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Türkinnen kämpfen weiter für den Erhalt der Istanbul-Konvention - sie wissen warum

Am 11. Mai 2011 wurde das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, unterzeichnet.

Das Übereinkommen verpflichtet die Staaten zu einer Reihe von Massnahmen zum Schutz von Frauen vor Gewalt und Diskriminierung. Dazu gehören Massnahmen wie die Einrichtung von Frauenhäusern, rechtliche, psychologische und finanzielle Beratung, gesetzgeberische Massnahmen gegen eine Vielzahl von Formen von Gewalt und Unterdrückung. Alle Mitgliedsstaaten des Europarates, mit Ausnahme Russlands haben den Vertrag unterschrieben. Allerdings steht bei einigen Staaten die Ratifizierung durch das Parlament noch immer aus. Polen und Kroatien haben nur mit Vorbehalt unterschrieben. Dass manche Länder nur zögerlich unterschrieben haben, hing sicher auch damit zusammen, dass sich aus dem Abkommen auch ein besonderer Schutz von Migrantinnen ableiten lässt.

Das Übereinkommen wird Istanbul-Konvention genannt, weil die Erstunterzeichnung auf einer Sitzung des Europarates in Istanbul stattgefunden hat. Die Türkei unterschrieb als erstes Land und das türkische Parlament ratifizierte das Abkommen auch zuerst. Das schien ein starkes Signal für eine moderne Türkei zu sein und wurde auch so international verkauft. Doch wirklich ernst war es der Regierung Erdogan damit nicht. In der Nacht von Freitag dem 19. auf Samstag, den 20. März setzte sich der Präsident Erdogan zu später Stunde, wohl gegen Mitternacht, noch einmal an seinen Schreibtisch und unterschrieb ein Dekret, mit dem er den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention verkündete. Der Erlass wurde mittlerweile ein zweites Mal offiziell veröffentlicht und soll ab 1. Juli Gültigkeit haben. Erdogan setzte sich damit über die Proteste von Frauen im ganzen Land ebenso hinweg wie über verfassungsrechtliche Bedenken wonach der Präsident gar nicht das Recht hat, ein vom Parlament ratifiziertes Abkommen per Dekret ausser Kraft zu setzen. Gül von der ehemaligen türkischsprachigen Redaktion von Radio Dreyeckland sprach mit der feministischen Aktivistin, Esril Bayrak aus Istanbul über die Bedeutung des Vertrages und den Kampf gegen seine Annullierung durch einen einzigen Mann.


Es sieht leider nicht aus, als würden die Staaten Europas mit besonderem Nachdruck auf die Einhaltung der Istanbul Konvention drängen. Die EU will weiter die Beziehungen zur Türkei verstärken, selbst eine Erweiterung der militärischen Zusammenarbeit steht im Raum. Würden die europäischen Regierungen die willkürliche Aufhebung eines internationalen Abkommens so ungezwungen hinnehmen, wenn es um etwas anderes ginge, als um die individuellen Rechte von Frauen?

Autor: Gül, Jan

Radio: RDL Datum: 26.05.2021

Länge: 13:26 min. Bitrate: 187 kbit/s

Auflösung: Stereo (44100 kHz)