Wer den Schaden hat…
Interessant ist, wie gegenwärtig die Ankündigungen dieser angeblichen Wohltaten im Interesse der Kundschaft lauten. Natürlich versäumen es die Handelskonzerne als Erstes nicht, zu dementieren, dass es sich hier um eine Werbeaktion handelt: „Angesichts der anhaltenden herausfordernden Lage in Deutschland setzt Lidl ein deutliches Zeichen für die Verbraucher.Der Lebensmitteleinzelhändler kündigt die grösste gleichzeitige Preissenkung in der Geschichte von Lidl an: Mehr als 500 Einzelartikel quer durch das Sortiment werden dauerhaft im Preis gesenkt… Damit reagiert Lidl auf die nach wie vor hohe Belastung der Haushalte durch gestiegene Lebenshaltungskosten und stärkt die Kaufkraft seiner Kunden.“
Zu dem, was Lidl in seiner Pressemitteilung als „herausfordernde Lage“ für die Verbraucher bezeichnet, hat das Unternehmen – im Gleichklang mit den anderen Wettbewerbern in unserer hocheffizienten Marktwirtschaft – massgeblich beigetragen. Schliesslich zahlt Lidl wie viele andere Handelsunternehmen niedrige Löhne und hat diese keineswegs angepasst, als die Inflation den Verbrauchern zu schaffen machte. Mit seiner Preisgestaltung war das Unternehmen vielmehr an der Inflation beteiligt.
Für Arbeitnehmer und ihre Haushalte besteht damit die Herausforderung, mit einem entwerteten Einkommen zurecht zu kommen. Denn in Vergleich zu 2021 sind die Preise heute um 30 Prozent gestiegen. Die Auswirkungen hat dann offenbar auch Lidl zu spüren bekommen – nicht in der Form, dass das Unternehmen kein Geschäft mehr gemacht hätte, aber schon mit der Konsequenz, dass es nicht mehr in dem Umfang wächst wie zuvor. Eine solche Herausforderung lässt einem Unternehmen natürlich keine Ruhe. Auch wenn Planung in der Marktwirtschaft verpönt ist, planen die Wirtschaftsführer akribisch ihren Umsatz und Gewinn. Geht die Kalkulation nicht auf, sind Massnahmen angesagt, um ins Marktgeschehen einzugreifen. Wenn der kalkulierte Preis die gewünschten Gewinne nicht erbringt, kann unter Umständen ein reduzierter Preis den Absatz – natürlich auf Kosten der Konkurrenten, denen man Marktanteile abjagt – erhöhen und so zur Gewinnsteigerung führen. Das hat dann den Nebeneffekt, dass die Verbraucher entlastet werden; dass es als Hilfestellung für diese gemacht wäre, ist und bleibt natürlich eine Heuchelei.
Der Wettstreit der Heuchler
Auf die Ankündigung von Lidl antworten Aldi Nord und Süd mit einer Pressemitteilung (24.5.2025) ebenso verlogen: „Vor über 110 Jahren hat Aldi das Discount-Prinzip erfunden und steht seitdem konsequent als Grundversorger an der Seite aller Menschen. Ob Butter, Brot oder Jogurt: Mit rund 1000 dauerhaft reduzierten Artikeln allein im Jahr 2025 sorgt der Preisführer bereits für konkrete finanzielle Entlastung.In wirtschaftlich schwierigen Zeiten folgt nun ein weiterer, historischer Schritt: In den kommenden Wochen wird der Discounter über alle Warengruppen hinweg weitere hundert Artikel – national sowie regional - dauerhaft im Preis reduzieren. Damit steht der Erfinder des Discount-Prinzips an der Seite aller Kundinnen und Kunden.“
Auch eine eigentümlich Sorte Selbstlob, wenn Aldi sich als Erfinder des grossen Geschäftes mit der Armut der Kunden anpreist! Dass diese sich um ihre Grundversorgung sorgen müssen, spricht ja eigentlich schon Bände über den „Wohlstand“ in unserer Gesellschaft. Und selbst die Grundversorgung ist für viele nicht sicher, wie die Schlangen an den Tafeln zeigen. Dass es Aldi als erster geschafft hat, auch aus kleinen Einkommen ein grosses Geschäft zu machen, soll da für das Original und gegen die Nachahmer sprechen. Und natürlich kein schlechtes Licht auf die Versorgungslage der Massen werfen! Dass die Mehrheit derer, die von ihrer Arbeit leben müssen, gezwungen ist, mit ihrem Einkommen scharf zu kalkulieren, machen die Handelsgiganten vielmehr zu einem Werbeargument für sich.
Die Adressaten: für dumm verkauft
Mit ihrer Werbekampagne, die seitenweise Ankündigungen in den Medien bringt, wenden sich Lidl, Aldi und Co. an ein Publikum, das sich genau überlegen muss, wofür es sein Geld ausgibt. Schliesslich bedeutet die Ausgabe an der einen Stelle eine Einschränkung an der anderen.Preissenkungen können das Einteilen des knappen Budgets leichter machen, den Mangel des immer zu knappen Einkommens beseitigen sie nicht. Dabei ist die Suche nach Sonderangeboten sowieso Alltagsbeschäftigung der verehrten Kundschaft. Die Sorge um das Auskommen auf die Schnäppchenjagd zu verweisen, setzt aber an der falschen Stelle an, brauchen die meisten Menschen doch schlicht mehr Geld.
Über dessen Höhe wird bekanntlich an anderer Stelle entschieden. Wer auf (Lohn-)Arbeit angewiesen ist, hat da erst einmal nichts mitzureden. Diese Preisgestaltung wird also von vielen einfach den Unternehmen überlassen, die Arbeitsplätze zu einem für sie passenden Lohn anbieten. Man fügt sich notgedrungen, denn jeder, der Arbeit sucht, ist darauf angewiesen, bei einem Arbeitgeber Geld zu verdienen, der die Freiheit hat, sich das Personal auszusuchen.
Diese Freiheit einzuschränken und Einfluss zu nehmen auf die Höhe des eigenen Einkommens unterstellt, dass Arbeitnehmer sich organisieren und die Konkurrenz untereinander aufheben. Nur so können sie Druck auf die Gegenseite aufbauen.
Mit ihrer Werbung als Dienstleister für die Verbraucher blamieren die Discounter also schlussendlich auch noch die Gewerkschaften, deren Tarifabschlüsse ebenfalls zu der „angespannten wirtschaftlichen Situation“ ihrer Mitglieder beigetragen haben. Als Vertreter von Arbeitnehmerinteressen bieten sich die Gewerkschaften an – und verlangen dafür ja auch einiges an Mitgliedsbeiträgen. In der Praxis agieren die DGB-Gewerkschaften dann als Tarifbehörden, die sich um das Wohl der Unternehmen sorgen, von denen ihre Mitglieder abhängig sind und für die deren Lebensunterhalt Kosten darstellen, die es zu beschränken gilt.
Wer also seine „Grundversorgung“ dauerhaft sichern will, hat mehr zu tun, als die Sonderangebote in den Zeitungen zu studieren.