Bericht vom Obersten Vampir Ode an den Tisch des Chefs

Lyrik

Ode an den Tisch des Chefs
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Ode an den Tisch des Chefs Foto: Found5dollar (CC-BY-SA 4.0 cropped)

28. September 2023
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Dich will ich preisen, Tisch, dich,
Gewaltige Plattform, einen Saal füllend, in dem
Sich die Grossen, oft Kurzen, der Welt treffen,
Angefletscht vom Chef und seinem gargantuaischen Hund;
Beide hocken Bein an Bein an deinem kurzen Eck
Wie die Vampire des Nachts, die mit lüsternen
Augen Ausschau halten nach dem Blutkörper Bürger.

Du, Tisch, hältst still und trägst den Marmor
Der Macht mit Fassung. Hände, die auf dir liegen,
Fäuste, die ungeduldig auf dich eintrommeln,
Finger, die nervös deinen glatten Corpus
Kratzen, sogleich eilen welche herbei, noch den
Geringsten Schmutz der Geringen wegzuwischen,
Dass du gereinigt und strahlend eingehst in die
Geschichte als Sauberes, Unvergängliches.

Dich, Tisch, wird es noch geben, wenn der
Chef gestorben ist, nach oder vor ihm sein
Hund, und der nächste Chef sich an
Deine Seite setzt oder dich ins Museum
Für patriotische Erziehung der Jungpioniere
Und Komsomolzen aller Länder bringen lässt,
Auf dass du, stolzes Geschöpf auf krummen Beinen,
Immerdar kündest von Macht, Willen etc.

Und kleine Schilder werden angebracht: Hier
Sabberte Mr. … vor Angst. Hier liess Madame …
Krümel fallen und in das Polster des Stuhls einen
Fahren. Hier presste Herr Namhaftiger seine Knie zusammen
Und ballte unter deines Dachs Platte, Tisch, ohnmächtig
In Wut seine Fäuste. Und das grösste Schild wird
Berichten vom Obersten Vampir, der seine Zähne

In dich schlug, nachts, wenn er allein war und
Im Habit des einsamen Genies um sich schlug, weil
Niemand ihn verstand; ihn verstand niemand,
Weil er sich nicht verständlich machen konnte. Nur
Sein Hund wird den Kopf auf die Knie des
Chefs legen und ihn anschauen, von unten nach
Oben, von gleich zu gleich. Allmächtiger Tisch!

Eckhard Mieder