Mega-Kampagne sammelt eine halbe Million für angeklagte Antifas Nach #BaselNazifrei

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«Heillos verschuldet!» Die Kampagne 500k verfolgt das ambitionierte Ziel, die gigantischen Kosten der #BaselNazifrei-Prozesse zu decken.

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4. Dezember 2020
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Vor dem Basler Strafgericht werden gerade am Laufmeter drakonische Urteile gegen Antifaschist*innen gefällt. Selten schossen die Repressionsbehörden so vehement gegen antifaschistischen Widerstand. Was ist passiert? Wer steckt dahinter? Und wie kannst auch du dich solidarisch zeigen?

Am 21. September 2020 sprach das Basler Strafgericht die erste unbedingte Haftstrafe in der Prozessreihe gegen mindestens 40 Antifaschist*innen: Die verurteilte Aktivistin muss acht Monate lang ins Gefängnis. Dies obwohl die Verurteilte sogar in den Augen des Gerichts keinerlei Gewalt ausübte. Sie war aber Teil einer Menge, von der Gewalt ausgegangen sei, und demnach des «Landfriedensbruchs» sowie der «passiven Teilnahme an Gewalt und Drohung gegen Behörden» schuldig.

Zudem distanzierte sich die Antifaschistin vor Gericht nicht von der Demonstration, sondern rechtfertigte sie wie auch die Notwendigkeit einer «revolutionären Bewegung». Die Gesetze kritisierte sie als «Gesetze der Herrschenden». Diese politische Haltung spielte bei der Urteilsfindung durchaus eine Rolle. Das sprach SP-Richter René Ernst sogar offen aus. Das ist in Anbetracht der Umstände doch sehr verwunderlich, ging es bei der Demonstration #BaselNazifrei im November 2018 um die Verhinderung der Verbreitung von faschistischem und nationalsozialistischem Gedankengut.

Die gut fünfzig Teilnehmer*innen der PNOS-Kundgebung haben antisemitische Parolen gerufen. Bei fast allen Anwesenden handelte es sich um bekennende Nazis, die in der rechtsextremen Szene gut vernetzt sind. Sie hatten von der Polizei eine Bewilligung für ihre Kundgebung bekommen. Nicht so die Basler Juso, die am selben Ort eine Gegenkundgebung durchführen und bewilligen lassen wollte. Schliesslich begnügten sich die aus mehreren Kantonen aufgebotenen Cops aber nicht damit, die Nazis zu schützen. Viel mehr begegneten sie den Nazi-Gegner*innen mit brachialer Gewalt – der Einsatz von Gummischrot, um Mindestdistanzen scherten sich die Grenadier*innen nicht, forderte mehrere Verletzte und hinterliess teils bleibende Augenschäden.

Vorverurteilung durch öffentliche Äusserungen

Seit Wochen wird in Basel intensiv über das Verhalten von Richter René Ernst diskutiert. Dieser verteidigte das harte Urteil vom 21. September in einem Interview mit der rechten Basler Zeitung. Das sorgte bei den Angeklagten, in der Politik aber insbesondere bei Jurist*innen für Empörung. In einer Replik forderten mehrere Anwält*innen der angeklagten Aktivist*innen gar den Wechsel an ein unvoreingenommenes, ausserkantonales Gericht. «Verteidigerinnen und Verteidiger wählen selten den Gang an die Öffentlichkeit, da die Gefahr einer Vorverurteilung gross ist. Wir greifen nur ein, wenn die Vorverurteilung bereits im Gang ist», begründeten die Jurist*innen ihren Schritt.

Mit seinem Interview in der Basler Zeitung nehme Richter René Ernst eine Bewertung der Gegendemonstration als Ganzes vor. Das widerspreche dem Prinzip der Unschuldsvermutung krass, so die Anwält*innen weiter. Und auf Anfrage erklärt Anwältin Eva Schürmann: «Als es dann in einem Beitrag von Schweiz Aktuell hiess, das Interview sei mit den anderen Gerichtspräsidenten abgesprochen gewesen, war klar, dass das ganze Gericht hinter diesem Vorgehen und den Aussagen steht. Deshalb haben einige Strafverteidigerinnen ein Ausstandsbegehren gestellt. Dieses Verfahren ist derzeit noch hängig.»

Aus juristischer Sicht sei durchaus eine Zunahme der Repression in Basel zu beobachten: «Das betrifft nicht nur das Strafmass sondern auch Prozessverläufe an sich. In Basel zeigt sich das zum Beispiel durch das Verhängen von Untersuchungshaft und Zwangsmassnahmen oder in der Art und Weise, wie gegen Jugendliche vorgegangen wird», so die Anwältin weiter. Zu ähnlichen Urteilen kommen auch andere Beobachter. Etwa der ehemalige Gerichtspräsident aus Basel, Peter Albrecht. Er erachtet die unbedingten achtmonatigen Haftstrafe als «sehr hoch». Denn man könne allgemein nicht davon ausgehen, dass nur wegen politischer Meinungen eine Rückfallgefahr bestehe. Zudem gelte die Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Es zeichnet sich also ein Bild von behördlich verordneter Einschüchterung gegenüber einer linken Bewegung. Dass gerade bei einer Demonstration, die sich gegen einen Nazi-Aufmarsch richtet, und bei der es seitens der Gegendemonstran*innen zu vergleichsweise harmlosen Handlungen gekommen war, so repressiv vorgegangen wird, ist laut Schürmann einzigartig: «Mir ist kein Prozess bekannt, bei dem vergleichbar hohe Strafen gefordert und auch ausgesprochen wurden.» Bemerkenswert seien dabei neben der unbedingten Hafstrafe für die blosse Teilnahme, die hohe Zahl der bedingten Haftstrafen und die sehr langen, oft vierjährigen Bewährungszeiten.

Die Drohkulisse von Staatsanwaltschaft und Gericht

Die Basler Staatsanwaltschaft macht keinen Hehl aus ihrem Plan. Sie fordert drakonische Strafen selbst bei milden Vergehen. Staatsanwalt Camilo Cabrera, der auch schon bei den Prozessen der Basel 18 als Hardliner und mit zweifelhaften Aussagen auffiel, forderte am 21. Oktober absurde fünf Jahre Landesverweis und 17 Monate bedingte Haftstrafe für einen angeklagten Antifaschisten. Bei einer entsprechenden Verurteilung hätte diesem die Ausschaffung in die Türkei gedroht, wo er wegen seiner politischen Haltung vom Erdogan-Regime verfolgt ist.

Das Urteil fiel letztlich milder aus: Neun Monate bedingt und kein Landesverweis. Trotzdem sind die bisherigen Verurteilungen allesamt von erheblicher Schwere – insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich eine bunt zusammengewürfelte Menge einer Gruppe bekennender Neonazis in den Weg stellte. Insgesamt sind gemäss Schürmann gegen 60 Verfahren angesetzt, wobei es schwierig sei, eine genaue Zahl zu nennen, da die Verfahren unüblicherweise alle einzeln geführt werden.

Bruno (Name geändert) ist einer der vielen Angeklagten. Und er spricht von einer von den Behörden aufgebauten Drohkulisse: «Es scheint eine regelrechte Übereinkunft zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Gericht zu geben. Zuerst die frühmorgendlichen Hausdurchsuchungen, dann das Drohen mit Untersuchungshaft, der Internetpranger und nun die hohen Strafanträge und die krassen Urteile. Das alles ist Teil derselben Strategie.» Die Message sei klar: «Wenn du in Basel ausserhalb der bewilligten Bahnen auf die Strasse gehst, ist das hochkriminell.» Das sieht auch Anwältin Schürmann so: «Die Verschärfung der Repression ist mehr als nur heikel. Dabei spielen vor allem die Tatbestände Landfriedensbruch und Gewalt und Drohung gegen Beamte eine wichtige Rolle. Diese wurden geschaffen um Beweisschwierigkeiten entgegenzuwirken und sind aus juristischer Sicht hochproblematisch.» Durch solche Paragrafen werde die Grundlage geschaffen, Verurteilungen lediglich mit der Anwesenheit an einer Demonstration zu begründen. Schürmann: «Das kann zu einer Gesinnungsjustiz führen. #BaselNazifrei ist ein gutes Beispiel um zu zeigen wie solche Tatbestände eingesetzt werden: Nämlich dazu, eine politische Bewegung mit juristischen Mitteln einzuschüchtern.»

«Linksextremismus» im Fokus

Der Fokus der Behörden überrascht dabei nicht und zeigt sich beispielsweise alle Jahre wieder in den «Sicherheitsberichten» des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB). Im kürzlich erschienenen Bericht «Sicherheit Schweiz 2020» werden Rechts- und Linksextremismus ganz im Sinne der berüchtigten Hufeisentheorie im selben Abschnitt behandelt. Die Hufeisentheorie konstruiert Ähnlichkeiten zwischen Rechtsextremismus und linksradikaler Politik und betrachtet beide gleichermassen als Abweichungen von der vernünftigen Mitte.

In Anbetracht der inhärenten Gewalt- und Ausrottungsfantasien von rechten Ideologien sind solche Analysen nicht nur dumm, sondern auch gefährlich. Momentan sehen es die Geheimdienstler*innen so: Die Gefahr der extremen Linken gehe von deren Aktivitäten in Massenbewegungen aus. Die rechtsextreme Szene hingegen setze «Gewalt derzeit zurückhaltend ein», so die dürftige Analyse des NDB, der im selben Abschnitt ganz unaufgeregt auf die «Verfügbarkeit funktionstüchtiger Waffen» in rechten Milieus verweist. Vor dem Hintergrund jüngster Veröffentlichungen über die Teilnahme Schweizer Neonazis am Ukraine-Krieg und deren europaweite Vernetzung löst diese Analyse wohl nicht nur bei Linken Kopfschütteln aus.

Ganz im Sinne des längst widerlegten Einzeltäter-Narrativs folgert der Bericht des NDB weiter: «Das grösste Risiko für einen rechtsextrem motivierten Anschlag in der Schweiz geht von allein handelnden Personen mit rechtsextremer Gesinnung, aber ohne feste Zugehörigkeit zu etablierten gewaltextremistischen Gruppierungen aus.» Mit Blick auf rechtsextreme und rassistische Gewalt in den vergangenen Jahren sind solche Analysen blanker Hohn. Im Bezug auf Repression zeigen sie aber die Stossrichtung auf: Rechtsextreme sind Einzeltäter, während Linke im Kollektiv agieren und auch entsprechend verfolgt werden müssen. Dieser Stossrichtung folgen auch die Prozesse in Basel.

500'000 gegen die Repression

Die Prozesse werfen eine Vielzahl von Fragen auf, mobilisieren aber auch schweizweit zu antifaschistischer Solidarität – so beispielsweise durch die Kampagne 500k oder den Grauen Block aus Basel.

Am 24. November 2019, also genau ein Jahr nach der Basel-Nazifrei Demonstration, machte eine Gruppe mit einer ungewöhnlichen Aktion von sich reden. Ungefähr sechzig vornehmlich ältere Aktivist*innen versammelten sich vor dem Polizeiposten beim Claraplatz in Basel. Dort deponierten sie freiwillig ihre Personalien und gaben an, alle ebenfalls an der Basel-Nazifrei Demonstration teilgenommen zu haben. Die «alten Säcke» nannten sich selber Grauer Block. Sie treffen sich seither regelmässig und sind Teil vom Bündnis Basel Nazifrei und auch bei den aktuellen Prozessen präsent.

Damals dabei war auch die 56-jährige Baslerin Astrid (Name geändert), eine Mitgründerin des Grauen Blocks. Sie sagt: «Natürlich zeigten wir uns nicht selber an, sondern deklarierten gegenüber der Öffentlichkeit, dass wir es als Bürger*innenpflicht sehen, gegen Faschismus und Nazis auf die Strasse zu gehen. Also teilten wir mit: wir waren auch da!» Die Aktion am Jahrestag der Demo hatte die auf die Gegenmobilisierung folgende Repression im Fokus: «Ermittelt wurde nur gegen junge Aktivist*innen, also gegen jene, die noch viele Jahre aktiv sein könnten. Sie wurden im Internet an den Pranger gestellt, mit dem Ziel, sie einzuschüchtern und mundtot zu machen.»

Astrid sieht im Vorgehen der Staatsanwaltschaft aber auch eine Chance: «Die Repression macht auch Antifaschismus zum Thema. Das verleiht Antifa-Aktivitäten Aufschwung. Es gibt eine neue Vernetzung über Generationen und Regionen hinweg. Zugespitzt gesagt: die Staatsanwaltschaft erreicht das Gegenteil von dem, was sie will.»

Dem stimmt auch Bruno zu. Er sei überwältigt von der breiten Unterstützung, die er erfahre: «Das ist bestimmt eine Entwicklung, die sie nicht toll finden. Viele Leute schütteln in Anbetracht der Prozesse nur den Kopf. Es ist doch einfach legitim, gegen Nazis auf die Strasse zu gehen – dafür brauchen wir keine Bewilligung.»

Genau damit mobilisiert seit kurzem auch die Kampagne 500k. Sie will nicht weniger als CHF 500'000 zur Deckung der Prozesskosten sammeln. Die Kampagne ist ein Zusammenschluss von antifaschistischen Aktivist*innen und hat drei Standbeine, wie eine Sprecherin dem Ajour-Magazin erklärt: Finanzieren, Informieren, Aktivieren. Dadurch wolle man der Abschreckungsstrategie der Behörden im Kollektiv etwas entgegensetzen und auch über die Prozesse hinaus für antifaschistische Anliegen mobilisieren.

«Die Message ist klar: Hey, das passiert gerade und das steht in einem Kontext zum Weltgeschehen und es betrifft uns auch», erzählt sie am Telefon. Eine Spendenkampagne in dieser Grösse sei für alle eine neue Erfahrung. Aber man sei infrastrukturell und personell bestens vorbereitet. Und: «Trotz Corona haben wir schon jetzt einen guten Grundstock gesammelt.» Aber noch keine halbe Million. Wann dies soweit ist und wie breit die Kampagne mobilisieren kann, dürfte sich spätestens in ein paar Monaten abschätzen lassen: «Entscheidend wird sein, ob wir es mit dieser Kampagne schaffen, dass sich breite Kreise mit den Angeklagten solidarisieren. Und damit mit antifaschistischem Widerstand als solches.»

Schon jetzt ist aber klar, dass die Geldsammlungen weitergehen müssen. Denn schon allein die Repressionskosten in Zusammenhang mit Basel Nazifrei steigen laufend. So verfolgt die Basler Staatsanwaltschaft seit neustem auch Teilnehmer*innen von Solidaritätskundgebungen für vor Gericht gestellte Angeklagte. Gegen mehrere solcher solidarischen Prozessbegleiter*innen sind in den vergangenen Tagen Ermittlungsverfahren aufgenommen worden. Wegen «Gewalt und Drohung gegen Beamte» (irgendwo sei eine Flasche geflogen). Oder wegen «Nötigung» (der Verkehr sei blockiert gewesen). Spenden nicht vergessen.

Louis Libertini
ajourmag.ch