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Kultur

"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Paul Ryan -

Wer ist Paul Ryan, der Vizepräsidentschaftskandidat der Republikaner in den USA? Ich weiss es nicht, doch höre Du nie auf, danach zu fragen, wie das Sprichwort sagt.

Soweit man liest, handelt es sich um einen der Tea-Party-Missionare mit dem Lieblingsspruch «No Taxes» auf den Lippen, aber das hat nichts zu bedeuten, das sagen sie alle.

Und ein paar Jahre später, wenn die Geschichte weiter gewandert ist, müssen sie sich jeweils vorwerfen lassen, dass sie ihr Versprechen gebrochen haben. Dies widerfährt gegenwärtig unser allem George Bush, nein, nicht dem Komiker, sondern seinem Vater; der war seinerzeit, im Jahr 1988 und während der Wahlkampagne zur Nachfolge von Ronald Reagan, berühmt geworden mit dem Spruch: «Read my Lips», lest es von meinen Lippen ab, und dann folgte tonlos: «No new taxes». Selbstverständlich erhöhte er die Steuern, sobald er die Schwelle des Oval Office übertreten hatte, und das wirft ihm nun der Präsident des US-amerikanischen Bundes der Steuerzahler vor, 24 Jahre später. Dabei hatte er ja nur gesagt: Keine neuen Steuern; man kann ja auch die alten kräftig in die Höhe fahren. Auch Euer Altkanzler Helmut Schmidt hat letzte Woche mal gesagt, dass alte Steuern gute Steuern seien, und der wird es wohl wissen als alter Mensch.

Aber Paul Ryan? Er könnte ein Verkäufer von Dentalimplantaten, Haarimplantaten, Botoxkuren und vielen weiteren schönen Dingen sein oder eben der Vizepräsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei, einer mit Schaum um den Mund, wenn es um den Staat geht, weshalb er ja auch für das höchste Amt in diesem Staat kandidiert, und besonders viel Schaum gibt es für die Sozialprogramme. Langsam habe ich den Eindruck, dass man diesen Menschentyp vielleicht einfach mal an die Macht kommen lassen sollte, damit die Welt ein für allemal davon geheilt ist. Unter der Voraussetzung, dass die Armen dann nicht spontan verhungern täten, sondern sich zu gewalttätigen Empörungen zusammen raufen würden, wäre das mal eine richtige Belebungskur für dieses grosse Land, und im Anschluss daran wäre die Grand Old Party im Grand Old Nirwana angelangt, wo sie seit längerer Zeit definitiv hin gehört.

Mir ist es ein Rätsel, wie eine geistesgeschichtliche Entwicklung möglich ist, die im Nachhinein noch einen Ronald Reagan wie einen Sozialreformer aussehen lässt. Hat das wirklich alles damit zu tun, dass die Sowjetunion verschwunden ist und dass somit der Gegenpol für dieses nicht etwa konservative, sondern einfach besinnungslose Schwadronieren? Es versteht sich von selber, dass man im Wahlkampf den Menschen jene Themen um die Ohren schlägt, die sie hören wollen, und zwar in einer Art und Weise, die sie verstehen, ohne dabei auch noch so etwas Anstrengendes wie den Verstand bemühen zu müssen; aber trotzdem kann man doch nicht in der reichsten Staats- und Gesellschaftsform, die historisch je existiert hat, auf die nackerte Blödheit zurückfallen? Wahlkampf hin oder her. Beziehungsweise: Doch, es geht, und der Kandidat hat nach wie vor rund 40 Punkte, nehme ich an, Mitt Romney mit seinem Mit-Mitt, dem Paul, den er gleich zu Beginn als den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten vorgestellt hat, und das stellt dem Wahlvolk der Vereinigten Staaten ein schlichtweg unglaubliches Zeugnis aus.

Nun glaube ich aber an den Menschen als solchen und als Kulturprodukt und Kulturprojekt. Somit darf ich auch die Vereinigten Stääteler nicht einfach in Bauch und Arsch verdammen, auch wenn mir der Schaum zentimeterhoch auf den Papillen steht. Ich möchts aber einfach wissen, wieso in solch einem Kulturprojekt die Einsicht keinen Platz hat, dass die moderne Gesellschaft ohne Staat nicht denkbar ist. Man kann sich dann noch lange genug streiten, wie ein solcher Staat konkret auszusehen hätte, aber ihn rundweg abzulehnen, das ist einfach jenseitig. Und um eine solche komplette Ablehnung handelt es sich, wenn die Teepartei davon spricht, die ganzen Sozialprogramme abzuschaffen und die Finanzierung so weit zu drosseln, dass nur noch das Militär und vielleicht ein bisschen Polizei Geld kriegen. Abgesehen von einigen bestochenen ParlamentarierInnen, selbstverständlich, und jenen, die sie bestechen. Mir will das nicht in den Kopf.

Was mir jedoch auch jetzt wieder auffällt, ist die eigentümliche Parallele zwischen den Teeparty-Tigern und einigen Teilen der Anarchistenbewegung. Was heisst das Parallele: Die sind in den betreffenden Teilen vollkommen deckungsgleich. Beide sehen im Staat das Grundübel. Die Anarchisten möchten allerdings mit dem Staat auch Polizei und Armee abschaffen; aber in der Substanz hetzen beide vor allem gegen die Sozialausgaben, gegen die Transferzahlungen aus der allgemeinen Kasse, wobei ich von den Anarchisten in letzter Zeit nicht besonders viel gehört habe zum Thema, wie denn die Herstellung und Verteilung der Güter im Weltdorf erfolgen solle, sodass gar kein Bedarf mehr bestehe für Sozialprogramme, während man von den Teeparteilern schon grad gar nichts hört in dieser Beziehung wie auch in mancher anderen.

Wie kann man in einer modernen, globalisierten, vollautomatisierten Gesellschaft gegen den Staat sein? Man kann gegen bestimmte Formen des Staates sein, zweifellos, oder gegen gewisse Bereiche, aber zwei Dinge stehen fest: Die Gesellschaft braucht bis mindestens ins zweiundzwanzigste Jahrhundert hinein noch einen Staat, und sei es nur, um den Druck der weniger entwickelten Gesellschaften mit anderen Verhaltensformen aufzufangen. Dagegen kann man sich durchaus einen Staat vorstellen, welcher sich nicht in erster Linie der Durchsetzung der Erdöl-Interessen und der Zerstörung der Umwelt widmet, aber das scheint eben die Teetrinker zu allerletzt zu kümmern, vielmehr möchten sie ja gerade diese Bereiche als letzte erhalten und alimentieren. Wenn sie darin von breiten Teilen der Bevölkerung in den USA unterstützt werden, dann muss dies eine besondere Disposition im Menschen ansprechen, seinen ureigenen Interessen entgegen zu handeln und irgendwelchen möglichst dreisten Dummköpfen nachzulaufen. Es muss ja nicht immer Adolf Hitler sein, aber vielleicht war der auf seine Art schon ein bisschen ein Prototyp. In seinem Ursprungsland Österreich finden wir bei den Freiheitlichen auch ganze Heerscharen von braun gebrannten korrupten Lügnern, die sich auch immer als echte Volksvertreter und Korruptionsbekämpfer geben, wobei ich übrigens die Nachrichten im österreichischen Staatsfernsehen empfehle, es vergeht fast kein Tag, ohne dass einer dieser Volltrottel sein Gesicht in die Nachtausgabe der Zib 2 hält und sich dreist als Medienopfer ausgibt. – Aber phänomenal ist das alles doch, vor allem, weil man davon ausgehen muss, dass jenes Fünkchen Verstand, das die Kulturvermutung in jedem Menschen glühen lässt, auf direktem Weg und vollumfänglich all diesen Mist blosslegen muss, sobald es auch nur von weitem daran hinan zündet. Wie geht das? Muss man die Vereinigten Staaten von Amerika nun tatsächlich als eine Nation ansehen, in der die Wählerschaft der Republikaner, also sagen wir mal 50 Mio. Menschen, ein Haufen voll bewaffneter Vollidioten ist?

Fragen über Fragen, die man sich am besten von einem Anarchisten beantworten lässt, wobei, wie gesagt, die Stunde der Anarchisten schon längstens geschlagen hat, auch wenn sie sich gerade wieder in St. Imier zu ihrem Kongress getroffen haben. Eine freiwillige Ordnung mitten in der grossen Unordnung unserer Zeit ist eine rechte Herausforderung, welcher bisher nur unsere Wirtschaft gewachsen war, und wenn die Anarchisten die kapitalistische Wirtschaft nachbauen wollen, dann haben sie wohl etwas verwechselt. Wenn sie sie aber bekämpfen wollen und auch die funktionierenden globalen Strukturen darin, dann würden sie sich besser befleissigen, ein paar Tipps zu geben, wie das denn funktionieren sollte und zur Not sogar könnte, und davon ist mir einfach nichts bekannt. – Dabei habe ich nichts gegen anarchistische Menschen, in erster Linie gegen jene Charaktere, welche sich mehr oder weniger intuitiv gegen möglichst vieles davon zur Wehr setzen, was man als gegeben und insonderheit als staatlich und öffentlich gegeben voraussetzt; diese Haltung ist nicht nur ehrenwert, sondern geradezu lebensnotwendig, wenn ein Mensch seine eigene Identität behauptet und durchsetzen will. Aber damit lässt sich einfach kein System begründen; es lässt sich bloss gegen jene Tendenz des aktuellen Systems anstinken, dass es alles unter den gleichen Hut bringen will.

Dagegen und nochmals: Die Tea Party und in und mit ihr Paul Ryan – wie soll das gehen? – In meinem Umfeld äussern die meisten Beobachter, dass Mitt Romney sich damit selber den Todesstoss versetzt habe und die Wahl zum US-Präsidenten nun definitiv nicht mehr gewinnen könne, obwohl sämtliche anderen eisenharten Parameter, namentlich die Arbeitslosigkeit, sehr stark gegen den Amtsinhaber sprechen. Na, wenn das mal gut geht. Ich selber muss einfach einräumen, dass ich gar nicht in der Lage bin, dem Schlamassel in den US-amerikanischen Köpfen auch nur ansatzweise zu folgen. Vielleicht haben die tatsächlich einen Plan B oder überhaupt einen Plan, von dem ich überhaupt keine Ahnung habe. Vielleicht ist es in Europa inzwischen derart eng geworden, dass man sich an einen Staat einfach gewöhnt hat wie an einen Haushund, bei dem man bloss schauen muss, dass er nicht zu laut bellt, wenn die Verwandten auf Besuch kommen. Ich kanns nicht mit letzter Gewissheit sagen. Und zu guter Letzt bin ich fast ein wenig froh darum, auf der Welt einige schwarze oder blinde Flecken zu kennen, um deren Aufklärung ich mich nicht unbedingt bemühen muss. Ich hoffe bloss, dass es sich mit ihnen nicht verhält wie mit dem Hautkrebs, dessen schwarze Flecken sich bekanntlich auch immer weiter ausdehnen. Und die definitive Antwort auf diese Frage erhalten wir ja bereits im November dieses Jahres.

So oder so: Macht endlich Schluss mit diesem Republikaner-Gesocks in den Vereinigten Staaten. Und wenn das erreicht ist, dann jagt auch die Demokraten zum Teufel, die ebenfalls in erster Linie Erdöl- und Interessenpolitik betreiben, bloss nicht in derart umfassender Art und Weise blöde wie die Republikaner. Aber ein Vergnügen ist das trotzdem nicht, auch wenn wir immer wieder festhalten, dass sie mit Barack Obama den ersten schwarzen Präsidenten stellen, was historisch gesehen eine der wichtigsten Errungenschaften der letzten Zeit war. Und trotzdem: Nach den Republikanern müssen auch die Demokraten weg, und dann ist es Zeit für das Volk der Vereinigten Staaten, auch einmal selber erwachsen zu werden.

Autor: Albert Jörimann

Radio: Radio F.R.E.I. Datum: 21.08.2012

Länge: 09:55 min. Bitrate: 256 kbit/s

Auflösung: Stereo (44100 kHz)