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Naziangriff auf linkes Wohnprojekt Zelle79 in Cottbus: "Lippenbekenntnisse zu Demokratie bringen nichts"

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Naziangriff auf linkes Wohnprojekt Zelle79 in Cottbus: "Lippenbekenntnisse zu Demokratie bringen nichts"

Eine Kurzmeldung zu einem Angriff von Neonazis auf das Wohnprojekt "Zelle 79" im brandenburgischen Cottbus. -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Da die Betroffenen ihre Stimmen aus Sicherheitsgründen nicht im Internet hören möchten, haben Bewohnende des Wohnprojekts "Zelle 79", RDL schriftlich auf einige Fragen geantwortet: Es ist erst rund 48 Stunden her, dass erneut Nazis bei Euch nicht nur vor dem Haus standen sondern Parolen riefen, Pyrotechnik zündeten, im Hinterhof brannte es dann.

Bevor wir näher auf diesen Angriff und die Zusammenhänge eingehen: wie ist heute,am Montagmorgen, die Stimmung bei Euch? * Es ist eine merkwürdige Stimmung zwischen Alltag und Ausnahmezustand. Wir sind teilweise wieder in der Uni und auf Arbeit, wer heutefreimachen kann, kümmert sich um die Presseanfragen und Solibekundungen. Wir sinderschöpft, trotzdem können wir auch mal kurz die Küche aufräumen. Was ist in der Nacht auf Samstag konkret passiert? * Nun, es war eine ruhige Nacht, die meisten vonuns haben schon geschlafen oder waren gerade dabei ins Bett zu gehen. Kurz vor Mitternacht hörte ich draußen unglaublich lauten Lärm, es knallte und schepperte. Dann habe ich aus dem Fenster geschaut und konnte für wenige Sekunden 5 Gestalten sehen. Sie riefen "Wir sind die Gang. Adolf Hitler Hooligans. Kommt raus ihr Fotzen, kommt raus". Dann war schon alles in Rauch gehüllt und ich hab über all rote Flammen gesehen und Knalle gehört. Krieg war der erste Gedanke in meinem Kopf. Dann war schon nichts mehr zu sehen und ich musste das Fenster schließen um den Rauch draußen zu lassen. * So wie der erste große Rauch verzogen war, konnten wir ein wenig die Lage checken. Die Angreifer waren weg. Während wir uns zusammen gesammelt haben, haben wir einen entstehenden Brandherd im Hinterhof entdeckt. Durch unsere schnelle Reaktion konnten wir das Feuer im Hinterhof rechtzeitig löschen Schließlich sind wir rausgegangen. Vor der Tür lag ein Zaunstück, das als Rammbock benutzt worden ist, Pyrorste Lage rum. In dem Moment kam die Polizei dann auch. Wie hat die Polizei reagiert? * Die Polizei war nach 20 Minuten vor Ort. Mehrere Personen aus der Nachbar*innenschaft hatten die Polizei gerufen. Relativ schnell drauf wurde die gesamte Stadt relativ dicht bestreift und mehrere Personalien von eventuell Verdächtigen aufgenommen. Allerdings wissen wir mittlerweile durch die Berichterstattung, dass keine verdächtigen Personen ermittelt werden konnten. * Noch in der selben Nacht wurden Zeug*innenaussagen aufgenommen und auch in der Nachbar*innenschaft wurde bestätigt, dass es eindeutig rechte Parolen waren, die dort gerufen wurden. Hier war schnell klar, dass die Tat auch politisch motiviert war, auch aus Sicht der Polizei, was nicht immer selbstverständlich ist. Welche Schäden am Haus gibt es? * Ja, wir haben Schäden am Haus. Die Angreifenden haben versucht mit einem Zaunstück, welches als Rammbock genutzt wurde,die Tür zu durchbrechen. Dabei wurde das Türblatt beschädigt und musste schnell repariert werden. Das fand alles noch in der selben Nacht statt, um sicher sein zu können. Außerdem wurde die Hausfassade beschädigt. In der zweiten Etage ist z.B. bedrohlich nah an einem Fenster ein größeres Einschlagloch von einem Stein zu sehen. Da wollen wir uns nicht ausmalen, was b. passiert wäre, hätten die Angreifer getroffen. Wie ging es Euch in dieser Nacht, habt Ihr noch Schlaf gefunden? * Nun, wie gerade schon erwähnt ging es erstmal daran Schäden zu reparieren. Außerdem war der Adrenalinpegel viel zu hoch um ruhig ins Bett zu gehen. So haben die einen schonmal die Tür repariert und ein paar andere haben sich zusammengesetzt und probiert, sich über das Geschehene Gedanken zu machen. Wir haben natürlich auch so viel miteinander geredet,um uns gegenseitig einfach zu unterstützen, haben schon mal Freund*innen geschrieben und liebe und solidarische Antworten bekommen. Aber um auf die Frage zurück zu kommen, viel Schlaf war nicht zu holen in der Nacht. Es ist einer von vielen Angriff seitens Nazis auf Euer Hausprojekt. Wie ist die Stimmung in der Nachbarschaft, erfahrt Ihr Solidarität? * Also unsere Nachbar:innenschaft ist schon stabil. Es gab Menschen,die das zufällig bemerkt und die Polizei informiert haben. Grundsätzlich würde ich sagen, dass viele Leute mit verschiedensten Hintergründen in der Nachbar:innenschaft leben und wir vermutlich nicht bei allen Themen unbedingt einer Meinung sind, aber wir können reden und streiten. Wenn uns Nazis hier die Tür einhauen und Brandsätze werfen, dann ist aber auch klar,dass die Nazis hier das Problem sind. Auch die Nachbar:innenschaft hat ja Stress durch sowas. Das ist schon ein wenig paradox, aber die Nazis wollen uns brechen und einschüchtern, schaffen aber durch solche Aktionen auch irgendwie positive Effekte. Die Solidarität ist schon enorm. * Auch über die Nachbar:innenschaft hinaus. Wir wurden durch andere Initiativen, Klubs und WG's mit Essen versorgt, es gab ganz viel Support. Nicht nur die Szene rückt näher zusammen, auch Veranstaltungsorte der Subkultur, Galerien und viele Einzelpersonen. In der Klubszene haben wir uns ja nun auch schon organisiert und die "Initiative Sichere Orte" mit gegründet. Dort sind Kulturorte vereint, die die Bedrohungslage schon lange erkannt haben. Weit vor den öffentlichen Stellen die sich plötzlich alle zum Thema besorgt äußern. Linke Subkultur hat es im Osten ganz besonders schwer. Wie prägen die Angriffe der Nazis euren Alltag im Haus? * Schon stark. Du richtest deine Aktivitäten schonein bisschen nach Events in der Stadt aus. Du analysierst immer wie hoch ist eigentlich die Bedrohungslage. Ist noch das Stadtfest im Gange? Oder ist heute ein Fußballspiel? Oder was auch immer. Der Punkt ist, wir sind seit den 90er Jahren als Projekt da und uns haben die Nazis nie klein bekommen. Aktionen wie diese sollen uns einschüchtern ,aber sie erreichen das Gegenteil. Mehr Solidarität, mehr Spenden und mehr negative Presse. Außerdem haben wir auch unsere tollen Orte und Veranstaltungen in der Stadt, wir sind ja nicht komplett isoliert oder so. Wir müssen nur immer kollektiven Selbstschutz mitdenken, den das übernimmt weder Politik, Polizei oder Presse. Wenn es knallt, bist du erstmal auf dich gestellt, immer! Auch wenn die Politik auf einmal bemüht ist Lösungen zu finden, ich bin skeptisch. Das Problem liegt seit Jahren auf der Hand, traurig das jetzt reagiert wird, nachdem wir uns in der "Initiative Sichere Orte“ zusammengeschlossen haben. Das hätte doch mal eher passieren können. Für wie verfestigt haltet Ihr Neonazistrukturen in Cottbus? * Um einmal den Brandenburgischen Verfassungsschutz zu paraphrasieren: In Cottbus gibt es ein toxisches Gebilde, welches aus beinharten Neonazis, Rockern, Türstehern und Kampfsportlern besteht. Dies würde ich und viele andere in der Stadt so unterschreiben. In der Stadt und im Landkreis drum herum haben sich über Jahre und Jahrzehnte etablierte Strukturen heraus gebildet und nach und nach professionalisiert, auch mit legalen Geschäftsbereichen wie Klamottenläden oder Restaurants. * Der Fußball spielte und spielt sicherlich eine große Rolle und kann als Ankerpunkt zwischen oben genannten Gruppen gesehen werden. Und er hilft natürlich auch bei der Rekrutierung neuer Leute. * Wie an vielen Orten auch medial schon festgestellt wurde, gibt es auch in Cottbus mittlerweile sehr junge, eher aktionsorientierte Jungnazis, die sich über TikTok (vor-)radikalisieren und dies dann auch auf die Straße tragen wollen. Manche sympathisieren mit der Kleinstpartei „3. Weg“, viele gehen zum Fußball. In jedem Fall istdie Hemmschwelle zur Gewaltbereitschaft niedrig. Um materielle Schäden zu beseitigen ist Geld wichtig, aber was muss aus Eurer Sicht im Alltag getan werden, um solche Angriffe zumindest einzudämmen? * Es braucht die aufrichtige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Lippenbekenntnisse zu Demokratie und Gewaltfreiheit bringen uns und anderen Betroffenen, bis auf warme Worte, gar nichts. Auch das Geheule um ein schlechtes Image der Stadt sind für uns eine Farce und wurden über Jahre immer eher nach vorne gestellt, als die Solidarität mit den Opfern. Gerade die, die wegen des Imageverlust am lautesten schreien, haben den größten Handlungsspielraum, etwas nachhaltig an diesem Image zu ändern. Aber dazu bräuchte es die harte Selbsterkenntnis aus Politik und Justiz,dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel zu wenig gegen Nazigewalt unternommen wurde. Prozesse werden undwurden verschleppt und schließlich eingestellt - die Opferperspektive,deren Finanzierung am seidenen Faden hängt, kann ein Lied davon singen. Rechte Straftäter werden nicht konsequent und zeitnah verfolgt - das muss sich ändern. * Dasselbe gilt für den FC Energie Cottbus, der nach jeder Veröffentlichung zu seinen Nazi-Fans beklagt, dass sie ja schon so viel tun würden und zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt würden... Nur leider ist von all den Aktionen bisher wenig in den Köpfen angekommen. In der Kurve wird trotzdem weiterhin ausgiebig der rechte Arm gehoben und die wenigen linken Fans trauen sich kaum ins Stadion. * Und auch präventiv wird eher ab- als aufgebaut. Der Sozialausschuss unter Vorsitz der AfD hat für 2026 eine Kürzung von 20% des Haushalts beschlossen. Dieser Beschluss öffnet der Radikalisierung Tür und Tor, denn die Finanzierung von Sozialer Arbeit wird damit aufs Spiel gesetzt. Angebote zur Demokratiebildung, Vermittlung von Sozialkompetenzen oder die Beratung und Unterstützungsangebote für GewaltbetroffenePersonen und vieles mehr könnten vor dem Aus stehen. Ganz bildhaft gesprochen: die AfD kürzt das Geld, mit dem bspw. von Armut betroffene Kinder zumindest für eine Woche im Jahrauf Ferienfahrt fahren könnten. Wir kommen langsam zum Ende unseres Gesprächs: Wie geht es für Euch weiter? * Wir versuchen im Pressewirbel die Übersicht zu behalten und die entstandenen Schäden zu reparieren. Der OB möchte sich demnächst mit uns zusammen setzen und besprechen, wie wir und andere Locations besser geschützt werden können. Wir sind gespannt, ob dabei etwas konstruktives heraus kommt - aber es schwingt viel Skepsis mit. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass auf die Parlamentarier:innen oft kein Verlass ist. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck an der "Initiative Sichere Orte Südbrandenburg", der wir kürzlich beigetreten sind. Sie vernetzt (sub-)kulturelle, antifaschistische Orte und organisiert im Grunde unseren kollektiven Selbstschutz. Naja und ganz nebenbei versuchen wir das durchatmen nicht zu vergessen... Uns gegenseitig zu bestärken und zu lachen, so viel geht - denn das hilft am besten gegen die Ohnmacht.

Creative Commons Lizenz

Autor: Thomas

Radio: RDL Datum: 27.05.2025

Länge: 01:23  min. Bitrate: 320 kbit/s

Auflösung: Stereo (44100 kHz)