dgs: Nein.
PN: Darf ich Dir trotzdem ein paar Fragen stellen? dgs: Nein – jedenfalls nicht zu dem Buch. Ich kann und will mich nicht zu einem Buch äussern, das ich nicht gelesen habe. Aber Du könntest mich mit ein paar Thesen konfrontieren, von denen wir offen lassen, ob sie in dem Buch stehen, oder ob ich das Buch vielleicht ganz anders verstehen würde, wenn ich es lesen würde.
PN: Was hältst Du von der These, „Dem historischen Materialismus zufolge muss sich die Kategorie Geschlecht verändern, wenn sich die Klassenverhältnisse ändern“?
dgs: Ja, das beschreibt den Marxismus korrekt. (Mehr als den Marxismus beschreiben, macht die These ja nicht. Sie sagt nur, was „[d]em historischen Materialismus zufolge“ der Fall ist – nicht, dass es tatsächlich so sei.) Gerade diesbezüglich liegt der Marxismus aber falsch.
Die These ist meines Erachtens einerseits zu stark („muss sich […] verändern“) und andererseits zu einseitig. Einverstanden wäre ich mit: „Die Klassenverhältnisse beeinflussen das Geschlechterverhältnis, wie auch das Geschlechterverhältnis die Klassenverhältnisse beeinflusst.“
Die entscheidende Frage ist, ob wir von einer Wechselwirkung zwischen mehreren, grundlegenden (strukturellen) Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen ausgehen (das ist die Position des Feminismus von den 1960er bis 1980er Jahren, soweit dieser nicht in Umkehrung des marxistischen Klassenreduktionismus seinerseits geschlechterreduktionistisch war, sowie die intersektionale Position) oder ob wir von einem grundlegenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis – den Klassenverhältnissen – ausgehen, von denen beispielsweise das Geschlechterverhältnis „abgeleitet“ ist bzw. einseitig determiniert wird.
PN: Was hältst Du von der Formulierung der „materialistischer Querfeminismus verbindet marxistische Klassenanalyse mit queerfeministischer Kritik an Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität“? dgs: Das löst bei mir den Verdacht eines Kurzschlusses zwischen Materialismus, Marxismus und Klassenanalyse aus – also in etwa im Sinne von: die eigentlich idealistische „queerfeministische Kritik an Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität“ werde dadurch materialistisch, dass die „marxistische Klassenanalyse“ mit hineingemengt wird.
Materialismus ist aber weder an einen bestimmten Gegenstand noch an eine bestimmte (Wissenschafts-)Diszplin gebunden, sondern bezeichnet – nach richtigem Verständnis – in jeder Disziplin (so sie denn Wissenschaft ist), das ‚strenge' (nicht-voluntaristische, nicht-idealistische, ...) Verhältnis der WissenschaftlerInnen zu ihrem jeweiligen Gegenstand.
Auch die Analyse des Geschlechterverhältnisses kann materialistisch betrieben werden – aber nicht, indem es aus den Klassenverhältnissen abgeleitet wird.
PN: Und was würdest Du generell zur Bezeichnung „materialistischer Queerfeminismus“ – unabhängig von der gerade zitierten (vielleicht) zu engen Definition – sagen?
dgs: Mir scheint, bevor „materialistischer Queerfeminismus“ definiert wird, wäre sinnvoll, „Querfeminismus“ zu definieren – also z.B. die Schnittmenge von materialististischem und idealistischem „Querfeminismus“ zu festzustellen und zu klären, wie sich „Queerfeminismus“ zu „queer und feministisch“ sowie „dekonstruktivtistischem Feminismus“ sowie „Feminismus“ überhaupt verhält. Mein Problem fängt nämlich schon bei „Querfeminismus“ an – und nicht erst bei dessen Verbindung mit dem historischen Materialismus.
Ich für meinen Teil, z.B., lehne die Zusammenziehung / den Begriff „Queerfeminismus“ und das, was er gemeinhin bezeichnet, ab. Gegen „queer und feministisch“ hätte ich weniger einzuwenden; der Begriff, den ich dagegen entschieden beanspruche ist: „dekonstruktivistischer Feminismus“.
PN: Was ist denn Deines Erachtens der Unterschied zwischen dekonstruktivistischem und queerem Feminismus? Hängt das (bzw. hängen die) nicht irgendwie zusammen?
dgs: Ja, sie hingen in der Anfangszeit von queer zusammen, aber sie haben unterschiedliche Gegenstandsbereiche. Genauer gesagt, hat „queer“ einen spezifischeren Gegenstandsbereich: queer betrifft spezifisch den Bereich der Sexualitäten; Dekonstruktion ist dagegen ein allgemeiner philosophischer Ansatz, der für die Analyse unterschiedlicher Gegenstandsbereiche nützlich sein kann, aber zunächst einmal für die Analyse (philosophischer) Texte entwickelt wurde. Letzteres muss allerdings nicht heissen, dass der Ansatz nicht auch für ausserdiskursive Realitäten verwendet werden kann. PN: Und was besagt der philosophische Ansatz der Dekonstruktion?
dgs: Auf die Gefahr hin, von Derrida-ExpertInnen Haue zu bekommen, würde ich sagen: Der Dekonstruktivismus zerlegt das vermeintlich Gegebene, Natürliche, Omnihistorische etc. pp. in seine – etwaig widersprüchlichen – Bestandteile / in seine Elemente, aus denen es entstanden bzw. zusammengesetzt ist. Derrida rückt die „innere Spannungen, Gegensätze und Aporien [jener Texte] ins Zentrum“ [Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd. 2, Metzler: Stuttgart/Weimar, 2005[2], 145 - 146 [145], s.v. Dekonstruktion (Dekonstruktivismus)]. Dekonstruktion heisst, „examining the texts of philosophy with an eye to their various blindspots and contradictions“ (Routledge Encyclopedia of Philosophy. Bd. 2, Routledge: London / New York, 1998, 835 - 839 [836]). Butler spricht davon, „den substantivischen Schein der Geschlechtsidentität in die konstitutiven Akte [zu] dekonstruieren“ (Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, 60) – also zu zerlegen.
Insofern ich „zerlegt“ und „zerlegen“ sage, ist Dekonstruktivismus à la Schulze (nicht Derrida) vielleicht einfach nur die ‚Übersetzung' des
griechischen Fremdworts „analysieren“ (von griech. ἀναλύειν [analýein][2] = auflösen, zu ἀνά [aná] [= u.a. auf][3] und λύειν [lýein][4] [= lösen][5])
in das lateinisch-stämmige Fremdwort „dekonstruieren“ (zu lat. cōnstruere [1. Person Singular Präsens: cōnstruo, Partizip Perfekt: cōnstrūctum] = zusammenordnen, zu alt-lat. com [= mit, zusammen][6] + struere [= schichtweise über- oder nebeneinanderlegen, aufschichten, aneinanderfügen, errichten, ordnen][7]).
Was die etwaigen Widersprüche zwischen den Elementen des zu Dekonstruierenden anbelangt, so sagt Derrida:
„Man könnte […] alle Gegensatzpaare wieder aufgreifen, [...], um an ihnen nicht etwa das Erlöschen des Gegensatzes zu sehen, sondern eine Notwendigkeit, [...].“ Die différance „stiftet zur Subversion eines jeden Reiches an.“[8]
Hört sich das nicht ziemlich nach Lenin an, der seinerseits sagte:
„Die Einheit (Kongruenz, Identität, Wirkungsgleichheit) der Gegensätze ist bedingt, zeitweilig, vergänglich, relativ. Der Kampf der einander ausschliessenden Gegensätze ist absolut, […].“
(LW 38, 338 - 344 [339]; Zur Frage der Dialektik)
Falls ich noch ein bisschen zu „dekonstruieren“ = „analysieren“ kalauern darf:
die kritische ‚Moderne' (einschliesslich des Marxismus) hat ‚aufgelöst' – analysiert;
die kritische ‚Postmoderne' (einschliesslich des strukturalen Marxismus von Althusser u.a.) ‚zerlegt' – dekonstruiert,
und die affirmative ‚Moderne' (einschliesslich des Hegelianismus und derjenigen, die Marxismus mit Hegelianismus verwechseln) haben synthetisiert und totalisiert.
PN: Und was ist nun mit queer?
dgs: queer war zunächst das Aufgreifen der ‚zerlegenden' (dekonstruktivistischen) Herangehensweise auf dem Feld der Sexualitäten, und der dekonstruktivistische Feminismus der frühen Judith Butler war das Aufgreifen der ‚zerlegenden' (dekonstruktivistischen) Herangehensweise auf dem Feld der Geschlechter(verhältnisse). Es wurde gezeigt: Sexuelle Identitäten und der Geschlechterbinarismus sind nicht omnihistorische Gegebenheiten, sondern historisch-gesellschaftlich produziert:
„Beauvoir stellt fest, dass man zwar zur Frau ‚wird', aber dass dies stets unter gesellschaftlichem Druck geschieht. […]. Im ersten Band von Sexualität und Wahrheit legt Foucault dar, dass die eindeutige Konstruktion des ‚Sexus' (d.h., man ist sein eigenes Geschlecht und nicht das andere) […] im Dienste der gesellschaftlichen Regulierung und Kontrolle der Sexualität produziert wird, […].“
(Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, 26, 143; kursive Hv. i.O.; fette Hv. hinzugefügt)
Erst im 19. Jahrhundert wurden bestimmte Handlungen zum Ausdruck einer Identität bzw. Persönlichkeit: „Die Sodomie – so wie die alten zivilen oder kanonischen [kirchlichen] Rechte sie kannten – war ein Typ von verbotener
(Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1998[10], 58; Hv. hinzugefügt)
Nicht alle Gesellschaften haben die graduelle Vielfalt von sexuellen Merkmalen, Eigenschaften[11] und Verhaltensweisen auf nur zwei Geschlechter reduziert, und die Gesellschaften, die diese Reduktion nicht vornahmen, wurden damit – wenn auch nur im Ergebnis – trotz weniger biologischen Kenntnissen – nicht nur der gesellschaftlichen, sondern auch der biologischen Realität mehr gerecht. Der Geschlechterbinarismus war freilich nicht nur „falsches Bewusstsein“, sondern ging mit einer tatsächlichen Formierung der Individuen zu Angehörigen eines von zwei Geschlechtern einher: „Es ging nie darum, dass ‚alles diskursiv konstruiert ist'; diese Aussage, wenn und wo immer sie gemacht wird, gehört zu einer Art von diskursiven Monismus oder Linguistizismus. Er bestreitet die konstitutive Kraft des Ausschlusses, der Auslöschung, der gewaltsamen Zurückweisung und Verwerflichmachung [abjection] […].“[12]
dgs: Ja, ich würde sagen: queer hat sich schon früh von dekonstruktivistischer Essentialismus-Kritik zu essentialistischem Identitätskult gewandelt: von „Geschlecht und Sexualität sind gesellschaftlich produziert“ zu „Geschlecht und Sexualität sind meine Wahl, Ausdruck meines inneren Wesens“. Der mittel-alte Foucault und die junge Butler hätten sich die Haare gerauft. Denn Butlers These in Gender Trouble war:
„[…] die Geschlechtsidentität [im englischen Original stand allerdings gar nicht gender identity, sondern gender.[13] Es wäre also – wenn schon Übersetzung – besser mit Geschlecht übersetzt worden.[14] dgs] ist ein Tun, wenn auch nicht das Tun eines Subjekts, von dem sich sagen liesse, das es der Tat vorangeht. […]. Wenn die Attribute der Geschlechtsidentität[15] nicht expressiv, sondern performativ sind, wird die Identität, die sie angeblich nur ausdrücken oder offenbaren sollen, in Wirklichkeit durch diese Attribute konstituiert.“
(Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, 49, 207)
„es [gibt …] kein Subjekt […], das ‚vor' dem Gesetz steht“. Die Subjekte werden vielmehr „in Übereinstimmung mit den Anforderungen d[…]er Strukturen gebildet, definiert und reproduziert“[16].
(ebd., 17, 16)
Entsprechend hat Foucault von Subjektivierung[17] gesprochen – die Individuen sind nicht von Natur aus Subjekte, sondern sie werden subjektiviert.
Bereits wenige Jahre später wurde die gegenteilige These in der queer-Szene hegemonial: Die Geschlechtsidentität ist die Tat – die Wahl – eines Subjekts, das dieser Wahl vorausgeht und das mit seiner Wahl sein Selbst ausdrückt und nicht etwa gesellschaftlich determiniert ist.
PN: Und was sagst Du zu „Identitätspolitik“?
dgs: „Identitätspolitik“ ist inzwischen zu einer marxistisch-sozialdemokratisch-afd-istische Allerweltsbezeichnung für alles, was nicht deutsch- und/oder arbeitertümelnde Identitätspolitik ist (ja, mal wieder: „Die grössten Kritiker der Elche, sind selber welche.“), geworden. Beim Aufkommen von queer und dekonstruktivistischem Feminismus war Identitätspolitik dagegen spezifische Bezeichnung für die biologistische und kulturalistische Strömung im Feminismus (nicht: für den Feminismus) der 1980er Jahre[18] und entsprechende Strömungen unter Schwarzen und Schwulen. Butler kritisierte in diesem – essentialistischen – Sinne verstandenene Identitätspolitik:
„Die fundamentalistische Argumentation der Identitätspolitik tendiert zu der Annahme, dass zuerst eine Identität da sein muss, damit die politischen Interessen ausgearbeitet werden können und dann das politische Handeln einsetzen kann. Meine These ist dagegen, dass es keinen ‚Täter hinter der Tat gibt', sondern dass der Täter in unbeständiger, veränderlicher Form erst in und durch die Tat hervorgebracht wird.“
(Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, 209)
PN: Was hältst Du von der These, unbezahlte Haus- und Sorgearbeit werde abgewertet und besonders von FLINTA verrichtet?
dgs: Wenig – von beiden oder allen Teilen der Doppel- oder Dreifach-These:
Die These, dass Haus- und Sorgearbeit unbezahlt sei, ist eine Erfindung einer bestimmten Variante der Nebenwiderspruchstheorie, die beweisen möchte, dass das patriarchale Geschlechterverhältnis kapital-nützlich sei.
In Wirklichkeit ist innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit zwar unentlohnt (findet also ausserhalb des Lohnarbeit-Kapitalverhältnisses statt – also nix von wegen „Totalität“), aber nicht unbezahlt – der Ehegattenunterhalt[19] muss (mit entsprechenden Auswirkungen auf das Lohnniveau von Männern) genau deshalb bezahlt werden, damit die Person, die den Unterhalt erhält, die innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit leistet / leisten kann (und etwaig weniger oder gar keine Erwerbsarbeit leistet / leisten kann).
Dass die innerfamiläre Arbeit – jedenfalls in heutigen Gesellschaften – vor allem Cis-Frauen zugewiesen wird, kann nicht aus dem Lohnarbeits-Kapital-Verhältnis erklärt werden, sondern hat seine interne Ursache im patriarchalen Geschlechterverhältnis – und dies beeinflusst den Kapitalismus. Letzter ist insoweit das Objekt – nicht: das Subjekt – der Beeinflussung.- Damit sind wir bei dem nächsten Element der Dreifach-These: Dass vor allem Cis-Frauen innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit zugewiesen wird, ist gut erforscht; dass auch „-INTA“ (Intersexuelle, Non-Binäre, Transgender und Agender) beim Klo und Kinderpopos putzen an vorderster Front stehen, würde ich gerne erst einmal bewiesen sehen, bevor ich es glaube. Ich hatte um die Jahrtausendwende versucht, die Arbeitsteilung in Haushalten und Beziehungen, an denen (mindestens) eine transgender-Person beteiligt ist, zu untersuchen.[20] Viel hatte ich nicht herausgefunden[21]; aber ich war auf einige Indizien gestossen, dass es sowohl MzF- als auch FzM-transgender verstehen, ihre männlichen Sozialisation-Anteile zu nutzen, um sich insoweit von Cis-Frauen zu unterscheiden[22]. Ich habe daher den Verdacht, dass FLINTA in Bezug auf Haus- und Sorgearbeit eine unangemessene Verallgemeinerung ist.
- Schliesslich: Haus- und Sorgearbeit ist zwar schlecht bezahlt; angesichts pronatalistischer Politik habe ich aber Zweifel, ob sie auch ideologisch abgewertet wird.
dgs: Nein.
PN: Hast Du trotzdem eine Meinung zur These, dass der Kapitalismus spezifisch ausbeutet, je nach Identität und Kategorisierung.
dg: Ja.
PN: Verrätst Du sie mir?
dg: Ja. Das scheint mir eine weitere Variante der marxistischen Nebenwiderspruchs-Theorie zu sein: Der Kapitalismus sei der Hauptwiderspruch, der ausbeute, und die „Identität[en] und Kategorisierung[en]“ seien die Nebenwidersprüche.
Herrschaft und Ausbeutung im Geschlechterverhältnis erfolgen aber in Wirklichkeit nicht durch „den Kapitalismus“, sondern durch das herrschende Geschlecht – also (Cis-)Männer. Sie haben den Machtvorteil daraus, dass der Ehegatten-Unterhalt zunächst durch ihre Taschen fliesst und sie konsumieren einen Teil der innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit (auch des – grossen – Teils der innerfamiliäre Haus- und Sorgearbeit, die sie – die Männer – nicht leisten). Sie haben den Vorteil aus der geschlechtshierarchischen Teilung der Erwerbsarbeit und der Frauenlohndiskriminierung (dem gender pay gap).
Ausserdem ist der meines Erachtens unzutreffende Gedanke auch noch schief ausgedrückt: Wenn überhaupt, dann beutet nicht „der Kapitalismus“, sondern die kapitalistische Klasse aus.
PN: Sind Frauen und Männer Klassen oder ist auch diese These Deines Erachtens unzutreffende „Nebenwiderspruchstheorie“?
dgs: Nebenwiderspruchstheorie ist diese These nicht, denn sie ordnet die Geschlechter ja nicht den Klassen im marxistischen Sinne unter, sondern ordnet sie – durch Gleichbezeichnung – den Klassen im Sinne des Marxismus gleich. Insofern ist mir die These durchaus sympathisch.
Aber mir scheint es kein guter (präziser) Sprachgebrauch zu sein, das gleiche Wort für zwei unterschiedliche Gegenstände (Klassen im marxistischen Sinne einerseits und Geschlechter andererseits) zu verwenden.
Statt den marxistischen Klassenreduktionismus dadurch zu unterlaufen, dass auch Geschlechter (und vielleicht auch die verschiedenen rassifizierten gesellschaftlichen Gruppen) „Klassen“ genannt werden, erscheint mir sinnvoller, den Nebenwiderspruchs-Marxismus frontal anzugreifen und zu sagen: Der Kapitalismus und die Klassen sind nicht das Ganze und erst recht nicht das Totale![23] Gesellschaftsformationen sind nämlich keine Totalitäten, sondern komplex-gegliederte Ganzheiten.[24] Arbeitsteilung, Ausbeutung und Herrschaft entlang der Linie von race, class und gender beeinflussen sich wechselseitig, aber sind nicht auseinander ableitbar.
PN: Hast Du noch eine provozierende These auf Lager?
dgs: Wenn du schon so fragst, will ich mich nicht lumpenlassen:
Sowohl „Queerfeminismus“ als auch „materialistischer Feminismus“ im heutigen Sinne sind Anti-Feminismus (sofern unter „Feminismus“ nicht – wie es m.E. falsch ist – die „Frauenfrage“, sondern – wie es m.E. richtig ist – jene spezifische Theorieformation und politische Bewegung der 60er- bis 80er Jahre verstanden wird, die den Begriff „Feminismus“ in der BRD überhaupt erst weit verbreitet / üblich gemacht hat[25][, 26]):

Feminsmus und Frauenfrage.
Der „Queerfeminismus“ macht das Patriarchat zum Nebenwiderspruch der Transphobie
undder „materialistische Feminismus“ im heutigen Sinne macht das Patriarchat zum Nebenwiderspruch der (kapitalistischen) Klassenverhältnisse.
Indem Christine Delphy den Begriff der häuslichen Produktionsweise einführte, um das patriarchale Geschlechterverhältnisse zu analysieren[28], und die Geschlechter selbst zu Klassen erklärte[29], brach sie mit der marxistischen Vorstellung, das Geschlechterverhältnis aus dem Lohnarbeits-Kapital-Verhältnis, aus dem Verhältnis zwischen der Klasse der Lohnabhängigen und der Klasse der KapitalistInnen oder überhaupt aus den Klassenverhältnissen im marxistischen Sinne abzuleiten. Indem Monique Wittig von der ‚suppression of men as class' sprach:
„Our fight aims to suppress men as class, not through genocidal, but a political struggle. Once the class ‚men' disappears, ‚women' as a class will disappear as well, for there are no slaves without masters.“
(Monique Wittig, One is not born a woman [1981], in: dies., The Straight Mind, Beacon Press: Boston, 1992, 9 - 20 [14]),
brach sie mit der Vorstellung, die „Diktatur des Proletariats“, der Sozialismus oder überhaupt die LohnarbeiterInnenbewegung werde die „Befreiung der Frau“ bringen.
PN: Friederike Beier beruft sich doch aber auf den französischen, materialistischen Feminismus…
dgs: Das mag sein. Ich habe das Buch – wie eingangs gesagt – nicht gelesen. Ich habe hier nicht das Buch von Friederike Beier kritisiert, sondern einige Thesen, die Du mir vorgehalten hast. Falls Friederike Beier mit dem französischen, materialistischen Feminismus die globale marxistisch-nebenwiderspruchstheoretische „Frauenfrage“ bekämpft, werde ich Friederike Beier-groupie.
PN: Dann musst Du jetzt wohl tatsächlich Friederike Beier-groupie werden:
„Dem Begriff des Geschlechterverhältnisses kommt eine Schlüsselrolle zu, denn er ermöglicht es, Geschlechterungleichheit als strukturelles gesellschaftliches Verhältnis (wie das zwischen Kapital und Arbeit) zu betrachten, durch das Geschlecht hergestellt wird. Dieses Verhältnis wird laut Delphy sowohl von den ökonomischen Produktionsverhältnissen, als auch von den patriarchalen familiären Verhältnissen geprägt. Beide stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander. So gelingt es Delphy im Gegensatz zu dogmatischen marxistisch-feministischen Überlegungen in den 1970er Jahren, nach denen das Geschlechterverhältnis als ein reines Anhängsel der Produktionsbedingungen verstanden wurde, das Patriarchat als mit den Produktionsbedingungen verwobenes, aber gleichzeitig davon unabhängig bestehendes Machtverhältnis zu denken.“
(Friederike Beier, Für einen materialistischen Queerfeminismus als Theorie und Praxis gegen Patriarchat, Heterosexismus und Kapitalismus, in: dies. [Hg.], Materialistischer Queerfeminismus Theorien zu Geschlecht und Sexualität im Kapitalismus, Unrast: Münster, 2023, 7 - 23 [12])
dgs: Keine Einwände! Dann frage ich mich nur, warum das nicht in dem ak-Interview vorkommt…
Literatur:
Die marxistische „Frauenfrage“:
- Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats,
- in: MEW 21, 25 - 173 (dort handelt es sich um die vierte Auflage von 1892).
- In Band I/29 der MEGA sind dagegen – ausser der vierten Auflage auf S. 125 - 271 – eine Vorbereitende Notiz (3 - 5), die erste Auflage von 1884 (7 - 117), eine Nota aggiunta pel lettore italiano (118), eine Note til den danske laeser (119 - 120), Vorbereitende Notizen zur 4. Auflage (121 - 123) sowie die – von Engels autorisierten – italienische (273 - 362), dänische (363 - 446) und französische Übersetzung (447 - 569).
- Vgl. dazu auch noch in Band IV/27 der MEGA die Ethnologische Exzerpthefte von Marx[30], die Engels bei der Arbeit am Ursprung verwendete: siehe insb. https://megadigital.bbaw.de/M3933891 / https://megadigital.bbaw.de/exzerpte/detail.xql?id=M5176449.[31]
- in: MEW 21, 25 - 173 (dort handelt es sich um die vierte Auflage von 1892).
- Clara Zetkin, Für die Befreiung der Frau! Rede auf dem Internationalen Arbeiterkongress zu Paris 19. Juli 1889, in: Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. I, Dietz: Berlin/DDR, 1957, 3 - 11.
- dies., Die frauenrechtliche Petition, das Vereins- und Versammlungsrecht des weiblichen Geschlechts betreffend [1895], in: ebd., 53 - 62.[32]
- dies., Zur Erwiderung [1895], in: ebd., 63 - 68.[33]
- dies., Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen. Rede auf dem sozialdemokratischen Parteitag zu Gotha [1896], in: ebd., 95 - 111.
- dies., Richtlinien für die kommunistische Frauenbewegung [1920], in: ebd., Bd. II, 1960, 260 - 289; zuvor (zuerst?), in: Die Kommunistische Internationale II. Jg. H. 15, 1921, 530 - 555.
- dies., Bericht über die Frauenbewegung, in: Protokoll des III. Kongresses der Kommunistischen Internationale (Moskau, 22. Juni bis 12. Juli 1921), Verlag der Kommunistischen Internationale (Auslieferungsstelle für Deutschland: Carl Hoym Nachf. Louis Cahnbley: Hamburg), 1921[34], 909 - 925 (mit anschliessendem Redebeitrag von Alexandra Kollontai auf S. 925 - 930 sowie Resolution über die Internationale Verbindung der Kommunistinnen und das Internationale Kommunistische Frauensekretariat auf S. 930 - 931 und 932 - 933 sowie Protokollierung der Abstimmung über die Resolutionen auf S. 934).
- Vierundzwanzigste Sitzung. Montag, den 27. November 1922. Die kommunistische Arbeit unter den Frauen, in: Protokoll des Vierten Kongresses der Kommunistischen Internationale. Petrograd-Moskau vom 5. November bis 5. Dezember 1922, Verlag der Kommunistischen Internationale (Auslieferungsstelle für Deutschland: Carl Hoym Nachf. Louis Cahnbley: Hamburg), 1923[35], 725 - 757.
Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Rowohlt: Hamburg, 1951 Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/450285936/04
Betty Friedan: The Feminine Mystique. Norton: New York, 1963 https://lccn.loc.gov/62010097 Norton & Company: New York, 2013 https://lccn.loc.gov/2012045561[36].
Der Weiblichkeitswahn oder Die Mystifizierung der Frau Rowohlt: Hamburg, 1966 Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/456665048/04.
Juliet Mitchell: Woman's estate. Penguin: Harmondsworth, 1971 https://lccn.loc.gov/72179682.
Frauenbewegung, Frauenbefreiung. Verlag Frauenpolitik: Münster, 1978 (197 S.) Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/780227425/04. Ullstein: Frankfurt/M / Berlin / Wien, 1981 (189 S.; „Ungekürzte Ausg.“) Enthält in überarbeiteter Form u.a. den bereits im Nov./Dez. 1966 in Heft I/40 der New Left Review erschienen Aufsatz Women: The Longest Revolution. Dieser ist (in – nach den Zwischenüberschriften [siehe Anhang 1] zu urteilen – geringfügig anderer Form) auch enthalten in der Veröffentlichung, die den Aufsatztitel zum Buchtitel (Women: The Longest Revolution[37] / Frauen – die längste Revolution. Feminismus, Literatur, Psychoanalyse[38]) macht. Dort heisst es im Klappentext der deutschen Ausgabe: „Schon in den sechziger Jahren hat Juliet Mitchell über Probleme der Frauen in unserer Gesellschaft geschrieben, zu einem Zeitpunkt als das Stich- und Reizwort ‚Feminismus' in den aufgeregten öffentlichen Debatten noch nicht vorkam.“ Der erste Teil der deutschen Ausgabe hatte noch 1987 den Titel „Aspekte der Frauenfrage“.
Germaine Greer. The female eunuch MacGibbon & Kee: London, 1970 https://lccn.loc.gov/73536657.
Der weibliche Eunuch. Aufruf zur Befreiung der Frau. S. Fischer: Frankfurt [am Main], 1971 Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/720006406/04.
Shulamith Firestone: The dialectic of sex. The case for feminist revolution. Morrow: New York, 1970https://lccn.loc.gov/70123149.
Frauenbefreiung und sexuelle Revolution: Fischer: Frankfurt [am Main], 1975 Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/750206322/04.
Kate Millett: Sexual politics. Doubleday: Garden City, N.Y., 1970 https://lccn.loc.gov/70103769.
Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft. Desch: München, 1971. Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/457602546/04. Kiepenheuer & Witsch: Köln, 2018. Inhaltsverzeichnis (abweichende Paginierung!): https://d-nb.info/1158681194/04.
Christine Delphy: L'ennemi principal, in: Partisans N[os] 54-55: Libération des femmes, année zéro, juill.-oct. 1970, 157 - 172.
The main enemy. A materialist analysis of women's oppression. Women's Research and Resources Centre Publications: London, 1977 (66 S.) https://lccn.loc.gov/81456263. Auch in: Feminist Issues 1980, 23 - 40. Anscheinend keine deutsche Übersetzung.
Mariarosa Dalla Costa / Selma James / Movimento di lotta femminile di Padova: Potere femminile e sovversione sociale / Il posto della donna / Maternità e aborto Marsilio: Padova, 1972 (87 S.)
Mariarosa Dalla Costa / Selma James: Le pouvoir des femmes et la subversion sociale. Librairie adversaire: Genève, 1973 (152 S.) http://ark.bnf.fr/ark:/12148/cb35191827k
Mariarosa Dalla Costa / Selma James: The Power of women and the subversion of the community / Woman's place Falling Wall Press: Bristol, Eng., 1973 (78 S.) https://lccn.loc.gov/76352461.
Mariarosa Dalla Costa / Selma James: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. Merve: [West]berlin, 1973 (89 S.) Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/730296873/04.
Gayle Rubin: The traffic in women: notes on the „political economy“ >of sex in: Rayna Reiter (Hg.), Toward an Anthropology of Women, Monthly Review: New York, 1975, 157 - 201. https://lccn.loc.gov/74021476.
Frauentausch. Zur Politischen Ökonomie von „Geschlecht“, in: Gabriele Dietze / Sabine Hark (Hg.), Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie, Helmer: Königstein/Ts., 2006, 69 - 122. >Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/979686318/04.
Der Bielefelder Ansatz[39] als eine Variante des biologistischen Differenz- oder Radikalfeminismus:
- Claudia von Werlhof, Die Krise. Hausfrauisierung der Arbeit, in: Courage. Berliner Frauenzeitung. 3/1982, 34 - 43.
- dies., Lohn ist ein „Wert“, Leben nicht? Auseinandersetzung mit einer „linken“ Frau. Eine Replik auf Ursula Beer, in: Prokla. Zeitschrift für politische Ökonomie und sozialistische Politik H. 50, März 1983, 38 - 58.
- dies. / Maria Mies / Veronika Bennholdt-Thomsen, Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit, Rowohlt: Reinbek bei Hamburg, 1988; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/880233486/04; Rotpunktverlag: Zürich, 1992[3]; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/880233486/04 (ab S. 13 wohl seiten-identisch mit der Rowohlt-Ausgabe).
- Lydia Sargent[41], Women and Revolution. A Discussion of the Unhappy Marriage of Marxism and Feminism, South End Press: Boston, MA, 1981; darin u.a.:
- Heidi Hartmann, The Unhappy Marriage of Marxism and Feminism
dt.: Frauen und Revolution, Verlag Freunde der Erde: [West]berlin, 1983;
- dreiteiliges Digitalisat des Hartmann-Textes (S. 29 - 78):
- https://web.archive.org/web/20220415205842/http://sdsleipzig.blogsport.de/images/Hartmann1981_MarxismusundFeminismusTeil1.pdf,
- https://web.archive.org/web/20220528110637/http://sdsleipzig.blogsport.de/images/Hartmann1981_MarxismusundFeminismusTeil2.pdf
und - https://web.archive.org/web/20220712143847/http://sdsleipzig.blogsport.de/images/Hartmann1981_MarxismusundFeminismusTeil3.pdf.
- https://web.archive.org/web/20220415205842/http://sdsleipzig.blogsport.de/images/Hartmann1981_MarxismusundFeminismusTeil1.pdf,
- Heidi Hartmann, The Unhappy Marriage of Marxism and Feminism
- Frigga Haug, Männergeschichte, Frauenbefreiung, Sozialismus. Zum Verhältnis von Frauenbewegung und Arbeiterbewegung, in: Das Argument H. 129, Sept./Okt. 1981, 649 - 664 [eine Reflexion der Entwicklung ihrer Position von der marxistischen „Frauenfrage“ zu einer sozialistisch-feministischen Position.
Obwohl die späteren sozialistischen Feministinnen auch schon 1969 erkannten, „[d]ass die Frauenfrage älter ist als der Kapitalismus, […]. Dass die Arbeiterbewegung, die Parteien und Gewerkschaften, in denen sie sich organisatorisch äussert, die Frauenfrage nicht anständig vertraten“ (651), war ihre anfängliche Politik:
„Da wir die politischen Ziele nicht aufgeben wollten, musste es eine sozialistische Frauenorganisation sein. Wie dachten wir den Zusammenhang von Sozialismus und Frauenfrage? Orientiert auf die politischen Organisationen, die unsere Interessen nicht vertraten, sahen wir unsere Hauptaufgabe in der Schulung der Frauen für die politischen Aufgaben, ihrer Befähigung, sich in Versammlungen zu Wort zu melden, Flugblätter zu schreiben usw., und in der Erarbeitung der Einsicht, dass sie sich zusätzlich zu ihrer Organisation in Frauengruppen ‚richtig politisch', mindestens gewerkschaftlich, organisieren müssten. Wir hatten z.B. im Statut einen Paragraphen, der die zusätzliche Mitgliedschaft in der Gewerkschaft verbindlich machte. Ausserdem sahen wir unsere Aufgabe in der Agitation zur Berufstätigkeit, zur Befreiung aus ökonomischer Abhängigkeit.“ (652; Hv. i.O.)
Später kamen sie zur Einsicht:
„Arbeiterbewegung und Frauenbewegung sind nicht auseinander ableitbar, keine der beiden Bewegungen ist auf die andere reduzierbar.“ (658)[42]].
- dies., Frauenfrage und Gewerkschaftspolitik – Das Beispiel: Setzen, in: Das Argument H. 135, Sept./Okt. 1982, 644 - 652 [der Aufsatz zeigt am Beispiel des Setzer(innen)berufes, dass die geschlechtshierarchische Teilung der Erwerbsarbeitsarbeit mindestens so sehr von lohnabhängigen Männern und Männer dominierten Gewerkschaften durchgesetzt wurde, wie vom Kapital[43]].
- Jutta Kolckenbrock-Netz, Frauen in der Politik und/oder autonome Politik der Frauen, in: Moderne Zeiten. Sozialistisches Magazin 6-7/1983, 33 - 37 [die genannte Zeitschrift war auf dem linken Flügel der frühen Grünen angesiedelt].
- dies. / Marianne Schuller, Frau im Spiegel. Zum Verhältnis von autobiographischer Schreibweise und feministischer Praxis, in: Irmela von der Lühe (Hg.), Entwürfe von Frauen in der Literatur des 20. Jahrhunderts (Argument-Sonderband 92), Argument: [West]berlin 1982, 154 - 174 [die Autorinnen warfen die Frage auf, „ob nicht mit der blossen Übernahme eines Genrekonzepts [Autobiographie], das sich nicht zufällig gerade in Verbindung mit der Konstituierung der bürgerlichen Literatur im 18. Jahrhundert profiliert hat, das Begehren der Frauen nach kultureller Artikulation nur laut wird, um sogleich stillgestellt zu werden, anstatt dass es sich revolutionär, d.h. kultur- und gesellschaftsverändernd freisetzte.“ (155)].
- Susanne Lettow / Ariane Brensell, Artikel „doppelte Militanz“, in: Wolfgang Fritz Haug (Hg.), Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 2, Argument: Hamburg, 1995, Sp. 822 - 825
- (824): „die Politik der d[oppelten] M[ilitanz reklamiert] die Eigenständigkeit der Kämpfe der Frauen gegen reduktionistische Einheitspolitiken“
- (822, 824): „eigenständige Kämpfe gegen die vielfältigen Formen männlicher Macht und Herrschaft […] führen“; „Angriff auf den alltäglichen Sexismus in den [linken] Organisationen“ / „against male-dominated power relations“.
- (822): „Die Kritik feministischer Sozialistinnen richtete sich gegen den monolithischen Herrschaftsbegriff des Marxismus der II. und III. Internationale. […]. Gegen diesen Reduktionismus verwiesen [… sie] auf die Notwendigkeit, die Spezifik patriarchale Unterdrückungsverhältnisse zu erkennen“ (meine Hv.).
- (824): „die Politik der d[oppelten] M[ilitanz reklamiert] die Eigenständigkeit der Kämpfe der Frauen gegen reduktionistische Einheitspolitiken“
- Projekt Sozialistischer Feminismus (Hg.), Geschlechterverhältnisse und Frauenpolitik, Argument: Berlin, 1984; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/840289421/04, darin u.a.:
- 5 - 8: f.h. [Frigga Haug] / k.h. [Kornelia Hauser], Vorwort
- (5 f.): „Geschlechterverhältnissen [… sind] eingewoben […] in die Produktionsverhältnisse und […] bestimmen [sie mit].“
- (5 f.): „Geschlechterverhältnissen [… sind] eingewoben […] in die Produktionsverhältnisse und […] bestimmen [sie mit].“
- 24 - 41 und 102: Gabriele Dietrich, Die unvollendete Aufgabe einer marxistischen Fassung der Frauenfrage,
- (32): „McDonough und Harrison (1978[44], 11-41) haben herausgearbeitet, dass Produktionsverhältnisse nicht nur Klassenverhältnisse sind, sondern zur gleichen Zeit durch das, was Feministinnen das Patriarchat nennen, geformt sind, so dass das Patriarchat so nicht nur den Reproduktionsprozess dominiert, sondern auch die Klassenverhältnisse und den Produktionsprozess durchwandert.“
- (33): „Der Widerstand, der überwunden werden muss, ist das materielle Interesse des männlichen Arbeiters, die geschlechtliche Arbeitsteilung zu Hause und am Arbeitsplatz so zu lassen, wie sie ist“.[45]
- (34): „Zusammenfassend können wir sagen, dass sich die doppelte Ausbeutbarkeit der Frauen im Kapitalismus[46] in den Bereichen Arbeit, Sexualität und Fruchtbarkeit der Wirkung des Patriarchats auf die geschlechtliche Arbeitsteilung innerhalb und ausserhalb des Hauses, in der Hausarbeit und anderer Subsistenzproduktion und in der gesellschaftlichen Produktion verdankt.“
- (35 – Zwischenüberschrift): „Die materielle und gesellschaftliche Basis der Frauenunterdrückung: Gegen Biologismus“
- (32): „McDonough und Harrison (1978[44], 11-41) haben herausgearbeitet, dass Produktionsverhältnisse nicht nur Klassenverhältnisse sind, sondern zur gleichen Zeit durch das, was Feministinnen das Patriarchat nennen, geformt sind, so dass das Patriarchat so nicht nur den Reproduktionsprozess dominiert, sondern auch die Klassenverhältnisse und den Produktionsprozess durchwandert.“
- 9 - 23 und 42 - 102: Frigga Haug / Kornelia Hauser, Geschlechterverhältnisse. Zur internationalen Diskussion um Marxismus-Feminismus
- (68, 71): „die Geschlechterverhältnisse als Teil der Produktionsverhältnisse begreifen“ / „Behandlung der Geschlechterverhältnisse als Teil der Produktionsverhältnisse“[47]
- (87): „Der Begriff der ‚doppelten Militanz' […] wird hier politisch richtungsweisend; er steht auf der Seite der (politischen) Subjekte und erlaubt die Aktivitäten etwa einer Frau in der Gewerkschaft und in der Frauenbewegung zu fassen unter dem Aspekt von Problembündelungen.“
- (68, 71): „die Geschlechterverhältnisse als Teil der Produktionsverhältnisse begreifen“ / „Behandlung der Geschlechterverhältnisse als Teil der Produktionsverhältnisse“[47]
- 5 - 8: f.h. [Frigga Haug] / k.h. [Kornelia Hauser], Vorwort
- Autonome Frauenredaktion (Hg.), Frauenbewegungen in der Welt
- Bd. 1: Westeuropa, Argument: Hamburg/[West]berlin, 1988; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/881103829/04; darin:
- S. 25 - 52: Frigga Haug, Perspektiven eines sozialistischen Feminismus. 20 Jahre Frauenbewegung in Westdeutschland und West-Berlin:
„Ich schreibe als Feministin unter Sozialisten und als Sozialistin unter Feministinnen.“ (25)[48]
„Sie [Die Frauenbewegung] spaltete sich in einen Teil, der mehr und mehr das Patriarchalische der Herrschaft ins Zentrum rückte, und einen anderen, der den Kapitalismus als Hauptübel auf eine Weise begriff, dass alle Frauenfragen als ein Nebending erschienen; schon in der einfachen Begriffsverknüpfung von patriarchalisch und kapitalistisch [„kapitalistisch-patriarchalisch“] klingt ein Problem an, das die sozialistischen Frauen bis heute als Frage nach dem Grund einer autonomen Organisierung beunruhigt und die autonomen Frauen nach dem Grund von Organisierung überhaupt.“ (28 f.)[49]
-
„die Wahrnehmung von Männern als Herrschenden, die in anderen Kontexten Beherrschte sind, zeigt Herrschaft nicht einfach als Druck von oben, sondern eher als ein Netz, das die Gesellschaft durchzieht.“ (29)[50]
-
„Unsere Presseresolution hiess: ‚Auf dem Kongress kamen wir überein, uns separat zu organisieren, solange Frauen in besonderer Weise und mehr unterdrückt sind als Männer […]' Es waren dies die Sätze aus dem Statut des Sozialistischen Frauenbundes Westberlin, die uns später den Ruf einbrachten, nicht wirklich autonom zu sein, […].“ (31)[51]
- S. 25 - 52: Frigga Haug, Perspektiven eines sozialistischen Feminismus. 20 Jahre Frauenbewegung in Westdeutschland und West-Berlin:
- Bd. 2: „Dritte Welt“, Argument: Hamburg/[West]berlin, 1989; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/891446079/04.
- Bd. 3: Aussereuropäische kapitalistische Länder, Argument: Hamburg/[West]berlin, 1990; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/900471603/04.
- Bd. 1: Westeuropa, Argument: Hamburg/[West]berlin, 1988; Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/881103829/04; darin:
- Judith Butler, Merely Cultural, in: New Left Review 227/1998, 33 - 44 (= Dokumentation des Panels Locations of Power der Tagung Politics and Languages of Contemporary Marxism vom Dezember 1996 und [in einer älteren Fassung] in der Nr. 52/53 der Zeitschrift Social Text Fall/Winter 1997) [Butler bezog sich in diesem Aufsatz gegen den Vorwurf, ihre Beschäftigung mit Geschlecht und Sexualität sei ‚bloss kulturell', zustimmend[52] auf Äusserungen von Marx und Engels, in denen diese die ‚tägliche (Re)produktion des unmittelbaren Lebens' (MEW 3, 29, 21, 27) in ihren Begriff der materiellen Determinante einschlossen, sowie auf die Rezeption dieser Formulierungen durch die sozialistischen Feministinnen der 70er und 80er Jahre:
„Indeed, many of the feminist arguments during that time sought not only to identify the family as part of the mode of production, but to show how the very production of gender had to be understood as part of the ‚production of human beings themselves', according to norms that reproduced the heterosexually normative family. [...]. Essential to the socialist-feminist position of the time was precisely the view that the family is not a natural given, and that as specific social arrangement of kin functions, it remained historically contingent and, in principle transformable. The scholarship in the 1970s and 1980s sought to establish the sphere of sexual reproduction as part of the material conditions of life, a proper and constitutive feature of political economy.“ (39 f.).
- Joan W. Scott, Experience, in: Judith Butler / Joan W. Scott (Hg.), Feminists Theorize The Political, Routledge: New York, 1992, 22 - 40.
„Experience [... is] not the origin of our explanation, not the authoritative (because seen or felt) evidence that grounds what is known, but rather that which we seek to explain, that about which knowledge is produced. [...]. Experience is, in this approach, not the origin of our explanation, but that which we want to explain.“ (26, 38)[53]
- Joan W. Scott, Phantasie und Erfahrung, in: Feministische Studien 2/2001, 74 - 88.
- Redaktionskollektiv [der Zeitschrift Perspektiven. Zeitschrift für sozialistische Theorie (Marburg)], Auf zu neuen Ufern!, in: Perspektiven, H. 4: Feminismus/Marxismus, Nov. 1988, 5 - 14.
- Klaus Viehmann u.a., Drei zu eins. Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus; https://www.nadir.org/nadir/initiativ/id-verlag/BuchTexte/DreiZuEins/DreiZuEinsViehmann.html.