Die Antwort auf die alltägliche Apokalypse? Für eine neue anarchistische Synthese (Teil II)

Politik

ωir sind am Elend der Welt nicht Schuld. Und dennoch wissen und empfinden ωir genauso, dass ωir offen oder ganz subtil in Herrschaftsverhältnisse und Ungerechtigkeiten verstrickt sind.

Für eine neue anarchistische Synthese (Teil II).
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Für eine neue anarchistische Synthese (Teil II). Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

19. August 2020
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Diese Beschreibung ist aber eine Bestandsaufnahme und keine Moralpredigt. ωir wissen, wie es um diese Welt bestellt ist. Wenn es an etwas nicht mangelt in dieser Gesellschaft des allgemeinen Mangels, dann an Information. (Ob ωir lernen, die relevanten herauszufiltern, ist freilich eine andere Frage). ωir wissen auch, dass ωir die allgemeine Misere nicht alleine oder mit wenigen verändern können. Allerdings ist bei ʋns jeder Glaube an die Reformierbarkeit dieses Herrschaftsgefüges von Kapitalismus, Staat, Patriarchat, Nation und der Unterwerfung der Mitwelt erloschen.

Die soziale Revolution ist daher für ʋns keine vermeintlich radikale Phrase oder (nur) ein von Sehnsucht beladener Bezugspunkt, sondern eine naheliegende Konsequenz. Für die soziale Revolution einzutreten, Stück für Stück auf sie hinzuarbeiten, sie zugleich heute schon zu leben, ist eine logische Schlussfolgerung aus dem, was ωir sehen, hören, denken, fühlen. Dabei wissen ωir, dass sie nicht mit einem grossen Streich durch eine Avantgarde „gemacht“ werden kann, sondern, dass die neue Gesellschaft in der Schale der alten, in einem langen und mühevollen Prozess durch verschiedene Gruppen zu erarbeiten und zu erkämpfen ist. Die Grundgedanken der sozialen Revolution sind so alt wie wahr.

Einige Eckpunkte der Sozialen Revolution

• Enteignung der Reichen durch eigenmächtiges Handeln
• Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, Boden und Kapital (keine Kollektivierung von „persönlichen Dingen“, vor allem Zahnbürsten und Lieblingspullies)
• Erlassung aller Schulden und Abschaffung der Erbschaft (abgesehen von persönlichen Dingen mit Erinnerungswert)
• Abschaffung von Polizei, Militär und Geheimdiensten
• Organisierung der Verteidigung gegen die Reaktion und ihre möglichst gewaltarme Niederhaltung
• Kollektivierung der Produktion, Dienstleistung und Landwirtschaft durch Betriebsräte; Angebote an frühere Chefs und leitende Angestellte gleichberechtigte Mitglieder im Kollektiv zu sein
• die Verkürzung des Arbeitstages auf maximal 4 Stunden gesellschaftlich notwendiger Tätigkeiten; Abschaffung des Lohnsystems
• Abschaffung gesellschaftlich sinnloser Arbeit („Bullshit-Jobs“)
• freier, kostenloser und bedingungsloser Zugang zu Nahrungsmitteln, medizinischer Grundversorgung, Bildung für alle; Versorgung der Alten, Kranken und Gehandicapten
• Einrichtung von Konsumgenossenschaften, Kleidungskontoren, öffentlichen Werkstätten, Poli-Kliniken
• kostenloser Nahverkehr und Ausbau umweltverträglicher Massenverkehrsmittel bei gleichzeitiger Begrenzung des (erdölbasierten) Individualverkehrs und Flugverkehrs
• gleiches Mitspracherecht aller Berufsgruppen in Krankenhäusern, Verkehrsbetrieben, Logistikzentren etc.
• sinnvolle Verteilung von Reproduktions- und Carearbeiten, unabhängig von Geschlecht
• Abschaffung der direkten und indirekten Sklaverei
• Kollektivierung und Nutzung von Medienanstalten; keine Zensur, aber Beeinflussung der Massenkommunikation
• Entmachtung der Mächtigen durch selbstorganisierte Aktionen
• die Einrichtung eines Systems dezentraler, kommunaler Selbstverwaltungen und ihre Föderation; Wahl von Mandats- und Amtsträgern auf ein bis zwei Jahre bei steter Gewährleistung ihrer Abberufbarkeit (mindestens 50% nicht-männlich); Dokumentation ihrer Tätigkeit, Rechenschaftspflichtigkeit und Verhinderung jeglicher Privilegierung durch Tätigkeiten in Verantwortungspositionen; Würdigung von Verantwortungsübernahme und Diensten an der Gemeinschaft
• ernste Empfehlung, vorherigen Mitglieder der herrschenden und verwaltenden Klasse (hohe Beamt*innen und Jurist*innen, hohe Politiker*innen und mächtige Unternehmer*innen) für mindestens 10 Jahre den Zugang zur Wahl auf jedes (imperative) Mandat und gewählte Amt zu verweigern
• das Recht aller, einer Kommune oder einem Kollektiv beizutreten oder sie/es zu verlassen; keine Pflicht einer Kommune/ eines Kollektivs, Mitglieder aufzunehmen, welche ihre Grundprinzipien nicht teilen; das Recht aller Kommunen/ Kollektive, Mitglieder, die wiederholt gegen Grundprinzipien verstossen auszuschliessen, ohne jedoch ihre Vergehen weiter zu ahnden
• Schutz vor Gewalt und Übergriffen, insbesondere für alle Minderheiten, Stigmatisierten und Diskriminierten durch antifaschistische Schutzgruppen
• Entlassung aller Richter und Wahl von kommunalen Laiengerichten, die sich wechselseitig kontrollieren; Dokumentation ihrer Tätigkeiten
• Schaffung der Grundlagen eines kommunal verabschiedeten modernen Gewohnheitsrechts (mit Hilfe von Konzepten wie „transformative justice“); Abschaffung von Haftstrafen, Erniedrigung und Folter; Einrichtung umfangreicher (freiwilliger) Resozialisierungsangebote
• auf Antrag der Opfer oder ihrer Angehörigen: allein bei besonders schweren Vergehen (Mord, Vergewaltigung, grausame und schwerwiegende Gewaltanwendung) Verbannung in menschenwürdige Umgebung auf 5 bis 30 Jahre bei jährlicher Prüfung einer möglichen Rückkehr in die alte oder eine andere Gemeinschaft (mit deren Zustimmung)
• bei besonders schweren Vergehen von Gefangenen (der alten Gesellschaft): Verbannung (s.o., nie jedoch länger als Hälfte der verbliebenen Haftstrafe); Befreiung aller übrigen Gefangenen
• Übernahme des Bildungswesens; eigene Wahl der Lehrinhalte unter entscheidender Einbeziehung der heranwachsenden Menschen; Einrichtung der Gesamtschule; Abschaffung der Schulpflicht; Abschaffung von Eliteuniversitäten; Förderung des Zugangs zu allen Bildungswegen und der Allgemeinbildung durch Hochschulen für alle Lebensalter
• besonderer Schutz von heranwachsenden Menschen und die frühe Förderung von Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein, Gemeinschaftsbewusstsein und Sensibilität
• Herstellung antinationaler Solidarität und Aufbau globaler freundschaftlicher und solidarischer Beziehungen durch gewählte Delegierte
• kollektive Erarbeitung einer neuen Kultur und Ethik, die sich auf Gleichberechtigung, Respekt, Solidarität, Individualität und ein Leben ohne Ausbeutung von nicht-menschlichen Tieren oder die Zerstörung der nicht-menschlichen Mitwelt gründet
• gezielte Förderung der (Fähigkeit zur) Selbstbestimmung bei Sexualität und Drogengebrauch
• gezielte Förderung aller freiwilligen Vereinigungen, die sich der Renaturierung des Planeten, dem kulturellen Austausch, der allgemeinen Bildung, der digitalen Vernetzung und freien Software und sonstiger Weiterentwickelungen zum Wohl Aller
• Freiheit der Religionsausübung bei Abschaffung jeglicher Förderung von Religionsgemeinschaften und ihren Institutionen
• Abschaffung jeglicher Förderung der bürgerlichen Ehe und Aufhebung ihres Status' als Institution der Gesellschaft; Gewährleistung der Betreuung von kleinen heranwachsenden Menschen

Viele Details könnten in dieser Programmatik ausgearbeitet werden. Dies ist jedoch Angelegenheit der jeweiligen Kommunen und Assoziationen, welche sich diesen Grundlinien anschliessen und die Anarchie verwirklichen wollen. Bei den umfassenden gesellschaftlichen Umwälzungen wird sich zeigen, welche Aufgaben sich konkret stellen. Und zwar denen, die sie betreffen. Ohnehin war es nie und ist es nicht Sache und Aufgabe der Anarchist*innen eine zukünftige Gesellschaft am Reissbrett zu entwerfen.

Deswegen stellen die aufgelisteten Punkte auch kein umfassendes Programm dar, dem mensch einfach folgen bräuchte, welches also einfach nur abgearbeitet und durchgeführt werden könnte. Sie weisen lediglich in die Richtung, in welche es – aus vielen guten Gründen und Erfahrungen – gehen müsste, wenn ωir umschreiben, was Anarchie als gesellschaftliche Ordnung ausmacht. Sicherlich sind viele weitere gute Punkte zu ergänzen. Manch eine*r hält es dagegen vielleicht für problematisch schon so ins Detail zu gehen. ~ Worum es geht, ist, Orientierung zu gewinnen.

Und diese Orientierung muss von dem Kontext ausgehen, in dem ωir stehen und von den Bedingungen, denen dieser unterliegt. Alles andere wäre nur Gefasel. Gesellschaftsformen unterscheiden und verändern sich. Dies trifft auch auf Herrschaftsformen zu. Deswegen wäre es irre, demokratische und soziale Rechte pauschal abzulehnen – auch wenn sie uns gewährt werden und ωir mit staatsbürgerlichen Pflichten grosse Probleme haben. Denn sie wurden von ʋnseren Vorgänger*innen in bitteren und langen Auseinandersetzungen erkämpft. Dies sollten ωir würdigen und zum Ausgangspunkt nehmen.

Es kommt eben ganz auf die gesellschaftliche Position an, wem ωir welches Handeln empfehlen können. Beispielsweise wäre es völlig fehl am Platz, Menschen aus anderen Ländern nicht in ihrem Bestreben zu unterstützen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Das Konzept Staatsbürgerschaft abzulehnen, ist nämlich ein Privileg derer, die in eine hochwertige Staatsbürgerschaft hineingeboren wurden. Umgekehrt müssen Menschen in ihrer politischen Sozialisation nicht „erst einmal“ eine Phase durchmachen, in der sie etwa in Parteijugendorganisationen sind, „bevor“ sie Anarchist*innen werden. Sie können es gleich werden, wenn sie freundlich angesprochen und eingebunden werden – was aber auch bedeutet, dass sie mit ihren demokratischen Illusionen brechen.

Nur, weil viele Menschen heute die Überlegung zur sozialen Revolution für „unrealistisch“ halten, heisst das nicht, dass sie nicht Wahrheit beinhaltet. Es waren immer überzeugte Minderheiten, die gesellschaftliche Entwicklungen vorangebracht haben (im Guten, wie im Schlechten). Realistisch erscheinen die vermeintlich so grossen Ansprüche, wenn ωir unsere Blicke weder allein auf die Makroebene der Gesellschaft „als Ganzes“ richten, noch ausschliesslich auf unsere unmittelbare Umgebung schauen und lediglich „Mikropolitik“ betreiben. Es gilt nicht nur zu beachten, dass sich beide ineinander widerspiegeln, sondern die mittlere Reichweite unseres Handlungsradius' auszukundschaften.

Ähnlich sieht es in Hinblick auf die Zeitlichkeit der Verwirklichung ʋnserer Ziele aus. ωir sollten uns weder nur auf ultimative Fernziele richten, noch allein im Hier&Jetzt agieren, sondern immer etwas über das Alltagsgeschehen hinausblicken und nach Möglichkeit Ziele auf ein, drei, fünf oder zehn Jahre abstecken. Die adäquaten Methoden und Wege lassen sich nicht abstrakt im Vorhinein bestimmen, sondern ergeben sich aus den konkreten Kämpfen sozialer Bewegungen.

Nur, weil die sozial-revolutionären Kräfte heute viel zu schwach sind, heisst dies nicht, dass sie sich nicht an einer Vision ausrichten sollten, welche ambitioniert ist und über das Bestehende hinausweist. Im Gegenteil: Nur, wenn ωir (mit vielen anderen) neue Geschichten spinnen, wie es grundlegend anders werden kann und wohin die Reise gehen soll, werden wir handlungsfähig. Dabei müssen ωir das linke Jammertal verlassen, jene ewige Identifikation mit den Verlierern und Besiegten – zumindest, wenn sie eigentlich eine Projektion unseres eigenen Ohnmachtsgefühls, blossen Mitleids oder Gerechtigkeitsbedarfs darstellt. Denn auch die Identifikation mit den Unterdrückten ist eine zugewiesene und aufgedrückte Identifikation. ʋnsere Geschichten handeln von Menschen, die frei sind, weil sie Würde besitzen und für das schöne Leben für alle kämpfen.

Nur, weil das Bewusstsein aller Menschen unter dem gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft getrübt ist und sie emotional abgefuckt sind, behindert werden und sich in psychischer Verhaftung zur Herrschaft befinden, heisst dies nicht, dass die angebrachten Punkte – nüchtern und von einer gewissen Wertebasis her betrachtet - nicht absolut vernünftig wären. Und schliesslich: Nur, weil mit der beginnenden Umsetzung des anarchistischen Programms (und sei es im ganz Kleinen) zurecht eine gewaltsame Unterdrückung seiner Träger*innen zu befürchten ist, handelt es sich dennoch nicht um ʋnsere Gewaltanwendung. Nein, die Herrschenden, ihre bezahlten Verteidiger*innen und die psychisch Deformierten, die sich mit der bestehenden Ordnung identifizieren (auch wenn sie ebenfalls unter ihr leiden) - sie wenden Gewalt an!

Träger*innen und Subjekte der sozialen Revolution

Wer aber soll die soziale Revolution durchführen? Diese Frage ist so berechtigt, wie sie mir gleichzeitig ein müdes Lächeln abverlangt. In meinen Ohren klingt sie etwa so, wie in alten Zeiten konservative Politiker*innen sozialdemokratischen Politiker*innen die rhetorische Frage an den Kopf warfen: „Wer soll das denn alles bezahlen?“, um sie vermeintlich blosszustellen, mit ihren dreimal entschärften Minimalforderungen. Allerdings stimmt es ebenfalls, dass ein alltagsanarchistisches „Wer macht, die*der macht“ ʋns nicht zum bedachten und kontinuierlichen Ausbau ʋnserer Macht führt, die für die soziale Revolutionierung erforderlich wäre. Zudem weist diese Herangehensweise meiner Ansicht nach auch nicht in die Richtung, welche meiner Vorstellung von Anarchie entspricht.

So wie es in der alltäglichen (Anti-)Politik bestimmte Gründe hat, wer die Kapazitäten, die Erfahrung, die Motivation und den Mut hat, bestimmte Aufgaben zu übernehmen, Ziele zu bestimmen und voranzugehen, so ist es auch bei der sozialen Revolution. Logischerweise – denn ωir leben sie ja bereits.

Fest steht (so felsenfest, wie je ein Typ gesagt hat, dass etwas „fest steht“, wenn er etwas fest stellt): Es braucht Zeit, Ressourcen, Wissen, Kontakte, Fähigkeiten, Erfahrungen, Initiative, Entschlossenheit, Überzeugung, Freude, Tanz und eine verbindlich zusammenhaltende, solidarische Gemeinschaft von sozialen Revolutionär*innen. Und dabei geht es um bestimmte Dinge. Zum Beispiel brauchen Sozial-Revolutionär*innen die Fähigkeit, mit sozialen Medien eine weitreichende, populäre aber dennoch emanzipierende Propaganda zu machen. Aber sie brauchen nicht die Fähigkeit, sich bei facebook oder instagram selbst besonders in Szene zu setzen.

Sie brauchen Erfahrungen in wirklichen sozialen Kämpfen, hingegen keine darin, hunderte PC-Games durchgezockt zu haben. Und sie brauchen die Entschlossenheit, eine bessere Welt zu schaffen, nicht aber dazu, Rache zu üben. Was es für die solidarische Gemeinschaft braucht, ist gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung. Was es für sie hingegen nicht braucht, sind Märtyrer*innen und Märtyrer*innenkulte. Anarchist*innen sehen beides: die „objektiven“ Bedingungen, die unsere Handlungsmöglichkeiten vorgeben und die „subjektiven“ Faktoren, welche dazu beitragen, sie auf bestimmte Weise zu nutzen – und zu erweitern. Doch da die scheinbar subjektiven Faktoren durch die scheinbar objektiven bedingt sind, die Bedingungen aber von handelnden Menschen gestaltet werden, versuchen sie diesen Widerspruch aufzulösen.

Auf welches „revolutionäre Subjekt“ können ωir ʋns also beziehen? In der aktuellen Situation lässt sich diese Frage nicht beantworten. Es ist aber auch nicht an ʋns, sie zu beantworten. Vielmehr werden sich revolutionäre Subjekte in konkreten Auseinandersetzungen zeigen. Und sie zeigen sich schon - wenn wir genau hinschauen. Die Arbeiter*innenklasse - im alten sozialistischen Sinn - kann keineswegs der alleinige Bezugspunkt sein. Schon gar nicht, wenn ihr eine „historische Mission“ angedichtet wird, die sie zu erfüllen hätte. Linksliberale formulierten eine „Identitätspolitik“, die ihre Berechtigung hat.

Die konstruierten „Minderheiten“ für „revolutionäre Subjekte“ zu erklären, ist weder richtig in der Analyse, noch fair jenen Gruppen gegenüber. Die soziale Revolution wird auch nicht woanders stattfinden, beispielsweise in den Ländern des sogenannten „Trikont“, wie die antiimperialistische Theorie behauptete. Nein, sie wird bei uns und mit ʋns stattfinden oder sie wird gar nicht stattfinden. Und zwar, weil sie zugleich in Kurdistan, Chiapas und in vielen anderen Gegenden stattfindet. Und was ist mit Studierende+Arbeiter*innen+antikolonialer Befreiungskampf, wie es 68 hiess? Auch hier haben sich die Verhältnisse verschoben. ωir können uns nicht unkritisch den alten Theorien bedienen und ihnen einfach folgen.

Auch wenn die Frage nach dem „revolutionären Subjekt“ an dieser Stelle nicht beantwortet werden kann, so kann doch festgehalten werden: 1) In jedem Fall wird die soziale Revolution nur in einem Bündnis aus ganz verschiedenen Gruppen an verschiedenen Orten möglich. 2) ʋnserem Verständnis nach ist es keine soziale Revolution mehr, wenn sie von einer Avantgarde angeführt und zentral ausgerichtet wird. 3) ʋnserem Verständnis nach zielt die soziale Revolution darauf ab, die Staatsmacht zu umgehen, anzugreifen und andere Strukturen an ihre Stelle zu setzen. 4) Jene, die von Herrschaftsverhältnissen am schwersten betroffen sind, brauchen die Unterstützung von relativ privilegierteren Gruppen, damit sie sich selbst befreien können. 5) Wenn ωir Teil der sozialen Revolution sein wollen, müssen auch ωir ʋns verändern, müssen auch ωir ʋns (kollektiv) selbst befreien. Selbstveränderung und Gesellschaftstransformation gehen dabei miteinander einher und sind nicht „nacheinander“ zu vollziehen.

Die vorweggenommene weltweite Konterrevolution

Statt der durchaus vorstellbaren sozialen Revolutionierung der Gesellschaft, der langanhaltenden strukturellen Erneuerung, die zwar nie abgeschlossen sein wird, welche aber Grade ihrer Ausdehnung und Vertiefung erkennbar werden lässt, erleben wir aktuell die weltweite Konterrevolution. Faschismus und Fundamentalismus sind weltweit in neuer und alter Gestalt auf dem Vormarsch. In den USA, Brasilien, Russland, Ungarn, Polen, teilweise auch auf den Philippinen, in Italien und Österreich, in vielen anderen Ländern, aber auch hierzulande schreitet die Faschisierung der Gesellschaft in schnellen Schritten voran.

Wie eh und je geht dieser Prozess mit der Verbreitung und Förderung von Irrationalismus, Esoterik, kruden Patchwork-Ideologien und wahnhaften Verschwörungstheorien einher, die von den Ganzmächtigen gefördert (nicht aber verursacht!) werden. Infantile und psychopathische Präsidenten und Regierungschefs kommen der politischen Kaste gerade recht, um von „Systemfehlern“ abzulenken, der systematischen Unordnung, von der sie selbst profitieren.

Die Konterrevolution erscheint in der multiplen Krise (Finanz- und Wirtschaftskrise, Krise der internationalen Beziehungen, soziale Krise, ökologische Krise, Krise in der Reproduktion, teilweise politische Krise etc.) als vorweggenommene Unterbindung, Verhinderung und Ausschaltung der sozialen Revolution. Weil das neoliberale Wirtschafts-, Gesellschafts- und Herrschaftssystem nicht mehr zu retten ist und – trotzdem es scheinbar noch so fest im Sattel sitzt - tatsächlich nur noch Abwehrkämpfe führt, bedienen sich die alten Eliten brutaler Mittel, um die Absicherung ihres gesellschaftlichen Status und ihrer Privilegien zu gewährleisten.

Gleichzeitig sehen neue politische Mächte schon lange ihre Zeit gekommen, um die durch soziale Bewegungen vehement erkämpften Errungenschaften zurückzudrehen und mit hoch modernen Mitteln (z.B. internetgestützt, durch facebook-bots oder whats-app-Bombardements) eine umfassende Reaktion einzuleiten. Daneben sind hunderte militante und bewaffnete Nazis „verschollen“ und bei der Polizei und im Militär werden nur mühsam die putschistischen Verschwörungen heruntergespielt.

Genau so wirkt Faschismus, der die Ungleichwertigkeit des Lebens propagiert und systematisch durchsetzt und durchprügelt – ob durch die Abschaffung des Asylrechts und des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch oder rassistischen und sexistischen Übergriffen. Es ist kein Zufall, dass Faschist*innen historische Bündnisse, etwa mit evangelikalen Pfingstkirchen, islamischen Fundamentalist*innen, Unternehmer*innen-Clans, autokratischen Regimen und dem weissen Post-Arbeiter*innenmob neu auflegen können.

Ihr Weltbild ist nicht einfach „konservativ“, sie treten nicht lediglich friedlich für bestimmte Werte, Lebens- oder Gesellschaftsentwürfe ein (was ωir auch niemandem verbieten würden, selbst, wenn ωir es könnten). Nein, ihr Denken und Handeln ist reaktionär, weil sie mit ihm sozialen Fortschritt aggressiv und gewaltsam rückgängig machen wollen. Wenn sie ihre Zeit gekommen sehen, werden sie etliche von ʋns abholen, einsperren und ermorden. Im Unterschied zu den progressiven Kräften, welche für die soziale Revolution stehen könnten, verfügt die Reaktion über enorme Ressourcen, Medienzugänge und hat ein relativ klares (wenn auch aus naheliegenden Gründen: wenig komplexes) Programm. Die Reaktion hat jedoch zudem eine Vision. Und diese stellt für ʋns den reinsten Albtraum dar.

Die Reaktionen der Linken

Die meisten Irgendwie-Linken reagieren mit Entsetzen, Panik oder mackerigen Sprüchen auf die Konterrevolution. Sie begreifen nicht und sie wollen nicht begreifen, was sich tatsächlich verändert hat und warum ihre alten Strategien nicht mehr aufgehen. Vor allem sträuben sie sich vor eigenen Positionierungen und ernsthaften, direkten Auseinandersetzungen. Ihr Gerede von „Gesamtscheisse“ ist nichts mehr als eine hohle Phrase. Auch von „Kommunismus“ blieb ihnen oft nur der Begriff übrig. Ihre „reine“ Negation ist eine Sackgasse, mit der sich radikale Parolen und angepasste Lebensstile verbinden lassen. Ihre erhitzten Diskussionen darüber, was „die“ Linke tun „müsste“, „könnte“, „sollte“, offenbart ihre Ratlosigkeit, und dass sie kaum von sich selbst ausgehen können.

Die meisten Sozialdemokrat*innen (in der Linkspartei und ihrem Anhang) meinen dagegen, strategisch zu handeln, wenn sie Hegemonietheorien herunterbeten und ein „linkes Mosaik“ zusammensetzen, damit sie es anführen können. Ansonsten erfreuen sie sich ihrer Bildungsprojekte und glauben mit der alten marxistischen Besserwisserei an ihre intellektuelle und moralische Überlegenheit. Auch die Feind*innen für dumm und böse und die zu repräsentierenden Subjekte (die Milieus, aus denen die Wahlstimmen stammen), für verblendet und „verunsichert“ zu erklären, ist eine Komplexitätsreduktion. Denn es heisst, ihnen nicht in die Augen zu sehen und sie nicht konfrontieren zu wollen.

Doch manche Arbeiter*innen und manche Bildungsbürger*innen sind absolut überzeugte Rassist*innen und wollen eine autoritäre Gesellschaft. Und Syriza in Griechenland hat versagt. Die Idee einer „sozialistischen“ parlamentarischen Regierung hat sich wie in einem anarchistischen Bilderbuch selbst diskreditiert und so viel kaputt gemacht. Auch Bernie Sanders ist wirklich nur ein Sozialdemokrat. Und die Labour-Party ist antisemitisch. Bessere Übel bringen uns nicht weiter.

Ⓐ Aspekte eines anarchistischen Staatsverständnis' Ⓐ

Spätestens an dieser Stelle kommen zwei Fragen auf: 1. Glauben ωir etwa, die soziale Revolution liesse sich wirklich vollständig ohne und gegen den Staat vollziehen? 2. Sind wir wirklich so naiv, utopisch, idealistisch und verbohrt?

Die Antworten zu erstens lautet: Ja. Viele andere gesellschaftliche Umwälzungsprozesse sind ebenfalls vorstellbar. Aber die soziale Revolution vollzieht sich ohne und gegen den Staat. Dennoch unterscheidet sie sich auch von blosser Revolte oder umfassenden Reformen: Sie wandelt die alte Gesellschaftsstruktur in Richtung einer neuen, anderen um, wobei sich auch die Positionen von Gruppen innerhalb der Gesellschaft grundlegend verändern. Ihre Fluchtpunkte bilden vollständige Gleichheit, soziale Freiheit, Individualität und Kooperation. Obwohl die Vorstellung grundlegend falsch ist, „der Staat“ liesse sich mit einem Schlag, bei der Erstürmung von XY abschaffen, halten ωir dennoch aufrichtig an der Überzeugung fest, dass eine gesellschaftliche Organisation ohne Staat vorstellbar und wünschenswert ist.

ωir haben staatenlose Gemeinschaften erfahren, sie genossen, kennen ihre Widersprüche und vor allem die Schwierigkeit, sie aufrechtzuerhalten in einer durchstaatlichten Welt. Damit sind nicht hauptsächlich autonome Zentren gemeint, sondern alltägliche Verhaltensweisen, wie Menschen also ihre Angelegenheiten untereinander regeln. Die Frage lautet daher weniger: „Warum bricht in der Krise eigentlich nicht alles zusammen?“, sondern eher: „Warum bleibt so viel erhalten?“. Nicht nur, weil Menschen gezwungen werden. Nicht nur, weil sie Staats-Subjekte sind. Sondern vor allem auch, weil sie – von sich aus – jeden Tag Gesellschaft erzeugen. Ganz ohne Staat.

Dies führt zur zweiten Frage. Die Antwort lautet: Nein. Viele Menschen, auch viele Anarchist*innen, kennen Teile des Staates aus eigener Erfahrung ziemlich gut. Dies ist einer der wesentlichen Gründe, ihn überwinden zu wollen. Im letzten Punkt unterscheiden ωir ʋns allerdings von einem grossen Teil der Menschen – zumal in den sogenannten Industriestaaten -, die ebenfalls viele negative Erfahrungen mit dem Staat gemacht haben, aber aus verschiedenen Gründen nicht den Schritt gehen möchten, sich von ihm loszulösen.

„Der“ Staat ist kein ominöses Monster, dem wir Kopf und Glieder abhauen könnten – wozu ωir im Übrigen nie die Macht haben werden. Staat ist selbst ein Herrschaftsverhältnis, eine Beziehung zwischen Gruppen von Menschen, eine Teilung in Herrschende und Beherrschte. Staat ist eine Logik, nach welcher wir uns verhalten und oft auch gezwungen werden, zu verhalten. Staat ist auch eine Ideologie. Eine Ideologie, die aus einer materiellen Grundlage erwächst.

Mit dem staatlichen Herrschaftsverhältnis werden die anderen Herrschaftsverhältnisse, wie der Kapitalismus, das Patriarchat, die Nation und die Unterwerfung der Mitwelt, strukturiert. Darin besteht seine Besonderheit. Deswegen formiert er sich als besondere Ansammlung von Institutionen, bringt hierarchische Kasten von Bürokrat*innen, Jurist*innen, Politiker* innen, Polizist*innen und Soldat*innen hervor. Doch auch als Institution, in der unglaublich viel Macht zentralisiert und verfestigt ist, stellt er eigentlich ein Verhältnis zwischen Menschen dar. Das politische Herrschaftsverhältnis bestand auch schon vor dem Kapitalismus, der eine moderne Form des ökonomischen Herrschaftsverhältnisses ist.

Moderner Staat und Kapitalismus wurden parallel zueinander, eigentlich sogar gemeinsam miteinander, entwickelt. Diese Entwicklung ist zwar nachvollziehbar und aus Herrschaftsperspektive „logisch“. Keineswegs ist sie jedoch wünschenswert oder „notwendig“ für den sozialen Fortschritt. Mit dem Argument, dass es Schlimmeres gab oder geben könnte, wird gerechtfertigt, dass Besseres zerstört wurde und in Zukunft verhindert werden soll. Sehr stark wurde die Form der Herrschaftsverhältnisse verändert. Ihr Wesen als hierarchisch abgestufte Einteilung von Menschen in Beherrschte/Herrschende, Ausgebeutete/Ausbeuter*innen bleibt jedoch bestehen.

Aus diesem Grund kann die Forderung „der Staat“, sollte „die Wirtschaft“ besser kontrollieren, nie über die bestehende Ordnung hinausweisen. Genau darum soll es jedoch gehen: Woanders hin zu gelangen. Und dieses Andere ist uns schon manchmal begegnet. Menschen leben (auch) schon darin, denn zwischen ihnen bestehen (auch) Beziehungen, die nicht-herrschaftsförmig sind. Daher ist die Vorstellung, Menschen könnten sich des staatlichen Herrschaftsverhältnisses bedienen, um die soziale Revolution voranzubringen und eine nicht-staatliche Gesellschaft einzurichten, naiv, utopisch, idealistisch und verbohrt.

ωir sind keine Fundamentalist*innen. Es gibt nicht „den“ richtigen Weg. Ebenfalls scheuen ωir einfache Antworten, denn ωir wissen um die gesellschaftlichen Widersprüche, weil ωir versuchen, sie auszuhalten. Im Unterschied zu vielen Irgendwie-Linken oder sozialdemokratischen Parteipolitiker*innen haben ωir nicht die Wahrheit gepachtet und mit Löffeln gefressen - ωir sind keine Sektierer*innen. Es mag eine*n Parlarmentarier*in geben mit der*dem ωir punktuell gut zusammenarbeiten können.

Der irgendwie linke Haufen in der diffusen Szene ist ʋns oft sympathisch. ωir respektieren Menschen, ihre Entscheidungen und Überzeugungen. Deswegen üben ωir Kritik an Leuten, deren Überzeugungen schwammig und deren Entscheidungen immer widerrufbar sind. ωir kritisieren, dass sie Radikalität inszenieren und dabei das, was sie meinen zu tun und im kleinen Kreis sagen und das, was sie tatsächlich tun und öffentlich sagen, so unheimlich stark auseinanderklaffen.

So ist es kein Wunder, dass Irgendwie-Linke und Sozialdemokrat*innen letztendlich dem Trugschluss verfallen, eine vermeintlich bessere Vergangenheit zu verteidigen, diese aber als etwas Neues auszugeben. Krampfhaft klammern sie sich an die Zeit, als es noch den Wohlfahrtsstaat gab, als Faschist*innen ausserhalb der Parlamente sassen, die Klimaerwärmung noch als eindämmbar galt und das weltweite Wettrüsten nicht erneut entfacht worden war. Als es noch cool war, bei der IL zu sein eben – mit einem Bein in der hierarchischen Basisgruppe, mit dem anderen auf dem Gewerkschaftsposten oder im Parteibüro. Doch diese Strategie geht nicht auf. Die alte Welt liegt schon längst in Trümmern und ωir weinen ihr nicht nach.

Aufbruch und Fluchtpunkt

An diesem Punkt kommen ωir ins Spiel. Damit ist klar, dass ich nicht das ωir meine, dass ist, sondern das ωir, dass im Werden ist. Denn ωir können Unterschiede sehen. Es geht nicht darum, dass wir irgendwen, z.B. Irgendwie-Linke, anführen sollen (ωir könnten es auch nicht) oder darum, dass wir Gesamtpläne erstellen (das halten ωir ohnehin für unmöglich und gefährlich). Und keineswegs werden ωir alleine die soziale Revolution durchführen, sondern gemeinsam mit all jenen, welche sich dazu entschliessen. Unser Beitrag besteht darin, im positiven Sinne, Enttäuschung zu verbreiten, Illusionen zu zerschlagen und gleichzeitig, eine grosse Vision zu entwickeln.

Was? Ist das nicht Augenwischerei? Ist ʋnsere Vision nicht zwangsläufig eine Illusion – zumal in diesen angeblich „nicht revolutionären“ Zeiten? Verkennen ωir nicht völlig die Bedingungen, unter denen wir zu handeln gezwungen werden - ob es ʋns passt oder nicht? Zugegeben, was ich beschreibe, ist Utopie. Es ist ein Nicht-Ort, das Noch-nicht-Seiende. Oder anders gesagt, eine Phase, in der einfach alles in Bewegung gerät. Allerdings gehen ωir davon aus, dass die Grundlagen dieser Gesellschaft schon lange vermodert sind und stinken, auch wenn Krisenbewältigungsstrategien und Austeritätspolitik das laute Krachen abdämpfen, während die Menschen weiterhin diesen Planeten und sich gegenseitig auffressen.

ωir wollen nicht in das miese Haus des widerlichen Neoliberalismus zurück und nicht in das eines langweiligen Neokeynesianismus einziehen! Wir wollen auch keinen Staatskapitalismus der „realsozialistischen“ Staaten! Und wir wollen keinen Totalitarismus wie in China, Russland oder der Türkei; keine patriarchalen Klassengesellschaften wie fast überall auf der Welt! All diese Staatsgebäude, die die Herrschaftsverhältnisse zementieren, machen uns krank. Weil ωir ʋns danach sehnen, dass deren Wände zusammenstürzen, wollen ωir ausziehen und solange umherwandern, bis ωir eines Tages ins unentdeckte Land kommen.

Dort werden ωir eine Bleibe finden, die ωir selbst gewählt und durch mühevolle, lustvolle, kämpferische, spielerische Tätigkeit gemeinsam errichtet haben. Und sie wird so neu sein, wie sie alt ist. Sie wird so fern sein, wie sie schon nah ist. Sie wird so universell sein, wie sie speziell ist. Und so ganz anders, wie ωir sie schon kennen. ωir haben sie schon erfahren, gerochen, gefühlt, gehört, gesehen und geschmeckt. Ihr Name ist Anarchie.

Zwischenreflexion

Das Meiste von dem, was ich bisher geschrieben habe, weisst du vermutlich schon. Und sicherlich weisst du ebenfalls viele weitere Dinge, die damit zusammenhängen. Vielleicht hast du auch Kritik an manchen Stellen. Das würde ich sehr begrüssen, denn mit diesen Zeilen habe ich keine Wahrheit behauptet, sondern mich auf die Suche nach ihr begeben – stets im Wissen darum, dass sie mir gerade entwischen wird, wenn ich glaube, sie zu erhaschen. Möglicherweise findest du auch, dass dieser Text viel zu kompliziert und hoch gestochen geschrieben ist, um die entscheidenden Dinge klar zu machen. Wenn du dies so siehst, verzeih mir bitte.

Da ich meine, die Dinge sind nicht sowieso schon klar, habe ich versucht, ihnen zumindest etwas auf den Grund zu gehen. Da mich diese Dinge sehr bewegen, so sehr, dass sie sich manchmal wie ein grosser Stein anfühlen und ich mich selbst gar nicht bewegen kann, habe ich versucht, sie in einer Sprache zu formulieren, die mir überhaupt erlaubt, dafür Worte zu finden. Deswegen wird es Zeit, dass ich zurück und auf den Punkt komme:

Ich habe von einem ωir geschrieben, was ich mir wünsche, wonach ich mich sehne; einem ωir, dass die soziale Revolution lebt und verwirklicht. Ich brauche selbst Sachen, die erst durch die soziale Revolution möglich werden. Genau das ist wichtig zu bedenken, damit ich dieses Bedürfnis nicht auf andere projiziere, sondern selbst, mit Anderen, sozial-revolutionär werde. Auch wenn es sich bei der sozialen Revolution um einen Prozess handelt, ist dieser Prozess kein Selbstzweck. Vielmehr zielt er darauf ab, Anarchie (oder wie immer du sie nennen magst) als gesellschaftliche Ordnung zu verwirklichen.

Diese Ordnung besteht nicht nur aus bestimmten Institutionen, Methoden, selbstgewählten Regeln und Funktionen, sondern schliesst gleichberechtigte, freiwillige, solidarische, respektvolle und gegenseitige Beziehungen ein: Die Verhältnisse, wie Wir-Alle zueinander stehen, wie wir überhaupt zueinander in Beziehung treten können. Ich formuliere dies mit einem individuellen Klang, weil wir andere Verhältnisse konkret erfahren (können) und sie bedeutungslos sind, wenn wir sie nicht konkret erfahren (könnten). Gemeint sind damit aber ganze Gruppen von Menschen nach sozialen Klassen, lokalen Zugehörigkeiten, Geschlechtsidentitäten, Interessen, Herkünften, Lebensphasen und vielem mehr...

Jonathan Eibisch

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