Jenseits dieser Gemeinsamkeit gibt es unterschiedliche Einschätzungen dazu, was die „Zukunftsfähigkeit“ des Kapitalismus angeht. Lohoff und Trenkle (2012) sehen ihn in einem unauflösbaren Widerspruch gefangen, indem die Dynamik der Produktivkraftentwicklung ihm mehr und mehr seine essenzielle Grundlage entzieht, nämlich die Verwertung menschlicher Arbeit. Heinrich (2007) dagegen sieht trotz zyklischer Krisenhaftigkeit „Tendenzen zur Ausdehnung […] des Kapitalismus, die noch längst nicht an ihr Ende gekommen sind.“
Einig dürften sich beide Seiten darin sein, dass das Ziel aller kapitalistischen Produktion die Geldvermehrung ist: Geld wird eingesetzt (investiert, verwertet), um am Ende mehr Geld zurückzuerhalten (vgl. Lohoff und Trenkle 2012: 22f). Da am temporären Ende jeder erfolgreichen Geldvermehrung mehr Geld steht, das wiederum verwertet werden will, ist dem Kapitalismus die Tendenz zum endlosen Wachstum inhärent. Zwar könnten die Kapitalistinnen (ich verwende in diesem Text weibliche und männliche Formen zufällig im Wechsel) ihren kompletten Neugewinn theoretisch auch konsumieren (für Yachten u.a. Luxusgüter ausgeben), doch dürfte ihnen in der Regel ein Teil des Gewinns dafür ausreichen (ebd.: 24f). Geld ist im Kapitalismus die allgemeinste und wichtigste Form von Wert – von abstraktem Reichtum, der durch menschliche Arbeit entsteht. Wert ist das Ergebnis von Arbeit („tote Arbeit“), aber nur soweit und sofern diese Arbeit gesellschaftlich nötig ist. Wenn jemand weniger effizient arbeitet als andere (weil er langsamer ist oder über schlechtere Werkzeuge verfügt), produziert er damit nicht mehr Wert als diese, sondern (sofern er das gleiche Produkt herstellt) nur genauso viel (ebd.: 27ff).
Wenn immer mehr Geld verwertet werden muss, bedeutet dies im Regelfall also, dass immer mehr menschliche Arbeit produktiv und effizient eingesetzt werden muss, denn nur dann entsteht neuer Wert und die Geldvermehrung ist erfolgreich (ebd.: 28f). Gleichzeitig hat aber jedes Unternehmen (= jede Kapitalistin) ein Interesse daran, die zur Produktion seiner Waren benötigte Arbeitszeit zu senken. Denn um sich gegen die Konkurrenz durchsetzen, ist es gezwungen, mindestens ebenso effizient zu produzieren wie diese, besser aber effizienter.
Schafft es das Unternehmen, mit weniger Arbeit die gleiche Warenmenge zu produzieren, oder (um denselben Sachverhalt auf andere Weise auszudrücken) mit gleichem Arbeitseinsatz mehr oder bessere Waren, kann es mehr Profit machen oder durch Preissenkungen den eigenen Marktanteil vergrössern. Zumindest zum Teil wird dies auf Kosten der Konkurrenz gehen. (Nur zum Teil, da der Markt auch vergrössert werden kann, wenn günstiger gewordene Waren von Menschen gekauft werden, die sie sich zuvor nicht leisten konnten.)
Um nicht auf der Strecke zu bleiben, sind die Konkurrenten gezwungen, nachzuziehen und die Effizienzsteigerungen zu übernehmen oder selbst noch bessere zu finden. Auch diese Dynamik ist tendenziell endlos. Zumindest solange die „vollautomatische Fabrik“ nicht komplett erreicht ist, also irgendwo im Produktionsprozess noch Menschenarbeit steckt, muss jedes Unternehmen auf immer neue Möglichkeiten lauern, diese zu reduzieren – da die Konkurrenz nicht schläft, sondern dasselbe tun muss (ebd.: 30f).
Diese Dynamik erschwert aber die Kapitalverwertung: Unter Einsatz einer bestimmten Menge Kapital (das so verwertet wurde) wurden zuvor jährlich z.B. 100.000 Fernseher hergestellt. Dank Effizienzsteigerung sind es hinterher vielleicht 120.000 Fernseher. Die zusätzlichen Fernseher müssen aber auch verkauft werden, damit die Kapitalmenge weiterhin verwertet werden kann. Was, wenn zwar 10.000 neue Fernseher Abnehmer finden (erleichtert durch den gesunkenen Preis), aber niemand die anderen 10.000 haben will? In diesem Fall kommt das Kapital in eine Verwertungskrise, die Fernseher müssen verschrottet oder weit „unter Wert“ zum Schnäppchenpreis verscherbeln werden. Die Investitionen müssen zum Teil abgeschrieben werden, die Kapitalistinnen erleiden Verluste – das Kapital hat sich verringert, statt sich zu vermehren (ebd.: 31f).
Dieser Verwertungskrise kann der einzelne Kapitalist entgehen, indem er rechtzeitig die Branche wechselt. Das TV-Unternehmen kann vielleicht rasch genug auf die drohende Absatzkrise reagieren, indem es einen Teil seiner Mitarbeiter entlässt und einen Teil seiner Produktionsanlagen verkauft oder auslaufen lässt (indem es veraltetes Equipment nicht mehr ersetzt). So wird ein Teil des zuvor gebundenen Kapitals freigesetzt, statt in der drohenden Verwertungskrise vernichtet zu werden. Um das freigesetzte Kapital weiterhin verwerten zu können, müssen die Kapitalistinnen andere Waren herstellen – sie müssen die Branche wechseln. Statt in die Produktion von Fernsehern investieren sie es vielleicht in die von Spielkonsolen, Sportschuhen oder was sonst gerade „in“ ist. Gesamtgesellschaftlich kann dies gut gehen, solange es zumindest einige Wachstumsmärkte gibt, in die zusätzliches Kapital fliessen kann, ohne nur bereits gebundenes Kapital zu verdrängen.
Aber gibt es solche Wachstumsmärkte immer in ausreichendem Umfang, um (a) das durch Effizienzsteigerungen freigesetzte Kapital und (b) das durch erfolgreiche Verwertungsprozesse neu entstandene Kapital aufzunehmen? Lohoff und Trenkle bezweifeln dies. Ihrer Ansicht nach war die fordistische „Wirtschaftswunderzeit“ nach dem Zweiten Weltkrieg die letzte Epoche, wo dies geklappt hat, seitdem wird durch Rationalisierung mehr Kapital freigesetzt als durch Erschliessung neuer Märkte gebunden werden kann (32f). Heinrich (2007) sieht dagegen keine Probleme – er verweist auf den wachsenden Konsum in Entwicklungs- und Schwellenländern sowie neue Anlagesphären als Auswege.
Auf einer rein theoretischen Ebene lässt sich meiner Ansicht nach nicht entscheiden, wer recht hat. Dass das Kapital sich unfreiwillig immer wieder die eigene Verwertungsgrundlage ein Stück weit entzieht, ist zweifellos richtig; dass neue und wachsende Märkte dies grundsätzlich ausgleichen können, auch. Dagegen gibt es keinen Mechanismus, der dafür sorgen würde, dass das verfügbare Kapital jederzeit immer Verwertungsmöglichkeiten findet. Dies lässt sich für bestimmte Zeiten und Orte nur empirisch klären. Dieser Text ist ein erster Versuch, eine solche Klärung vorzunehmen.
Die Fragestellung: Die Entwicklung der produktiven Arbeit weltweit
Zur Grundlegung dieser Untersuchung ist es unumgänglich, auf Marx' Begriff der produktiven Arbeit im Kapitalismus einzugehen. Wert entsteht für Marx aus Arbeit, soweit sie (a) zum Zwecke der Verwertung geleistet wird (es wird eine Ware produziert) und (b) gesellschaftlich nötig ist. Jede Ware muss Gebrauchswert haben (von jemand als brauchbar erachtet werden), sonst wird sie keine Käuferin finden. Wert entsteht nur dann, wenn die Ware erfolgreich verkauft wird und nur soweit ihr Herstellungsprozess dem Stand der Technik entspricht (unnötige Mehrarbeit etwa aufgrund veralteter Maschinen schafft keinen zusätzlichen Wert).Marx fragt sich, was produktiv für den Kapitalverwertungsprozess ist – wertproduktiv oder kapitalproduktiv wäre daher ein genauerer Begriff. Arbeit, bei der kein Kapital verwertet wird, scheidet also als produktive aus. Das betrifft alle Arbeit für den Eigenbedarf, die eigene Familie oder Freunde ebenso wie ehrenamtliche Aktivitäten und private Hausangestellte. Wenn eine wohlhabende Familie einen Koch oder eine Hauslehrerin beschäftigt, gibt sie Geld aus, verwertet aber kein Kapital. Die Angestellte verdient sich damit ihren Lebensunterhalt, verwertet aber ebenfalls kein Kapital. Diese Arbeit ist also nicht produktiv. Anders ist es, wenn der Koch statt bei einem Privathaushalt bei einem Unternehmen angestellt ist, das ihn gegen Bezahlung an Haushalte vermittelt – in diesem Fall wird das Kapital des vermittelnden Unternehmens vermehrt, die Arbeit ist also produktiv. Nicht der Inhalt der Arbeit, sondern die Form, in der sie geleistet wird, ist für die Frage der Produktivität ausschlaggebend.
Staaten arbeiten in der Regel nicht renditeorientiert. Sie können zwar als „ideelle Gesamtkapitalisten“ betrachtet werden, die für optimale Verwertungsbedingungen auf ihrem Staatsgebiet sorgen wollen, aber selbst Profite zu machen und sich dabei gegen andere Kapitalisten durchzusetzen, ist in aller Regel nicht ihr Ziel. Staatsangestellte sind daher nicht produktiv. Dasselbe gilt für Beschäftige in zwischenstaatlichen Organisationen und im Non-Profit-Sektor.
Aber auch Arbeit, die für kapitalistische Unternehmen geleistet wird und zum erfolgreichen Verkauf von Waren beiträgt, ist nicht in allen Fällen produktiv. Hier wird es etwas haarig, zumal Marx dazu selbst nur verstreute Hinweise hinterlassen hat. Meine Rekonstruktion ist: Arbeit ist auch dann nicht produktiv, wenn sie nur dazu dient, den Verwertungsprozess des Kapitals aufrecht zu erhalten, den „Händewechsel“ zwischen Geld- und Warenbesitzern zu vermitteln oder unfreiwillige „Händewechsel“ zu verhindern. Der Erleichterung des „Händewechsels“ dient der gesamte Handel: Waren müssen verkauft werden, sonst scheitert der Verwertungsprozess. Doch an dem Gebrauchswert der gekauften Zahnbürste ändert sich durch die Tatsache, dass ich einer Verkäuferin Geld geben muss, um sie nutzen zu dürfen, kein Stück, deshalb leistet die Verkäuferin auch keine produktive Arbeit. Dasselbe gilt für Werbung: sie sorgt dafür, dass Waren verkauft werden können, ohne aber an deren Gebrauchswert – ihrer sinnlich-stofflichen Nützlichkeit – etwas zu ändern.
Der „Händewechsel“ im Kapitalismus ist dann gewollt, wenn er in Form eines (Äquivalenten-)Tausches stattfindet, auf den sich beide Beteiligten einigen können. Ungewollt ist er dagegen, wenn sich jemand Dinge aneignet, ohne sich mit deren bisherigen Besitzer auf eine Gegenleistung geeinigt zu haben. Wachschützer und Sicherheitsdienste existieren, um solche ungewollten Händewechsel (Diebstahl, Raub) zu verhindern. Sie sorgen dafür, dass Gebrauchswerte bei ihren „legitimen“ (im Sinne der kapitalistischen Rechtsordnung) Eigentümerinnen verbleiben, ohne aber den Gebrauchswerten selbst etwas hinzuzusetzen. Sie leisten keine produktive Arbeit.
Verkäufer und Wachschützerinnen dienen zwar der individuellen Kapitalverwertung, indem sie die Eigner des Supermarktes und des Sicherheitsdienstes reicher machen. Doch diese Kapitalvermehrung geht auf Kosten anderer Kapitalistinnen, die dafür einen Teil des Mehrwerts, den sie andernfalls hätten verdienen können, abtreten müssen. Zur gesamtgesellschaftlichen Kapitalvermehrung tragen sie daher nicht bei.
Auch in der Finanzsphäre wird keine produktive Arbeit erbracht. Wer ein „gutes Händchen“ hat und es schafft, die richtigen Aktien zu kaufen und im richtigen Moment wieder zu verkaufen, hat zwar das eigene Vermögen vermehrt, aber den auf der Welt existierenden Reichtümern nichts hinzugefügt und daher nicht produktiv gearbeitet. Dasselbe gilt, wenn man derartiges als Dienstleistung für andere macht, ihnen Vermögenstipps gibt oder bei der Steuerberatung hilft.
Generell handelt es sich bei nichtproduktiven, aber im Kapitalismus nötigen Arbeiten um Nebenkosten der kapitalistischen Produktion. Sie müssen aus dem von produktiven Arbeitern erwirtschafteten Mehrwert bezahlt werden, mehren aber den gesellschaftlichen Reichtum nicht. Dem Kapital eröffnen sie daher nur dann neue Anlagemöglichkeiten, wenn zugleich die Menge produktiver Arbeit steigt: Eine kapitalistische Gesellschaft kann nicht dadurch reicher werden, dass sie mehr und mehr Werbung macht oder neue Supermärkte baut, ohne aber dadurch bzw. darin zusätzliche Produkte zu verkaufen.
Der zwischen Lohoff und Trenkle einerseits und Heinrich andererseits strittige Punkt lässt sich also auf die Frage herunterbrechen, ob die Masse produktiver Arbeit in der modernen kapitalistischen Gesellschaft tendenziell wächst oder fällt. Sinnvoll kann dies nur im weltweitem Rahmen untersucht werden, da das Kapital heutzutage global und mobil ist. Wenn die produktive Arbeit in einem einzelnen Staat fällt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass das Kapital in diesem Staat in der Krise ist – das aus dem Staat kommende Kapital kann ebenso gut in andere Länder ausgewichen sein, weil es dort bessere Verwertungsbedingungen vorfindet.
Datenbasis
Zur Untersuchung der Fragestellung wurden Arbeitsmarktstatistiken der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) herangezogen (ILO 2013). Mein Plan war eigentlich, die Entwicklung der produktiven Arbeit seit ungefähr 1970 zu untersuchen, d.h. seit dem Ende der fordistisch-keynesianistischen Periode (1971 wurde die Goldbindung des US-Dollars aufgehoben). Die von der ILO veröffentlichten Statistiken gehen allerdings nicht weit genug zurück, sondern beginnen in den meisten Fällen erst 1980, für manche Länder auch erst später. Das durchschnittliche Anfangsjahr der ausgewerteten Statistiken ist 1983. Die verfügbaren Daten enden meist 2010 oder 2011, gelegentlich auch einige Jahre früher – im Durchschnitt 2010.Die wichtigste verwendete Statistik ist KILM 4, das die Beschäftigtenzahlen eines Landes nach verschiedenen Branchen aufgeschlüsselt enthält. Eine Schwierigkeit der Analyse ergibt sich dabei daraus, dass die genaue Abgrenzung zwischen „produktiver“ und „unproduktiver“ Arbeit schon innerhalb der marxistischen Theoriebildung umstritten ist und sich in den (vermutlich nicht von Marxistinnen erstellten) ILO-Statistiken überhaupt nicht wiederfindet. Selbst wenn das anders wäre, wäre eine exakte Unterscheidung wohl schon deshalb unmöglich, weil eine Firma sowohl produktive (z.B. Facharbeiter, Ingenieure) als auch unproduktive (z.B. Werbefachleute) Beschäftige haben kann. Die in KILM 4 genannten Branchen lassen sich daher nur grob als „eher produktiv“ oder „eher unproduktiv“ einordnen.
Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass die verwendete Brancheneinteilung im Lauf der Zeit mehrmals geändert wurde. In den meisten der untersuchten Länder wurde um 1980 die Version 2 der „International Standard Industrial Classification“ (ISIC) der Vereinten Nationen verwendet, um 2010 dagegen die heute aktuelle Version 4 (UN Statistics Division 2008). In einigen Ländern wurde zum Ende des Untersuchungszeitraums noch Version 3 verwendet. Jede dieser Versionen hat die Branchengliederung gegenüber der vorigen Fassung verändert und verfeinert.
Für meine Untersuchung habe ich die folgenden Sektoren in ISIC Revision 4 als (überwiegend) produktiv eingestuft:
A. Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei
B. Bergbau und Bodenschätze
C. Fertigung (Manufacturing)
D. Elektrizität, Gas, Dampf und Klimatechnik
E. Wasserversorgung; Kanalisation, Abfallentsorgung und Sanierungsmassnahmen
F. Baugewerbe
H. Verkehr und Lagerung
I. Beherbergung und Gastronomie
J. Informations- und Kommunikationstechnik
R. Kunst, Unterhaltung und Erholung
Die folgenden Sektoren wurden als (überwiegend) unproduktiv betrachtet:
G. Gross- und Einzelhandel; Reparatur von Kraftfahrzeugen und Motorrädern
K. Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
L. Immobilienwirtschaft
O. Öffentliche Verwaltung und Verteidigung; staatliche Sozialversicherung
T. Hauspersonal in privaten Haushalten; Produktion von Waren und Dienstleistungen in Haushalten für den Eigenbedarf
U. Exterritoriale Organisationen und Körperschaften
Als unproduktiv wurden von privaten Haushalten (T), Staaten (O) und zwischenstaatlichen Organisation (U) bezahlte Beschäftigungsverhältnisse eingestuft, da hier kein Kapital verwertet wird. Ebenso der Handel (G), der selbst keinen neuen Wert generiert, sondern nur den „Händewechsel“ zwischen Geld- und Warenbesitzern organisiert sowie Branchen, in denen vorhandene Werte gemanagt, aber kein neuer Wert produziert wird (K und L).
Besonders problematisch ist die Zuordnung der restlichen Sektoren, da hier sowohl Branchen einsortiert werden, die ich als überwiegend produktiv einstufen würde, als auch überwiegend unproduktive. Da die Daten keine weitere Aufschlüsselung ermöglichen, habe ich diese Sektoren als „halbproduktiv“ gewertet, d.h. 50 Prozent der dort angesiedelten Arbeitszeiten werden als produktiv gezählt. Dies gilt für folgende Sektoren:
M. Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Tätigkeiten
N. Verwaltungs- und unterstützende Dienstleistungen
P. Bildung
Q. Gesundheits- und Sozialwesen
S. Sonstige Dienstleistungen
X. Wird nicht erläutert, bedeutet anscheinend „nicht klassifiziert“
Sofern eine Tätigkeit zur Entstehung eines Gebrauchswerts beiträgt, hängt ihre Wertproduktivität davon ab, ob sie für ein Privatunternehmen erbracht wird oder nicht:
[S]o ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Dass letztrer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältnis. (MEW 23: 532)
Da in den genannten Sektoren (insbesondere P, Q und S) sowohl staatliche als auch privatwirtschaftliche Unternehmen verbreitet sind (z.B. öffentliche und private Schulen und Bildungsinstitute), werden sie von mir als „halbproduktiv“ betrachtet. Eine genauere Aufschlüsselung, die den Umfang der privatwirtschaftlich organisierten (und damit wertproduktiven) Tätigkeiten genauer erfasst, wäre wünschenswert, kann aber auf Basis des vorliegenden Zahlenmaterials nicht erbracht werden.
In den Sektoren M und N sind sowohl produktive (z.B. in M: Architekten und Ingenieure; in N: Reinigung und Verpackung) als auch unproduktive Tätigkeiten (z.B. in M: Steuerberatung und Marketing; in N: Arbeitsämter und -vermittler, Vermietung und Leasing) zusammengefasst. Der Sektor X scheint gelegentlich als „Restkategorie“ für nicht anderweitig zugeordnete Tätigkeiten verwendet zu werden (in vielen Ländern ist er leer), weshalb keine Einstufung als „produktiv“ oder „unproduktiv“ möglich ist.
In ISIC Revision 3, der bis 2008 verwendeten vorigen Version des Standards, habe ich die folgenden Sektoren als produktiv eingestuft (in Klammern jeweils der entsprechende Sektor in Rev. 4):
A. Land- und Forstwirtschaft (Teil von A)
B. Fischerei (Teil von A)
C. Bergbau und Bodenschätze (B)
D. Fertigung (C)
E. Elektrizität, Gas und Wasserversorgung (D sowie E)
F. Baugewerbe (F)
H. Hotels und Restaurants (I)
I. Verkehr, Lagerung und Kommunikation (H sowie J)
Als nichtproduktiv gelten:
G. Gross- und Einzelhandel; Reparatur von Kraftfahrzeugen, Motorrädern und Haushaltsgegenständen (G)
J. Finanzdienstleistungen (K)
K. Immobilien und Vermietung (L)
L. Öffentliche Verwaltung und Verteidigung; staatliche Sozialversicherung (O)
P. Hauspersonal in privaten Haushalten (T)
Q. Exterritoriale Organisationen und Körperschaften (U)
Als halbproduktiv gelten:
M. Bildung (P)
N. Gesundheitswesen und Sozialarbeit (Q)
O. Andere Dienstleistungen (M, N, S)
X. Nicht klassifiziert (X)
In der bis 2002 genutzten Revision 2 werden noch weniger Sektoren unterschieden, die mit Nummern statt Buchstaben bezeichnet werden (in Klammern jeweils der entsprechende Sektor in Rev. 4). Als überwiegend produktiv betrachte ich dabei:
1. Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei (A)
2. Bergbau und Bodenschätze (B)
3. Fertigung (C)
4. Elektrizität, Gas und Wasser (D, E)
5. Baugewerbe (F)
7. Verkehr, Lagerung und Kommunikation (H, J)
Überwiegend unproduktiv:
8. Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Immobilienwirtschaft und Wirtschaftsdienstleistungen (K, L)
Halbproduktiv:
6. Gross- und Einzelhandel, Hotels und Restaurants (G, I)
9. Dienstleistungen jeder Art (M, N, O, Q, S, T, R, U)
0. Nicht zugeordnete Aktivitäten (X)
Die ILO stellt Statistiken für mehr als 200 Staaten bereit, doch alle diese Daten auszuwerten wäre unpraktisch gewesen. Deshalb habe ich mich auf die 40 Länder mit dem grössten Bruttoinlandsprodukt beschränkt (nach Wikipedia 2014a; verwendet wurde die Liste der Vereinten Nationen für 2012). Zusammen haben diese Staaten 90,2 Prozent des Bruttoweltprodukts erwirtschaftet (im Jahr 2012). Meine Annahme ist dabei, dass diese 90 Prozent ausreichen, um einen guten Einblick in die weltweite Entwicklung zu nehmen.
Entwicklung der Beschäftigtenzahlen
Die folgende Tabelle zeigt, wie sich die Zahl der produktiv und unproduktiv Beschäftigten zwischen dem jeweils ersten und letzten Jahr der Statistik entwickelt hat.(1) Anzahl der produktiv und unproduktiv Beschäftigten (in Tausend)
Land
Jahr
Produktiv
Halbprod.
Unprod.
Summe Prod.
Delta Prod.
Ägypten
1980
6623,0
3049,0
126,8
8147,5
2008
14322,0
3225,0
4960,0
15934,5
195,6%
Argentinien
1996
2672,0
1345,0
3353,0
3344,5
2011
2567,0
2538,0
4033,0
3836,0
114,7%
Australien
1980
2813,0
2945,0
517,7
4285,5
2009
3111,0
3614,0
2881,5
4918,0
114,8%
Belgien
1980
1660,0
1814,0
226,0
2567,0
2011
1026,0
1523,0
1250,0
1787,5
69,6%
Brasilien
1981
26293,0
17949,0
1223,0
35267,5
2009
44266,0
12812,0
35611,0
50672,0
143,7%
Chile
1980
1513,0
1643,0
101,1
2334,5
2010
2916,0
3641,0
573,3
4736,5
202,9%
China
1987
448420,0
77320,0
2090,0
487080,0
2002
476190,0
256630,0
4580,0
604505,0
124,1%
Dänemark
1981
1033,0
1178,0
157,4
1622,0
2011
621,0
1040,0
659,0
1141,0
70,3%
Deutschland
1991
18955,0
15697,0
2796,0
26803,5
2011
8541,0
12617,0
9986,0
14849,5
55,4%
Frankreich
1980
10857,5
9247,0
1642,5
15481,0
2011
6088,0
8296,0
7576,0
10236,0
66,1%
Griechenland
1981
2380,0
1034,0
116,7
2897,0
2011
1375,0
925,0
1309,5
1837,5
63,4%
Grossbritannien
1980
11660,0
11802,0
1865,0
17561,0
2011
7226,0
11069,0
7435,0
12760,5
72,7%
Indien
1994
233029,0
20929,0
35875,0
243493,5
2010
297104,0
20364,0
56817,0
307286,0
126,2%
Indonesien
1980
37319,0
13931,0
304,0
44284,5
2008
70840,0
8341,0
23371,0
75010,5
169,4%
Iran
1982
2080,0
2865,0
80,0
3512,5
2008
13233,0
2129,0
5138,0
14297,5
407,0%
Italien
1980
11733,0
8419,0
522,0
15942,5
2011
5822,0
6238,0
6215,0
8941,0
56,1%
Japan
1980
28830,0
23350,0
3170,0
40505,0
2008
27390,0
13170,0
23270,0
33975,0
83,9%
Kanada
1980
4420,0
5269,0
1018,0
7054,5
2008
6314,0
3963,0
6912,0
8295,5
117,6%
Kolumbien
1980
7770,0
7884,0
843,4
11712,0
2010
8067,0
8078,0
1350,3
12106,0
103,4%
Malaysia
1980
3145,0
1643,0
0,0
3966,5
2010
4086,0
1817,0
3179,0
4994,5
125,9%
Mexiko
1988
15144,0
12590,0
395,0
21439,0
2008
21888,0
5381,0
16597,0
24578,5
114,6%
Niederlande
1981
2165,0
2533,0
410,0
3431,5
2011
1833,0
3766,0
1924,0
3716,0
108,3%
Nigeria
1983
12029,0
15531,0
215,0
19794,5
2004
24122,0
16714,0
146,0
32479,0
164,1%
Norwegen
1980
890,0
916,0
101,0
1348,0
2011
608,0
1033,0
566,0
1124,5
83,4%
Österreich
1983
1744,0
1240,5
173,6
2364,3
2011
1214,0
1106,0
1110,0
1767,0
74,7%
Philippinen
1980
12254,0
4592,0
308,0
14550,0
2011
21682,0
2566,0
12905,0
22965,0
157,8%
Polen
1981
14004,0
4130,0
371,5
16069,0
2011
5130,0
3359,0
4026,0
6809,5
42,4%
Russland
1990
46565,5
12802,0
15740,0
52966,5
2009
31767,0
13247,0
21943,0
38390,5
72,5%
Saudi-Arabien
1999
1899,0
1063,0
2631,0
2430,5
2009
2614,0
1387,0
4146,0
3307,5
136,1%
Schweden
1980
1895,0
2054,0
283,0
2922,0
2011
1090,0
1932,0
1006,0
2056,0
70,4%
Schweiz
1980
1425,0
1741,0
0,0
2295,5
2011
968,0
1610,0
1137,0
1773,0
77,2%
Singapur
1980
518,0
471,0
79,1
753,5
2008
607,0
267,0
665,0
740,5
98,3%
Spanien
1980
7045,0
4115,0
397,2
9102,5
2011
5248,0
4713,0
5588,0
7604,5
83,5%
Südafrika
2000
5199,0
5822,0
923,3
8110,0
2011
4593,5
6961,0
1710,5
8074,0
99,6%
Südkorea
1980
9239,0
4114,0
332,0
11296,0
2008
11493,0
4408,0
7677,0
13697,0
121,3%
Thailand
1980
18720,0
3803,0
0,0
20621,5
2011
26448,0
2902,0
9114,0
27899,0
135,3%
Türkei
1982
2471,0
2629,0
228,0
3785,5
2011
9992,0
3600,0
5805,0
11792,0
311,5%
USA
1980
39190,0
51760,0
8351,0
65070,0
2010
34096,0
54084,0
36072,0
61138,0
94,0%
Venezuela
1980
2114,0
1944,0
186,9
3086,0
2011
4780,5
6732,0
684,3
8146,5
264,0%
Ver. Arab. Emirate
1995
685,0
114,0
513,0
742,0
2008
733,0
195,5
918,0
830,8
112,0%
Summe
Anfangsjahr
1240039,8
Endjahr
1471008,8
118,6%
Insgesamt ist die Zahl der produktiv Beschäftigen um knapp 19 Prozent gestiegen, von 1240 auf 1471 Millionen (Beschäftige aus „halbproduktiven“ Sektoren wurden dabei wie erläutert zu 50 Prozent gezählt).
Im Vergleich zur Gesamtzahl aller Beschäftigen fällt dieser Anstieg allerdings vergleichsweise schwach aus. Dieser beträgt 37,2 Prozent, von 1509 auf 2071 Millionen.
Ein auffälliger Unterschied ergibt sich in der Tendenz der Entwicklung zwischen den hochentwickelten Industriestaaten Europas und den USA einerseits (wo die Zahl der produktiv Beschäftigen generell gefallen ist), und der asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen Staaten andererseits (wo sie gestiegen oder zumindest nahezu unverändert geblieben ist). Nicht in dieses Schema passen allerdings die hochentwickelten Industriestaaten Kanada und Australien, die ebenfalls eine steigende Tendenz aufweisen.
Entwicklung nach geschätzter Arbeitsproduktivität gewichtet
Lohoff und Trenkle (2012: 98ff) weisen in diesem Kontext darauf hin, dass produktive Arbeiter in Niedriglohnländern pro Kopf tendenziell weniger Wert produzieren als in Hochlohnländern, weil sie zumeist nicht auf dem „Stand der Technik“ produzieren, also mehr als die gesellschaftlich nötige Arbeitszeit leisten. Vielleicht lagert ein Unternehmen seine Produktion nach Asien oder Osteuropa aus und beschäftigt anschliessend dreimal so viele Angestellte pro Einzelstück wie vorher, zahlt aber unterm Strich aufgrund der geringeren Lohnkosten und des Einsatzes von weniger konstantem Kapital weniger als zuvor. Dann ist der Wert seiner Waren dadurch nicht gestiegen, auch wenn in jede Ware mehr Arbeitszeit einfliesst als zuvor.Um die Entwicklung der produktiven Arbeit besser nachzuvollziehen, ist es also notwendig, diese unterschiedlichen Produktivitätsniveaus zu berücksichtigen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine unscharfe Grösse, die sich nicht exakt beziffern lässt.
Denkbar wäre als Heuristik, die durchschnittlichen Lohnniveaus in einzelnen Ländern stellvertretend für ihre Arbeitsproduktivität aufzufassen. Allerdings dürfte dies meiner Einschätzung nach die in Niedriglohnländern geleistete Arbeit systematisch untergewichten, da sich die Lohnniveaus weltweit wahrscheinlich deutlich stärker unterscheiden als die Produktivität. Wahrscheinlich werden die Kapitalistinnen in Billiglohnländern zwar nicht die allerneuesten und besten Maschinen einsetzen, die bei hohen Fixkosten verhältnismässig wenig Arbeit einsparen – das lohnt sich nur in Ländern mit hohem Lohnniveau. Doch die letzte oder vorletzte Generation von Maschinen, die in Hochlohnländern schon eingemottet werden, dürfe (gegebenenfalls gebraucht) oft günstig genug sein, um sich auch in Billiglohnländern zu rechnen. Dazu kommt noch, dass besonders „berüchtigte“ Niedriglohnländer wie etwa Bangladesch in meiner Untersuchung gar nicht auftauchen, da ihr Bruttoinlandsprodukt zu klein ist, um für die weltweite Kapitalverwertung eine signifikante Rolle zu spielen.
Meine Einschätzung ist deshalb, dass die Arbeitsproduktivität in Billiglohnländern zwar vielleicht um 20, 40 oder 60 Prozent unter der hochindustrialisierter Länder liegt, sich aber nicht um Grössenordnungen von letzter unterscheidet. Für die folgende Tabelle habe ich diese Annahme so umgesetzt, dass die Einstufung der Länder im Human Development Index (HDI) der UN zur Abschätzung der Arbeitsproduktivität herangezogen wurde. Der HDI berechnet eine Rangfolge aller Länder anhand einer Metrik, die drei Faktoren kombiniert, nämlich die durchschnittliche Lebenserwartung, die Schulbesuchsdauer sowie das Bruttonationaleinkommen pro Kopf. Die Rangfolge wird zudem in vier gleichgrosse Teile (Quartile) unterteilt (vgl. Wikipedia 2014b).
Für die Auswertung habe ich die Arbeitsproduktivität aller Länder aus dem ersten Quartil („sehr hohe menschliche Entwicklung“) als ungefähr gleich eingeschätzt. Sie wird voll gezählt, also zu 100 Prozent. Dazu gehört mehr als die Hälfte der untersuchten Länder. Die Arbeitsproduktivität im zweiten Quartil wurde im Vergleich dazu auf 80 Prozent angesetzt – dies gilt für zehn Länder in der Liste, darunter China. Zu 60 Prozent wird das dritte Quartil gezählt, dem nur noch fünf Länder angehören, u.a. Indien. Aus dem vierten Quartil hat es nur ein Land in die Liste geschafft, nämlich Nigeria – seine Produktivität wird auf 40 Prozent geschätzt.
Die folgende Tabelle zeigt das Bild, das sich ergibt, wenn man die Anzahl der Beschäftigten wie beschrieben nach der geschätzten Arbeitsproduktivität gewichtet. Auch so ergibt sich insgesamt eine Zunahme der produktiven Arbeit, allerdings etwas geringer als ohne die Gewichtung, nämlich um gut 15 statt knapp 19 Prozent. Der Unterschied fällt vergleichsweise klein aus, da 60 Prozent der untersuchten Länder (24 von 40) zum ersten Quartil des HDI gehören und daher als „auf dem Stand der Technik“ produzierend eingeschätzt werden.
(2) Anzahl der Beschäftigten gewichtet nach Entwicklungsstand (HDI)
Land
Jahr
Summe Produktiv
Gewicht
Gewichtete Summe
Ägypten
1980
8147,5
60%
4888,5
2008
15934,5
60%
9560,7
Argentinien
1996
3344,5
100%
3344,5
2011
3836,0
100%
3836,0
Australien
1980
4285,5
100%
4285,5
2009
4918,0
100%
4918,0
Belgien
1980
2567,0
100%
2567,0
2011
1787,5
100%
1787,5
Brasilien
1981
35267,5
80%
28214,0
2009
50672,0
80%
40537,6
Chile
1980
2334,5
100%
2334,5
2010
4736,5
100%
4736,5
China
1987
487080,0
80%
389664,0
2002
604505,0
80%
483604,0
Dänemark
1981
1622,0
100%
1622,0
2011
1141,0
100%
1141,0
Deutschland
1991
26803,5
100%
26803,5
2011
14849,5
100%
14849,5
Frankreich
1980
15481,0
100%
15481,0
2011
10236,0
100%
10236,0
Griechenland
1981
2897,0
100%
2897,0
2011
1837,5
100%
1837,5
Grossbritannien
1980
17561,0
100%
17561,0
2011
12760,5
100%
12760,5
Indien
1994
243493,5
60%
146096,1
2010
307286,0
60%
184371,6
Indonesien
1980
44284,5
60%
26570,7
2008
75010,5
60%
45006,3
Iran
1982
3512,5
80%
2810,0
2008
14297,5
80%
11438,0
Italien
1980
15942,5
100%
15942,5
2011
8941,0
100%
8941,0
Japan
1980
40505,0
100%
40505,0
2008
33975,0
100%
33975,0
Kanada
1980
7054,5
100%
7054,5
2008
8295,5
100%
8295,5
Kolumbien
1980
11712,0
80%
9369,6
2010
12106,0
80%
9684,8
Malaysia
1980
3966,5
80%
3173,2
2010
4994,5
80%
3995,6
Mexiko
1988
21439,0
80%
17151,2
2008
24578,5
80%
19662,8
Niederlande
1981
3431,5
100%
3431,5
2011
3716,0
100%
3716,0
Nigeria
1983
19794,5
40%
7917,8
2004
32479,0
40%
12991,6
Norwegen
1980
1348,0
100%
1348,0
2011
1124,5
100%
1124,5
Österreich
1983
2364,3
100%
2364,3
2011
1767,0
100%
1767,0
Philippinen
1980
14550,0
60%
8730,0
2011
22965,0
60%
13779,0
Polen
1981
16069,0
100%
16069,0
2011
6809,5
100%
6809,5
Russland
1990
52966,5
80%
42373,2
2009
38390,5
80%
30712,4
Saudi-Arabien
1999
2430,5
100%
2430,5
2009
3307,5
100%
3307,5
Schweden
1980
2922,0
100%
2922,0
2011
2056,0
100%
2056,0
Schweiz
1980
2295,5
100%
2295,5
2011
1773,0
100%
1773,0
Singapur
1980
753,5
100%
753,5
2008
740,5
100%
740,5
Spanien
1980
9102,5
100%
9102,5
2011
7604,5
100%
7604,5
Südafrika
2000
8110,0
60%
4866,0
2011
8074,0
60%
4844,4
Südkorea
1980
11296,0
100%
11296,0
2008
13697,0
100%
13697,0
Thailand
1980
20621,5
80%
16497,2
2011
27899,0
80%
22319,2
Türkei
1982
3785,5
80%
3028,4
2011
11792,0
80%
9433,6
USA
1980
65070,0
100%
65070,0
2010
61138,0
100%
61138,0
Venezuela
1980
3086,0
80%
2468,8
2011
8146,5
80%
6517,2
Ver. Arab. Emirate
1995
742,0
100%
742,0
2008
830,8
100%
830,8
Gewichtetes Delta
115,3%
Entwicklung der Arbeitszeiten
Die bisher verwendete Statistik KILM 4 erfasst zwar die Anzahl der Beschäftigten, sagt aber nichts darüber aus, wie lange diese im Durchschnitt arbeiten. Für die Frage nach der Entwicklung der produktiven Arbeit kommt es aber auch auf die Arbeitszeiten an, schliesslich erwirtschaftet eine Person, die 20 Prozent länger arbeitet, auch 20 Prozent mehr Wert (sofern alle anderen Bedingungen gleich sind). Zur Klärung dieser Frage wurde ergänzend KILM 7b herangezogen, das die durchschnittliche Jahresarbeitszeit (in Stunden) der Beschäftigten eines Landes erfasst.Leider wird diese Kennzahl nicht nach Sektoren aufgeschlüsselt, nur der landesweite Durchschnitt in einem bestimmen Jahr wird ausgewiesen. Zudem ist KILM 7b für viele der untersuchten Länder (insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer) gar nicht verfügbar. Betrachtet man die folgende Tabelle, stellt man fest, dass (soweit die Statistik vorliegt) zwar fast generell ein Rückgang der Stundenzahlen feststellbar ist, aber je nach Entwicklungsstand des Landes auf unterschiedlichem Niveau. In den hochentwickelten Ländern aus dem ersten Quartil des Human Development Index ist die Arbeitszeit im Schnitt um 8,9 Prozent zurückgegangen, von 1873 auf 1706 Stunden. In den Ländern aus dem zweiten Quartil, für die diese Statistik vorliegt, beträgt der Rückgang dagegen nur 2,2 Prozent und die durchschnittliche Arbeitszeit ist deutlich länger – 1939 Stunden zu Beginn und immer noch 1896 Stunden zum Ende der Statistik.
Auch ob diese Statistik überhaupt erfasst wird, hängt sehr stark vom Entwicklungsstand ab. Fast alle untersuchten Länder aus dem ersten Quartil erfassen diese Statistik – nur in dreien von 24 fehlt sie. Dagegen fehlt sie in 40 Prozent der Länder aus dem zweiten Quartil (4 von 10). Für die untersuchten Länder aus dem dritten und vierten Quartil liegt sie generell nicht vor.
Um diese Lücken zu schliessen, lässt sich der Durchschnitt aus den Ländern, wo die Arbeitszeit erfasst wird, als Schätzwert heranziehen, wobei aber der Entwicklungsstand berücksichtigt werden muss. Zur Abschätzung der fehlenden Kennzahlen für die Länder des ersten Quartils wurde daher der Durchschnitt der restlichen Ländern des ersten Quartils verwendet. Wo diese Statistik bei den Ländern des zweiten bis vierten Quartils fehlt, wurde der Durchschnitt der Länder aus dem zweiten Quartil herangezogen.
(3) Anzahl der produktiven Arbeitsstunden (Summen in Millionen)
Land
Jahr
Prod. Beschäftigte
Pers.stunden/Jahr
Summe prod. Std.
Delta prod. Std.
Ägypten
1980
8147,5
1938,8 (2)
15797
2008
15934,5
1895,5 (2)
30204
191,2%
Argentinien
1996
3344,5
2013
6732
2011
3836,0
1820
6982
103,7%
Australien
1980
4285,5
1830
7842
2009
4918,0
1685
8287
105,7%
Belgien
1980
2567,0
1670
4287
2011
1787,5
1577
2819
65,8%
Brasilien
1981
35267,5
1796
63340
2009
50672,0
1689
85585
135,1%
Chile
1980
2334,5
2313
5400
2010
4736,5
2068
9795
181,4%
China
1987
487080,0
1938,8 (2)
944367
2002
604505,0
1895,5 (2)
1145839
121,3%
Dänemark
1981
1622,0
1632
2647
2011
1141,0
1522
1737
65,6%
Deutschland
1991
26803,5
1552
41599
2011
14849,5
1413
20982
50,4%
Frankreich
1980
15481,0
1795
27788
2011
10236,0
1476
15108
54,4%
Griechenland
1981
2897,0
2208
6397
2011
1837,5
2032
3734
58,4%
Grossbritannien
1980
17561,0
1767
31030
2011
12760,5
1625
20736
66,8%
Indien
1994
243493,5
1938,8 (2)
472093
2010
307286,0
1895,5 (2)
582461
123,4%
Indonesien
1980
44284,5
1938,8 (2)
85860
2008
75010,5
1895,5 (2)
142182
165,6%
Iran
1982
3512,5
1938,8 (2)
6810
2008
14297,5
1895,5 (2)
27101
397,9%
Italien
1980
15942,5
1859
29637
2011
8941,0
1774
15861
53,5%
Japan
1980
40505,0
2121
85911
2008
33975,0
1771
60170
70,0%
Kanada
1980
7054,5
1826
12882
2008
8295,5
1728
14335
111,3%
Kolumbien
1980
11712,0
1976
23143
2010
12106,0
1911
23135
100,0%
Malaysia
1980
3966,5
1938,8 (2)
7690
2010
4994,5
1895,5 (2)
9467
123,1%
Mexiko
1988
21439,0
2242
48066
2008
24578,5
2250
55302
115,1%
Niederlande
1981
3431,5
1553
5329
2011
3716,0
1379
5124
96,2%
Nigeria
1983
19794,5
1938,8 (2)
38378
2004
32479,0
1895,5 (2)
61564
160,4%
Norwegen
1980
1348,0
1580
2130
2011
1124,5
1426
1604
75,3%
Österreich
1983
2364,3
1720
4067
2011
1767,0
1600
2827
69,5%
Philippinen
1980
14550,0
1938,8 (2)
28210
2011
22965,0
1895,5 (2)
43530
154,3%
Polen
1981
16069,0
1988
31945
2011
6809,5
1937
13190
41,3%
Russland
1990
52966,5
1933
102384
2009
38390,5
1973
75744
74,0%
Saudi-Arabien
1999
2430,5
1873,2 (1)
4553
2009
3307,5
1705,9 (1)
5642
123,9%
Schweden
1980
2922,0
1517
4433
2011
2056,0
1644
3380
76,3%
Schweiz
1980
2295,5
1805
4143
2011
1773,0
1632
2894
69,8%
Singapur
1980
753,5
1873,2 (1)
1411
2008
740,5
1705,9 (1)
1263
89,5%
Spanien
1980
9102,5
1912
17404
2011
7604,5
1690
12852
73,8%
Südafrika
2000
8110,0
1938,8 (2)
15724
2011
8074,0
1895,5 (2)
15304
97,3%
Südkorea
1980
11296,0
2864
32352
2008
13697,0
2246
30763
95,1%
Thailand
1980
20621,5
1938,8 (2)
39982
2011
27899,0
1895,5 (2)
52883
132,3%
Türkei
1982
3785,5
1943
7355
2011
11792,0
1877
22134
300,9%
USA
1980
65070,0
1813
117972
2010
61138,0
1778
108703
92,1%
Venezuela
1980
3086,0
1743
5379
2011
8146,5
1673
13629
253,4%
Ver. Arab. Emirate
1995
742,0
1873,2 (1)
1390
2008
830,8
1705,9 (1)
1417
102,0%
Summe
Anfangsjahr
1240039,8
2393861
Endjahr
1471008,8
2756268
115,1%
(1) Durchschnitt der Länder aus dem 1. Quartil des HDI
(2) Durchschnitt der Länder aus dem 2. Quartil des HDI
Die obige Tabelle 3 zeigt die Entwicklung der produktiven Arbeitsstunden, also die Anzahl der produktiv Beschäftigten multipliziert mit der durchschnittlichen Arbeitszeit pro Jahr. Auch hier ergibt sich noch eine leichte Zunahme der produktiven Arbeit um etwa 15 Prozent. Im Vergleich zur Zunahme der produktiven Beschäftigten fällt der Anstieg etwas geringer aus, weil die Arbeitszeit pro Person im Durchschnitt fast überall gesunken ist. Warum das so ist, wird von den Statistiken nicht erfasst, doch dürfte es mehr daran liegen, dass sich Teilzeitstellen und prekäre Jobs mit nur temporärer Beschäftigung verbreitet haben, und weniger an erfolgreichen Kämpfen der Arbeiterklasse für mehr Freizeit.
Die in Tabelle 3 dargestellten Zahlen lassen sich mit der Gewichtung aus Tabelle 2 kombinieren, um die unterschiedlich eingeschätzte Arbeitsproduktivität einzubeziehen. Im Ergebnis ergibt sich ein Wachstum der gemäss Entwicklungsstand (HDI) gewichteten produktiven Arbeitsstunden um nur noch 11,6 Prozent.
Diskussion
Unabhängig davon, welche der ermittelten Kennzahlen man verwendet: die produktive Arbeit ist in den letzten 30 Jahre gewachsen, nicht gefallen. Haben Lohoff und Trenkle (2012) also unrecht? In einem absoluten Sinne kann tatsächlich nicht die Rede davon sein, dass dem Kapital „die Arbeit ausgeht“. Betrachtet man die Entwicklung der produktiven Arbeit relativ zur Zunahme der Weltbevölkerung, ergibt sich ein anderes Bild. Im Jahr 1983 (dem durchschnittlichen Anfangsjahr der Untersuchung) lebten 4690 Millionen Menschen, 2010 hingehen 6840 Millionen (World Population Statistics 2014) – eine Zunahme um 46 Prozent. Im Vergleich dazu nimmt sich der Zuwachs der produktiven Arbeit um knapp 12 bis 19 Prozent (je nach Berechnungsmethode) sehr bescheiden aus.Intuitiv könnte man erwarten, dass die produktive Arbeit ähnlich stark wie die Weltbevölkerung wächst. Schliesslich stellen neue Menschen einerseits Arbeitskräfte dar (sofern sie ein Unternehmen profitabel einsetzen kann) und andererseits Konsumentinnen (sofern sie über Geld verfügen, was wiederum von der Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft abhängt). Dass die produktive Arbeitskraft so viel schwächer gewachsen ist als die Weltbevölkerung, weist also darauf hin, dass sich das Kapital tatsächlich schwertut, neue Verwertungsmöglichkeiten zu finden. An Arbeitskräften fehlt es nicht, also muss es wohl an Wachstumsmärkten mangeln, auf denen die zusätzlichen Arbeitskräfte produktiv genutzt werden könnten.
Oder vielleicht mangelt es gar nicht an Verwertungsmöglichkeiten, sondern an Kapital? Vielleicht verkonsumieren die Kapitalisten den Grossteil ihres neu gewonnen Kapitals lieber, statt es in produktive Unternehmungen zu stecken? Diese Erklärung des langsamen Anstiegs der produktiven Arbeit – über 27 Jahre gemittelt, lediglich 0,6 Prozent (Beschäftigtenzahlen, ungewichtet) bzw. 0,4 Prozent (Arbeitsstunden, gewichtet) pro Jahr – ist zwar denkbar, erscheint aber wenig plausibel.
Lohoff und Trenkle (2012: 68) weisen darauf hin, dass es seit der unter Margaret Thatcher und Ronald Reagan begonnenen Liberalisierung der Finanzmärkte zu einer massiven Kapitalverschiebung von der „Realwirtschaft“ in die Finanzsphäre kam. Während vorher beide Bereiche in vergleichbaren Umfang wuchsen, hat sich seitdem die „Finanzindustrie“ von der Realwirtschaft scheinbar abgekoppelt und ein Vielfaches an Kapital gebunden. Die Liberalisierung der Finanzmärkte ist dabei ihrer Ansicht nach nicht eigentlicher Auslöser dieser Entwicklung. Vielmehr eröffnete sie dem Kapital, das sich in der „Realwirtschaft“ zunehmend schwertat, profitable Anlagemöglichkeiten zu finden, einen zumindest temporären Ausweg. An Kapital hat es also nicht gefehlt, nur floss es grossteils nicht in realwirtschaftliche Unternehmen, sondern in Finanzprodukte. In der Finanzsphäre allein wird allerdings kein Wert geschaffen, obwohl sie durch Kredite an Konsumenten, Produzenten und Staaten die „Realwirtschaft“ ankurbeln und damit zur Zunahme der Wertverwertung beitragen kann.
Darauf, dass es nicht an Kapital, sondern an erfolgversprechenden Verwertungsmöglichkeiten fehlt, deutet auch hin, dass sich die Zentralbanken in den USA und Europa seit Jahren weitgehend vergeblich darum bemühen, die Wirtschaft durch die Vergabe von Krediten zu Niedrigstzinsen wieder „in Gang zu bringen“:
Die Firmen wollen gar keine Kredite – denn sie wissen nicht, wie sie das Geld investieren sollen. Die Autoren [des Buches The House of Debt, Atif Milan und Amir Sufi] behaupten das nicht einfach, sondern sie stützen sich auf bislang nicht analysierte Daten von Städten und Gemeinden, die sie in akribischer Arbeit aufgedröselt haben. (Münchau 2014)
Zwar geht dem Kapital nicht im absoluten Sinne die Arbeit aus, doch an produktiven Verwertungsmöglichkeiten scheint es sehr wohl zu mangeln. Insofern haben Lohoff und Trenkle (2012) ihre These zwar etwas zu hart formuliert, doch im Vergleich zur von Heinrich (2007) postulierten tendenziell unendlichen Ausdehnungsfähigkeit des Kapitalismus scheinen sie der Wahrheit näher zu kommen.
Nicht berücksichtigt wurde für diese Untersuchung zudem die von Lohoff und Trenkle (2012: 244f) vertretene sogenannte „Universalgüterthese“, derzufolge Softwareentwicklerinnen und andere Produzentinnen von Informationsgütern überhaupt keinen Wert produzieren. Begründet wird dies damit, dass sie keine besondere Privatarbeit verrichten (die in eine einzelne Ware fliesst), sondern allgemeine Arbeit (die tendenziell allen zugute kommt und nur durch Monopolprivilegien – „geistiges Eigentum“ – mühsam privatisiert und zu Geld gemacht werden kann). Zwar ist die Universalgüterthese meiner Ansicht nach durchaus plausibel, doch ist sie heiss umstritten (vgl. Lohoff (2007) vs. Kurz (2008)) und dürfte auch unter Marxistinnen nur von einer kleinen Minderheit akzeptiert werden.
In dieser Arbeit bin ich konservativ vorgegangen und habe die Informations- und Kommunikationstechnologien (Sektor J in ISIC Rev. 4) generell als wertproduktiv eingestuft. Würde man die Wissensproduktion dagegen als „wertlos“ (nicht wertproduktiv) einstufen, würde der Zuwachs der produktiven Arbeit in den letzten 30 Jahren wahrscheinlich nochmal um einiges kleiner ausfallen, da dieser Sektor stark an Bedeutung gewonnen hat.



