Restaurant in Calais Ein unvergesslicher Abend

Lyrik

Ein unvergesslicher Abend.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Ein unvergesslicher Abend.

17. Oktober 2013
0
0
4 min.
Drucken
Korrektur

Ich fuhr nach Calais,
ging in ein Restaurant, und
da sass Sie! – die weibliche
Reinkarnation Moshammers;
ihre schwarzen Haare
hatte sie geschickt
nach hinten drapiert, und
zu einem voluminösen
Kopfschmuck aufgesteckt.
Unentwegt, klimperte sie
jeden mit ihren künstlich
aufgesetzten, endlos
langen Wimpern an.
Sie war, wie es schien: mit
ihrem Sohn, Schwiegertochter und
ihre kleine Enkelin zu Gast;
und ich?! - Ich setzte mich
links neben sie an den noch
freien Tisch.

Madame Moshammer's ominöser Körperbau,
war an diesem Abend ebenfalls nicht zu übersehen,
den sie unter ihrem flatterhaft weissen Gewand
in einer unverwechselbaren Eleganz
besonders gut zu kaschieren verstand.
Aber nicht nur das war anders, als bei den
meisten Damen um mich herum:
Mit einem schwarzen Cajal hatte sie sich
nämlich auch noch auf der kreidebleichen Stirn
ihre fehlenden Augenbrauen
zu einem schmalen dünnen Strich nachgemalt.
Keine Frage! – diese Frau war wahrhaftig,
ein vom Aussterben bedrohter Paradiesvogel,
der bereits vor meinem Eintreffen
sein auserwähltes Menü (zwischen
glänzend rot geschminkten Lippen)
zur Bestellung gepresst hatte
und nun, dankend und
immer schön lächelnd
mit seinen überaus langen und
rot bepinselten Fingernägeln,
jenes bestellte Essen
entgegennahm.

Nach ner Weile trat ne
Kellnerin
freundlich gestimmt
auch an meinen Tisch, sodass ich mir gleich
von ihr ne grosse Portion
Miesmuscheln bringen liess.
Wie hypnotisiert
musste ich schon wieder, zu jener
Diva hinüber schielen,
die, wie ich jetzt sehen konnte
in graziöser Haltung, genussvoll - das Essen in ihre
weit aufgerissene Mundöffnung führte.

Dieses Restaurant
hatte wirklich Stil und
war auch ganz nett eingerichtet:
Spiegelwände und schwarz-weiss Fotos
von Models und Schauspielern (Audrey Hepburn, etc.),
schmückten ringsum die Wände -
doch gegen die gepriesen
bunte Ausstrahlung 'a la Madame M.
kamen nicht einmal diese erwähnten
aufgehängten Berühmtheiten an.

Ja, sie wirkte tatsächlich wie ein
unverfälscht lebendes Fossil, welches
jedes Frauenbild, geradezu
uninteressant aussehen liess.

Nebenbei
versuchte ich das
zarte Muschelfleisch
von dessen Schalen zu befreien,
um das endgültige Resultat auf
meiner Zunge, den prüfenden
Geschmacksknospen zu überlassen,
als ich aus den Augenwinkeln sah, dass
Madame M. bereits
zu einem vollen Glasbecher
mit unterschiedlich gefärbten
Eiskugeln übergegangen war.

Sie schien mir wohl im ganzen Raum
die Einzige zu sein,
die genau wusste,
worauf es im Leben ankam,
währenddessen ich mit meiner Gabel
nach den letzten Miesmuscheln,
in der aufgewühlten Brühe
am Tellergrund
herumstocherte.

Schliesslich bezahlte Madame M. und
schickte sich mit all ihren
Angehörigen zum Gehen an.
Auf derart kurzen und
dicken Beinen, die förmlich
in diesen enganliegenden
Stöckelschuhen eingezwängt waren
und aus ihnen,
wie rohe Teigmassen v herausquollen,
watschelte sie jetzt bequem
in Richtung Ausgang, während sie
in der rechten Hand
jenes
altbewährte, feminine Accessoire
einer aus der Mode
gekommenen Handtasche
fest umklammerte.

Wogegen sich ihr Sohnemann
mit seinen deutlich
jüngeren und schlankeren Beinen,
schneller vom Fleck
bewegte, um letztendlich an
der Ausgangstür auf sie zu warten.
Seinen Gesichtszügen war jetzt
eindeutig zu entnehmen, dass das
auffällige Erscheinungsbild
seiner Mutter
ihm durchaus bewusst war:
Denn er setzte eine überaus
stolzhafte Miene auf,
während er selbst eher
schüchtern wirkte.

Durch Austausch von Gelächter
und Geplauder sprang unterdessen
das ganze Kellnerpersonal auf, um
dieses sehenswerte Relikt
aus jener längst vergessener Zeit,
nach draussen zu begleiten ...

… das war's wohl!, dachte ich, … so ein seltenes Exemplar, werde ich wohl nie wieder zu Gesicht kriegen, was
mich für den Rest des Abends, etwas traurig stimmte.

Zvezdana Bueble

Zvezdana Bueble