Die VGI will die Geldschöpfung den privaten Geschäftsbanken verbieten und alleine der Nationalbank überlassen. Heute werden rund 90% des Geldes von Geschäftsbanken herausgegeben, wovon nur 2.5% durch Reserven gedeckt ist. Das heisst, wenn viele Kund*innen gleichzeitig ihr Geld abheben wollen («Bankrun») oder die Bank sich wegen fehlendem Vertrauen kein Geld mehr leihen kann, geht sie pleite und das Guthaben ist weg. Bei Vollgeld hingegen müsste die Bank all ihre Kredite durch Guthaben bei der Nationalbank decken. D.h. bei einer Pleite wäre alles Guthaben noch vorhanden und könnte den Kund*innen aus der Konkursmasse ausbezahlt werden.
Allenthalben ist davon die Rede, das Thema sei furchtbar kompliziert. So dreht sich auch ein Grossteil des Abstimmungskampfes um irgendwelche Definitionsfragen und jedes Medium, das etwas auf sich hält, muss einen Erklär-Artikel rausbringen (Am meisten von sich hält natürlich die «Republik»). Warum solche Ideen zur Krisenlösung nichts taugen, hat der erst kürzlich verstorbene Marxist Elmar Altvater in der WOZ lesenswert ausgeführt.
Zwielichtige Hintergründe
Bevor man sich aber allzusehr den Kopf zerbricht, lohnt sich vielmehr ein Blick auf die Hintergründe der VGI: Lanciert wurde sie vom Verein Monetäre Modernisierung (MoMo), dessen führende Köpfe wiederum in der Initiative für eine natürliche Wirtschaftsordnung (INWO) aktiv sind. Diese bezieht sich stark auf die Theorien des Freiwirtschaftlers Silvio Gesell, von dessen Hauptwerk «Die natürliche Wirtschaftsordnung» (1911) auch ihr Name entlehnt ist. Gesell versuchte mit Bezug auf den französischen Frühanarchisten Pierre-Joseph Proudhon die Marxsche Mehrwerttheorie zu widerlegen. Demzufolge liege der gesellschaftliche Widerspruch zwischen denjenigen, die von ihrer Arbeit leben und den «Rentnern», die von Zinsen leben. «Arbeiter*innen» sind in dieser Sichtweise nicht nur die Lohnabhängigen, sondern auch Kapitalisten, ja sogar Könige.Das ist nicht nur eine falsche Erklärung, vielfach wurde und wird das vermeintlich unproduktive «Zinskapital» zudem mit dem «jüdischen Kapital» gleichgesetzt. Auch bei Gesell lassen sich solche antisemitischen Stellen finden (ausserdem war er Sozialdarwinist und Antikommunist). Bei den Nazis war die Unterscheidung zwischen «schaffendem» (also arbeitendes, deutsches) und «raffendem» (zinstragendes, jüdisches) Kapital zentral. Es lenkte nicht nur die Wut über Armut und Arbeitslosigkeit (und damit den «Antikapitalismus») auf die jüdische Bevölkerung, sondern liess auch den eigentlichen Gegensatz zwischen Arbeiter*innen und Kapitalist*innen verschwinden.1
Die VGI argumentiert nicht antisemitisch und hat bislang auch in ihrer Propaganda keine solchen Bilder verwendet (die gerade beim Thema Banken weit verbreitet sind). Die Unterscheidung zwischen dem «Gewinn aus Arbeit» und dem «Gewinn aus Zins» ist in ihrer Argmentation allerdings zentral, ebenso wie eine Volk-vs-(Banken)Elite-Rhetorik. Logisch kommt das nicht ohne eine gehörige Portion Nationalismus aus. So steht Willhelm Tell an vorderster Front und überall ist von «unserer Nationalbank» die Rede, die alleine «unsere Schweizer Franken» herstellen solle.
Schliesslich behaupten die Initiant*innen – auch das typisch – «weder rechts noch links» zu sein, während das Parlament wiederum «von den Banken gekauft» sei und alle Gegner*innen nur die Argumente der Bankenlobby nachplappern würden. Manifest wird das auch in der Vollgeld-Ausgabe des Antidot mit dem Trump'schen Titel «Stop Fake Money». Darin findet sich etwa ein Artikel von Max Otte, AfD-Sympathisant, Erstunterzeichner der neurechten «Erklärung 2018» und Organisator entsprechender Veranstaltungen. Für die Ausgabe verantwortlich zeichnet sich der Verein «Vollgeld und Gerechtigkeit». Dessen Präsident Christoph Pfluger hat auch ein Grossteil der Artikel verfasst. Pfluger ist Herausgeber des «Zeitpunkt», einer Zeitschrift der Schweizer Alternativökonomie-, Lebensreform- und Ökoszene, und stellte seine Querfront-Affinität u.a. mit einem Interview mit dem Antisemiten und Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen unter Beweis.
Eurythmie und Einfamilienhäuser
Die Tatsache, dass eine Volksinitiative zustande kommt, zeugt von einer gewissen gesellschaftlichen Basis, Organisationsgrad und finanziellen Möglichkeiten eines politischen Milieus. Nun ist es bestimmt nichts Neues, dass dieses Eso-Antroposphen-Milieu gerade in Teilen der Deutschschweiz ausserordentlich weit verbreitet ist. Ideologisch reicht es von grün-alternativ bis hin zu verschwörungstheoretisch, biozentrisch und antisemitisch. Verheerend ist das nicht nur wegen der vielen maserngeplagten Kinder, sondern weil aus diesem Sumpf eine Menge reaktionäre Ideologien ihren Weg in die Linke suchen und finden. Eine klare Abgrenzung wäre also dringend angezeigt.Aufschlussreich ist es auch, die ökonomischen Hintergründe zu betrachten. Hier geben die Unterstützer*innen-Listen der genannten Initiativen einige Hinweise, weil sie – gut schweizerisch – immer mit Berufsbezeichnungen daherkommen. Sie legen die These nahe, dass wir es hier im überwiegenden Masse mit kleinbürgerlichen und mittelständischen Existenzen zu tun haben (selbstständige Berater*innen, Therapeut*innen, Unternehmer*innen, Akademiker*innen). Das erklärt zweierlei: Zum einen liegt es von diesem Standpunkt aus nunmal näher, einen gesellschaftlichen Widerspruch zwischen «Real-» und «Finanzwirtschaft» zu sehen und nicht zwischen Kapital und Arbeit. Zum anderen verfügen diese Leute oft doch über ein beachtliches Vermögen, um welches sie in der Krise fürchten müssen. Das betrifft nicht nur Sparguthaben, sondern insbesondere auch Hausbesitz, welcher in Form von Hypotheken gehalten wird (also von Banken). Und hier kommen auch die Genossenschaften ins Spiel – als eine gerade im linken und urbanen Milieu verbreitete Form des Hausbesitzes. Eine Regulierung der Banken und «sicheres Geld» zu fordern, ist aus diesen Gründen nur folgerichtig.
Das Proletariat hat keine Hausbank
Es ist also kein Versehen, dass die VGI – wie von Linken und Gewerkschaften kritisiert wird – soziale Ungleichheit oder Armut überhaupt nicht thematisiert, trotz aller «wir lösen die Krise»-Rethorik. Weder beziehen sich die Initiat*innen auf linke Erklärungen und Theorien, noch werden proletarische Interessen artikuliert. Wenn der Lohn zu tief ist, nützt es auch nichts, wenn er in vermeintlich «sicherem Geld» ausbezahlt wird. Die grösste Sorge in der Krise ist, dass das Einkommen sinkt – durch Jobverlust, Prekarisierung oder tiefere Löhne und Sozialleistungen.Zusätzlich haben und hatten Menschen in einigen Weltgegenden mit einer drastischen Verteuerung der Konsumgüter durch Inflation zu kämpfen. Da spielten die Nationalbanken tatsächlich eine wichtige Rolle, aber eine eher unrühmliche. Sie agieren entgegen der Behauptung der VGI natürlich auch in demokratischen Staaten nicht nach Mehrheits- sondern nach Kapitalinteressen. Auch die Vorstellung, dass die SNB eine Beschützerin der Armen vor den Verheerungen der Krise sein soll, ist völlig absurd.
Was soll also die Linke damit? Gut möglich, dass die Vollgeld-Initiant*innen darauf hofften, bei ihr den verbreiteten Anti-Banken-Reflex zu triggern und so ihre Unterstützung zu gewinnen. Dass das funktionieren kann, hat etwa die «Abzockerinitiative» gezeigt. Zahnpasta-Fabrikant Thomas Minder schaffte es damit nicht nur – auch dank der euphorischen Unterstützung weiter Kreise der Linken – die dritthöchste Zustimmungsrate für eine Initiative in der Schweiz zu erreichen. Er wurde in Folge auch in den Ständerat gewählt – wo er sich dann der SVP-Fraktion anschloss. Doch für eine Wiederholung dieses Kunststücks durch die VGI ist die UBS-Rettung wohl schon etwas zu lange her und die Argumentation doch zu technokratisch.
Der Abstimmungskampf ist damit faktisch gelaufen, die Ablehnung der Vollgeld-Initiative ist so gut wie sicher. Angesichts dieser klaren Verhältnisse wird von den Gegner*innen niemand politisch gestärkt aus der Abstimmung hervorgehen. Daher können wir mit gutem Gewissen darauf hoffen, dass die Niederlage der VGI möglichst krachend ausfallen wird, sodass wir uns in den nächsten Jahren beim 1. Mai oder anderswo nicht mehr mit derartigem Gugus herumschlagen müssen.