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Caipirinha

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Der Mann vom anderen Tisch Caipirinha

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Prosa

Happy Hour. 17 – 20 Uhr. Alle Cocktails nur Euro 3,33. Anja bestellt einen Caipirinha. Der Gaumen zieht sich in Vorfreude zusammen. Er steht vor ihr.

Caipirinha.
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Caipirinha. Foto: Digital-Designs (CC BY 2.0 cropped)

Datum 26. November 2013
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Oben die vielen kleinen Eiswürfel, in denen der dicke Strohhalm steckt. Darunter die gelbliche, leicht bräunliche Flüssigkeit, bestehend aus Rum und Zucker. Auf dem Grund des Glases kleine, aufgeschnittene Citrus - Früchte.

Langsam, vorsichtig saugt sie am Strohhalm. Bloss nicht zu viel auf einmal. Der Cocktail soll lange halten. Sie will ihn geniessen. Schluck für Schluck. Trotz Happy Hour sind 3,33 Euro viel Geld für Anja.

Sie versucht auszurechnen, wie viel Prozent ihrer Rente es ausmacht. Bald ist ihr die Rechnerei zu dumm, als der säuerliche Geschmack, der mit Zucker vermischte Alkohol ihre Mundhöhle treffen, sich ausbreiten in ihrer Kehle, den Gehirnzellen, hineinlaufen in ihre Adern.

Anja lässt den Blick schweifen, betrachtet junge Männer an anderen Tischen. Mit 68 ein halb darf ich das, denkt sie und saugt erneut an ihrem Strohhalm, bewundert schlanke Nacken, gebräunte Arme, blitzende Zähne.

Ein Mann um die siebzig steuert auf ihren Tisch zu, schwammiges Gesicht, dünne Arme, vermutlich dünne Beine, vor sich hertragend den Bauch einer Schwangeren, der über dem Gürtel hängt.

Hosen mit Gummizug für Männer, denkt Anja, das wäre eine Marktlücke, vielleicht könnte ich so meine Rente aufbessern. Jeden Abend Caipirinha trinken. Auch die anderen Cocktails würde ich ausprobieren. Der Reihe nach.

Der Mann hat ihren Tisch erreicht, die Lehne des leeren Stuhls ihr gegenüber ergriffen, fragt „Darf ich“ und plumpst auf ihn nieder. „Nein“, sagt Anja. „Leider. Ich habe eine Verabredung, die jeden Moment kommen muss.“

Ächzend erhebt er sich, grummelt vor sich hin und lässt sich an einem der freien Tische nieder, so dass er Anja im Auge behält. Sie saugt an ihrem Strohhalm, spürt die betäubende, berauschende Kraft des Alkohols vorne in ihrer Stirnhöhle. Fast ist das Glas leer. Wenn sie mit dem Strohhalm die Eisstückchen zerhackt, kann sie immer wieder etwas säuerliche Flüssigkeit hochziehen.

„Wo bleibt denn ihre Verabredung?“ fragt der Mann nach fünf Minuten hämisch. Anja schaut ihn an, hinein in seine Augen, auf den Mund, der immer noch sinnlich und schön wäre, wenn er ihn nur nicht so höhnisch verziehen würde, betrachtet die vergrösserte Nase und sagt:
„Sie ist schon eingetroffen. Gerade eben. Ich bin mit mir selbst verabredet.“

Da lacht er und es klingt wie das Scheppern einer zerknautschten Coladose.

Einer der jungen Männer, die Anja so gefallen haben, hat das Gespräch gehört. Er schaut sie an. Ihre Augen verhaken sich ineinander. Flüchtig schiesst ihr durch den Kopf, dass Augen seltsamerweise nicht altern. Er erhebt sich und geht langsam zu ihrem Tisch, ein wenig widerstrebend, zögernd, doch gezogen wie durch ein Gummiband.

„Ich bin Ihre Verabredung“, sagt er und setzt sich ihr gegenüber. „Was möchten Sie trinken?“

„Caipirinha“, sagt Anja.

Cornelia Koepsell