Ein trojanische Pferd? Litauen tritt der Eurozone bei

Wirtschaft

Die Begeisterung in den Medien über den neuesten Zuwachs der Eurozone ist verhalten. Es ist klar, dass diese Euro-Erweiterung aus politischen, nicht aus ökonomischen Gründen erfolgt.

Geschäftsviertel in Vilnius, Litauen.
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Geschäftsviertel in Vilnius, Litauen. Foto: Bearas (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

7. Januar 2015
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„Der Euro ist ein Instrument tiefergehender Integration: je näher wir dem Westen sind, um so weiter sind wir weg vom Osten.“ (Der litauische Zentralbankchef Vitas Vasiljauskas, Gazeta.ru, 3.1. 2015)

„Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die ständigen Grenzverletzungen durch russische Aufklärungsjets in Litauen wie auch den beiden anderen baltischen Staaten schweissten Litauer, Esten und Letten nur noch enger in ihrer Westorientierung zusammen.“ (Standard, 1.1.)

Wie weit diese Grenzverletzungen überhaupt welche waren oder nicht vielmehr ein Ergebnis der gesteigerten NATO-Präsenz im baltischen Luftraum, sei dahingestellt. Die Botschaft ist klar: Der Euro muss in unser Waffenarsenal gegen Russland! Der Begriff „Westorientierung“ hat es auch in sich: es ist gerade die Orientierung der litauischen Führung etwas zu weit nach Westen, die von Seiten der EU das Interesse weckt, Litauen in die Eurozone aufzunehmen und dadurch stärker an die EU zu binden.

„Als (der litauische Regierungschef) Butkevičius gestern eine Minute nach Mitternacht mit seinem estnischen Amtskollegen, Taavi Rõivas, und dem lettischen Aussenminister, Edgars Rincēvičs, medienwirksam den ersten Fünf-Euro-Schein aus einem litauischen Bankomaten zog, war das wohl durchaus auch als symbolischer Widerstand gegen Russland zu verstehen: Moskau hatte nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim auch den drei ehemaligen Sowjetrepubliken unmissverständlich mit einer möglichen bewaffneten Intervention gedroht.“ (Die Presse, 1.1.)

Der Akt des Widerstandes wird Russland wohl kaum beeindrucken. Ob in Litauen mit Euro oder mit Litas gezahlt wird, ist höchsten vom Standpunkt russischer Unternehmer interessant, die ihr Geld in einem Hartwährungsland parken wollen. Die Interventionsdrohung Russlands war eine Erfindung Poroschenkos, die offenbar von den USA in Auftrag gegeben wurde und die „Die Presse“ bereitwillig wiederholt. Auch den dortigen Regierungschefs passt sie gut in den Kram, um den Euro-Beitritt als Notwendigkeit verkaufen zu können:

„Die Euphorie ist besonders in Regierungskreisen gross, in der Bevölkerung aber ist noch viel Skepsis spürbar.“ (ebd.)

Der Euro-Beitritt hat also keine ökonomischen Gründe – vom Standpunkt der Wirtschaft Litauens spricht alles dagegen –, wird aber nicht ohne ökonomische Folgen bleiben, sowohl was die Bevölkerung Litauens als auch das ganze Gefüge der EU betrifft.

Hier ist Beschwichtigung angesagt, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, die EU hätte sich hier einen neuen Sanierungsfall eingehandelt. Die FAZ erledigt das elegant:

„Mit einem Wachstum um voraussichtlich 2,9 Prozent gehört die litauische Wirtschaft in diesem Jahr zu den dynamischsten in der Europäischen Union. Der durchschnittliche Lohn liegt allerdings bei rund 700 Euro und damit bei lediglich zwei Dritteln des EU-Durchschnitts.“ (FAZ, 3.1.)

Wie schön das Herumgerede von „Durchschnittslöhnen“ doch ist, wo die Manager- und Politikergehälter mit denen der Lohnarbeitenden zusammengeworfen werden. Das normale Gehalt in Litauen ist etwas höher als der Mindestlohn, so um die 350 Euro. Und was die voraussichtlich 2,9 % angeht, so sind sie erstens sicher hoch- und schöngerechnet, sagen aber auch einiges über den Zustand der EU aus, wenn 2,9 % sozusagen als Rekordwert dargestellt wird.

Dabei war Litauen einmal ein baltischer „Tiger“ mit viel höheren Wachstumsraten. Bis die Krise kam:

„2009 schrumpfte Litauens Wirtschaft dann um 14,9 Prozent – Rekord selbst im hart getroffenen Baltikum. Wie die anderen baltischen Republiken fand aber auch Litauen dank anziehender Exporte wieder schnell in die Erfolgsspur. Doch Basis dafür war, dass zwischen 2009 und 2013 die Lohnkosten um 15 Prozent fielen – ein Zeichen dafür, wie hart die Menschen dort im Nehmen sind.“ (ebd.)

Also werden sie den Euro wohl auch vertragen! – meint die FAZ, obwohl nach Umfragen mindestens die Hälfte der Bevölkerung gegen die Euro-Einführung ist, warum wohl? Vielleicht aufgrund eines Blickes in die Nachbarstaaten? Das „Hart im Nehmen“ sieht so aus: Litauen hat 12 % Arbeitslosigkeit, bei Jugendlichen über 20 %, nach offiziellen Statistiken die höchste Selbstmordrate der Welt und eine hohe Auswanderung. Ausserdem war bis vor Verhängung der Sanktionen der grösste einzelne Handelspartner Russland, was für die ohnehin schwächelnde Ökonomie Litauens nicht Gutes verheisst.

Aber Kopf hoch! und fest an die EU glauben:

„»Litauen und seine Menschen haben sich die Euro-Einführung hart erkämpft. Der Beitritt sollte aber als ein Start gesehen werden und weniger als das Erreichen der Ziellinie«, sagte Rehn mit Blick auf den trotz guter Wirtschaftsdaten fehlenden Wohlstand Litauens. Seine Bürger gehören nun zu den ärmsten in der Eurozone.“ (tagesschau, 1.1.)

Was bleibt unterm Strich: ein Land mit verarmter, aber offenbar geduldiger Bevölkerung, dessen Führung es zum Bollwerk gegen den russischen Aggressor stilisiert, und eine politisch zerstrittene, ökonomisch auf Talfahrt befindliche EU, die Litauen durch den Euro dem Einfluss der USA entziehen will, was vermutlich nicht hinhauen wird.

In den Medien klingt auch an, dass die Eurozone bis auf weiteres nicht mehr wachsen wird: weder hat die EU ein Interesse daran, noch die noch ausstehenden Mitgliedsländer.

Amelie Lanier