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Die Farbenlehre des MAD: Per Definition keine Nazis vorhanden (Alexander Kleiss)

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ist der Militärgeheimdienst der Bundesrepublik. Neben der Abwehr äusserer Bedrohungen gegen die Bundeswehr ist er auch mit der Erkennung von Verfassungsfeinden innerhalb der Truppe beschäftigt.

Darunter fällt auch, Neonazis in der Bundeswehr zu erkennen und entspre- chende Erkenntnisse weiterzuleiten, sodass diese Neo- nazis aus der Bundeswehr entfernt werden. Doch wie erkennt der MAD eigentlich Neonazis? Und welche Probleme gab es in den vergangenen Jahren dabei?
Gemäss der Extremismustheorie bezeichnet der MAD Neonazis als Rechtsextremist*innen. Die Extre- mismusdefinition, mit der der MAD arbeitet, ergibt sich aus §1 des MAD-Gesetzes (MADG) und §4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG).
Extremist*innen sind demzufolge Personen mit „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokra- tische Grundordnung, den Bestand oder die Sicher- heit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind“ (§1 MADG). Näher konkretisiert werden diese Bestrebun- gen in §4 BVerfSchG. Um tatsächlich als extremistisch eingestuft zu werden, muss die betreffende Person demnach entweder „in einem oder für einen Personen-
Wie genau der MAD seine Akten sortiert, bleibt weiterhin ein Rätsel. (Quelle: Tim Reckmann, Flickr)
zusammenschluss handeln“ oder die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein, die genannten Bestrebungen tatsächlich zu verwirklichen.
Diese sehr sperrige Definition führte dazu, dass in einigen Fällen Personen, die nach allgemeinen gesell- schaftlichen Vorstellungen durchaus als faschistisch oder neonazistisch zu bezeichnen wären, weiterhin bei der Bundeswehr tätig sein konnten, da sie durch den MAD nicht als rechtsextremistisch eingestuft wurden. Ein Beispiel hierfür ist ein Soldat, der den Hitlergruss zeigte, jedoch (zumindest zunächst) nicht als Rechtsex- tremist, sondern nur als Verdachtsfall eingestuft wurde, da ihm keine Verhaltensweisen nachgewiesen werden konnten, die darauf gerichtet waren, die freiheitliche demokratische Grundordnung tatsächlich zu beseiti- gen.1 Ähnlich verhielt es sich auch immer wieder in Fällen, in denen sich Soldat*innen in sozialen Medien rassistisch äusserten.2
Hitlergrüsse oder rassistische Kommentare recht- fertigten nach Ansicht des MAD keine Einstufung als extremistisch, sondern waren lediglich Anhaltspunkte, um die betreffenden Personen als Verdachtsfälle zu führen, um zu überprüfen, ob sie der fragwürdigen Extremismusdefinition des MAD entsprechen. Dem- entsprechend verblieben sie in der Bundeswehr, was dazu führte, dass es in der Logik des MAD und des Verteidigungsministeriums quasi keine Neonazis in der Bundeswehr gab. Denn wenn diese erkannt würden, würden sie ja auch quasi direkt entlassen oder zumin- dest suspendiert. Es existierten also offiziell nur soge- nannte Verdachtsfälle – keine Rechtsextremisten. Diese systematisch verzerrte Darstellung der Wirklich- keit war politisch wirksam, um die Weste der Bundes- wehr in der Öffentlichkeit reinzuwaschen. Aufgrund dieser vermeintlich weissen Weste dauerte es dann auch extrem lange bis die Öffentlichkeit ab 2017 anfing, genauer hinzuschauen und die offiziellen Definitionen z.T. zu hinterfragen.
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Die Ampel - ein einfaches und zuverlässiges Ordnungssy- stem? (Quelle: Francisco Welter-Schultes, Wikimedia)
Der MAD verwendete intern ein Ampelsystem, dem- zufolge Personen, die mit der Farbe „grün“ gekenn- zeichnet waren, als unproblematisch galten, die Farbe „gelb“ für eine Verdachtsfallbearbeitung stand und die Farbe „rot“ für eine extremistische Person, die aus der Bundeswehr entfernt werden muss.
Erst 2019 wurde diese Regelung geändert. Hier- für wurde die neue Kategorie „orange“ eingeführt. Diese steht für „fehlende Verfassungstreue“.3 Die neue Regelung bezieht sich auf §8 des Soldatengesetzes, der Soldat*innen verpflichtet, durch ihr „gesamtes Verhalten“ für die Erhaltung der freiheitlichen demo- kratischen Grundordnung einzutreten. Auch ein Ver- stoss gegen diesen Paragraphen kann nun auch in der Praxis zu einer Sanktionierung oder Entlassung führen – zumindest wenn entsprechende Fälle auch gemel- det werden. Warum dies trotz einer bereits seit 2017 (mit dem Inkrafttreten des §8 im Soldatengesetzbuch) bestehenden Rechtsgrundlage erst 2019 so gehandhabt wurde, bleibt das Geheimnis des MAD.
Auch die neue Farbenlehre des MAD bleibt aller- dings voller Lücken. Ein Jahr nach der Reform beklagt ein ehemaliger MAD-Offizier das verbleibende Ver- säumnis, dass als rechtsextremistisch eingestufte Soldat*innen zum Teil nicht entlassen würden. Ein hochrangiger Bundeswehr-Offizier stellt fest, dass nach wie vor Fälle „unter den Tisch fallen“ würden. Er sei überzeugt, dass 15 bis 20 Prozent der Soldat*innen rechtsextrem seien. Aufgrund der Personalprobleme bei der Bundeswehr sei es nicht gewünscht, diese Soldat*innen alle zu entlassen.4
Zudem bleibt die theoretische Handlungsgrund- lage des MAD auch nach der Reform kritikwürdig: So beruft sich der Militärgeheimdienst auf den Extre- mismusbegriff. Wissenschaftlich ist dieser seit Jahr- zehnten umstritten. Bereits im Jahr 2000 kritisierten Politikwissenschaftler*innen den Extremismusbegriff als „politischen Kampfbegriff“, der dazu beitrage, „Rassismus und Rechtsradikalismus zu verschlei-
ern“.5 Der Extremismusbegriff sei ausserdem vage, eindimensional und unterkomplex. Zudem sorge er für eine Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremis- mus.6 Als Alternative zum Extremismusbegriff wurde beispielsweise das Konzept der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ entwickelt.7 Würde die Bun- deswehr nach diesem Kriterium durchleuchtet werden, würden die „Verdachtsfälle“ vermutlich in die Zehn- tausende gehen – darunter auch Mitarbeiter*innen des MAD selbst.8
Bei den deutschen Geheimdiensten hält sich der Extremismusbegriff jedoch hartnäckig. Reformen wären dringend notwendig. Dabei stellt sich aller- dings die Frage nach dem Selbstverständnis des MAD: Dient er dazu, Verfassungsfeinde in der Bundeswehr zu erkennen, um sie aus der Truppe auszuschliessen, oder schirmt er - seinem Namen entsprechend - die Bundes- wehr vor all zu grossem gesellschaftlichem und politi- schem Einblick und Einfluss ab?

Autor: Antikriegsradio im Querfunk, Karlsruhe

Radio: antikriegsradio_R(at)querfunk.de Datum: 16.01.2023

Länge: 11:11 min. Bitrate: 198 kbit/s

Auflösung: Stereo (44100 kHz)