Podcast

Kultur

"Showcase Beat Le Mot": Gescheiterte Revolutionen.

Hintergrund: „Showcase Beat Le Mot“,sprach uns vor zwei Jahren ein Freund bei einem Gastspiel in Leipzig an, „könnt ihr nicht endlich einsehen, dass eure erhoffte Theaterrevolution gescheitert ist?“ Wir waren empört.

Hintergrund:

„Showcase Beat Le Mot“,sprach uns vor zwei Jahren ein Freund bei einem Gastspiel in Leipzig an, „könnt ihr nicht endlich einsehen, dass eure erhoffte Theaterrevolution gescheitert ist?“ Wir waren empört. Dennoch brachte uns seine Frage auf eine Idee. Die Idee, ob es nicht an der Zeit sei, sich über
GESCHEITERTE REVOLUTIONEN zu unterhalten, und mit den Mitteln des Theaters zu zeigen, wie verschiedene Ausprägungen der Bühnenkunst mit den Gesellschaftssystemen und ihren revolutionären oder reaktionären Tendenzen zusammenhängen, in denen sie entstehen. Als wir 2007 in Tallinn/Estland durch Zufall mitten in den Aufstand der dortigen russischen Minderheit gerieten, fühlten wir uns zwischen Polizeiknüppeln, eingeworfenen Schaufenstern, Tränengas, lustigen Randalierern, Plünderern und betrunkenen Sympathisanten in unserem Plan bestärkt und begannen, die Ereignisse in unsere damalige Produktion einzuarbeiten. In einem zweijährigen spartenübergreifenden Projekt werden wir auf dieser Grundlage in den Jahren 2009 und 2010 vier gescheiterte Revolutionen auf die Bühne bringen und laden parallel zu einem Kongress ein, in dem mit Lectures, Kurzperformances, Diskussionen, Konzerten und Installationen über die Frage nachgedacht wird, warum wir heute im postrevolutionären Zeitalter leben, in dem Revolutionen nur deshalb nicht scheitern, weil sie gar nicht erst entstehen.
Niemals gab es so viele Revolutionen wie in der Gegenwart. Das zumindest legt die Sprache der Werbung nahe. Jeder neue Mobilfunkanbieter verspricht die Tarifrevolution, jede Markteinführung eines neuen Autos die Verkehrs-, einer neuen Waschmaschine die Reinigungs- und eines neuen Turnschuhs die Laufrevolution. Scheinbar befinden wir uns im Zustand der Permanenten Revolution, in Wahrheit haben die angekündigten Revolutionen weder technologisch noch gesellschaftlich irgendwelche Folgen. Im Gegenteil: Der Zustand der ständigen Scheinerneuerung wirkt stabilisierender und innovationsfeindlicher als jede handfeste politische Repression.
Revolutionen beginnen als ungeordnete und unvorhersehbare Bewegungen, ohne Plan, ohne Führung. Diese Bewegungen entspringen nicht aus einem Entschluss, sondern aus einer diffusen emotionalen Entladung. Revolutionen beginnen mit einem glücklichen oder unglücklichen Zufall, einem Missverständnis, einer Laune, gut oder schlecht, die sich selbst rückkoppelt, verstärkt und schliesslich zu einem ohrenbetäubenden Tumult anschwillt. Keiner darf Befehle erteilen, es gibt noch keine Anführer. Die revolutionäre Ausgangssituation ist richtungslos – eine Feier, in der alles erlaubt ist, ein körperlich empfundener, gewalttätiger, sexueller Ausnahmezustand, der Affinitäten sowohl zum religiösen Ritus als auch zum Theater hat. Zugleich haben Revolutionen etwas höchst Ungemütliches an sich, denn es lässt sich kaum vermeiden, dass früher oder später Menschen an Laternen aufgehängt werden. Die exzessive Party mündet in einen Exzess der Zerstörung. Im Rausch der absoluten Freiheit, der in einem Blutrausch gipfelt, wird sinnlos geplündert, zerschlagen und gemordet, bis nolens volens die Verhältnisse umgestülpt sind und alles von vorne beginnen muss.
Dagegen sind unsere heutigen Revolutionen etwa so gefährlich wie das gekräuselte Näschen von Pink. In der postrevolutionären Gesellschaft ist die Revolution zur Attitüde geworden, die man an- und ablegt wie ein Che Guevara-T-Shirt. Die Sehnsucht nach Exzessen ist geblieben. Kulturrevolutionäre inszenieren wehmütige Kommunismushistorie und suchen nach immer neuen, immer gleichen Wegen der Provokation. Die anonyme Erfindungswut der Neunziger wird kuratiert, gebündelt, zu übersichtlichen Paketen geschnürt und en gros verramscht. Im Ruf nach Qualität und Quantität verendet jeder Spleen, jede Unwägbarkeit, jegliches Risiko. Der Mob leuchtet nur noch selten auf, als fixe Idee von Antiglobalisierungshippies, inszeniert via sms, und von einer pathetischen Gegengeschichtsschreibung bereits vereinnahmt, bevor er sich selbst erproben kann.
In einem solchen Klima ist es beinahe peinlich, über Revolutionen nachzudenken. Leicht könnte man in den Verdacht geraten, nur noch ein weiteres Pappschild in einem Wald aus Pappschildern zu sein, die sich bereits in ihrer Behauptung erschöpfen. Deshalb ist es uns ein Anliegen, unsere theatralische Arbeit theoretisch zu fundieren und um neue, für uns unverhoffte Gesichtspunkte zu erweitern.
Vom 10. bis 12. Juli 2009 laden wir ein zur Spurensuche für das Scheitern bzw. Nichtzustandekommen von Revolutionen. Wir fragen nach dem Verhältnis von Revolution und Religion; ob religiöse und politische Sphären bei Revolutionen verschmelzen; ob revolutionäre Ideologie religiöse Züge besitzt und ob das Heilige eine Rolle innerhalb revolutionärer Politik spielt. Wir fragen nach revolutionären Praktiken in den Zeiten des globalisierten Kapitalismus und seiner Krise. Wir fragen nach Kontrolle und Kontrollverlust, nach dem komplexen Zusammenspiel von Disziplin und Anarchie, nach dem Schicksal revolutionärer Protagonisten und deren Verhältnis zur Masse. Wir fragen nach der Rolle kultureller Praktiken, die sowohl destabilisierend als auch herrschaftssichernd wirken können; nach den unterschiedlichen Erneuerungsstrategien unterschiedlicher Epochen; nach revolutionären Institutionen und institutionalisierten Revolutionen. Wir fragen nach Zentren des Widerstands und nach gelebten Utopien wie Klöstern, Sekten, Piratenschiffen. Wir fragen nach massenpsychologischen Regelmässigkeiten im Dickicht der historischen Ereignisse, nach Mustern im Chaos, auch: nach der Geschichte eines Wortes, das selbst oft als politisches Instrument eingesetzt worden ist.
Wir laden Euch ein zum Zertanzen der Theorien der politischen Asketen, zum Schattenboxen gegen die Bürokraten des politischen Diskurses, zu gegrilltem Schwein, Rum und Brot. Wir erfüllen den AUFTRAG von Heiner Müller als Bankett, auf dem wir das Leibgericht des Bischofs von Münster servieren. Und denkt daran, dass das Reich der Freiheit erst da beginnt, wo das Arbeiten aufhört. Wer Lösungen möchte, soll zuhause bleiben.
„Das System ist das Problem, ja? Ja.
Das System hat keine Eier, ja? Ja.
Das System ist im System, ja? Ja.
Ich hab kein Problem, ja? Ja.“
HGichT

siehe: http://www.showcasebeatlemot.de/de/ueber...

Autor: tagesaktuelle redaktionm

Radio: corax Datum: 08.07.2009

Länge: 02:40 min. Bitrate: 192 kbit/s

Auflösung: Stereo (44100 kHz)