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Hausbesetzung in Zürich: Bsetzipark | Untergrund-Blättle

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Bsetzipark - Die sechs dümmsten Behauptungen der Bürgipresse Hausbesetzung in Zürich

Politik

Aufruhr im Gewerbegebiet: Nur wenige Stunden war das Haus an der Baslerstrasse 71 in Zürich besetzt, da wurde es auch schon von der Polizei unter Einsatz von Reizgas und Rammbock gestürmt. Ein legitimer Einsatz, befanden die Medien unisono.

Baslerstrasse Richtung Letzipark.
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Baslerstrasse Richtung Letzipark. Foto: gertrudis2010 (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

27. Februar 2018
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Korrektur

1. Das Haus war noch bewohnt!

«Es ist etwas ganz Neues, dass auch bewohnte Häuser besetzt werden», empört sich Marco Denoth, der Co–Präsident der Stadtzürcher SP und begrüsst die rasche Räumung des besetzten Gebäudes. «Vor uns hat hier gar niemand gewohnt», meinen hingegen die Besetzer*innen kopfschüttelnd. Die Verträge der Räumlichkeiten, die von Untermieter*innen der Verwaltung Livit genutzt wurden, bestünden sowieso auf Basis eines Mietvertrags für Geschäftsräume und nicht für Wohnräume. Im Haus hätten sich also gar keine Bewohner*innen aufhalten dürfen. «Ausser jemand hat das Haus vor uns besetzt», so die Besetzer*innen.

2. Die Angestellten konnten nicht an ihre Arbeitsplätze

«Besonders fies», befindet der BLICK, «sie begannen ihre Besetzung in der Nacht auf Montag. Zahlreiche Mitarbeiter, die am Morgen ins Büro wollten, wurden von den Aktivisten am Zugang zum Gebäude behindert.» Die fetten Lettern sind hier tatsächlich angemessen, kann man sich hierzulande doch kaum eine grössere Ungeheuerlichkeit vorstellen, als Arbeitswillige am Montagmorgen am Arbeiten zu hindern. Nur, die Behauptung ist ganz einfach falsch: «Es wurde lediglich derjenige Teil des Hauses besetzt, der nicht genutzt wurde. Alle anderen Räumlichkeiten waren von aussen begehbar und von dem besetzten Teil getrennt», so die Besetzer*innen zu ajour. Falls nicht alle Angestellten ihre Schlüssel verloren haben, hätte die Arbeit also in aller Ruhe aufgenommen werden können. Mit der Ruhe war es allerdings vorbei, als die Polizei mit ihren Sirenen herbeiraste.

3. Es wurden 14 Besetzer*innen verhaftet

Stimmt nicht ganz. Die Polizei, die während der Räumung zahlreiche Personenkontrollen vor dem Haus durchführte und Wegweisungen erteilte, hielt verschiedenste Personen über längere Zeit fest (...und hinderte die Arbeitswilligen am Arbeiten!). Auch ein Journalist des Stadtmagazins tsüri.ch wurde während der Berichterstattung festgehalten, gefilzt und schliesslich für 24 Stunden weggeschickt - trotz gültigem Presseausweis. Es sei nicht erlaubt, Fotos von einem Einsatz zu machen, so die Polizei zum Journalisten. Was natürlich nicht stimmt. Eine weitere unbeteiligte Person, die sich vor dem Haus aufgehalten hatte, wurde gleich eingepackt und erst einen Tag später wieder aus der Haft entlassen. Sie war die 14. Person, gehört aber nicht zu den Besetzer*innen.

4. Die Polizei wurde massiv angegriffen…

...mit Wasser und Schaumlöscher. Ausserdem wurde Feuerwerk gezündet, wie der BLICK schreibt. Doch wären die BLICK-Journalist*innen aufmerksamer vor Ort gewesen, hätten sie ihre reisserische Aufmachung wohl etwas revidieren müssen. Denn etwas Wasser auf zarter Polizeibeamtenhaut und Feuerwerk am Himmel ist kein Vergleich zum massiven Angriff der Polizei selber. Diese bohrten als Reaktion darauf ein Loch in eine Spanplatte, die den Weg nach innen versperrten, und füllten das Gebäude von aussen mit Reizgas. Um welches Reizgas es sich handelt, wurde nicht genauer spezifiziert. In Anbetracht dessen, dass sogar die Genfer Konvention Tränengas als chemisches Kampfmittel im Kriegsfall verbietet, ist dessen Anwendung in einen geschlossenen Raum besonders perfide.

5. Da wird bald was Gescheites hingebaut!

«Die bestehende Liegenschaft wird zurückgebaut; Baubeginn ist noch in diesem Jahr. Zurzeit sind noch gewisse Teile des Gebäudes von Mietern besetzt», schreibt der Tages-Anzeiger. Ja dann hoffen wir doch mal, dass sich in den 10.5 verbleibenden Monaten des Jahres tatsächlich was tut! Seitens verlässlicher Quellen, betonten die Besetzer*innen, würde der Baustart nicht vor kommendem November beginnen. Dass Mieter*innen tatsächlich noch Räumlichkeiten im nicht besetzten Teil des Hauses nutzten, mag stimmen. Jedoch – und da hätten sie sich mit den Besetzer*innen wohl ideologisch finden können – sind die Mietverträge bereits am 31. Dezember ausgelaufen und die Auszugsfrist endete am 31. Januar.

6. Aber es gibt doch die Besetzerrichtlinien!

Genau. Das sogenannte „Besetzer-Merkblatt“ ist ein Resultat der Häuserbewegungen der 1990er Jahre. Unter Punkt 2 steht beispielsweise, dass eine Räumung erst nach Ablauf der festgesetzten Frist erfolgt. Wird natürlich seitens der Polizei gar nicht erst eine Frist gesetzt, kann diese auch nicht eingehalten werden. Bis anhin haben sich sowohl die Polizei als auch Besetzer*innen daran gehalten und somit zu einer grösstenteils friedlichen Squatting-Kultur in Zürich beigetragen. «Die Polizei hält sich jedoch schon lange nicht mehr daran», so die Besetzer*innen zu ajour. «Uns wurde weder die Chance zur Kommunikation mit den Besitzer*innen gegeben, noch wurde uns eine Frist gesetzt, nach der wir das Haus hätten verlassen können».

Das wäre in der Regelung so vorgesehen. Und das Haus vis à vis des Einkaufszentrums Letzipark (daher der schöne Name «Bsetzipark») sei kein Einzelfall: «In den letzten paar Wochen gab es mehrere besetzte Häuser, bei denen die Polizei rambomässig und ohne sich an die Richtlinien zu halten eingefahren sind». Bei der Räumung eines seit 10 Jahren leerstehenden Hauses in Schwammendingen im November wurde beispielsweise wiederholt Leerstand mit Polizeigewalt verteidigt. Diese Alleingänge der Polizei verhindere eine konstruktive Diskussion mit den Eigentümer*innen und führe zu mehr Spannungen.

Dass sich etwas an der Handhabung von Hausbesetzungen in Zürich zu ändern scheint, liegt auf der Hand. Der Staatsanwalt Edwin Lüscher, der sich als Leiter der «Krawallgruppe» der Zürcher Staatsanwaltschaft bereits einen Ruf erarbeitet hat, schlägt harte Töne an. 100 Tage Gefängnis unbedingt fordert er für mehrere der festgenommen Besetzer*innen.

Diese astronomischen Forderungen sind Teil einer in der ganzen Stadt merkbaren Tendenz. Unerwünschte werden an die Ränder gedrängt und mit drakonischen Strafen mundtot gemacht. Diejenigen, die am längeren Hebel sitzen, treten Regelungen mit Füssen, die aus dem Willen zur Deeskalation und Einvernehmlichkeit aufgestellt wurden. Der Polizeisprecher Marco Cortesi betonte dazu im Interview, dass es sich bei den Besetzer*innen um mehrheitlich junge Menschen handle. Diese Information rückt Staatsanwalt Lüschers Forderung nach unbedingter Haftstrafe in ein neues Licht: Junge Menschen sollen also so früh wie möglich ihre Überzeugungen ablegen und das Kämpfen aufgeben.

Frida Frey / ajour-mag.ch

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