Unsere Verfassung spricht nur von formaler Gleichheit, nicht von substantieller, inhaltlicher Gleichheit. Der Unterschied in den Eigentumsverhältnissen macht die Menschen auch vor dem Gesetz ungleich. Aber das Gesetz schützt diese Ungleichheit: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“, sagt die Verfassung.
VERFASSUNG
Am Beginn der Bundesrepublik Deutschland stand die Verfassung, die die Möglichkeit bot, eine wirkliche Demokratie zu begründen. Denn nach dem 2. Weltkrieg gab es ein Machtvakuum, in dem die westlichen Siegermächte es schwer hatten, Deutschland eine offen kapitalistische Verfassung aufzuzwingen. Obwohl der Antikommunismus in den USA virulent war, konnten die Sozialisierungswünsche der Deutschen nicht ignoriert werden, so dass sie sich im Grundgesetz niederschlagen.Sie sind ein guter Ansatzpunkt, denn der Unmut über Bereicherungspraktiken von Politik und Wirtschaft wächst auch in Deutschland, wo es nicht ungewöhnlich ist, wenn zwei Freunde, ein Politiker und ein Kapitalist, sich gegenseitig unterstützen. Sie verreisen auch gemeinsam und repräsentieren Deutschland bei Auslandsbesuchen der Regierung.
Die deutsche Verfassung kann weder friedlich, noch gewaltsam in ihrer Substanz verändert werden, denn sie wird durch das Gewaltmonopol des Staates verteidigt und ist das Fundament der Gesellschaft, nicht nur des politischen Systems. Von daher bleibt uns nur die Neuinterpretation und Bearbeitung der bestehenden Verfassung, wenn wir nicht vom Gewaltmonopol verfolgt werden wollen. Das ist eine der Lehren aus den siebziger Jahren, wo unter Willy Brandt die Verfolgung aller Andersdenkenden durch Berufsverbote verschärft wurde. Das Deutsche Grundgesetz bietet die Möglichkeit, eine wirkliche Demokratie aufzubauen, weil es die gesellschaftliche Wirklichkeit mit einem demokratischen Anspruch überdeckt. Diesen Anspruch, die Versprechen von Freiheit, Gleichheit, Würde ... gilt es, beim Wort zu nehmen.
BASISDEMOKRATIE
Es ist also dringlich, Vorstellungen einer wirklichen Demokratie zu entfalten und für ihre Durchsetzung zu kämpfen. Eine Demokratie wirkt erst dann, wenn sie ein kollektives Vorhaben ist, um nicht nur eine andere, sondern eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Diese neue Gesellschaftsform ist eine Basis-Demokratie, von Grund auf gegen Herrschaft. Zugleich soll sie auf dem Konsens aufbauen, der politische Auseinandersetzungen erfordert, bevor Entscheidungen gefällt werden. Es wäre falsch, „unsere“ Demokratie eine parlamentarische zu nennen, denn das war die „kommunistische“ Demokratie auch. Gegen Parlamente als Entscheidungsgremien ist nicht grundsätzlich etwas einzuwenden, weil damit nur ein Ort bezeichnet ist, wo diskutiert wird. Entscheidend ist die Frage, auf welche Weise kommen die Vertreter ins Parlament, welches sind ihre Aufträge, welche Entscheidungen dürfen sie treffen, wem gegenüber müssen sie sich verantworten.BASISGRUPPEN NACHBARSCHAFT
Unser gesellschaftliches System hat die Strukturen für eine basisdemokratische Transformation vorbereitet, in der der Wille aller – jedes und jeder Einzelnen – gefragt ist. Dazu können wir uns der bestehenden Strukturen zum Teil bedienen, denn für die Politik ist unsere Gesellschaft von unten nach oben gegliedert und auf kommunaler Ebene gibt es verfassungsmässig sogar schon Selbstverwaltung, allerdings nur vom Anspruch her (das Spektakel der Wahlen verhindert sie, aber zumindest auf kommunaler Ebene gibt es manchmal Bewegung):Artikel 28 (2) Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Massgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.
Die kommunale Ebene basisdemokratisch umzugestalten ist der entscheidende erste Schritt. Allerdings sollte unser Ziel sein, dass niemand uns verwaltet. Daher spreche ich lieber von Selbstorganisation, denn von der Fremdbestimmung geht es zur Selbstbestimmung. Politik in der bürgerlichen Demokratie erfolgt von oben nach unten, Bundesrecht bricht Landesrecht etc. Allein daran ist ihr Herrschaftscharakter schon erkennbar. Die Richtung der Organisation muss auf den Kopf gestellt werden: von unten nach oben.
Das geographische Netz beginnt auf kommunaler Ebene ganz unten bei den Nachbarn. Statt nur alle vier Jahre ins Wahllokal im eigenen Viertelzu gehen, muss sich Selbstorganisation unseres Zusammenlebens in der Nachbarschaft entwickeln. Auf der Ebene von Häuserblocks oder Strassenzügen beginnt der wichtigste Bereich (auf dem Lande sind es grössere Flächen), der heute konfliktträchtig ist, weil er von fremden Politikern oder Richtern kontrolliert wird. Es gibt keine Strukturen für Auseinandersetzungen. Dafür brauchen wir kontinuierliche Kommunikation. Der Kommunikationsbedarf ist gross, denn die Menschen müssen lernen, miteinander gleichberechtigt zu reden und auch weniger geübte RednerInnen zu Worte kommen zu lassen.
Im Unterschied zu heute trifft sich die Nachbarschaft künftig regelmässig für Beratungen und Beschlüsse und wählt ihre Vertreter für das nächsthöhere Gremium, die sie mit klaren Aufträgen losschickt. Die Vertreter müssen sich endlich Gewissensfragen stellen, denn sie wissen, was man von ihnen erwartet. Die Sitzungen der Nachbarschaftsgruppe müssen zum Konsens führen, damit Konflikte vermieden werden und der Auftrag der Basisgruppe an die Delegierten eindeutig ist. Eventuell muss sich Hilfe von aussen geholt werden.
Die jetzigen Regionalstrukturen können modifiziert weiterbestehen (über der Nachbarschaft die Bezirke, dann die Kreise, Landkreise, Länder und die Bundesebene). Die künstlichen Grenzen zwischen Stadtstaaten und Ländern müssten vermutlich aufgehoben werden.
BASISGRUPPEN ARBEITSFELD
Das inhaltliche Netz unserer Gesellschaft soll nach Arbeitsfeldern in Produktion und Reproduktion strukturiert werden. Allerdings müssen wir Korrekturen zum Bestehenden vornehmen, denn im Kapitalismus gibt es ein Verständnis von produktiver Arbeit, das absurd ist und abgeschafft gehört: Produktiv ist, was Kapital vermehrt. Nur solche Arbeit, die sich kapitalistisch ausbeuten lässt, ist demnach produktiv, lohnt sich, wird belohnt, d.h. erhält die Anerkennung als Lohnarbeit. Umgekehrt müsste man so sagen: Arbeit, die sich für das Kapital nicht lohnt, bringt keinen Profit und ist nur für das Kapital nicht produktiv. Erziehungsarbeit der Mütter zum Beispiel wird als Gratisgabe der Natur betrachtet, was auch damit zusammenhängt, dass die meisten Kapitalisten Männer sind. Frauen werden traditionell vom Lohn des Mannes unterhalten, er ist der Verdiener, sie verdient mit. Erziehungsarbeit wird von konservativer Seite bei der Rente mit einem kleinen Geschenk getröstet, damit die Frauen Kinder kriegen und unselbständig bleiben. Es gibt noch andere unbezahlte gesellschaftliche Arbeiten, die z.B. im Pflegebereich geleistet werden, ebenfalls nicht anerkannt sind und auch wiederum vordringlich von Frauen übernommen werden.Andererseits gilt die Produktion von Waffen als produktiv, sie ist einer der Schlager des Exportweltmeisters Deutschland, obwohl ihr Gebrauch im Krieg äusserst destruktiv ist. Auch Verkehrsunfälle und Epidemien tragen zum Wachstum „unserer“ Wirtschaft bei, gemessen am Bruttosozialprodukt. Sozial nennt diese Gesellschaft demnach alles, was Kapital vermehrt.
Es gibt also Arbeitsfelder, über deren Sinnhaftigkeit zu diskutieren ist, und andere, die erst noch geschaffen werden müssen.
Zwischen den Arbeitsfeldern gibt es Verknüpfungen, es sind schon Netzwerke vorhanden, auf denen unsere neue, basisdemokratische Gesellschaft aufbauen kann. Die Funktionäre werden ersatzlos gestrichen, stattdessen wird wie beim geographischen Netz von unten nach oben delegiert. Wir wissen aus der Industrie und anderen Grossbetrieben und aus dem Staatsapparat, dass das Funktionieren in riesigen Betrieben zu bürokratischen Verwerfungen und mangelndem Engagement führt. Deshalb wurde die Aufgliederung in kleine, teilautonome Arbeitsgruppen in einer Netzwerkstruktur in modernen Kapitalunternehmen schon begonnen. Aus ihnen können die zukünftigen Basisgruppen entstehen.
Dort, wo es sie noch nicht gibt, werden sie entsprechend aufgebaut.
Ein besonderes Kapitel sind die Religionsgemeinschaften, denn die Kirchen sind eine (feudale) Macht in der bürgerlichen Gesellschaft und nach dem Staat der grösste „Arbeitgeber“. In ihnen ist sogar der minimale Mitbestimmungsbereich aus den Kapitalunternehmen noch eingeschränkt. Die ursprüngliche Akkumulation muss rückgängig gemacht und die weltliche Macht den Kirchen entzogen werden. Alle gesellschaftlichen Funktionen müssen den Kirchen genommen und demokratisch organisiert werden, damit nur Religion übrigbleibt.
DELEGIERTE
Perspektivisch müssen alle Mitglieder der Basiseinheiten in die Lage gebracht werden, ihre Basisgruppe in den höheren Gremien zu vertreten, damit es nicht wieder zum Spezialistentum kommt, wo Berufspolitiker die Richtung bestimmen und die Basis auch auf Grund ihres Vorsprungs manipulieren. Das imperative Mandat und die Absetzbarkeit können davor schützen, indem sie Kontrollmöglichkeiten schaffen. Aber der demokratische Gedanke ist nicht zu Ende gedacht, wenn die Basis nur Ja oder Nein zur Führung sagen darf (wie bei der SPD). Sie muss eine eigene Position erarbeiten, die von allen aus der Basisgruppe geteilt wird. Mit dieser Position können alle aus der Gruppe Delegierte werden und sollen es sich im Laufe der Jahre auch zutrauen.Möglichst alle sollen also irgendwann einmal Delegierte der Basisgruppe sein. Wenn aber die „Amts“-Perioden 5 Jahre betragen und Verlängerung um eine zweite Periode möglich ist, kommen von den 50 oder 60 Mitgliedern der Basisgruppe vermutlich nur 10 bis 20 Menschen als Delegierte zum Zug. So würde sich eine Kaste von Eingeweihten herausbilden, die ihre Macht vorerst aus dem Wissen schöpfen. Minister in Deutschland sind in der Lage, vom Arbeitsministerium in das Kriegsministerium zu wechseln und sich innerhalb weniger Wochen das Politikfeld zu erarbeiten, wenn sie gut sind. An der Basis wird es länger dauern, vielleicht, aber das Feld ist auch kleiner, das zu überblicken ist.
Basisdemokratie bedeutet, unten und nicht oben mit der Kommunikation und der Qualifizierung zu beginnen.
ENTEIGNUNG
In Deutschland entstand nach dem 2. Weltkrieg eine starke Bewegung zur Sozialisierung der Produktionsmittel, die sich auch noch in der deutschen Verfassung niederschlägt, wo von möglicher Enteignung gesprochen wird. Nach dem Krieg wurde (das Geldvermögen) enteignet, man nannte das schönfärberisch eine Abwertung, damit in der Stunde Null alle gleich waren. Die Unternehmen liess man ungeschoren, womit der Fortbestand der herrschenden Familien gesichert war. Das zentrale Verfassungspoblem ist in vielen Staaten der Schutz des Eigentums, aber die notwendige Enteignung der gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsmittel ist in Deutschland verfassungsmässig zugelassen, eine Entschädigung nicht einmal zwingend: Artikel 15: Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmass der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Die Enteignung muss für die Produktionsmittel gelten, zu allererst auch für das Finanzkapital. Vererbung von produktivem Vermögen muss ausgeschlossen werden.Artikel 15 wird natürlich als Ausnahme verstanden, aber nichts hindert uns, ihn beim Wort zu nehmen. Man darf nicht vergessen, dass im selben Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Aber wozu? Das müsste endlich einmal diskutiert werden.
Und die Demokratie bei alledem? Die Voraussetzungen sind: öffentliche Güter, gemeinschaftliche Arbeitsverteilung und Grundeinkommen.
GEMEINGUT – ALLMENDE – COMMON
Die Erde ist endlich, die natürlichen Ressourcen sind begrenzt. Das Ziel des pfleglichen Umgangs mit ihnen, des Schonens der Natur drückt sich in der Forderung „Nachhaltigkeit“ aus. Es ist eine gesellschaftliche Verpflichtung, die wir uns gemeinsam zur Aufgabe machen müssen. Das ist der Gedanke des Gemeingutes. Historisch gab es im deutschen Bereich die Allmende, im britischen die Commons. Heute versteht man darunter auch die offen zugänglichen Güter wie Wikipedia. Wir müssen aber unterscheiden zwischen endlichen und unbegrenzten Gemeingütern.Beide dürfen niemandem gehören, aber nur die unbegrenzten Güter sind frei zugänglich.
In der Provence, wo ich lebe, hat sich seit der keltischen Besiedlung bis heute das Prinzip des Gemeinguts erhalten. Oberhalb von unserem kleinen Nachbardorf mit seinen hundert Familien liegt ein grösseres Gebiet, das früher Weidefläche und Dreschplatz war.
Als das Stromunternehmen anfing, Anschlusskabel für ein Neubaugebiet zu legen, gründete der ansässige Biobauer mit den Bewohnern den Verein der 100 Dächer, der nachweisen konnte, dass dieses Gebiet niemandem gehört, sondern öffentlich ist. Heute ist daraus ein botanischer Lehrpfad und der Festplatz des Dorfes geworden. Auch die Wege des Dorfes sind gemeinschaftlich, ebenso wie das Wasser.
Ich selbst wohne auf einem Privatgelände mit anderen Familien zusammen. Jede hat ihr Haus und ihr Grundstück, aber das Wasser ist Gemeingut. Die Quelle entspringt auf meinem privaten Grundstück, der Brunnen gehört einem Nachbarn, aber das Wasser holen sich auch die Gemüsebauern aus der Nachbarschaft. Bei einer anderen Quelle ist es so geregelt, dass alle Gärten vor dem Dorf eine Stunde am Tag bewässert werden dürfen. Wir waren von 13 bis 14 Uhr dran, und wehe, wir schlossen unseren Zulauf verspätet.
Die Grundlage dieses Gemeingutes ist die Selbstorganisation, wie Elinor Ostrom beschrieben hat. Aber die Voraussetzung ist, dass dieses Gut kein Eigentum ist. Niemandem gehört. Niemand kann es privatisieren.
Die Gemeinschaft bestimmt die Regeln, löst die Konflikte und beschliesst Sanktionen. Gemeingüter werden dann pfleglicher behandelt, als wenn sie in Staatseigentum sind, weil nicht irgendwelche fremden Staatsdiener, sondern die Interessierten selbst verantwortlich sind.
Privateigentümer sind die schlechteste Alternative, wie man bei deutschen Altersheimen, französischen Wasserwirtschaftsbetrieben oder britischen Eisenbahngesellschaften sehen kann. Die Pflege und Reparatur spielt dort nur eine untergeordnete Rolle, weil sie Kostenfaktor ist, Wasserleitungen werden nicht erneuert, sondern Chlor zum Wasser gefügt, die Schienen verrotten und die Unfälle häufen sich.
GRUNDEINKOMMEN
Die Lebensgrundlagen für alle Menschen der Gesellschaft sollten gemeinschaftlich geschaffen werden. Andere für sich arbeiten zu lassen, wie es der Kapitalist tut, um besser zu leben als alle anderen, soll ausgeschlossen werden. Die notwendige Arbeit muss dann gemeinsam organisiert und gemacht werden. Also steht allen ein gleiches Grundeinkommen zu. Es muss aber ausreichend sein, nicht nur für das Notwendigste, sondern alle Grundbedürfnisse befriedigen. Und es darf nicht bedingungslos sein, sondern setzt die aktive Teilhabe an der Gemeinschaft voraus – im Rahmen der Möglichkeiten. Behinderungen und Krankheiten können die Mitbeteiligung erschweren, aber das Konzept der Lebensarbeitszeit lässt eine grosse Flexibilität und lange Auszeiten zu. Die Frage der Integration wird sich bei zwei Arbeitsstunden täglich neu stellen.DIE NEUE GESELLSCHAFT WIRD LIBERTÄR
Wie eine solche Gesellschaft, die ich libertär nenne, aussehen könnte, soll im Folgenden umrissen werden.Die Fundamente einer libertären Gesellschaft sind:
- Menschenwürde
- Individuelle Emanzipation
- Vergesellschaftung
- Kommunikation
- Herrschaftsfreiheit
- Persönliche Autonomie
- Basisdemokratie
- Grundbedürfnisse
- Grundeinkommen
- Lebensarbeitszeit
- Freie Tätigkeit
Es ist verfrüht, jetzt nach konkreten Perspektiven zu suchen, aber an der Zeit, die libertäre Gesellschaft zu begründen.