Eckhard Mieder Ich bin an einem Sonntag aufgewachsen

Prosa

Die Stunde der Menge: Der Chor der Müden tanzt schlaffüssig das Sechs-Uhr-Morgens-Ballett in Bahnen und Bussen. Das Highlife des Wochenendes unter den Lidern, den Sud aus Papageiengesängen in den Zweigen des privaten Nussbaumes, die biertörichten Reden am Vereinstisch und die Arien des Metropol-Theaters ...

Ich bin an einem Sonntag aufgewachsen.
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Ich bin an einem Sonntag aufgewachsen. Foto: Joaquim Alves Gaspar (CC BY-SA 3.0 unported)

24. April 2012
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Montagsstillstand. Ein Kurzfilm

Der Dichter schält sein weisses Fleisch aus dem Laken. Ekelhaft. Der Blick auf den teigigen, raschelnden Körper an seiner Seite. I'll take you to the top. Immer wieder Mick Jagger sein. Zähneknirschend. Wie kam die in mein Bett?

Er geht unter die Dusche. Auf dem Weg ins Badezimmer nimmt er den Telefonhörer ab. Das Tuuuut wird kein Gedicht. Er brabbelt und babelt Laute; auch die keine Poesie. Montags hat er noch nie etwas Vernünftiges geschrieben. Ekelhaft.

Geparden, heruntergekommen zu Sweatdogs mit Fellfransen über den Gesichtern und Schleifchen im frisierten Haar, umschleichen kackend das Haus. An kurzer Leine die Herrchen hinter sich herziehend und Jogger anbellend. Der Dichter, da er sich frottiert, sieht's durch das Fenster. Sieht auch: die weisse Sonne. Treibhauseffekt, denkt er modisch ein Wort aus den Gazetten, deren übliches Eintreffen er auch für heute fürchtet und herbeisehnt. Er weiss, das Gleiche ist geschehen. Handschlag um Handschlag die Egalitè Freundfeind. Voller Bekenntnisse und Wirsindstolzerklärungen zur Schinderei. Rezensionen zu Filmen, Stücken und Büchern. Nachrichten von Debütantenpreisen und anderen Geldern. Er weiss, er ist wieder nicht dabei.

Der Wein (war es Whisky?) des gestrigen Abends ist bezahlt. Er öffnet den Kühlschrank, eine Tüte Milch noch, als er den Ruf hört: "Häääschen!" Es zuckt im Genick. Indessen der Rückfluss aus dem Paradies sich vereinzelt. Rinnsale in die Büros, Kantinen, an die Maschinen. Träge fliesst der Strom aus den Partylichtern des Wochenendes in die Nutzlampen des Tages. Die Pförtner zur Macht beziehen Stellung. In Wien wird ein Spion ausgehoben, ebenso in Omsk. Der Versuch, sich gegenseitig das Geheimnis der Nähnadel abzujagen, endet wieder in einem Handschlag. Der Austausch von Banalitäten findet auf einer Brücke statt, ein Pfeiler im Osten, einer im Westen, einer im Norden, einer im Süden. Salti schlagen die Enten im Zoo, den Applaus der Elefanten zu provozieren, deren schlingrige Penisse gieren. Gemeinsam verbreiten die Tiere aller Arten Gerüchte über den sodomitischen Direktor.

Wo las ich, denkt der Dichter alzheimerisch, die Geschichte von einem, der ein Matrose war, und der eine Ente totfickte, welche danach gebraten und von der Mannschaft verzehrt wurde?

"Häääschen!" Die Stimme des Weibes das Geschoss.

"Komme!" Komm ja schon, setzt er unhörbar dazu. Er blickt an sich runter. Der beginnende Bauch, zum tausendsten Mal bemerkt, dies Äquivalent ausbleibenden Erfolges. Hauptsache nicht impotent, denkt er, der ironischer zu sich ist als zu jedem anderen Menschen; auch so ein Fehler.

Das Outfit der Welt amüsiert ihn. Zyniker ist er nicht, nur traurig, rasendtraurig. Er hat die Stunde des Freitods verpasst. So muss er weiter verdienen. "Komme ja schon!" Doch laut jetzt. Vorwärts zum nächsten Fischgericht. Er setzt sein Fickgesicht auf. Reichtum zu mehren, heisst, Armut zu häufen, denkt er verzweifelt, auf dem Leib der Frau, deren Name ihm plötzlich einfällt: Viola. Ein Instrument. War das ein Einfall? Gern stände er auf und würde ihn notieren. Sein Glied ist ein Hebel. Keinen festen Punkt sucht er im All, die Welt aus den Angeln zu heben, nur ein Loch.

Und soviel unbeschriebenes, unbedrucktes Stullenpapier. Hasenbrot hiess das, was der Vater am Abend ungegessen heimbrachte. Das würzig schmeckte nach ölhaltiger Luft. Maschinen. Zoten fliegen mit grauen Schmetterlingsflügeln durch die Werkhalle. Der neueste Witz. Éin Amerikaner, ein Franzose und ein Deutscher werden von Kannibalen gefangen genommen. Jeder hat einen Wunsch frei, bevor sie in den Kochtopf müssen. Nein. Anders ging der Witz; ging er so? Aus ihren Häuten sollen Kanus gemacht werden. Der Amerikaner wünscht sich eine letzte Flasche Whisky, der Franzose eine Frau, der Deutsche eine Gabel. Kannibalen wundern sich über nichts, und Gabeln haben sie die Menge. Jeder erhält, was er wünschte. Hektisch hackt der Deutsche sich die Gabel in die Brust und schreit dazu: 'Aus mir macht ihr kein Kanu! Aus mir nicht!

Witze machen frei wie Raucherhusten. Gewöhnung ist alles, Gewohnheit dauert. Rührt die Trommeln, fällt die Bajonette. Die Computer knurren, die Maschinenräder drehen durch. Alles auf der Welt dreht sich um sich selber, da die Welt sich dreht.

Das ist Timing. Als sie auseinander fallen, schwitzig, schrillt das Telefon. Der Dichter verzichtet auf das ihm sowieso lästige Nachstreicheln und eilt zum Apparat. "Hallo!" ruft er hinein. Jemand schimpft. Er sei von ihm (dem Dichter) betrogen worden. Der Preis, den er für sein (des Dichters) Auto bezahlt habe, so übermässig der ohnehin gewesen (doch Verrücktsein hat seinen Preis), sei ein Verbrechen. Wie sich herausstellt. "Verbrechen?" fragt der Dichter: "Ich verstehe nicht..."

Die Kardanwelle ist im Arsch, tobt die Stimme, die Elektrik morsch, die Bremsen funktionieren nicht... Der Dichter hört eine Weile zu. Eine menschliche Stimme, immerhin, und was soll er bei Viola? Norddeutscher Sound, den mag er. Fast tut es ihm leid, sagen zu müssen, dass er nie im Leben ein Auto besessen und also auch keines verkauft habe.

"Sind Sie nicht Herr Schetelin?" Ist der Dichter nicht. "Verzeihen Sie", hört er. "Offenbar bin ich falsch verbunden. Nichts klappt in Deutschland! Nichts ausser den Türen!" Und legt auf. "Bitte", sagt der Dichter.

Er kann sich einfacher Tatsachen nicht erinnern. Die Wohnstube der Eltern, wie sah sie aus? Der erste Fernseher hiess Favorit. Tausend Tele Tips. Stets dienstbereit zu Ihrem Wohl ist immer der Minol-Pirol. Die Ölpreise fallen, steigen, fallen, steigen. Das Heizhaus, das die Heimat wärmte, wurde umgestellt von Öl auf Kohle, dann von Kohle auf Öl. Die Russen haben endlich kapiert; für Freundschaft umsonst gibt es nur noch Grussadressen und Bruderküsse. Es lebe die Berjozka, es lebe die Sucharewka, es lebe das Neue Denken.

Take me to the top, singt Joe Cokker. Die Betriebszeitungen kosten fünf Pfennige je Exemplar und sind nicht einen wert. Der Kollege Trotzki hat sich bereit erklärt, Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zu werden. Mit Musik arbeitet es sich besser. Der Arsch Trotzki? wird kommentiert, drei Tage auf Arbeit, zwei Tage bummelt er. Braungebrannt ist der schon im April. Wer so eine Datsche hat, fühlt sich wohl in der Stadt. Das Bassin aus Beton, worin zwei Goldfische schwimmen; die private Karibik. Der Grundfonds der Volkswirtschaft noch mal verbaut in Datschen und Wohnungen. Die Brigade Feuerstein liegt in puncto Soli-Beiträge an erster Stelle; 189,33 Mark spendete sie im vergangenen Monat. Rührt das Gewissen, fällt die Spinate. Niemand kann sich lossagen vom Hunger in der Welt. Getreide ist Waffe, jedes Reiskorn eine Patrone, jeder Maiskolben eine Handgranate. Die Umstellung der Muttererde zu Humus aus Plaste will nicht gelingen. Unsere Wissenschaftler arbeiten daran. Der Minister für Agrarisches flicht alte Bauernregeln in sein Referat. Zuerst kauft man den Wagen, dann den Ochsen. Humoriger Beifall im Saal. Der Rückfall in den gesunden Menschenverstand wird dankbar hingenommen. Müntzer ahoi! Die Völkerfreundschaft ist das Traumschiff die Titanic.

Missmutig steht der Dichter, nackt und frierend, vor der Bücherwand. Satztentakeln. Krakenwörter. Das Raumzeitkontinuum, was ist das? Einstein drehte Panzerkreuzer Potjemkin, Eisenstein ist der Erfinder der Relativitätstheorie; beweisen Sie mir das Gegenteil vom Gegenteil des Gegenteils!

Er dreht sich nicht um, als er Violas Schritte hinter sich hört. Er will sie nicht sehen. Er mag ihren Hintern nicht. Crazy time. All you need is Inzucht. Es ist wirklich wichtig, nicht nur die Muttersprache nicht zu beherrschen. Fly to Los Angeles and make it dangerous. Sie presst sich an ihn.

Die domestizierten Geparden schlafen in den Wohnungen der Heimkehr ihrer Herrchen entgegen. Sie träumen von Marzipansavannen und Bonbondschungeln. Nichts Apokalyptisches. Manchmal, wenn ihnen die Augen aufgehen wie Mülleimerdeckel, dringt die Katastrophe ein: die Muster der Teppiche. Wirrnis. Ekelhaft. Er hasst die sich nach unten spielenden Finger. Mein Sack ist mein Eigentum! Er möchte wieder duschen.

Sie sind nicht gern Tiere. Voller Staunen hören sie, wenn das Herrchen mit geiferndfeuchten Lippen dem Frauchen von Silberlöwen vorliest, die sich in kanadische Grossstädte wagen. Weil, so wird vermutet, die Wölfe sich vermehrt hätten. Die Natur ist für viele Überraschungen genau die richtige Einrichtung. Eine riesige Ozon atmende Wundertüte. Auch fressen Eisbären Mülltonnen leer, bis das Wasser gefriert und sie zurückkönnen nach Grönland.

"Möchtest du ein Ei?" fragt Viola. Sie lässt ab. Sie spürt seinen Unwillen. Lässt ihm Zeit.

"Ja", sagt er.

"Hart oder weich?"

"Gebraten" sagte er. Er dreht sich nicht um, als sie aus der Küche ruft: "Aber es sind gar keine Eier da! Nur eine Tüte Milch!" Warum sollen Eier im Kühlschrank sein, wenn in meinem Kopf keine Ideen sind; der Dichter grinst.

Die Gurkenscheiben auf den Kantinenbrötchen sind gewellt wie halbverkohltes Papier. Highnoon. Mit dem achten Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands kamen neue Zigarettenmarken. Semper und Cabinet. Das ist der Fortschritt. Was ist ein neues Thema gegen eine Tasse Wurstsoljanka? Der Koch versteht sein Handwerk. Er hat im Grandhotel gelernt. Es heisst, man habe ihn strafversetzt, als er den täglichen drei Gästen statt grüner Nudeln gelbe vorsetzte und das ostasiatische Erdnussfleisch mit zuviel Tampico ungeniessbar machte. Eine falsche Sauce, und du bist out. Ein Löffel Träumerei zuviel, und sie massakrieren dich. Du kommst in den Topf, Deutscher, denn deine Haut schon nicht mehr taugt zum Kanu! Löchriger Vogel du!

Andere sagen, es habe ihn (den Koch) angewidert, Gerichte zu kochen, deren Namen 95 Prozent der Bevölkerung falsch schreiben würden, erführen sie je davon. Der Koch gab auf und wechselte in die Kantine eines Schöneweider Grossbetriebes. Wenn er Zeit hat, grübelt er über den um sich greifenden gastronomischen Analphabetismus. In einem Duden der Gastronomie (sollte ich den schreiben? fragt der Dichter sich) fehlt das Wort Blaubeere bereits. Sechsjährige Kinder und dreissigjährige Journalisten halten Blaubeeren für Tiere, die zeitgleich mit den Säbelzahntigern ausgestorben sind. Der Koch aber, was immer über ihn erzählt wird, macht ein Eins-A-Essen, und manchmal hören die Esser durch das Klappern der Teller und der Bestecke ihn singen: Völker esst die Rouladen, auf zum besten Gericht! Steht verträumt hinter der Luke der Essenausgabe, schaut den Insichhineinschaufelnden zu und ballt die Fäuste zum Gruss: Rote Grütze! Ihn ehrt das Produkt, das vor seinen Augen vernichtet wird. Mahl um Mahl.

Ich schreibe jetzt doch ein Gedicht, muntert der Dichter sich auf. Warum eigentlich nicht? Eine Premiere. Er hat noch nie an einem Montag etwas Vernünftiges gedacht. Kann er auch ein Gedicht schreiben. Er spannt einen Bogen Papier in die Schreibmaschine. Er hört, dass Viola Kaffee mahlt und tippt los:


In der jetzigen Lage
Wie sie ist weiss
Ich nicht geht das
Nicht in der jetzigen
Wie du weisst ist
Die Lage jetzt nicht
So dass man sagen muss:
Die Lage ist bedenklich

Sie wird aufhörn so
Gehts nicht weiter
Dass es immer so ging
Beweist nichts für die
Jetzige Lage die
Wirklich ist schlimm
Und bedenklich ist
Dein Thema Genosse:
Känguruhs

In aller Ruhe trotz
Dieser Lage weisst du
Solltest du gerade
Wegen dieser Lage
Deinen Vorschlag ich
Bitte dich überleg
Den dir mal in dieser
Lage in aller Ruhe...



Dabei hat er schon Sonette geschrieben. Was ist ein Enjambement? Zitronensorten sollten so heissen. Der Dichter reisst das Blatt aus der Walze, faltet es in einen Briefumschlag und schreibt die Adresse eines Wochenblattes, dessen Kulturredakteurin vor zwölf Jahren mit ihm vögelte, darauf. Er kratzt sich am Kopf. Haarewaschen ist eine hochpoetische Beschäftigung. Das weiss er aus den Gedichten einer Freundin...

Viola ruft aus der Küche: "Frühstück!" Soviel Fröhlichkeit macht Migräne.

Häuser stürzen ineinander. Im Kaufhaus werden Stadtrucksäcke aus afghanischem Kamelleder verkauft. Ein bisschen stört beim Tragen der Gedanke daran, dass russischen Kriegsgefangenen die Haut über den Kopf gezogen wurde. Ein Schnitt mit dem Messer, einmal um den Leib herum, dann über dem Kopf zusammengebunden. Lebende. Fliegen. Sind Soldaten Kamele?

Ich wäre dabei gewesen, am Strassenrand, den Schah zu bejubeln. Von dem ich später erfuhr, dass er ein Massernmörder ist. Die Iranerin, die man auf den erigierten Penis eines Bären zwang. Johlende Zuschauer. Männer. Oder schwiegen sie geil? Ich bin nicht krank, Ich rede mir ein, an der Welt zu kranken und lache doch. Ich bin der Bauer, der ins Sperrgebiet bei Tschernobyl eindringt, um Pilze und Beeren zu sammeln. Blaubeeren in Milch schmecken wunderbar. Die schreiende Kuh, die zurückblieb und nie wieder gemolken wurde. Mir platzt der Sack, weil ich treu bin und auf die Rückkehr der Freundin warte. Idiotisch. Ekelhaft.

"Warum sagst du nichts?" fragt Viola. Mit vollem Mund spricht man nicht. Plötzlich hat der Dichter Sehnsucht nach Griesbrei. Mit der Zunge fischt er Knäckebrotkrümel aus dem Bart.

"Es ist schön mit dir", sagt Viola. Sie dehnt sich im Kreuz. Die Hände verschränkt hinterm Kopf. Ein Bild, das ein Buchstabe ist, den es nicht gibt. Das feuchte Haar in den Achseln. Die Pockennarben und ein Fünf-Mark-Stück-Muttermal über dem linken Schlüsselbein. Der Dichter nickt. Er hasst Idyllen. Er entkommt ihnen nicht. Er lebt im Paradies, in das Zeitungen dringen, Stromrechnungen und die Bescheide der Versicherung. Sein Anspruch auf Lebensversicherung ist erloschen, weil er drei Monate keine Beiträge gezahlt hat.

"Musst du nicht zur Arbeit?" fragt der Dichter. Viola zieht die Augenbrauen hoch. Hatte sie ihm nicht gesagt, dass sie krankgeschrieben ist? Hat er nicht zugehört oder vergessen? Hat er vielleicht überhaupt vergessen, was sie ihm gestern Abend sagte und in der Nacht? Ihr fällt der Name ein, den er im Schlaf murmelte. Irene. Sie möchte ihn fragen, wer Irene ist. Sie wagt es noch nicht. Sie kann warten. Dichter sind sensibel.

"Soll ich gehen?" fragt Viola. Er sagt lahm: "Nein." Doch, geh, komm nie wieder!

Kaffeemaschinen blubbern. Ein Abteilungsleiter bumst seine Sekretärin. Ein bisschen Spass muss sein. Gerade montags. Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael. Ein Dentist wird gebissen und schlägt vor Wut dem Patienten die Zähne ein. In jeder Kaufhalle wird hintenrum verkauft. Vorzugsweise. Vorzügliche Weisen im Radio. Musik verschönt das Leben. David weicht der fliegenden Harfe aus. Saul hat kein Zielwasser getrunken, oder zuviel. Entweder macht man den Speer schwerer oder das Stadion weiter. Jede Olympiade ist eine Gefahr für das Publikum. Ben Johnson gedopt, wer ausser ihm? Einer muss die Bittersuppe auslöffeln. Einer muss auf den Scheiterhaufen, sonst bleibt's dunkel in der Stadt, und die Hände kann man nirgendwo wärmen. Im Namen der Wahrheit. Wussten Sie schon, dass sich doch nicht alles bewegt? April, April, schreien die Gelehrten. Cyril Burt, einer der Pioniere der angewandten Psychologie in England, war ein brillanter und sehr kultivierter Mann. Ein Schwindler. Ein Scharlatan. Traut nicht der Wissenschaft, schlagt eine Kissenschlacht!

In den Büros werden Horoskope verlesen. Aus kaltem Kaffeesatz flüchtet die Zukunft. Wohin? Quo vadis, Direktor des Zoos, am Abend, da die Mauer noch steht, der Kühlschrank voll ist und der Staat wuchert? Als es dem Abteilungsleiter kommt, beisst die Sekretärin in den Klammeraffen. Sie wird nachher auf die Toilette gehen und sich befriedigen. Man müsste Klavier spielen können, wer Klavier spielt, hat Glück bei den Fraun. Heisst er Heesters, oder heisst er Kleister? Schnurps macht der Reissverschluss der Hose, und die Krawatte richtet sich selber. Nichts ist tragischer als eine fad gummierte Briefmarke. Was man in die Länge zieht, geht in die Breite. Solange es Alkohol gibt, trinken die Hasen auf das Wohl der Löwen und ihrer lieben Kleinen. Zu leben ist ein Privileg, das zu schätzen man keine Zeit hat. "Woran denkst du?" fragt Viola. Gottogott. Der Dichter lügt die Arbeit an einem Roman über Judas. Der Brei geht einem um und um im Koppe. Er macht eine ausholende Geste, deren Theatralik Viola durchschaut und er lächerlich findet. Sie steht auf. Ein schöpferischer Geist verträgt keine Fesseln. Allenfalls die Fussfesseln einer Frau. Für eine Nacht. Für eine nächste?

Viola stützt sich auf den mit Papieren, benutztem Geschirr und Asche übersäten Küchentisch. Der Morgenmantel öffnet sich. Baumelnde Brüste. Viola geht jetzt. Nicht ohne die Abmachung, am Abend wiederzukommen. Man müsste, denkt der Dichter, man müsste wirklich mal.

Sonntagswachstum. Ein Spielfilm

Die Szene ein Strand, an dem lang ein Fluss sich wälzt. An einem Ufer Savanne, am anderen Ufer Industrie. Geparden im Sand, beobachtet von Männern in Arbeitsmonturen. - Auf dem Dach der Fabrik ein nackter Mann, der Gedichte rezitiert. ICH BIN AN EINEM SONNTAG AUFGEWACHSEN IN DER ZUCKERUNDZIMTZEIT. Sonntagskinder weinen keine Tränen. Indianer heulen nicht. Wer ein Mann werden will, wasche sich beizeiten frühmorgens eiskalt. Mama, gib mir noch ein Gummibärchen. - Die Szene ist immer noch und noch immer der Strand. Die Geparden nehmen Witterung auf, die Männer werden unruhig. Der nackte Mann auf dem Dach setzt uns in Kenntnis, dass Leutnant Calley ein kleiner Mann von 165 Zentimetern war. Calley? Kennen Sie nicht? Son My? Mama, hat es wirklich mal Krieg gegeben? - Die schwedische Regierung hat nur noch 22 Jahre Zeit, den Mord an Olof Palme aufzuklären. Dann ist er verjährt.

Der oder die Mörder werden geadelt: Sie haben eine tolle Leistung vollbracht. - Mama, wann kommt Papa? Papa ist im Dienst. Im Süden der Republik. Es ist immerhin August 68. Der nackte Dichter rezitiert mit weit ausholender Gebärde: DIE PISTOLE. ZWISCHEN 1953 UND 1971/BIN ICH IHR UNGEFÄHR ZWEIHUNDERTMAL BEGEGNET./SIE LAG IN DER MÜTZE, UMRANDET VOM SCHWEISSBAND./NEBEN DER EINGEROLLTEN SCHLANGE DES KOPPELS:/ICH NAHM SIE GEGEN DIE MAHNUNG DES VATERS/GERN IN DIE HAND./ICH SETZTE DIE MÜTZE AUF,/SCHLANG DAS KOPPEL/UM DIE DÜRRE TAILLE/UND ZIELTE IN DEN SPIEGEL/AUF WEN.//EINMAL FAND ICH SIE ZWISCHEN DEN LAKEN,/DEN HANTÜCHERN UND NACHTHEMDEN/IN EINEM TABAKKÄSTCHEN, GETRENNT VON DEN PATRONEN,/DA SCHWERE DING MIT LUFT ZU LADEN,/BRAUCHTE ES KRAFT./ICH LIESS MICH ZU BODEN FALLEN, /ROBBTE UNTER DIE BETTEN DER ELTERN/UND SCHOSS IM DUNKEL AUF DIE BÖSEN./MEINE UNGEFÄHRE VORSTELLUNG/VOM BÖSEN/SETZTE SICH ZUSAMMEN AUS WEISSEN,/DIE INDIANER TÖTEN,/DEN AMERIKANERN IN VIETNAM/UND NATÜRLICH DEN DEUTSCHEN FASCHISTEN,/MIT DENEN HATTE ICH NICHTS AM HUT. Mütze ab! Der Nackte winkt ab, dann salutiert er. - Gazellen und Gnus am Strand.

Sie ahnen die Gefahr nicht. Die Arbeiter gehen zur Tagesordnung über: Das Leben am anderen Ufer ist wie ein Fernsehfilm. Man schaut ihn sich an und kann dabei essen. – Ob's blutig wird? Einer sagt zu seinem Kollegen: "Du, ich weiss nich, in der Zeitung, was die schreiben! Ich möchte nicht in der Regierung sein, die müssen ganz schön fleissig sein!" Der Angesprochene nickt und beisst bedächtig in die Stulle. - Lebens slow motion. - Während die Geparden sich aufrichten und Witterung nehmen und sich langsam in Bewegung setzen, käuen die Gnus wider; falls Gnus Widerkäuer sind. Der Nackte auf dem Dach macht sich an die Ausarbeitung eines Manifestes. Er fordert den Zusammenschluss von Arbeit, Lust und Liebe. Es könnte sein, er hat bereits bei den Gedanken soviel Spass, dass ihm wohl wird um die Lenden. ICH BIN AN EINEM SONNTAG AUFGEWACHSEN. Gezeugt haben mich Mama und Papa in einer Pause zwischen Film und Film. Papa hatte noch Reste von Salzbrezeln im Mund, und Mama hatte viel Wein im Bauch. Ich bin nicht debil. ICH BIN AN EINEM SONNTAG AUFGEWACHSEN und unempfindlich gegen Stoss, Leid, Katastrophen. Ich habe gelitten, als die Moneda in Santiago fiel. Aber ich stimme mein Gedächtnis ungerührt um. Ich habe die Wörter meiner Lehrer vergessen. Meine Universitäten waren Geschwätz und Rotwein. Ich weiss, dass ich nichts weiss. Alles fliesst. Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss.

Für Dummheiten gibt es die Todesstrafe. Angepasst is angepisst. Mama, stimmen die Sprüche auf den Klos? - Jeder Mann leidet unter Kastrationsangst. Mama, stimmt das? - Zwischen Industrie und Savanne treibt eine Arche vorbei. Der Computer defekt, die Verladung irrtümlich. Von jedem Tier zwei gleichgeschlechtliche Exemplare. Zwei Löwinnen, zwei Hengste, zwei Hennen. "Wir werden wohl aussterben", sagt die Äffin zur anderen, den Affen hatten sie vergessen. "Wir haben doch Noah", sagt die andere listig. - Der arme Kerl! Sodomie wird Verfassungsgrundsatz Nr. 1. - Die Jagd beginnt. Den Arbeitern bleiben die Bissen im Hals stecken. Mama, ich mag keine Stulle in die Schule! Von Süssigkeiten kriegt man schlechte Zähne. Rauchen ist schädlich. ARBERIA hiess die Marke meiner Jugend. Wir zogen die Schnellerstrasse entlang. Schlaghosen, 60er Schlag, wenn's reicht. - Die Geparden kennen kein Pardon. Sie sind schnell, diese Windhunde der Steppe. Auch Gazellen und Gnus sind schnell. Aber Geparden sind schneller. Einmal kann man sich das ja anschauen: mit heiligem Schaudern. Beim zweiten Mal tut's nicht mehr weh. Man gewöhnt sich daran. Man geht zur Tagesordnung über. Ob da was falsch läuft oder nicht. - Ich brauche Maschendraht und ein Rückschlagventil für die Gartenpumpe. Verlängerungskabel organisiert mein Nachbar. Der ist Zimmermann auf dem Bau. Ich sage Ihnen, bis auf die Laube hat der nichts kaufen müssen! Das nehmen die einfach mit! Nur Dichter sind angeschmiert. Die haben nichts. Die sitzen nackt auf dem Dach und verfassen Manifeste oder Lieder, und keine Sau hört zu. – "Was wissen die schon vom Leben", sagt ein Gepard und kaut Schnitten mit harter Wurst. Mama, auch Knäckebrot mag ich nicht! Es staubt so! - Ausserdem darfst du mich nicht ansprechen. Ich sitze auf meinem Floss und erkunde das Land Ophir. ICH BIN AN EINEM SONNTAG AUFGEWACHSEN IN DER ZUCKERUNDZIMTZEIT. Der Teppichklopfer ist mein Gewehr. Einmal bin ich vor dem Klopper geflüchtet. Unters Sofa. Mama hat nach mir gestochert. Sie war wütend und wollte mich erschlagen. Aber dann brach sie in ein mörderisches Gelächter aus. Sie war sich der Lächerlichkeit der Lage bewusst geworden. Das könnte 1956 gewesen sein. Wie alt, verdammt, kann ich werden? -

Viel später sah ich das Foto eines Mannes, der an den Füssen aufgehängt war. Sein Blut war nach unten geflossen. Der Mann sah nicht mehr aus wie ein Mann. Er war ein Sack. So haben sie's mit Kommunisten gemacht. Mama, hat es wirklich Krieg gegeben? Hast du dir den Hals gewaschen? - Ich stand minutenlang und starrte in den Himmel. STAR WARS. Die Wolken waren Computerbilder. Tacktacktack. Im Schiesssalon werden Planeten gekillt. - Ich habe meinen Teddybären erst verloren, als ich das erste Mal verlobt war. Ich weiss heute nicht mehr, wie ich das aushielt: Jahrelang zog ich ihn raus, bevor es mir kam. - Man weiss von Röhrenwürmern, die in den Tiefen des Ozeans leben, wo man kein Leben für möglich hielt. ICH BIN AN EINEM SONNTAG AUFGEWACHSEN. - Ich weiss noch: Julian Grimau. Ich weiss noch: Angela Davis. Ich weiss noch: Che Guevara und Lumumba. Irgendwann kommen die Amis, holen sich mein Gehirn und verarbeiten es zu Cola, Öl und Erdnussbutter. - Als ich die Nachricht vom Schneemenschen las, war ich glücklich. Er ist mein Bruder. - Inzwischen hat sich fast nichts verändert. Die Geparden teilen würdevoll einen Kadaver. Die Arbeiter falten ihr Stullenpapier zusammen. Sie verstauen ihre Blechbüchsen in abgewetzte Ledertaschen. Es hat sich fast nichts verändert. - Panzer in Kabul gaben mir das Gefühl der Sicherheit. Man fragt nicht nach Sicherheit. Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht. Das Gefühl meine ich. - Man muss Gefühle entwickeln. Der Dichter schreit's vom Dach in den Fluss. Für einen Augenblick richten sich die Ohren der Geparden auf. Ich weiss nicht, wie weit Geparden gucken können. Vielleicht sehen sie das weisse Fleisch auf dem Dach. Du kommst noch ran, knurren die Geparden arrogant. Sie sind auf anmutige Weise arrogant. - Die Fabriken brummen. Die Verbrecher brummen. Alle fünf Jahre eine Amnestie. Die Todesstrafe ist abgeschafft. Ich war Journalist. MAGER WAR ICH, EINE ZIEGE,/ DIE NUR HALBHEIT IST./ DIE TAGTÄGLICH HALBE LÜGE/ AUSSCHEIDET UND FRISST. Schattenboxen. Schattenloben. Wie du mir, so ich dir.

Die Lage ist so, dass sie bedenklich ist. Es hat keinen Sinn, einen Bericht über Känguruhs zu schreiben, wenn die Känguruhschwanzsuppe aus dem Angebot verschwunden ist. Man weckt keine schlafenden Hunde. Fliegende Hunde kriegt man nicht ein. Man weckt keine Bedürfnisse. Man weckt auch keine Fliegenden Hunde ein, hört ihr das, Chinesen? Die wir haben, die Bedürfnisse, sind schwer genug zu befriedigen. Das Paradies ist weit. Es wandern am Grunde des Flusses die Steine. Barrikadenmaterial, unerreichbares. - Die Arbeiter strecken sich in den Gliedern. Breit in den Schultern steht wieder. - Ich hab's auch gern gehört: Stalins Lieblingslied von der sterbenden Lerche. Wer starb ausser der? Gnus und Gazellen, die Antwort ist leicht. - Es ist noch immer der Strand. Übersichtlich. Es ist noch immer das Land, in dem Fragen nicht der Antworten wegen gestellt werden, sondern um eine gute Zensur zu bekommen. Andere Länder gibt es nicht. - Einmal sagte der Staatsbürgerkundelehrer zu mir: Grinsen Sie nicht so süffisant! Süffisant reimt sich auf Vaterland. Bis heute fiel dem nackten Dichter auf dem heissen Fabrikdach kein weiteres Wort dafür ein. Das Gedicht bleibt ungeschrieben. Die ungeschriebenen Gedichte sind die. Besten. Die Besten sind im Westen? Wie blöd ist das? - Einmal zogen wir die Blauhemden einfach so an. Ohne Grund. Sie nannten es PROVOKATION. Man kann alles provozieren. Und man kann fast nichts erreichen. Geh an der Welt vorüber, es ist nichts. Ein Irrtum. Den Geparden ist es kotegal. Sie machen sich lang. Nach getaner Arbeit ist gut ruhn. Die Arbeiter haben noch was zu tun. Sie haben mehr zu tun, als sie wissen. Aber sie denken darüber nicht nach. Das Denken soll man. Den Pferden. Die haben. Kopf. Grösseren. -

Ich weiss nicht mehr, wie meine Verlobte im Bett war. Sie hat gesagt, sie verklagt mich, wenn sie merkt, ich verarbeite sie zu einem Text. Ich wage es nicht. Ich habe nie Streit gesucht mit der Macht. Ich habe zugesehen, wie das MINISTERIUM DES INNERN ausgebaut wurde. Immer, wenn ein hoher Gast des Auslands angekündigt war, besetzte die Polizei meinen Hof. Sie meinte nicht mich. Sie meinte Menschen mit Pistolen und anarchistischen Gedanken. Oder Kranke. - John Lennon. Du kannst nicht durch ein Fenster türmen. Oder sang Bob Dylan? ICH BIN AN EINEM SONNTAG AUFGEWACHSEN. Ich habe trotzdem gestohlen. Ich habe soviel gestohlen, dass ich nicht mehr weiss, was. Mein Keller ist voller Philosophien. Systeme kleben an meiner Wand, verkleidet als Rauhfasertapete. Seit ich weiss, die Malerin Nuria Quevedo arbeitet in meiner Strasse, bin ich ein bisschen glücklicher. - Was ist mit dem Fluss? Fliesst er nicht mehr? DAS WASSER, STARR VOR DRECK, QUÄLT SICH ALS WELLE VON MIR WEG. Tritt er über die Ufer. Die Tiere schlafen. Dann ist keine Gefahr. Wind fährt über die Gräser der Savanne. Adam war Afrikaner.

Es ist kein Problem zu sagen: Afrikaner haben eine weisse Haut, Europäer eine schwarze. Man muss es nur lange genug den Leuten einreden. - Das Spiel umgekehrt: Gazellen jagen Geparden. Neger töten Weisse. Man muss Gefühle entwickeln. Gefühle für die Richtigkeit. Von was? Eigenen Tuns, Handelns, Denkens? Allgemeinplätze! Sätze aus der Zeitung! Aus dem Fernsehen! - Die Arbeiter bringen eine Losung an der Hallenwand an. MEINE HAND FÜR MEIN PRODUKT. Frieda Hockauf lässt grüssen. Adolf Henneckes Faust fährt aus der Erde. Wieviel Handlose laufen im Land herum? - Ungemütliche Lage. Makanin lässt eine alte Frau über hundert werden, und als sie stirbt, ist sie nur scheintot. Phantastisch! Es heisst Phimose, wenn einem die Vorhaut zuwächst. Ich beantrage die Staatsbürgerschaft des Zweistromlandes. Dem Polizisten führ ich die Hand, der meinen Namen in den Pass einträgt: Nebukadnezar. Alles liegt noch vor mir. Du hast ja ein Ziel vor den Augen. Ein Mann ist, was er tut. Ja, Mama, ich werde nie wieder Zigarettenkippen sammeln. Wir sind keine Armen. Und Rauchen ist schädlich, stimmts Mama? Du hättest mich zwingen sollen, Mama, den Akkordeonunterricht fortzusetzen. Ich habe das Instrument noch. Es knarrt wehmütig. Dann könnte ich meine Lieder selber schreiben. SIE HABEN SATT ZU ESSEN,/ SIE TÖTEN SICH NICHT MEHR,/ SIE BRAUCHEN NICHT ZU MESSEN, /HAT DER MEHR ODER DER.// SIE HABEN SATT ZU SAUFEN,/ SIE BRAUCHEN NICHT IHR BLUT,/ SIE MÜSSEN NICHT MEHR RAUFEN UND SIND EINANDER GUT:// SIE LASSEN ANDRE SINGEN,/ SIE HÖREN MIT VERSTAND,/ SIE LASSEN ANDRE SPRINGEN/ IM EIGNEN VATERLAND. "Was willst du damit sagen, Genosse?" - Hast du schon eine Parzelle im Paradies? Lasst alle Blumen blühen. "Da ist ein Unkraut in deinem Kopf, Genosse!" Klar Schiff! Der Kurz liegt an! Wir haben die Besatzung der Arche ausgetauscht. Einst waren's zwei Löwinnen, jetzt sind es zwei Löwen. Einst waren's zwei Äffinnen, jetzt sind es zwei Affen.

Noah musterte wegen Entkräftung ab, für ihn kommt seine namenlose Frau. Und sie zeugten und gebaren Leviathane, Behomets, Chimären, Kentauren u. a. Denn vertilgen will der Herr alles Lebendige, das er gemacht hat. Die Arche als Kommune. Westberlin und Dutschke. Die Männer lernen, Geschirr abzuwaschen und Babies zu windeln. Als wäre das schlimm. Soviel Porzellan zerschmissen in der Weltgeschichte! Soviel Porzellan kann man gar nicht zerschmeissen! - Sem, Jam und Hapeth sind meine Brüder. Meine Schwestern leben in Saskatchewan. - Der Fluss fliegt dorthin. Er fliesst in das Meer, das Meer fliesst in den Ozean, der Ozean wird zum Fluss und birgt Lachse in sich. Die Welt ist eine schöne Landschaft. Hör auf, Fluss, zu murren! - Wozu ist die Strasse da. Und manchmal erschiesst sich ein Finanzminister. Und Calley ist Juwelier geworden. Er hat bestimmt das schönste Mädchen der Stadt geheiratet. Der amerikanische Achill mit dem Schnellfeuergewehr. - Der Herr hat recht: Die Bosheit der Menschen hat überhand genommen. Von Utopien spricht keiner mehr. Der Moloch Alltag frisst sie. Gazellenfleisch. Gepardenmagen. Was kann ein Magen noch vertragen? Es muss sich ändern. Etwas. Fast alles. Muss sich. Ändern. - Der Nackte scheint zu schlafen. Wie die Geparden. Von den Arbeitern hört man nichts. "Du kriegst in UTP erst dann eine Eins, wenn du aus diesem Zentner Eisen ein Uhrwerk feilen kannst!" "Jawoll, Meister!" Mich hätten sie nie zur Garde gezogen, wenn es eine gäbe. Ich bin immer mit offenem Kragen gelaufen. Die Kragenbinde schlabberte raus. Es juckte und kratzte an meinem Hals. Soldaten sind nicht reinlich. Der Menschenfloh ist schuld an der Übertragung der schwarzen Pest in vergangenen Jahrhunderten. Kann man der Zeitung entnehmen. Die Zeitung weiss alles. Was sie nicht weiss, schreibt sie trotzdem. Köpfe sind geduldig. Warum eigentlich? ICH BIN AN EINEM SONNTAG AUFGEWACHSEN.

Das ist die Antwort; welche Antwort ist das? - Die Szene verändert sich langsam. Vielleicht zu langsam. Ein Menschenleben ist kurz und zerbrechlich. Der Witz mit der Hühnerleiter. Kein politischer. Zeiten, in denen nicht mal politische Witze erfunden werden, sind schlimme Zeiten. - Die Arbeiter lachen in der Kantine. Über das Angebot. Aber es sind braungebrannte Menschen. Wer im Frühling schon gebräunt ist, ist entweder sehr reich oder Kleingärtner. Es lebe die Autarkie! Es lebe Brecht! Es lebe. Ich. Alles beginnt von vorn. Die Geparden wachen auf und haben Hunger. Eine Herde Gazellen weidet in der Nähe. Die Tiere werden nicht schlauer. Die Herde wird dümmer. Die Arbeiter verlassen die Halle und setzen sich an den Fluss. Der fliesst und fliesst. Und er ist doch der gleiche. - Ein Junge, weiss ich, riss sich auf der Rutschbahn im Strandbad Oberspree den Bauch auf. Reiss dein Maul nicht so weit auf! - Mama, ich will nicht mehr reden. Mama, ich habe Angst vor meinem guten Zeugnis. Mama, die Lehrer loben mich, die Klasse wählt mich, der Verband zeichnet mich aus.

Ich werde wohl Chefredakteur werden. Oder Chefdolmetscher. Oder Chefdirektor. Oder Chefchef. Dabei bin ich gern nackt und liebe heisse Dächer. Himmlische Gefühle habe ich gern. Ich will eine Möwe sein, die sich mit einem Geparden paart. In aller Unschuld. Nicht immer dieser koitus interruptus. - Ein Arbeiter nickt in der Sonne ein. Die Hände auf dem Bauch gefaltet, die Jacke aufgeschlagen. Das Brusthaar quillt aus dem schweissgelben Turnhemd. Zwei Kollegen binden ihm die Schnürsenkel der Schuhe zusammen. Er wird lang hinschlagen, wenn er aufsteht und zur Arbeit gehen will. Und die Kollegen werden lachen. - Über Geparden allerdings lacht man nicht. Die bewundert man. Und auch Gazellen und Gnus darf man bewundern. Für die Selbstverständlichkeit und für die gewisse Würde, mit der sie ihren Tod hinnehmen. Sie flüchten, natürlich. Wer nicht. Das verlangt das Naturell. Es gibt keine Gazelle, die einfach stehen bleibt und einen Geparden durch ihren Stolz verunsichert. Ich spüre den Druck der Pistole in meiner Achsel. Oder liegt sie im Schreibtisch. Oder im Ofen. Eine Frau hat jetzt eine Granate zu den Behörden gebracht, die aus dem ersten Weltkrieg stammt. - Mama, hat es wirklich Krieg gegeben? Ich glaube auch nicht daran, dass wir uns gleichzeitig für den Krieg bereitmachen und die Weltgemeinschaft vorbereiten können, sagte Albert Einstein. Teller findet alle Menschen scheusslich, ich finde Teller scheusslich. Joab schafft Uriah beiseite. Kain erschlägt Abel. Don Quichotte schlitzt Weinschläuche auf. Jeder macht seine Arbeit. Wo Tamara Bunke starb, weiss man bisher nicht genau. Und ich stehe und starre in den Himmel über mir. Der sieht wie der Strand unter mir aus. Man muss den Leuten nur lange genug einreden, sie leben im Paradies. Sie werden's noch immer nicht glauben. Die Pyramiden stehen ja auch nicht auf der Spitze. Doch. Nachrichten sind wie umgedrehte Pyramiden anzufertigen. Das wichtigste zuoberst. Man kann dann untern wegkürzen. Wenn es das AKTUELLE ZEITGESCHEHEN verlangt. Man sollte auch Kunstwerke pyramidal auf den Kopf stellen.. Es leben die Handwerker! Ich weiss nicht, warum ich nicht chirurgische Instrumente repariere. Wie es mein Werkstattnachbar tut.

Ich dreh mich und dreh mich und dreh mich und gelange nirgendwo rein. Jede Schraube kann's besser als ich. Sie hat einen Schlitz im Kopf, darein fasst der Schraubendreher und dreht sie ein. Oder raus. Warum haben die Menschen keinen Schlitz im Kopf? Es macht keinen Spass, immerzu dasselbe zu erzählen. Wiederholung ist die Mutter der Weisheit. Weiss ich, Mama. Proletarier aller Länder vereinigt euch. - Nun ist der Prolet aufgewacht. Aber er schlägt nicht lang hin. Trotz der zusammen gebundenen Schnürsenkel. Er hat einen Gepardeninstinkt. Er sieht, was ihm angetan wurde. Aber er knotet den Knoten nicht auf. Er fährt aus den Schuhen und wirft sie in den Fluss. Die Männer lachen sich krumm. Das Wasser frisst das Leder. Die Geparden setzen sich in Bewegung, das Spiel beginnt erneut. Wiederholung sättigt. Angenehmes Gefühl. - Ich habe im August 1973 in einem Farblabor gearbeitet. Die bunten Fotos kamen in Schlangen durch den Entwickler. Ich glaube, ich küsste damals eine Mulattin. Die war aber aus Treptow. Es gibt unglaubliche Geschichten. Es soll mal eine Frau ihren Mann in der Mongolei besucht haben. Als sie austreten ging, in die Steppe, wurde sie von einem Bergstamm entführt. Das ist Jahre her, und die Frau ist nie wieder aufgetaucht. Vielleicht ist sie auch glücklich? Oder sie ist ein Gepard geworden. Manchmal verschwinden Menschen einfach. Wie Tage. Wie Wasser. ICH BIN AN EINEM SONNTAG AUFGEWACHSEN. Mir passiert nichts. Ich habe alle Scheine und Ausweise, die mein Überleben sichern. - Sie essen schon wieder. Weil der Mensch ein Tier ist. Oder weil das Tier ein Mensch ist. Isst. Esst! Jeder Bissen kann der letzte sein.

Das macht auch billiges Brot teuer. "Über die Getreideernte kein Wort, Genosse!" – "Wir haben Schwierigkeiten mit der Versorgung!" – "Über einen Jugendwerkhof willst du eine Reportage schreiben? Randgruppen! Haben wir nicht wichtigeres zu tun!" - Die Zeit. Die Zeit. Die Zeit. Die Lage. Die Lage. Die Lage. Niemand kennt sie, alle sprechen von ihr. Es wird sich ändern. 1972 sprach man das erste Mal vom Sauren Regen. In Stockholm. Das löste Verwunderung aus. Wenn Olof Palme noch lebte, würde er jetzt zu Mittag essen. - Ich weiss noch von Bikile Abebe. Und von Helmut Recknagel. Sport ist Mord. Einmal in der Woche Mord. Eine verträgliche Dosis. - Ich möchte Silvester Stallone sein, schreit der Dichter mit erigiertem Penis auf dem Fabrikdach, weil ich dann im Busen der Nielsson leben könnte! - Der hat Probleme! Die Arbeiter zeigen ihn sich gegenseitig. Dann drehen sie sich um und pissen in den Fluss.

Sie besitzen Schamgefühl. Nicht wie der da auf dem Dach. Der alles zeigt, der die Sau rauslässt, der seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Freie Bahn der Jugend. Jugend voran. Wann wir schreiten. - Und ich stehe im Foyer des Maxim-Gorki-Theaters. Es ist der 7. Oktober eines Jahres, und draussen marschiert der Fackelzug vorbei. Drinnen stehen wir geschützt: ein Kordon Zivilisierter, mit den Gesichter zur Prachtstrasse, zeigt uns die Ärsche. Den Rücken. Die kalte Schulter. Mir gefriert der Sekt im Kelch. Sie spielen den Dichter Matusche, Kap der Unruhe. WAS DU VERLÄSST; DAS KLEBT DIR AN DEN HACKEN:/WAS DU EROBERST; NIMMT VOR DIR REISSAUS./DER RICHTKRANZ STÜRZT VOM GRADGEBAUTEN HAUS/MIR IN DEN NACKEN. - Die Szene muss sich langsam ändern. Ein Menschenleben ist nicht viel Zeit. Jetzt erscheint der Fremde am Strand. Er sieht aus wie ich. Ich betrachte ihn genau.

Ich will wissen, wie ich aussehe. Ich will nicht mit einem falschen Bild von mir leben. Ich bin Chefredakteur einer auflagenstarken Zeitung und habe ein Recht auf ungeteilte Wahrheit. Und ich habe die Pflicht. Und ich habe. Einen Termin mit Geparden, Arbeitern und einem nackten Dichter. Ich bin der deus ex machina. Ich bin der grosse Puppenspieler. Ich bin nicht verrückt. Auch wenn ich verrückt bin. Ich bin der Mann, der sich dazwischenstellt. Ich kann nicht nur in der Savanne stehen. Ich kann nicht nur auf einem Dach stehen. Ich kann nicht nur in die Industrie sehen. Ich laufe auf dem Wasser. Unter mir der Fluss. Ich spüre, er trägt mich fort. Ist der Fluss mein Platz?

Eckhard Mieder