Weg mit den Milizen von der Strasse Zu den Massenkämpfen in Chile

Politik

Die Risse des neoliberalen Modells vergrössern sich stetig, die Situation hat alle Eingrenzungsversuche der Regierung überschritten und sich in der ganzen Region ausgebreitet.

Demo in Santiago de Chile, Oktober 2019.
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Demo in Santiago de Chile, Oktober 2019. Foto: Jorge M. (PD)

28. Oktober 2019
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Nicht nur in den Strassen von Santiago wird protestiert, sondern in allen Gebieten der chilenischen Region haben die Menschen sich erhoben und den Kampf organisiert. Obwohl alles gegen uns steht, wächst der Wille unserer Klasse von Tag zu Tag und wir sind immer zahlreicher in diesem historischen Moment. Die Ausgangssperre wird überall in der Region kontinuierlich herausgefordert, mit massiven Demonstrationen der Unzufriedenheit setzen die Menschen ihren würdigen Kampf fort.

Die Antwort der Regierung bestand darin, die grausame Repression zu verstärken, so dass mehr als zehntausend Soldaten durch unsere Stadtteile und Strassen laufen, um den Terror des Staates zu entfesseln. Mit der Intention das Volk zu einzuschüchtern, werden Panzer und Kampfhubschrauber durch die Strassen und in den Himmel geschickt. Dieser Einsatz von Bullen, ratis [1] und Milizen hat die kämpfenden Menschen schwer getroffen. Bereits jetzt gibt es mehr als 1700 Inhaftierte, mehr als 250 Schwerverletzte, mehr als 15 Tote, bei denen der Staat seine Verantwortung und seinen Namen verstecken will; Hunderte von Verschwundenen, eine steigende Anzahl von Gefolterten und immer mehr Fälle von politisch motivierter sexueller Gewalt. Alle diese Schikanen und Morde liegen in der direkten Verantwortung des Staates und insbesondere der Regierung, die ihren Schergen freien Lauf liess und die dann keine Sekunde zögerten, um auf die unterdrückte Klasse zu schiessen.

Uns ist es besonders wichtig, die kämpfenden Völker auf die Kommunikationsstrategie aufmerksam zu machen, welche die Regierung gemeinsam mit der bürgerlichen Presse entwickelte. Ihr Ziel ist die Ablenkung vom sozialen Konflikt, indem sie die Idee etabliert, dass es sich um einen reinen Sicherheitskonflikt handeln würde, bei dem es primär um die Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung mittels eines grossen Sozialpaketes ist und nicht etwa um die Rückgabe der Rechte an das Volk. Im Fernsehen erscheinen stundenlang tendenziöse Bilder und komplizenhafte Meinungen, sowie Aufrufe der Regierung an einen nationalistischen Geist zur Bewältigung der Krise.

Die bürgerlichen Medien und die Regierung behandeln dies alles wie eine Naturkatastrophe, aber wir wissen, dass dies die Katastrophe des Kapitalismus und des Patriarchats ist und wir kämpfen dafür, uns von ihm und all seine Stützen zu befreien. Zum Schluss betonen wir, dass die Aufrufe zum Tragen des Trikots der chilenischen Fussballnationalmannschaft und die Schaffung eines nationalistischen Geistes dieselbe Strategie sind, welche vor einigen Jahren von der extremen Rechten in Brasilien benutzt wurde, um massive soziale Unzufriedenheit als politisches Sprungbrett zu benutzten, um an die Macht zu gelangen. Wir rufen dazu auf, diese Situation klar darzustellen und nicht den Faschismus zu stärken.

Wir lehnen den Opportunismus der politischen Parteien ab, welche nun behaupten, sie würden die Völker im Kampf vertreten. Ihr vertretet aber nur eure ärmlichen Interessen und versucht Machtpositionen zu erreichen, indem ihr das vergossene Blut der unterdrückten Klasse als opportunistische und parasitäre Strategie benutzt. Ihr habt keinen Platz in unseren Stadtteilen, in unseren Versammlungen und Demonstrationen, ihr habt keinen Platz in der neuen Welt, die wir erschaffen, sondern ihr repräsentiert alles, was wir ins Loch der Geschichte werfen.

Wir rufen dazu auf, mobilisiert zu bleiben, den Kampf in den Gebieten und den Strassen fortzusetzen. Es ist besonders notwendig, dass sich territoriale Versammlungen erheben, in denen wir selbstverwaltete Prozesse aus einer klassenbewussten, ökologischen und depatriarchalen Perspektive vorausweisend gestalten. Die Selbstorganisation der Unterdrückten bietet so die Antwort und Lösung, sowohl auf die drängendsten Probleme, wie auch auf jene mit längerer Reichweite. Wir müssen damit beginnen, eine organisierte Gemeinschaft und territoriale Kontrolle hervorzubringen, welche uns ermöglicht in der völligen Emanzipation voranzuschreiten, die unsere oberste Priorität sein sollte und nicht etwa institutionelle Auswege wie eine verfassungsgebende Versammlung oder irgendetwas anderes, das die bürgerliche Demokratie am Leben hält.

Abschliessend ist es notwendig, gemeinsam und ausgehend von den kämpfenden Sektoren einen Rahmen von Forderungen zu generieren, der die Diversität der Körper, Völker und Territorien und ihrer Problematiken repräsentiert. Aus diesem Grund ist es äusserst wichtig, in der Untergrabung der Säulen dieses bestehenden Modells voranzukommen, wofür es notwendig ist den Codigo de Agua [2] abzuschaffen und dem privaten Rentenfonds AFP [3] ein Ende zu setzen, sowie andererseits die unmittelbaren Lebensbedingungen unserer Klasse zu verbessern und die tägliche Arbeitszeit zu senken, das Transportsystem zu vergesellschaften, den Mindestlohn anzuheben, Unterverträge zu beenden, ein Recht auf eine würdige Wohnstätte, freie Abtreibung, würdige Gesundheit, Erlass aller Bildungsschulden (CAE, Fondo Solidario), Senkung der Preise der Grundversorgung (Wasser, Licht und Gas) und der Baustopp aller extraktiven Projekte. Gleichzeitig muss die legislative Agenda der Bourgeoisie gestoppt werden, welche den Neoliberalismus stützt.

Deshalb fordern wir die Abwendung von TPP-11, dem Gesetz der sozialen Integration, dem Gesetz der Gletscher, der Kontrolle jugendlicher Identität, der Reform der Renten, der Steuerreform und des Projekts der Wasserstrassen, im selben Sinne ist es unerlässlich, die Aula Seguara, das Anti-Terrorismus-Gesetz, das Statut zur jugendlichen Arbeit, das Migrationsgesetz, das Gesetz zum Kupfer, das Arbeits-Gesetzbuch und das Steuersystem abzuschaffen. [4] Abschliessend die Befreiung aller politischen Gefangenen; die Aufhebung des Ausnahmezustands und der Ausgangssperre; das Herausziehen aller Milizen und Bullen aus den Strassen, ein Ende der politisch motivierten sexuellen Gewalt und die Vernichtung des Gesetzes zur inneren Sicherheit des Staates. All dies gilt es mittels eines Generalstreiks und der konstanten Mobilisierung in den Strassen voranzutreiben.

Federación Anarqusita Santiago
Übersetzung: Pedro Celso

Fussnoten:

[1] 'Ratis' ist ein Ausdruck für Bullen der chilenischen Kriminalpolizei.

[2] Unter der Militärdiktatur wurde 1981 der Codigo de Agua erlassen, welcher Wasserrechte einführte. D.h. aufgrund dieses Gesetzes sind Gewässer in Chile privatisiert und die Rechte an ihrer Nutzung müssen erworben werden.

[3] „Administradoras de fondos de pensiones de Chile“, womit private Rentenfonds gemeint sind. Unter der Militärdiktatur wurde 1980 die Altersvorsorge vom Umlageverfahren auf das Kapitaldeckungsverfahren umgestellt.

[4] Hierbei handelt es sich um eine freie Übersetzung der im Originaltext genannten Gesetze.