auf Youtube“. Nachdem drei Mann den Autonomen fixiert haben, wenden sich ihre Kollegen dem Kameramann und seinem Equipment zu. Zähne, Metall und Plastikteile segeln durch die Luft mit einem Getöse, in dem das Geräusch des finalen Fangschusses fast untergeht.

Ich denke mir: Das hier ist mit Sicherheit der heisseste Scheiss, seit die Stasi Benno Ohnesorg erschoss, aber mir persönlich fast schon eine Spur zu grell. Ich hab keinen Bock mehr und trete die Heimfahrt an, unter den schützenden Maschinenaugen der Überwachungskameras.

Jörn Birkholz und Stephan Gross