Züri brännt: Texte zur Bewegung KOOSTELLA / Riots Radikalisierung

Politik

Die Polizei konnte sich nicht verteidigen, ausser mit Feuerwehrschläuchen, die sie aber nicht gut handhaben konnten, weil sie nicht ausgebildet waren.

Riot in Zürich.
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Riot in Zürich. Foto: strapazin

2. September 2022
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00:00 Christoph Schuler: Meine Radikalisierung sozusagen hat angefangen, als ich mit 14 mit dem Tram, mit dem 11er von einer Pfadfinderübung zurückgekommen bin, in meiner Pfadfinderuniform und der 11er ist nicht mehr weitergefahren am Central, sondern hat die Türen aufgemacht und gesagt, da ist was los, steigen Sie alle aus.

00:33 Und dann ist man ausgestiegen und das Central und die Bahnhofsbrücke waren voller Leute und der ganze Bahnhofsplatz. Ich war total erschlagen, ich hatte noch nie sowas gesehen. Es war eine Stimmung von Aufruhr, Revolution, Anarchie in der Luft, Bullen waren auf der Bahnhofsbrücke, haben den Coop… was jetzt der Coop ist auf der Bahnhofsbrücke verteidigt und rundum lauter Junge und nicht mehr so junge, die Steine auf die Polizei geworfen haben.

01:17 Die Polizei konnte sich nicht verteidigen, ausser mit Feuerwehrschläuchen, die sie aber nicht gut handhaben konnten, weil sie nicht ausgebildet waren. An dem Haus, wo letztens der Grossbrand war, auf dem Baukran oben stand der Polizeipräsident Herr Bärtschi mit dem Megafon und hat einerseits seine Polizisten dirigiert und hat andererseits versucht, die Menge in Schach zu halten.

01:48 „Hört doch auf, jetzt geht endlich nach Hause!“ Es waren Tausende Leute und alles, was er gesagt hat, wurde nur mit Gelächter quittiert. Ich stand fasziniert da und habe zugeschaut, wie die Bullen die Menge abspritzt. Hinten haben sie probiert, Leute rauszuschnappen aus der Menge und haben sie in dem Globus, den heutigen Coop reingezerrt.

02:21 Im Keller haben sie eine Art temporäres KZ eingerichtet, wo sie die Gefangenen von dem tag eingesperrt haben, verprügelt haben und zum Teil gefoltert, muss man sagen. Es war eine unglaubliche Stimmung von Aufruhr in der Luft. Ich stand total fasziniert in der Menge, bis ein Pfadiführer gekommen ist und gesagt hat, hör mal, es ist besser, du gehst jetzt nach Hause, sonst heisst es später, die Pfadfinder seien dabei gewesen.

03:03 Ich hatte das Gefühl, wenn sich die Leute so erheben, ist es ein geiles Gefühl. Und andererseits die Bullenbrutalität… für mich war die Polizei unser Nachbar, der Herr Moser, der im Kader der Stadtpolizei war und wo jedes Jahr zu seinem Geburtstag die Polizeimusik vors Haus kaum und ein Ständchen gespielt hat. Das war mein Bild der Polizei, plus die, die in den Kindergarten gekommen sind und uns gezeigt haben, wie man über den Zebrastreifen latscht.

03:38 Die Polizei da war hemdsärmelig, klatschnass, völlig ausser sich, mit Knüppeln auf die Menschenmenge einprügelnd und mit Feuerwehrschläuchen die Leute abspritzend… das hat irgendwie nicht zusammengepasst. Von der Presse wurde das sehr wenig aufgearbeitet, die Aktion vom Globuskrawall. Erstaunlicherweise war der Uebersax, der später Blick-Chefredakteur wurde, einer der wenigen Journalisten, die dem wirklich nachgegangen sind und wirklich von der Polizei wissen wollte, was eigentlich genau in dem Globuskeller abgelaufen ist.

04:29 Es gab dann Aussagen von vielen Leuten, die da unten gefangen gehalten wurden. Das war wirklich schlimm, für damalige Verhältnisse einfach unglaublich, wie Leute zusammengeschlagen worden sind und Frauen sexuell belästigt von der Polizei. Aber die Presse hat sich nicht getraut, das breitzuschlagen. Ich habe das gelesen in einer Zeitung vom Landesring, die Partei von Migros sozusagen.

05:11 Ich war damals extrem erstaunt, dass es nicht mehr Echo gab, sondern alles unter den Teppich gekehrt wurde. Genauso wie die Problematik vom Jugendhaus, da wurden die Leute wieder kriminalisiert, die beim Globuskrawall dabei waren, aber das Thema das Thema Jugendhaus war wieder vom Tisch. Dann der Bunker, wo man auch dachte, jetzt haben wir mal ein Haus für die Jungen. Aber kaum hatte man es, hatte man es schon nicht mehr.

05:46 Natürlich gab es Demos, Repressionen, Leute wurden zusammengeschlagen, die Stimmung war wahnsinnig gegen die Jungen. Gleichzeitig gab es Demos gegen den Vietnamkrieg auf der Bahnhofsstrasse. Da musste man verdammt aufpassen, die Leute sind so wütend links und rechts an der Strasse gestanden und haben dich beleidigt und zusammengeschissen. Es war wirklich unangenehm, bei einer Demo mitzulaufen.

06:20 Nach der Schliessung vom Bunker ist man ins Shopville, was damals ganz neu gebaut war. Unten hat man sich versammelt, war geschützt von Regen und Kälte und sass am Boden rum mit Protestplakaten: Wir wollen ein Jugendhaus und so Zeug. Und hat mit Leuten diskutiert, das war wichtig für viele Junge. Du warst da und hast dich ansprechen lassen von älteren, wütenden Leuten, die gesagt haben, ihr seid doch alle nur grausige, ungewaschene, langhaarige Sauhunde und so.

07:09 Ja, warum meinen Sie denn? Und dann kam man auf den Bunker und die Politik zu sprechen und es war als rhetorische Übung ein sehr wichtiger Ort, um die politische Meinung zu festigen und artikulieren zu lernen. Dafür war der Platz im Shopville sehr wichtig. Später kam natürlich die Polizei und hat einen verjagt und es gab Schilder, wo stand, es darf keine Versammlungen von mehr als drei Leuten geben.

07:54 Aber so ist die Geschichte der Stadt, wie ich sie erlebt habe, immer gewesen: Überall, wo man sich versammeln wollte, einfach rumhängen, wurde man immer vertrieben. Das hat sich bis in die 80er gezogen.

08:15 Fredy Meier: Die Geschichte mit dem Plakat, auf dem steht, es dürfen sich nicht mehr als drei Leute versammeln, das ist eine Sache, die sich durch alle Diktaturstaaten durchzieht. Das war in Argentinien so, in Chile, in Griechenland. Jetzt kann man natürlich sagen, nein, das ist ganz was Anderes. Aber ich sage nein, it's fucking the same! Natürlich würde ich nicht eine Diktatur mit der Schweiz vergleichen und sagen, it's the same.

08:43 Aber der Mechanismus ist der gleiche: Du willst eine juristische Handhabe haben gegen Leute, die trotz des Plakats zusammenkommen etwas machen. Das ist das Interessante, finde ich. Das macht es ähnlich. Ihr jungen Frauen könnt euch das nicht mehr vorstellen. Man kann es nur beschrieben. Eine Stadt, die nach und nach mehr und mehr zu deiner Stadt wird, weil es Orte gibt, wo du was Schönes erlebt hast, oder weil es eine lässige Kneipe gibt, die Kanzlei, das und das…

09:35 Und du sagst, hey, Zürich ist schon geil. Es gibt den See und die Kanzlei und dieses und jenes. Das gab es damals nicht. Du hättest nicht mal auf rechtsradikale Art sagen können, ich bin stolz, Zürcher zu sein. Dann hätte ich gesagt, du Idiot, auf was genau bist du stolz? Ja, wir haben das grösste Ziffernblatt von Europa! Nein, wirklich? Das ist aber schön für dich. See, Bahnhofstrasse, wow.

10:08 Ich meine das ernst, man konnte auf nichts freudig schauen. Alles war definiert und…

10:18 Christoph Schuler: Bei jedem Stück Rasen, das grösser als ein Quadratmeter war, gab es eine Tafel, auf der stand, Bitte Rasen nicht betreten! Am ganzen See durfte man nicht auf dem Gras sitzen.

10:39 Fredy Meier: Es gab kaum Orte, wo du dich wohlgefühlt hast, behütet. Kuschelig.

10:49 Christoph Schuler: Daheim.

Text aus Strapazin NO:137