Neuere Entwicklungen Demokratie als Auslaufmodell?

Politik

In letzter Zeit fehlt es nicht an teilweise recht hysterischen Mahnern, die vor den Feinden und dem Abbau der Demokratie warnen. Sie haben dabei meist Parteien oder Personen im Visier, die zur rechten Opposition gehören.

Sportplatz in Hong Kong, China. Die Herrschaft des Kapitals und die auf dieser Grundlage eingerichteten Abhängigkeiten sind nicht nur mittels Demokratie zu betreuen. Das Beispiel Chinas zeigt, dass ein Staat mit einer Einheitspartei auch eine erfolgreiche Kapitalakkumulation zustandebringen kann.
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Sportplatz in Hong Kong, China. Die Herrschaft des Kapitals und die auf dieser Grundlage eingerichteten Abhängigkeiten sind nicht nur mittels Demokratie zu betreuen. Das Beispiel Chinas zeigt, dass ein Staat mit einer Einheitspartei auch eine erfolgreiche Kapitalakkumulation zustandebringen kann. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

21. Dezember 2016
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Was gefährden die eigentlich, und sind wirklich sie die einzigen, die an dem unter „Demokratie“ bekannten und bejubelten System etwas ändern wollen? Was macht eigentlich Demokratie aus, was ist darunter zu verstehen, und wen stört dabei was?

Die Leistung der Demokratie

Die Leistung dieser Herrschaftsform besteht darin, eine Einigkeit zwischen Staat und Volk zu schaffen. Diese Einigkeit, bei der regelmässig ein beträchtlicher Prozentsatz der Wahlberechtigten zu den Urnen schreitet und ihr Einverständnis ins Regiertwerden abgibt, ist auch nötig, um eine Konkurrenzgesellschaft aufrechtzuerhalten. In Konkurrenz zueinander stehen diese wahlberechtigten Personen durch die Marktwirtschaft, die ihnen mit dieser demokratischen Herrschaftsform sozusagen im Paket verordnet wird.

Das Ideal der Demokratie ist also Gehorsam im Befolgen der Spielregeln, Zustimmung zur Herrschaft und friedliche, also nicht mit Waffengewalt ausgetragene Konkurrenz um die Quellen des Reichtums und der Macht in einer Gesellschaft, wo das tägliche Überleben nur durch Zugang zu Geld, dem einzigen und universellen Zahlungsmittel, möglich ist.

Natürlich setzt das reibungslose Funktionieren dieses Modells der Bestellung der Herrschaft auch eine funktionierende Marktwirtschaft voraus, wo die einen relativ widerspruchslos ihre Arbeit abliefern und die anderen den Gewinn einstecken. Demokratie und Marktwirtschaft haben sich in den herkömmlichen Heimatländern des Kapitals in einer Art Wechselwirkung entwickelt, inzwischen ist das Verhältnis aber etwas getrübt.

Das Verfahren der Demokratie

Es ist folgerichtig, dass in der Marktwirtschaft auch der Kampf um die Macht als Konkurrenzveranstaltung ausgetragen wird. Man denkt, auf die formelle Seite der Demokratie angesprochen, deshalb zunächst an den Wahlzirkus und zweitens an die Freiheit der Medien, jeden Schmarrn verbreiten zu dürfen, sofern er nicht ausdrücklich verboten ist.

Zur Demokratie gehört aber noch einiges andere: Versammlungsfreiheit; Freiheit der Meinungsäusserung, freie Wahl des Wohnortes, also Freizügigkeit – zumindest innerhalb des Staates, dem man per Untertan angehört. Freiheit der Meinungsäusserung in Wort und Schrift, in U-Bahn und Wirtshaus, am Internet und beim Zettelverteilen in der FuZo.

Schliesslich gehört dazu der Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, Habeas Corpus-Bestimmungen, eine Strafprozessordnung usw. Es gibt also sehr viele Möglichkeiten, das, was als demokratisch anzusehen ist, zu verschlanken oder neu zu definieren. Das reicht vom Fremdenrecht, wo einige der obigen Bestimmungen von vornherein nicht existiert haben, bis zur heiligen Kuh der Wahl. Überall werden seit einigen Jahren Modifikationen vorgenommen, die hier neue Massstäbe setzen.

Demokratieabbau, ganz demokratisch

Die Anti-Terrorgesetze in den USA und der EU geben der Exekutive, aber auch der Justiz sehr weitreichende Befugnisse bezüglich Verhaftung und Arrest von Verdächtigen. In Frankreich, also dem Land, das von sich behauptet, die bürgerlichen Freiheiten eigentlich erst erfunden zu haben, herrscht seit über einem Jahr der Ausnahmezustand, ein Ende ist derzeit nicht in Sicht.

Seit geraumer Zeit werden Plebiszite, deren Ausgang denen, die sie veranstaltet haben, nicht passen, eben so lange wiederholt, bis sich das gewünschte Ergebnis einstellt. (Dass das beim Brexit – bisher – nicht gemacht wurde, liegt daran, dass das Ergebnis für die britischen Eliten vielleicht gar nicht so ungelegen kam.) Vielleicht wird dieses Verfahren bald auch bei Wahlen angewendet, wenn der falsche Kandidat gewinnt? Bei Trump geben verschiedene politische Akteure frischfröhlich bekannt, dass sie das am liebsten hätten.

Man kann ferner die Zahl der Kandidaten beschränken, viele gar nicht erst zulassen, oder gewählte Regierungschefs absetzen lassen – für all das gibt es einige Beispiele in jüngster Vergangenheit. Spanien hätte um ein Haar ein 3. Mal sein Parlament neu gewählt, um eine Regierung zustandezukriegen, Papadimos in Griechenland und Monti in Italien wurden gleich ohne Wahlen vom Parlament direkt als Regierungschefs eingesetzt und haben in dieser Position sehr schwerwiegende Entscheidungen getroffen.

Derzeit werden verschiedene Kandidaten oder Parteien als rechts und undemokratisch gehandelt, und mit der an die Wand gemalten Gefahr eines „neuen Hitlers“ vor Augen von den Medien und manchen Politikern laut überlegt, weitere Einschränkungen der freien und geheimen Wahl und der Meinungsäusserung vorzunehmen. In Ungarn und Polen sind schliesslich bereits Regierungen an der Macht, die relativ frei von Störungen durch die schwache und uneinige Opposition daran schreiten, eine ihnen massgeschneiderte „Demokratie light“ einzurichten. Während ein Teil der Öffentlichkeit in anderen Ländern gegen sie wettert, haben sie gleichzeitig einen Haufen Bewunderer, die genau beobachten, was sie treiben, um sich dort gegebenenfalls etwas abzuschauen.

Die Demokratie mit ihrer Meinungsfreiheit und Protestkultur stört nämlich seit geraumer Zeit viele ihrer gewählten Häuptlinge beim Regieren.

Demokratisches Prozedere als Hindernis fürs Durchgreifen

Es ist nämlich keineswegs so, dass die Herrschaft des Kapitals und die auf dieser Grundlage eingerichteten Abhängigkeiten sich nur mittels Demokratie betreuen lassen. Das Beispiel Chinas zeigt, dass ein Staat mit einer Einheitspartei auch eine erfolgreiche Kapitalakkumulation zustandebringen kann. Noch mehr aber bieten sich autoritäre Strukturen an, wenn die die Geschäftemacherei ins Stocken gerät und und immer grössere Teile der Bevölkerung überflüssig gemacht werden oder von der Lohnarbeit, die sie verrichten, nicht mehr leben können.

Es ist also ganz verkehrt, wenn Kritiker unserer Gesellschaftsordnung sich für die Verteidigung der Demokratie stark machen, während sie die Ökonomie und die soziale Frage unter ferner liefen abtun. Demokratie ist nämlich kein Schutz gegen Armut und Elend, wie man an diversen Armenhäusern – und auch den vermeintlichen Siegerstaaten – der EU heute bereits studieren könnte, wenn man es denn wollte.

Den Unzufriedenen, die auf die Suche nach dem starken Mann gehen und im Aufräumen mit Ausländern und Sozialschmarotzern die Lösung sehen, sei gesagt, dass sie von einem autoritären Staat genausowenig zu erwarten haben wie von der Demokratie, solange sie über die Grundlagen ihrer trostlosen Lage nichts wissen wollen.

Amelie Lanier