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Das Handelsdefizit der USA explodiert: Trump an der inneren Schranke des Kapitals

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Das Handelsdefizit der USA explodiert Trump an der inneren Schranke des Kapitals

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Wirtschaft

Die Reindustrialisierung der USA, die Trump durch seinen Protektionismus erzwingen will, wird durch Automatisierungstendenzen in der Industrie untergraben.

Containerhafen in Georgia, USA.
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Containerhafen in Georgia, USA. Foto: Jerry Glaser - CBP Photography (PD)

Datum 27. Mai 2025
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Was will Donald Trump? Seit dem sogenannten „Liberation Day“ Anfang April, an dem der Rechtspopulist die Einführung umfassender Zölle für nahezu die gesamte spätkapitalistische Welt ankündigte, ändern sich die konkreten Bestimmungen, Zollsätze und Ausnahmeregelungen Washingtons nahezu im Wochenrhythmus. Die ökonomische Unsicherheit, die der Protektionismus Trumps mit sich bringt, gilt unter Ökonomen als ein wichtiger Faktor, der zur konjunkturellen Bremsung oder gar Rezession in den USA beitragen könnte. Unternehmen und Konzerne können nicht zuverlässig kalkulieren, der Handelsstrom zwischen den USA und China kam weitestgehend zum Erliegen, Versorgungsengpässe sind in den Vereinigten Staaten trotz des jüngsten Aufschubs im transpazifischen Handelskrieg kaum zu vermeiden.

Zuallererst sind es rund sieben Millionen Industriearbeitsplätze, die Donald Trump zurückhaben will. Seit mehr als 40 Jahren sinkt die Beschäftigung im Industriesektor der Vereinigten Staaten,[1] von knapp 20 Millionen Industriearbeitern 1978 auf knapp 13 Millionen 2023. Zwischen 2002 und 2022 ist die Anzahl der Industriebetriebe in den Vereinigten Staaten um 45.000 zurückgegangen, was einem Rückgang von rund 14 Prozent binnen zweier Dekaden entspricht.[2]

Diese Deindustrialisierung der USA führte zu eben der sozialen Zerrüttung, die Trump abermals ins Amt hievte – und das Weisse Haus muss dieser Misere begegnen, gerade weil die sich zunehmend autoritär gebärdende Trump-Administration sich eine Abwahl kaum noch leisten kann, ohne hiernach aufgrund vielfacher evidenter Rechtsbrüche im Knast zu landen. Die Festigung eines autoritären Regimes in den Vereinigten Staaten kann nur bei sozialer Ruhigstellung breiter Bevölkerungsschichten erreicht werden, ähnlich wie es Putin in Russland vermochte.

Und, aus bornierter nationaler Perspektive betrachtet, sind die Zusammenhänge eindeutig: Die Deindustrialisierung der USA geht mit der Ausbildung massiver Handelsdefizite gegenüber China und Deutscheuropa im Zeitalter der Globalisierung einher. Im vergangenen Jahr verzeichneten die Vereinigten Staaten ein neues Rekorddefizit von 1211 Milliarden Dollar,[3] was weit über den Höchstwerten während der US-Immobilienblase 2006 (786 Milliarden) und der Nach-Covid-Ära 2022 liegt (971 Milliarden) liegt.[4] Allein gegenüber der Volksrepublik China verzeichneten die USA im vergangenen Jahr ein Defizit von 295 Milliarden Dollar,[5] bei der EU waren es 235 Milliarden, von denen 84 Milliarden auf die BRD entfielen.[6]
Mittels Handelsüberschüssen wird Deindustrialisierung und Verschuldung exportiert, was ja auch den Kern des deutschen Beggar-thy-Neighbor Wirtschaftsmodells in der Hochphase der Globalisierung bildete. Dieser Zusammenhang manifestiert sich auch an dem Anteil der Industrieproduktion am gesamten BIP,[7] der 2023 in China bei rund 26 Prozent, in der BRD bei 18,5 und in den USA nur noch bei etwa 10 Prozent lag (in den 70ern waren es noch knapp 25 Prozent).[8]

Handelt es sich also um einen grossen Betrug, wie es die Trump-Administration postuliert, um ihren Protektionismus zu legitimieren? Die Relation zwischen Arbeitsplatzabbau im Industriesektor und dem tatsächlichen Produktionsausstoss der US-Industrie macht deutlich, dass es vor allem die konkurrenzvermittelten Produktivitätssteigerungen waren, die zur Deindustrialisierung der USA führten. Zwischen 1980 und 2000, in derselben Zeit, in der die Industriearbeiterschaft der Vereinigten Staaten von knapp 19 Millionen auf 17 Millionen zurückging,[9] hat sich die Produktion der US-Industrie rund verdoppelt (prozentuale Angaben der Notenbank Fed, jeweils in inflationsbereinigten Preisen von 2017).[10]

Eine steigende Industrieproduktion bei rückläufiger Beschäftigung im Industriesektor ist Ausdruck der Rationalisierungsschübe in der Warenproduktion im Zuge der IT-Revolution ab den 80ern, es ist die empirisch verifizierbare Folge der inneren Schranke des Kapitals – der konkurrenzvermittelten Tendenz des kapitalistischen Verwertungsprozesses, sich seiner eigenen Substanz, der wertbildenden Arbeit in der Warenproduktion, zu entledigen. Selbst im 21. Jahrhundert, als die Industriearbeiterschaft der USA massiv abschmolz (von 17 auf knapp 13 Millionen), stagnierte der Output dieser schrumpfenden Industriearbeiterschaft,[11] ohne einen korrespondieren Rückgang zu verzeichnen (Die krisenbedingten Einbrüche der Industrieprodukten 2009 und 2020 wurden schnell wieder revidiert).

Mehr noch: Laut dem amerikanischen Industriellenverband National Association of Manufacturers[12] summierte sich die Wertschöpfung in den Vereinigten Staaten 2024 auf rund 2,93 Billionen Dollar (2010 waren es knapp 1,8 Billionen, 1997 nur 1,38 Billionen),[13] wobei die Vereinigten Staaten paradoxerweise vor allem im Aussenhandel zulegen konnten. Die Exporte des verarbeitenden Gewerbes haben sich binnen der letzten zwei Dekaden von 622,3 Milliarden 2002 auf 1.63 Billionen 2024 mehr als verdoppelt. Worüber regt sich Trump samt Anhang auf? Nun, im selben Zeitraum – der Hochzeit der Globalisierung – hat sich das Volumen des Welthandels mehr als verdreifacht: von 4,9 Billionen 2000, über 9,8 Billionen 2010, auf 15,7 Billionen 2023. Der Anteil der USA am Welthandel ist somit gesunken – auf 7,9 Prozent 2023.

Die gegenläufigen Tendenzen in der kapitalistischen Warenproduktion – der neue arbeitsintensive Verwertungsfelder fehlen – wurden auch von der US-Geldpolitik wahrgenommen und thematisiert. Schon 2014 bemerkte die US-Notenbank Fed,[14] dass die Industrieproduktion in den Vereinigten Staaten weiterhin wächst (mit Ausnahme kurzfristiger krisenbedingter Einbrüche), während es bei der Beschäftigung nicht der Fall sei, sodass ”Industriewachstum nicht gleichbedeutend mit Wachstum von Industriejobs” sei. Als Erklärungsansätze bot die Fed ”Produktivitätswachstum” und eine Verschiebung der sektoralen Schwerpunkte hin zu ”Computern und Elektronik” an.

Die protektionistische Politik Trumps scheint somit an der sich immer deutlicher abzeichnenden inneren Schranke des Kapitals zu scheitern, an dem durch konkurrenzvermittelte Rationalisierung unerbittlich voranschreitenden Abschmelzen der Masse verausgabter Arbeitin der Warenproduktion (Die Idee, der Kapitalismus liesse sich als eine finanzmarktgetriebene Dienstleistungsgesellschaft reproduzieren, hat sich schon 2008 blamiert). Dies wird gerade an der Entwicklung in China deutlich, wo der trumpsche Protektionismus seine verlorenen Industriearbeitsplätze wiederzufinden glaubt. Denn selbst in der staatskapitalistischen Werkstatt der Welt, die ihren ökonomischen Aufstieg einem Millionenheer gnadenlos ausgebeuteter Billigarbeiter verdankt, greifen immer schneller Automatisierungstendenzen um sich.

China ist inzwischen globaler Spitzenreiter bei der Installation von Industrierobotern. Schon 2023 hat die Volksrepublik Japan und die BRD bei der Automatisierung der Warenproduktion überholt: 470 Industrieroboter pro 10 000 Lohnabhängige waren in China im Einsatz, während es in Deutschland 419 und in Japan 429 waren.[15] Die Dynamik dieses Automatisierungsschubs ist schwindelerregend: 2023 wurden in der Volksrepublik mehr als doppelt so viele Roboter in Betrieb genommen als in den nächsten fünf Industrieländern zusammengenommen. Mehr als 50 Prozent der globalen Nachfrage nach Robotern entfiel 2023 auf die sich automatisierende Werkstatt der Welt.[16] Inzwischen gehen Prognosen davon aus, dass die Volksrepublik zum Zentrum der Robotik aufsteigen wird, wo in diesem Jahr Prognosen zufolge mehr als die Hälfte der humanoiden Roboterproduktion angesiedelt sein wird.[17]

Und es ist gerade der trumpsche Protektionismus, der das Kapital zu weiteren Automatisierungsschüben bei dem Reshoring in den Vereinigten Staaten verleitet. Laut dem US-Automatisierungsdienstleister Formic, der sich auf das Leasing von Industrierobotern spezialisierte, habe die generelle Unsicherheit aufgrund der handelspolitischen Auseinandersetzungen zu einer Zunahme der Anwendung von Robotern um 17 Prozent Anfang 2025 geführt. Die neuen Ansiedlungen von Industriebetrieben, die das launische Zollregime Trumps provozieren soll, würden überdies auf dem global geltenden Produktivitätsniveau errichtet werden, was einen hohen Grad von Automatisierung mit sich bringen würde. Gerade chinesische Robotik-Hersteller dürften hier neue Marktchancen wittern. Die trumpsche Schnapsidee, wonach Millionen US-Lohnabhängige in Handarbeit Smartphones fertigen würden, wird selbst in China aufgrund rasch voranschreitender Automatisierung obsolet.

Doch letztendlich handelt es sich bei den Reshoring-Fantasien Trumps um Milchmädchenrechnungen, die den Zusammenhang zwischen der dahinsiechenden Industrieproduktion und den aufgeblähten Weltfinanzmärkten übersehen. Die hyperproduktive globale Industrieproduktion war – gerade auch in China – abhängig von einer globalen Defizitkonjunktur mit den USA im Zentrum von Defizitkreisläufen, in deren Rahmen die globale Verschuldung seit den 80ern schneller anstieg als die Weltwirtschaftsleistung. Und eben diese mittels zunehmender Finanzblasenbildung realisierte Defizitkonjunktur ist seit dem grossen Inflationsschub von 2020 erloschen, nachdem die Notenbanken ihre expansive Geldpolitik eindämmen mussten. Laut dem IWF sank die globale Verschuldung zwischen 2021 und 2023,[18] was zur globalen konjunkturellen Eintrübung, zur Verstärkung des US-Defizits und der zunehmenden Destabilisierung der mittels Defizitkreisläufen globalisierten Weltwirtschaft beiträgt.

Das eingangs erwähnte erratische, widersprüchliche Verhalten des Weissen Hauses ist vor allem Ausdruck dieses Widerspruchs: Das Handelsdefizit der USA explodiert, weil deren Handelspartner aufgrund der konjunkturellen Eintrübung verstärkt auf den Export setzen müssen, während die protektionistischen Massnahmen Trumps die Stellung des Dollars als Weltleitwährung gefährden und die US-Bondmärkte in Aufruhr versetzen.

Trump rechnete mit Turbulenzen bei seiner protektionistischen Wende, deswegen wollte er diese sofort nach Amtsantritt initiieren – doch es war der rasche Zinsanstieg der US-Staatsanleihen, der ihn zu einer Kurskorrektur zwang. Inzwischen drohen US-Handelspartner wie Japan bei Verhandlungen damit, US-Staatsanleihen abzustossen.[19] Es ist quasi die Nuklearoption im Handelskrieg, die auch den absurden Zustand der spätkapitalistischen Warenproduktion evident macht, deren Produktionsüberschüsse in die USA ausgeführt werden, die sich hierfür in der Weltleitwährung als dem Wertmass aller Warendinge verschulden können.

Tomasz Konicz

Fussnoten:

[1] https://www.bls.gov/opub/btn/volume-9/forty-years-of-falling-manufacturing-employment.htm

[2] https://www.visualcapitalist.com/the-decline-of-u-s-manufacturing-by-sector/

[3] https://www.bea.gov/news/2025/us-international-trade-goods-and-services-december-and-annual-2024

[4] https://www.macrotrends.net/global-metrics/countries/USA/united-states/trade-balance-deficit

[5] https://ustr.gov/countries-regions/china-mongolia-taiwan/peoples-republic-china

[6] https://www.fool.com/research/us-trade-balance/

[7] https://ourworldindata.org/grapher/manufacturing-value-added-to-gdp

[8] https://fred.stlouisfed.org/series/USAPEFANA

[9] https://fred.stlouisfed.org/series/MANEMP

[10] https://fred.stlouisfed.org/series/IPMAN

[11] https://fred.stlouisfed.org/series/OUTMS

[12] https://nam.org/mfgdata/facts-about-manufacturing-expanded/

[13] https://www.macrotrends.net/global-metrics/countries/USA/united-states/manufacturing-output

[14] https://fredblog.stlouisfed.org/2014/12/manufacturing-is-growing-even-when-manufacturing-jobs-are-not/

[15] https://archive.ph/bL8tt#selection-1101.15-1101.47

[16] https://ifr.org/downloads/press2018/2024-SEP-24_IFR_press_release_World_Robotics_2024_-_China.pdf

[17] https://www.asiamanufacturingreview.com/news/china-to-manufacture-half-of-world-s-humanoid-robots-by-2025-nwid-1613.html

[18] https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2024/12/02/persistent-fall-in-private-borrowing-brings-global-debt-down

[19] https://thediplomat.com/2025/05/how-japans-1-1-trillion-in-us-treasuries-became-a-strategic-lever-in-the-new-tariff-war/


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