Genug mit der Symbolpolitik! Nehmen wir uns was uns zusteht Innsbruck: Über stille Besetzung(en)

Politik

Seit ein paar Wochen gibt es in Innsbruck eine stille Besetzung. So weit so unspektakulär.

Innsbruck 2023.
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Innsbruck 2023. Foto: barrikade.info

9. Juni 2023
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Stille Besetzungen gibt es überall da, wo Menschen in prekäre Situationen geraten oder sind. Ein Platz mit Dach über dem Kopf ist eines der grundlegendsten Bedürfnisse. Dass sich dieser in schwierigen Lagen, bei übermässigen Leerstand und anderen Gründen genommen wird ist mehr als verständlich.

Innsbruck ist mit einer durchschnittlichen Nettokaltmiete von 17,43€/m² die teuerste Stadt Österreichs. Derartig hohe Mieten sind für viele Menschen schon lange nicht mehr leistbar. Personen mit niedrigem oder keinem Einkommen wird es immer schwerer gemacht in Innsbruck zu wohnen. Das ironischerweise bei zu hohen Mietkosten, das Tiroler Mindestsicherungsgesetz oftmals nicht greift ist nur eines der Probleme.

Die aktuelle Teuerung und Inflation verschärft die Situation extrem, aber sie ist nicht der Auslöser der katastrophalen Wohnungssituation. Seit Jahrzehnten findet in Innsbruck, wie in fast allen Städten Europas, ein Gentrifizierungsprozess statt. Allerdings wirkt sich dieser in Innsbruck nicht auf einzelne Viertel aus, sondern betrifft das ganze Stadtgebiet. Innsbruck stellt ein lukratives Spekulationsobjekt für Investor*innen dar, die mit dem Verkauf oder der Vermietung von Wohnraum ihr Geld verdienen. "In Tirol oder in Innsbruck Wohnungen oder Grundstücke zu kaufen ist immer ein guter Tipp". Diese Aussage stammt von Rene Benko, der mit seiner Firma SIGNA zu den grössten Playern im Immobilienbusiness in Europa gehört.

In ganz Innsbruck wird gebaggert und abgerissen, um anstelle von Grünflächen, Freiflächen, netten Häuschen oder ganzen Wohnanlagen, "profitablere" Wohnungen hinzustellen. Viele dieser neu gebauten Wohneinheiten bleiben dann erstmals leer, um den Immobilienmarkt nicht zu überfluten und die Mietpreise hochzuhalten. Laut Stadtverwaltung stehen in Innsbruck 5000-6000 "Objekte" leer, laut ORF sogar 7000. Beispiele hierfür sind unter anderem das Stad Carré von ZIMA und die neugebauten oder aufgewerteten Gebäude von OFA. Wer soll sich das denn leisten können? Ein Paradebeispiel für die Innsbrucker Immobilienpolitik sind die PEMA-Türme.

Der Deal zwischen PEMA Holding Inhaber Markus Schafferer und der ehemaligen Bürgermeisterin Oppitz-Plörer führte Dank Finanzspritze zu einem weiteren Bau von Businessapartments, die dann lange Zeit und zum Teil immer noch Leerstehen. Statt sozialem Wohnungsbau beteiligt die Stadt sich direkt an der Spekulation mit Leerstand. Die beiden anderen Türme, PEMA 1 und 3 dienen ausschliesslich als Hotels und Büroräume für Grossunternehmen. Wie vielerorts bestimmt der Handschlag zwischen Politik und Baubranche die Stadtpolitik. Innsbruck züchtet weiterhin dicke Immobilienhaie und verkleinert durch Vetternwirtschaft den Wohnraum.

Gentrifizierung bedeutet aber nicht nur unbezahlbaren Wohnraum, sondern auch das bewusste Verdrängen von kleinen Läden und Märkten. Dies passiert unter anderem durch riesige Konsumtempel, wie das Kaufhaus Tyrol, DEZ oder den Sillpark. Diese sind auf Touristen und reiche Leute ausgelegt, wer dort einen Platz zum Treffen, Austauschen oder Existieren sucht und nicht ausreichend Kohle oder die passende Hautfarbe besitzt wird von der übertriebenen Kameradichte und den Securitys rausgeworfen.

Die Polizei, welche die Gentrifizierung auf der Strasse durchsetzt und die Stadt "sauber" halten soll bekommt gerade ein riesiges "Sicherheitszentrum" gebaut. Für viele bedeutet es genau das Gegenteil, nämlich noch mehr Unsicherheit in einer eh schon mit Cops, MÜG und Magistrat vollgestopften Stadt.

Die Frage lautet also nicht nur wer kann, sondern wer darf hier eigentlich noch wohnen? Der Kapitalismus ist der Grund, warum Arme, Geringverdienende und Kleinunternehmen aus dem Stadtzentrum in die Peripherie gestossen werden. Ein wesentliches Instrument, dass dabei hilft das Privileg auf Stadt zusätzlich zu steuern ist Rassismus. Menschen, die unter Rassismus leiden haben per se schlechtere Chancen auf geeigneten Wohnraum. In härtester Weise trifft dies auf den Rassismus des Grenzregimes zu. Diejenigen, die unter der Repression der europäischen Asyl- und Migrationspolitik leiden, sind weitestgehend entmachtet.

Das grundsätzliche Arbeitsverbot und die Residenzpflicht machen den Zugang zu städtischem Wohnraum unmöglich, denn Bewegungsfreiheit und der Zugang zum kapitalistischen Wohnungsmarkt sind die Grundvoraussetzungen hierfür. Wenn Menschen in Zelten in Absams, in Containern beim Flughafen oder z.B. auf dem Bürglkopf untergebracht werden, dann passiert dies ganz im Sinne der kapitalistisch-rassistischen Stadtpolitik, die ausgrenzend und isolierend wirkt.

Im November 2022 hatte die Initiative Pradl für Alle ein leerstehendes Hotel besetzt, weil Geflüchtete in Zelten untergebracht wurden, obwohl in Innsbruck jede 10. Wohnung leer steht. Vizelandeshauptmann Dornauer machte im Zuge der Besetzung und einem Runden Tisch mit den Zeltbewohner*innen und sich solidarisierenden Menschen jede Menge falsche Versprechungen. Sogar die benannte und vereinbarte Alternative, ein Haus in Götzens der Weinberg GmbH stellte sich als Lüge heraus.

Bis heute hat die Politik keines ihrer Versprechen eingelöst. Deshalb zeigt sich ein weiteres Mal, dass die kapitalistische Legitimation auf Wohnraum und auch falsche Versprechen von der Politik keine Ansprüche auf Wohnraum definieren können. Einzig die gesellschaftlichen Verhältnisse und die daraus erwachsende Not können uns vorgeben, wer ein Anrecht auf Wohnraum hat. Elend erfordert Solidarität und diese wiederum erfordert aktives Handeln.

Wir haben uns dazu entschieden Wohnraum zu besetzen, da wir uns einerseits selbst das Leben in Innsbruck nicht mehr leisten können und andererseits, weil wir auf die aktuelle Situation aufmerksam machen und andere zu ähnlichem ermutigen wollen. Ausserdem wollen wir die Besetzung politisch führen und ein Zeichen gegen Gentrifizierung und Ausgrenzung setzen. Scheinbesetzungen oder Besetzungen, die einen medialen Fokus haben und demensprechend schnell geräumt, werden reichen nicht aus. Jetzt haben wir einen Platz zum Wohnen, Leben, Treffen und zum Austausch. Aber wir wollen uns nicht darauf ausruhen, denn die nächste Räumung kommt bestimmt und Menschen, die einen Platz brauchen, gibt es auch genug.

Deswegen scheiss auf Politik, scheiss auf medienwirksame Aktionen, lasst uns ins Handeln kommen. Beanspruchen wir Wohnraum sowie öffentliche Plätze. Kollektivieren wir die Stadt und machen sie für alle zugänglich.

Solidarische Grüsse gehn raus an alle Wohnungslosen und Menschen in prekären Situationen und auch an alle, die etwas an den Umständen ändern wollen.

pm