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Österreich: Sozialrassistische Grenzkontrollen | Untergrund-Blättle

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Rechtswidrige Jagd auf Arme durch Nehammer, Blümel und Hergovic? Österreich: Sozialrassistische Grenzkontrollen

Politik

Aktive Arbeitslose Österreich fordern parlamentarischen Untersuchungsausschusses und Aktionsprogramm gegen Sozialrassismus!

Karl Nehammer, österreichischer Bundesminister für Inneres, März 2019.
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Karl Nehammer, österreichischer Bundesminister für Inneres, März 2019. Foto: European People’s Party (CC BY 2.0 cropped)

6. August 2021
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Korrektur
„Einfach unglaublich, mit welchen irreführenden Halbinformationen die rechte Regierung unter Mithilfe willfähriger Medien, die diffuse Regierungpropaganda ungeprüft weiter verbreiten, gegen Armutsbetroffene Stimmung macht ausgerechnet jener Finanzminister Gernot Blümel, der dem Nationalrat Daten vorenthielt, nun selbst an der Grenze vermutlich völlig rechtswidrig ‚Social Profiling‘ betreibt“, zeigt sich Aktive Arbeitslose Österreich Obmann Martin Mair empört über die neueste sozialrassistische Sommerlochkampagne: Aus- und Einreisende werden im Windschatten des Coronaregims unter Generalverdacht gestellt, zusätzlich überwacht und Sozialdaten werden möglicherweise ohne Rechtsgrundlage an der Grenze erhoben und gleich Daten beim AMS abgefragt.

Wenn Menschen ihr Verfassungs- und Menschenrecht auf Pflege des Familienlebens nach Artikel 8 Europäischer Menschenrechtskonvention durch wenige Tage dauernde Besuche bei der Familie in Anspruch nehmen, kann kein vernünftiger Mensch das vorab ohne Abschluss des Ermittlungsverfahrens und unter Missachtung der Unschuldsvermutung schon pauschal als ‚Sozialbetrug‘ zu bezeichnen.

In vielen Staaten Europas, auch in der peniblen Schweiz (je 5 „kontrollfreie Tage“ nach 60 Tagen Bezug), ist die Möglichkeit für einen Familienurlaub auch für Arme eine Selbstverständlichkeit. Wenn von Betrug die Rede ist, dann sollte die Arbeitslosenversicherung gemeint sein, in die alle Arbeiter*innen einzahlen müssen und dann auch noch von der eigenen Pflichtversicherung im nicht selbst gewählten Versicherungsfall grundlegende, soziale Menschenrechten verletzt werden.

Message Controll: Medien verbreiten wirre Regierungspropaganda!

Ohne jede journalistische Recherche wird zumindest von ORF, Kurier, Kronenzeitung und heute willfährig weiterverbreiteten Presseaussendung verbreitet in der unklar bleibt, wie, wo und wieviele Menschen wirklich kontrolliert worden sind und was genau Polizei und Finanzbehörden in der sommerlichen Jagd auf Arme wirklich festgestellt haben wollen. Behauptet wird, 180 Personen, die Sozialleistungen beziehen würden, hätten einen Auslandsaufenthalt nicht dem AMS gemeldet, wo doch das AMS nur für die Arbeitslosenversicherung zuständig ist, aber nicht für die Mindestsicherung und schon gar nicht für Asylwerber*innen!

Bei der Niederösterreichischen Mindestsicherung (§ 22 NÖ Mindestsicherungsgesetz) war bis 31.12.2019 ein Auslandsaufenthalt von bis zu 1 Monat ohne vorherige Bewilligung möglich ebenso eine Verlängerung auf Antrag! Bei der „neuen“ Sozialhilfe ist ein Urlaub immerhin für 2 Wochen pro Kalenderjahr möglich (§ 28 NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz). Auch beim AMS-Bezug gibt es mit § 16 Absatz 3 Arbeitslosenversicherungsgeemrkfsetz Ausnahmeregelung für bis zu 3 Monate, worunter auch zwingende familiäre Angelegenheiten fallen. Tagesaufenthalte zählen natürlich nicht.

Woher die auf Arme Jagd machenden Beamt*innen noch am gleichen Tag feststellen wollen, ob aufgrund mangelnder Information durch AMS und Sozialbehörden Betroffene lediglich verwaltungsrechtliche Vorschriften nicht eingehalten haben oder wirklich den vermeintlichen „Sozialbetrug“ begangen haben sollen bleibt fraglich.

Bei Asylwerbern hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zudem festgestellt, dass die Mittel für einen würdigen Lebensunterhalt sowieso nicht gekürzt werden dürfen, weshalb kurzfristiges Verlassen der möglicherweise sogar verfassungswidrigen Einschränkung der Bewegungsfreiheit nach 4. Zusatzprotokolle der Europäischen Menschenrechtskonvention (4. ZP EMRK) sicher kein Sozialbetrug ist.

Klassenkampf von oben herab, das neue alte Programm der Regierung?

Auffallend an der Presseaussendung von Innen- und Finanzministerium ist, dass als angebliche Betrugsfälle nur Menschen, die ‚Sozialleistungen‘ beziehen genannt werden, aber nicht Firmen, die in der Regel wirklich systematisch und im grossen Stil zwecks Gewinnsteigerung Abgaben und Steuern hinterziehen oder vermeiden, oder unrechtmässig (Corona-)Förderungen kassieren.

Gerade bei den Reichen und Superreichen geht es auch in den ‚Einzelfällen‘ um Millionenbeträge während bei den Armutsbetroffenen meistens wirklich nur die Existenzsicherung und ein halbwegs menschenwürdiges Leben Grund für die Übertretung von die sozialen Grund- und Menschenrechte missachtenden Gesetzen geht. Dass gleich 100 Beamt*innen Jagd auf die wirklich grossen Betrüger in der Oberschicht Jagd machen würden, war bislang noch nirgends zu lesen. Im Gegenteil: Selbst gegen Arbeit Suchende Stimmung machende Unternehmen werden noch auf Kosten der Steuerzahler*inen mit Förderungen reichlich bedacht.

Der Ursprung der aus der Diktatur der Aristokratie stammenden Polizei und Staatsbehörden als Unterdrückungsapparat gegen die arm gehaltenen Menschen wird nun wieder deutlich sichtbar!

Soziale Menschenrechte umsetzen statt arm gehaltene Menschen schikanieren!

Empörend dabei ist, dass nicht nur die Schreibtischtäter von Innen- und Finanzministerium unter Anleitung der ÖVP Stimmung mit einer „Taskforce Sozialbetrug“ gegen Arme machen, sondern dass auch die SPÖ über den von der SPÖ auf den gutbezahlten Sessel des AMS NÖ Landesvorstand gehievten ehemaligen Adlatus des SPÖ-Sozialminister Alois Stöger, nämlich Sven Hergovic, der just im Sommer 2018 einen eigenen „Ermittlungsdienst“ im AMS NÖ gestartet hat, um angebliche „Arbeitsverweigerer“ zu verfolgen. Dass SPÖ, AK und ÖGB allzu oft zu derartigen Angriffen schweigen, macht diese politisch zu Unterlassungstäter*innen! Sozialrassismus ins kein Kavaliersdelikt!

Die immer schärfer zutage tretende Stimmungsmache gegen Arm gemachte Menschen soll offenbar die - dank eines wirtschaftskriminellen Systems namens Kapitalismus - wachsende Kluft zwischen Reich und Arm verdecken und den Überreichen noch weiteren Reichtum auf Kosten aller anderen Menschen bescheren.

Aktive Arbeitslose Österreich fordern daher:
  • Schluss mit der sozialrassistischen Stimmungsmache gegen Arme und Erwerbsarbeitslose! Sozialdaten sollen ebenso wie Gesundheitsdaten als sensible bzw. Daten besonderer Kategorie verfassungsrechtlich geschützt werden!
  • Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Überprüfung der Verantwortung für gesetzlich nicht vorgesehene Sozialkontrollen an der Grenze!
  • Soziale Menschenrechte umsetzen: Europäische Grundrechtecharta und UNO Pakt über wirtschaftlich, soziale und kulturelle Rechte in den Verfassungsrang sowie gesetzlich garantierte Möglichkeit das Menschenrecht auf Freizügigkeit und Pflege des Familienlebens zumindest für einen Monat pro Kalenderjahr auch für Armutsbetroffene ermöglichen!
  • Schutz ALLER „verletzlichen Gruppen“, also auch Armutsbetroffener und Erwerbsloser durch § 283 StGB „Verhetzung“.
  • Aktionsprogramm gegen Sozialrassismus in Regierung, Bürokratie, Medien und Bevölkerung! Der Grüne Sozialminister Wolfgang Mückstein hat hier endlich aktiv zu werden!
Hinweise:
  • Um Licht in die Aktion gegen Armutsbetroffene zu bringen, wird der Verein Aktive Arbeitslose Österreich ein Auskunftsbegehren an das Finanzministerium machen sowie die Datenschutzbehörde einschalten.
  • Zur Information der von der Vorenthaltung der sozialen Menschenrechte Betroffenen wird auf arbeitslosennetz.org eine eigene Informationsseite aufgebaut, erreichbar auch unter https://www.aktive-arbeitslose.at/auslandsaufenthalt
  • „Urlaub für Arbeitslose“ ist eine langjährige Forderung von Aktive Arbeitslose Österreich, wobei nunmehriger Finanzminister Gernot Blümel schon vor 7 Jahren durch sozialrassistische Ausfälle aufgefallen ist.
  • Presseaussendung des Finanzministerium: BMF und BMI ziehen in Schwerpunktwoche 180 Sozialleistungsbetrüger aus Grenzverkehr (3.8.2021)

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