Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner fand als Ehrengast lobende Worte. „Das ist ein Bekenntnis zum Standort Berlin, die mich freut“. Dass sahen aber nicht alle so. Die Skepsis und Kritik an Tech-Konzernen wie Amazon nimmt zu. Das wurde selbst auf der kleinen Kundgebung des Bündnisses „Amazon ist kein guter Nachbar“ deutlich. Es waren nur knapp 40 vor allem junge Menschen, die in einem kleinen Areal vor dem Eingang von Amazon von der Polizei argwöhnisch beobachtet wurden. Schliesslich ist ein Montagvormittag kein guter Termin, um viele Menschen zu mobilisieren.
Von Gewerkschaften bis zur Antifa
Doch Matthias betont, dass er keineswegs den Eindruck erwecken will, dass der Protest gegen Amazon in Berlin zwecklos war. Schliesslich kam selbst an einen Montagvormittag bei dem Protest zur Amazon-Eröffnung ungeachtet der geringen Zahl ein beachtliches Bündnis zusammen, wie sich schon an den Fahnen und Transparenten zeigte, die rund um den Kundgebungsplatz platziert waren. Neben Antifa-Fahnen und Transparenten von Stadtteilgruppen wehte auch das Banner der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie nahm die Eröffnung zum Anlass, um auf die unakzeptablen Arbeitsbedingungen bei Amazon aufmerksam zu machen.„Der Amazon-Tower mag schön in der Berliner Sonne glänzen, wenn sie denn scheint – das kann aber nicht die Tatsache überstrahlen, dass der Konzern seinen rund 40.000 Mitarbeitenden in Deutschland gute und verlässliche Arbeitsbedingungen in Form eines Tarifvertrags verweigert“, sagte das für Einzelhandel zuständige Verdi. Bundesvorstands-Mitglied Silke Zimmer am Montag. „Wer als Weltkonzern der führende Versandhändler in Deutschland sein will, hat sich hier seiner sozialen Verantwortung als Arbeitgeber zu stellen.“
Verdi forderte Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner auf, sich beim Hauptstadt-Arbeitgeber Amazon für die Anerkennung von Tarifverträgen und die Wahrung von Arbeitnehmerrechten einzusetzen. „Make Amazon Pay!“ lautete auch die Forderung der Tech-Workers Koalition (https://techworkersberlin.com/blog/2020-11-27-make-amazon-pay/), einem weltweiten Zusammenschluss von Amazon-Beschäftigten und Unterstützern. Sie fordern höhere Löhne für die Amazon-Beschäftigten und Geschäftspraktiken, die die Umwelt möglichst wenig schädigen.
Kritik von LobbyControl
Diese Redner*innen bekamen bei den Kundgebungsteilnehmer*innen ebenso Applaus, wie die Vertreterin der Organisation LobbyControl (https://www.lobbycontrol.de) für ihre Kritik an den fragwürdigen Lobbystrategien von Amazon „Neben klassischer Lobbyarbeit setzt der Konzern dabei auf sogenanntes Deep Lobbying, unter anderem durch Geschenke und Sponsoring. Damit geht Amazon gegen Kritik an schlechten Arbeitsbedingungen, Steuervermeidung und Monopolmacht vor“, trägt sie auf der Kundgebung die Ergebnisse einer vor einigen Monaten von der Organisation erstellten Studie vor.Die LobbyControl-Vertreterin betonte, dass nicht nur Amazon sondern auch andere Tech-Konzerne eine Gefahr für „unsere Demokratie“ seien. Sie erinnerte daran, dass die Bosse vieler Techkonzerne auch Jeff Bezos von Amazon bei der Inauguration von Trump im Januar in Washington in der ersten Reihe standen und endete mit der Feststellung, dass eine Zerschlagung von Techkonzernen wie Amazon auch mit dem Grundgesetz und EU-Recht vereinbar ist. Dafür bekam sie auch Applaus von den jüngeren Kundgebungsteilnehmer*nenn, die „Fight-Amazon“ auf ihre Transparente geschrieben hatten.
Einige Redner*innen aus diesem politischen Spektrum kamen über eine allgemeine Ablehnung von Techkonzernen und gar der sozialen Medien nicht hinaus. Ein Rapper nannte seinen Song „Zerschlagt die sozialen Medien“. Das ist doch etwas verwunderlich, wenn man sah, dass die jungen Kundgebungsteilnehmer*innen, die dazu applaudierten, die Szene mit ihren Smartphones fotografierten. Viele Aspekte wurden in den rund ein Dutzend Redebeiträgen zur Amazon-Eröffnung angesprochen. Doch bei kaum einen wurde der Konzern in den globalen Kapitalismus eingeordnet, in dem die Techkonzerne nichtige Player sind.
Wenn man manche der Beiträge hörte, konnte man den Eindruck haben, dass nur Konzerne wie Amazon kritikwürdig sind, weil sie allein kein Interesse an guten Arbeitsbedingungen und Umweltschutzmassnahmen haben. Dabei ist es der Drang nach Maximalprofiten, der Konzerne im Kapitalismus generell zu einem solchen Verhalten zwingt. In mehreren Redebeiträgen wurde zudem der Eindruck erweckt, als gäbe es einen Gegensatz zwischen „unserer Demokratie“, eine Formel, die gleich von mehreren Redner*innen auf der Kundgebung verwendet wurde und dem Agieren von Konzernen wie Amazon. Dabei wird vergessen, dass die bürgerliche Demokratie gute Verwertungsbedingungen für das Kapital garantieren soll.
Der bürgerliche Staat agiert als idealer Gesamtkapitalist und kann in Widerspruch zu Einzelkapitalisten geraten. Das ist auch der Hintergrund für die Diskussion über die „Zerschlagung“ von Tech-Konzernen, wie sie in Gremien des EU-Parlaments aber auch bei LobbyControl geführt werden. Dabei sollte besser von Regulierung der Konzerne gesprochen werden. Das kapitalistische Profitprinzip wird dabei nicht grundsätzlich infrage stellt. Scheinbar radikale Parolen wie die Zerschlagung der sozialen Medien können da nicht darüber hinwegtäuschen.