Lehren aus dem Putsch in Chile 1973 Parlament und Panzer

Politik

Am 11. September 1973 putschte in Chile das Militär mit Unterstützung der CIA gegen die sozialistische Regierung von Salvador Allende.

Der Präsidentenpalast «La Moneda» in Santiago de Chile wird durch Luftstreitkräfte angegriffen, September 1973.
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Der Präsidentenpalast «La Moneda» in Santiago de Chile wird durch Luftstreitkräfte angegriffen, September 1973. Foto: Biblioteca del Congreso Nacional de Chile (CC BY 3.0 cropped)

14. September 2020
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Es folgten lange Jahre der brutalen Diktatur und neoliberalen Umgestaltung des Landes. Mit Blick auf die damaligen ökonomischen und politischen Verhältnisse und die Klassenkämpfe in Chile lassen sich wichtige Lehren für die Gegenwart ziehen – über linken Staatsfetisch, die Selbstorganisation der Arbeiter*innen und die Gewalt der Bourgoisie.

Am 11. September 1973 wurde die Regierungszeit von Salvador Allende gewaltsam beendet. Ein von den USA unterstützer Militärputsch, unter der Leitung des Generals Augusto Pinochet, erschütterte im wahrsten Sinne des Wortes die Hauptstadt Santiago. Panzer und Jagdflugzeuge bombardierten den Präsidentenpalast «La Moneda». Als die Putschisten das Gebäude stürmten, war Allende bereits tot. Er nahm sich mit einer AK-47 das Leben, die ihm Fidel Castro zwei Jahre zuvor geschenkt hatte.

Mit dem Sturz der sozialistischen Regierung Allendes wurde für 17 Jahre eine der brutalsten und repressivsten Diktaturen Lateinamerikas eingeleitet. Linke Parteien und Gewerkschaften wurden verboten und mehr als 40'000 Menschen für ihre politische Ansichten verhaftet und gefoltert. Über 3000 Menschen wurden ermordet.

Doch nicht nur die Wunden, die das Grauen der Militärdiktatur hinterliess, prägen die chilenische Gesellschaft bis heute. Die politischen und ökonomischen Konsequenzen der Niederlage des sozialistischen Projekts hallen ebenfalls nach. Nicht nur, weil die aktuelle Verfassung immer noch aus der Zeit der Diktatur stammt, sondern auch, weil die Militärdiktatur einem Neoliberalismus den Weg ebnete, der sich tief ins Rückenmark der chilenischen Gesellschaft eingebrannt hat. Die mit der Diktatur von Augusto Pinochet eingeführten und von den Nachbetern Milton Friedmans flankierten Massnahmen zur Liberalisierung der chilenischen Wirtschaft haben Chile lange den Ruf einer stabilen und prosperierenden Wirtschaft verliehen.

Friedman selbst sprach vom «Wirtschaftswunder von Chile». Durch Deregulierung des Arbeitsmarkts, Abschaffung von Zollschranken, Privatisierungen, Steuererleichterungen für Unternehmen und Kürzungen von Staats- und Sozialausgaben sollte das Wirtschaftswachstum angekurbelt und das Land modernisiert werden. Die Militärdiktatur Pinochets etablierte Chile als neoliberales Experimentierfeld für zukünftige Entwicklungen Lateinamerikas – und auch international.

Die neoliberale Ausrichtung der chilenischen Wirtschaft wurde auch im Jahr 1990 nach dem «Übergang zur Demokratie»1 unter dem Mitte-Links-Bündnis «Concertación» – die sozialdemokratische und die sozialistische Partei waren Teil des Bündnisses – beibehalten.

Nebst dem Gesundheits- und Bildungsbereich sind in Chile auch landwirtschaftliche und industrielle Unternehmen sowie haushaltsnahe Dienstleistungen wie Wasser, Elektrizität, Gas und Telefondienste privatisiert, was sich in enorm hohen Kosten niederschlägt. Um sich die teuren Lebenshaltungskosten, medizinische Behandlungen oder eine Ausbildung zu leisten, sehen sich viele Leute gezwungen, sich zu verschulden – viele haben mehrere Kreditkarten.

Diesen Druck verspüren nicht nur die subproletarischen Segmente der Klasse2, sondern er zieht sich praktisch durch die ganze Gesellschaft: Vom Volk der Mapuche3, dessen Flagge heute an vielen Demonstrationen geschwenkt wird, bis zur städtischen Mittelschicht. Die Verallgemeinerung der prekären Lebensbedingungen spiegeln sich im hohen Mobilisierungsgrad des jüngsten Aufstands wieder, der vor allem von Oktober 2019 bis März 2020 Chile erschütterte und durch die Covid-19 Pandemie deutlich gebremst wurde.

Im Gegensatz zu den 1970er Jahren gibt es zurzeit in Chile keine starke linke Kraft, die in der Lage wäre, den Unmut der Leute in parlamentarische Bahnen zu lenken. Der Zusammenschluss linker Parteien namens «Frente Amplio»4 ist vollkommen diskreditiert, zumal er seit dem Beginn des Aufstands eine Reihe von Gesetzesverschärfungen gegen die Demonstrant*innen mitgetragen hat und keine tiefgreifende strukturelle Veränderung der Gesellschaft anvisiert.

Seit den 1990er Jahren haben vielmehr anarchistische Positionen an Stärke gewonnen und anarchistische Prinzipien – von der direkten Aktion bis zur gegenseitigen Hilfe und basisdemokratischen Versammlungen – gehören zum Standartrepertoire der Revoltierenden. Dennoch droht mit der im Oktober dieses Jahres stattfindenden Volksabstimmung über eine neue Verfassung, die alte Hoffnung nach einer Veränderung vermittelt durch den institutionellen Rahmen des Staates, wieder an Stärke zu gewinnen.

Ein Blick auf die Geschichte Chiles der 1970er Jahre zu werfen, ist in dieser Hinsicht interessant, weil dadurch die Schranken eines radikal-sozialdemokratischen Prozesses deutlich werden. Dieser Reformismus zielt – trotz Verbalradikalismus – auf systemerhaltende Massnahmen ab. Seine Verfechter glauben, dass sich tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen legalistisch durch die staatlichen Institutionen herbeiführen liessen.

Die Schranken diese Vorgehens erschliessen sich nicht nur aus der grauen Theorie: Sie haben immer eine historisch-konkrete Dimension. Sie führten im Falle Chiles etwa auch zu innerlinken Konflikten während der Regierungszeit Allendes (1970-1973). Zugleich ist eine Auseinandersetzung mit der Zeit der sozialistischen Regierung auch darum von Bedeutung, weil der marode Zustand der traditionellen parlamentarischen Linken ein Echo der Niederlage der Arbeiter*innenklasse in den 1970er Jahre ist.5

Die Angst vor dem Kommunismus im Chile der 1960er Jahre

Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges prägte die Konfrontation zwischen den zwei Supermächten USA und Sowjetunion die globale politische Bühne. Der Kalte Krieg sorgte für einen rabiaten Antikommunismus, der in Lateinamerika spätestens mit der kubanischen Revolution von 1959 in rechts-konservativen und bürgerlichen Lagern einen ungeheuren Auftrieb erhielt. Chile war in den 1960er Jahren von einer grossen sozialen Ungleichheit, einer unproduktiven Landwirtschaft und einer fortschreitenden Inflation geprägt. Die Angst vor einem revolutionären Umsturz äusserte sich vor allem in einer unter dem Druck des Militärs vorangetriebenen Agrarreform.

Der damalige parteiunabhängige Präsident,6 Jorge Alessandri, führte 1962 die Reform ein, in der Hoffnung, die verarmten und prekarisierten Massen von revolutionären Ambitionen fernzuhalten. Damit ebnete er den Weg, damit ab dem Jahr 1964 sein Nachfolger Eduardo Frei, ein linker Christdemokrat, die Agrarreform weiter vertiefen konnte. Sinn und Zweck der Reform blieb jedoch stets derselbe: Durch Landverteilung und Förderung der landwirtschaftlichen Produktion die Verbreitung des Sozialismus in Chile und in Lateinamerika allgemein zu verhindern.

Widerstand gegen die Agrarreform kam aus dem konservativeren Lager rechter Kräfte: Obwohl mit dem Antikommunismus einverstanden, sahen viele Grossgrundbesitzer*innen ihre Interessen durch die Agrarreform bedroht und schlossen sich im Partido Nacional (Nationale Partei) zusammen. Dadurch gelang es ihnen eine starke Opposition zu bilden und die Agrarreform einzudämmen. Im selben Zug führte dies zu einer immer stärkeren Polarisierung der chilenischen Gesellschaft: Die Landbevölkerung und die Bäuer*innen begannen, vor allem zwischen 1968 und 1970, vermehrt Ländereien zu besetzen, was zu äusserst blutigen Konflikten führte und die Stimmung im Land zusätzlich verschärfte.7

Nebst der Agrarreform trieb Präsident Frei die Verstaatlichung der Kupferminen voran, um genügend Geld für Sozialprogramme und die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur zu haben, doch auch dieses Vorhaben ging nur langsam voran. Angesichts der Inflation, der stockenden Agrarreform, einer schleppende Verstaatlichung des Kupfers und der anhaltenden sozialen Ungleichheit und Armut, blieb der soziale Unmut bestehen.

In den Wahlen von 1970 wurde Salvador Allende beim vierten Anlauf als Kandidat der Unidad Popular (UP) zum Präsidenten gewählt. Er erbte ein durch den Kalten Krieg und innenpolitische Konflikte polarisiertes Land und eine immer mehr nach links tendierende soziale Bewegung, die die Macht der Grossgrundbesitzer*innen zunehmend in Frage stellte.

Das Programm der Unidad Popular

Die Unidad Popular war ein heterogenes Parteienbündnis der Linken. Stärkste Kräfte darin waren die stalinistisch orientierte Kommunistische Partei Chiles und die Sozialistische Partei.8 Innerhalb letzterer waren von Guevaristen über Trotzkisten bis zu Sozialdemokraten allerlei linke Positionen vertreten. Am 17. Dezember 1969 veröffentlichte die UP ihr politisches Programm, das einem Kompromiss der verschiedenen Kräfte innerhalb des Bündnisses gleichkam und später zu Konflikten führen sollte. Trotz der späteren Kontroversen war die Ausrichtung der Politik Allendes immer sehr nahe an diesem ausgearbeiteten politischen Leitfaden.

Zentraler Aspekt des Programms war die unerschütterliche Fügsamkeit gegenüber der parlamentarischen Demokratie, der Verfassung, dem juristischen Rahmen des Staates und allen staatlichen Institutionen. Zum politischen Programm gehörte als ausgesprochenes Ziel die Beseitigung der wirtschaftlichen Monopole, die Zurückdrängung des Imperialismus durch Verstaatlichungen und der Bruch mit der Macht der Grossgrundbesitzer*innen, um die Gesellschaft auf friedlichem Wege in Richtung Sozialismus zu führen. Als Säule des Wandels sollten, neben der Beseitigung der Latifundien9 durch eine Agrarreform, drei Eigentumsgebiete die Wirtschaft umstrukturieren und den Weg für den Sozialismus ebnen: Ein sozialer, ein gemischter und ein privater Sektor.

Das Sozialeigentumsgebiet sollte besonders befördert werden, denn es galt als «Embryo der zukünftigen sozialistischen Wirtschaft»10 durch das die Souveränität Chiles wiedererlangt und die Wirtschaft demokratisiert werden sollte. Insgesamt kann das Programm der UP als eine radikalisierte Weiterführung der politischen Agenda des vorherigen Präsidenten Frei verstanden werden, da die Regierung sowohl die Agrarreform als auch die Verstaatlichungen beschleunigte.

Angesichts einer fortwährenden sozialen Ungleichheit und der Tatsache, dass die Rohstoffproduktion (vor allem Kupfer, Eisen, Steinkohle und Salpeter) hauptsächlich in den Händen des US-Kapitals lag und die Agrarreform von Allendes Vorgängern nicht weit genug ging, stiess das Programm der UP auf grosse Begeisterung bei der Mehrheit der Bevölkerung.

Verstaatlichungen und Agrarreform

Die Verstaatlichung der Kupferminen gehörte zu den erfolgreichsten Massnahmen der UP. Im Jahr 1971 wurde mit der Zustimmung der Opposition ein Gesetz verabschiedet, das es dem Staat ermöglichte alle mineralischen Rohstoffvorkommen zu verstaatlichen.

Neben der Rohstoffproduktion wurden auch Banken und Versicherungen verstaatlicht. Dadurch erhoffte sich die Regierung, genügend Gewinne zu erwirtschaften, um das nötige Kapital für die industrielle Binnenentwicklung zu haben, wie auch für die Verbesserung der grundlegenden Infrastruktur im Land. Doch nicht jede Verstaatlichung verlief reibungslos und die Opposition versuchte das Vorhaben der Regierung zunehmend zu bremsen. So geriet beispielsweise der anfängliche Plan der Regierung, auf die Schnelle 150 Unternehmen zu verstaatlichen, bald ins Stocken.11

Was die Agrarreform angeht, so wurden im ersten Amtsjahr Allendes doppelt so viele Ländereien verteilt wie zur Amtszeit Freis. Auch wenn die Geschwindigkeit, mit der die Agrarreform durchgeführt wurde, die Glaubwürdigkeit der Regierung stärkte, kam es zu unterschiedlichen Schwierigkeiten und Konflikten. So waren beispielsweise die gesetzlichen Bestimmungen der Agrarreform Bestandteil heftiger Kontroversen innerhalb der Linken selbst. Vor allem im Hinblick auf die maximale Grösse, die ein Stück Land haben durfte, damit es von der Umverteilung verschont blieb.

Ferner hallten auch die Bestimmungen der Agrarreform der Regierung Freis nach. Diese hatte den Landbesitzer*innen ermöglicht, ihr Eigentum auf den Ländereien zu sichern. In vielen Fällen bedeutete dies, dass landwirtschaftliche Maschinen oder sogar Vieh selbst auf den Ländereien fehlte. Für weitere Verunsicherung sorgte die ungewisse längerfristige Perspektive, denn die Ländereien gehörten nach der Reform nicht den Bäuer*innen, sondern waren Bestandteil einer Semi-Kooperative, den sogenannten «Asentamientos». Dabei herrschte sowohl Unklarheit über die Art und Weise, wie diese geführt werden sollten, als auch über die Verteilung der Erträge.

Die staatlichen Institutionen, die mit der Durchführung der Agrarreform beauftragt wurden, waren überfordert und hatten keinen einheitlichen Plan. Viele Menschen blieben zudem von der Agrarreform ausgeschlossen. So erhielten beispielsweise Gelegenheitsarbeiter*innen auf dem Land keine Ländereien. Da es sich viele, denen Land zugeteilt wurde, nicht leisten konnten jemanden einzustellen, hatten etliche landlose Gelegenheitsarbeiter*innen keine andere Möglichkeit, als in die Armenviertel von Santiago und Valparaíso zu ziehen.

Bürgerlicher Widerstand gegen die Massnahmen der Regierung

Auch wenn die Regierung Allendes ein klares politisches Programm vor Augen hatte, sah sie sich von Anfang an mit allerlei Problemen konfrontiert. Einerseits versuchte die USA durch wirtschaftliche Sanktionen und der Einstellung von Krediten die chilenische Wirtschaft zu destabilisieren. Andererseits war die Regierung in konstantem Konflikt mit der nationalen Bourgeoisie, die Angst vor Verstaatlichungen hatte und – im Schulterschluss mit etlichen Händler*innen – zum Zwecke der Spekulation massenhaft Grundnahrungsmittel hortete, was eine künstliche Nahrungsmittelknappheit nach sich zog. Dies begünstigte wiederum die Herausbildung eines Schwarzmarktes.12 Nebeneffekt dieser Prozesse war ein extremer Anstieg der Lebenshaltungskosten.

Doch auch auf politisch-parlamentarischer Ebene sah sich die Regierung verschiedenen Problemen ausgesetzt, weil sie insbesondere auf ihr Bündnis mit der christdemokratischen Partei (Democracia Cristiana, DC) angewiesen war. Da bei den Wahlen vom 4. September 1970 keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erlangte, lag die endgültige Entscheidung über die Wahl des Präsidenten beim Kongress. Allende konnte sich nur Dank der christdemokratischen Partei gegen Jorge Alessandri durchsetzen. Dass die UP auf parlamentarischer Ebene auf Allianzen angewiesen war, um eine Mehrheit für neue Gesetze und Bestimmungen zu erhalten, begünstigte einen politischen Pragmatismus, der innerhalb der UP insbesondere von der Kommunistischen Partei getragen wurde.

Die unabdingbare Konsequenz solch eines Pragmatismus liegt auf der Hand: Die politische Ausrichtung der UP hatte sich an den Allianzen im Parlament zu orientieren, was de facto dazu führte, dass jegliche selbstorganisierten und spontanen Aktionen der Arbeiter*innenklasse für Skepsis und Misstrauen in der Regierung sorgten.

Nichtsdestotrotz ging aufgrund der wirtschaftlichen instabilen Lage Chiles, das Bündnis mit der christdemokratischen Partei im Verlauf des Jahres 1972 endgültig in die Brüche. Letztere wandte sich dem rechten Partido Nacional zu, was den rechten und konservativen Flügel im Kongress stärkte.

Problematisch war überdies der Glaube der UP an einen friedlichen gesellschaftlichen Wandel, vermittelt durch die Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft, der groteske Züge annahm. Einerseits, weil der Patriotismus gepriesen wurde und andererseits, weil der Gewaltapparat des Staates als Verbündeter galt. Eine unreflektierte Romantisierung des Militärs war in grossen Teilen der UP ausgeprägt: Das Militär galt als Garant für den Schutz der Arbeiter*innenklasse vor reaktionären Kräften. Bezeichnend hierfür ist die Rolle des Militärs im Programm der UP: Das Militär sollte einerseits für die nationale Sicherheit sorgen und aufgerüstet werden und andererseits vermehrt in das soziale Leben integriert werden. Hohe Löhne und Renten sollten dessen Loyalität gegenüber der Regierung sichern.

Dennoch war, vor allem zu Beginn der Amtszeit Allendes, die Stimmung in der Bevölkerung mehrheitlich positiv. Zwischen Oktober 1970 und Oktober 1971 beispielsweise stieg der Reallohn um 34 Prozent – unter anderem dank Preisregulierungsmassnahmen und vom Staat angeordnete Lohnerhöhungen – die Arbeitslosenquote sank und die Reformen in der Wohnpolitik, wie auch im Bildungs- und Gesundheitswesen verbesserten die Lebensqualität der prekarisierten Massen. Aus Angst vor weiteren Verstaatlichungen und davor, dass die Arbeiter*innen sich weiter radikalisieren könnten, liessen die Arbeitgeber die Regierung zunächst gewähren.

«Poder Popular» und Autonomie der Arbeiter*innenklasse

Die komplizierte Lage, in der sich die Regierung Allendes von Anfang an befand, führte auch innerhalb der Linken zu Konflikten. Der von der UP eingeschlagene Weg wurde von vielen Arbeiter*innen, wie auch vom linken Flügel der UP und auch von Gruppierungen ausserhalb der UP, wie beispielsweise dem MIR13, vehement kritisiert, weil die Regierung zu zögerlich handelte und versuchte jegliches autonomes Handeln der Arbeiter*innenklasse zu unterbinden. Die Massen sollten sich am gesellschaftlichen Wandel zwar beteiligen, aber der friedliche Weg hin zum Sozialismus sollte in letzter Instanz von der Regierung bestimmt werden.

Vor allem die Kommunistische Partei stand im Fadenkreuz der Kritik. Sie war diejenige Kraft innerhalb der UP, die dazu drängte, gemässigt zu handeln, um die bürgerlichen Parteien und die nationale Bourgeoisie nicht abzuschrecken. Dies beinhaltete auch die Bändigung die radikalsten Segmente der Arbeiter*innenklasse, wenn nötig durch Repressalien. Auch die Sozialistische Partei, die innerhalb der UP die radikalsten Positionen vertrat, stützte diesen von der KP vorgeschlagenen Kurs.

Arbeiter*innenkomitees und gewerkschaftlicher Flügel der UP

Die circa 15'000 von der UP erschaffenen Komitees in den Nachbarschaften und Fabriken sollten die Grundlage für die Wahlmobilisierung für den «Poder Popular» bilden. Hier sollten die Leute ihre Anliegen kundtun, die in einem nächsten Schritt an höhere staatliche Instanzen weitergeleitet werden sollten. Doch nach den Wahlen verloren die Komitees an Bedeutung und waren nicht in der Lage, als Vermittlungsinstanz zwischen Basis und Führung zu fungieren.

Selbst in den verstaatlichten Fabriken konnte nicht von Arbeitermacht die Rede sein, auch wenn die Verstaatlichungen die Situation vieler Arbeiter*innen in den Fabriken tatsächlich verbesserte, weil die hierarchischen Strukturen gelockert, die Mitsprache gestärkt und die Löhne erhöht wurden. Die Partizipation der Arbeiter*innen in den Entscheidungsprozessen der verstaatlichen Betrieben war in der Tat ein Novum in der Geschichte Chiles. Doch sie sollte nicht überschätzt werden, zumal die partizipatorische Einbindung bei weitem nicht in allen verstaatlichen Betrieben stattfand. Selbst dort, wo die Werktätigen an Entscheidungsprozessen beteiligt waren, war ihre Einbindung durch Kontrolle und Begrenzung ihrer autonomen Handlungsmacht gekennzeichnet.

De facto lag die Kontrolle der verstaatlichten Fabriken in staatlicher und gewerkschaftlicher Hand. Die Central Única de Trabajadores14 (CUT) fungierte dabei als gewerkschaftlicher Arm der Regierung. Festgehalten wurde diese Zusammenarbeit bereits einige Monate nach dem Amtsantritt Allendes in einem Abkommen zwischen Regierung und CUT, das am 7. Dezember 1970 unterzeichnet wurde. Darin wurde auch die Notwendigkeit des «patriotischen Engagements» der Arbeiter*innen zur Erhöhung der Produktivität betont.

Von einer verallgemeinerten und vertieften Arbeiterkontrolle der Produktion kann also nicht die Rede sein, allzu oft wurde innerhalb der UP die Partizipation der Arbeiter*innen nur geduldet, so lange sie den politischen Kurs der Regierung unterstützten.

Exemplarisch für die immer stärker werdenden Konflikte zwischen Basis und Führung ist die im Mai 1972 veranstaltete «Vollversammlung von Concepción», an der Allende und die Kommunistische Partei sich nicht beteiligten und die von verschiedenen Nachbarschaftsgruppen, dem MIR und dem linken Flügel der UP organisiert wurde. In der Versammlung wurde die Regierung kritisiert und für eine Stärkung der Entscheidungskraft der Basis plädiert.

Der Streik vom Oktober 1972 und die innerlinken Konflikte

Die Diskrepanz zwischen den radikalen Diskursen der UP und dem tatsächlichen Handeln der Regierung, die jegliche autonome Aktionen der Land- und Industriearbeiter*innen unterband, erreichte im Oktober 1972 mit dem Streik der Lastwagenfahrer*innen ihren Höhepunkt.

Angespornt durch die Angst vor dem Sozialismus, dem Gerücht einer möglichen Verstaatlichung aller Transportunternehmen, einer instabilen Wirtschaft und einer zunehmenden Hyperinflation, wurde am 9. Oktober 1972 ein Streik im Transportwesen ausgerufen. Er wurde von Arbeitgeberverbänden und der CIA finanziell unterstützt. Ziel des fast vierwöchigen Streiks war es, die Regierung zu destabilisieren: Die Hauptstrassen des Landes wurden blockiert und die Lebensmittel- und Treibstoffversorgung massiv eingeschränkt.15 Angesichts der dadurch ausgelösten Verstärkung der Nahrungsmittelknappheit reagierte die Regierung gereizt, verhängte einen Ausnahmezustand inklusive Ausgangssperre und erschuf ein zivil-militärisches Kabinett, um die Kontrolle über die Situation im Land zu bewahren.

Wichtigste Eingliederung des Militärs in die Regierung war der Oberbefehlshaber der Armee, Carlos Prats, der zum Innenminister ernannt wurde und somit die Verantwortung für die öffentliche Ordnung trug. Es war letzten Endes General Prats, der anfangs November 1972 mit den Streikenden verhandelte und die Einstellung des Streiks erlangte. Er sollte es auch sein, der im Juni 1973 den ersten Versuch eines Militärputsches niederschmetterte.16

Während die Regierung im Oktober 1972 überfordert und planlos schien, bewegte sich die Basis äusserst schnell und entschlossen, was die bereits bestehenden Konflikte zwischen Basis und UP verstärkte. Anstatt auf eine Antwort auf den Streik seitens der Regierung zu warten und in einer defensive Haltung zu erstarren, begannen die radikalsten Segmente der Arbeiter*innenklasse vermehrt selbstständig Fabriken und Land zu besetzen und unter Arbeiter*innenkontrolle zu bringen. Die sogenannten Cordones Industriales17 begannen sich zu verbreiten.

Cordones Industriales und Consejos Comunales

Die «Cordones Industriales», zu Deutsch «Industriegürtel», waren Räte-ähnliche Koordinierungszusammenschlüsse der Arbeiter*innen aus verschiedenen besetzten Fabriken und Unternehmen18. Jeder dieser Industriegürtel koordinierte die Kämpfe der Arbeiter*innen innerhalb einer Gegend. Obwohl die ersten «Cordones» im Juni 1972 entstanden, verbreiteten sie sich vor allem während des Lastwagenfahrer-Streiks im Oktober 1972. Dies, um politischen Druck gegen den Streik aufzubauen, aber auch um die Lebensmittelversorgung und die Fortführung der Produktion zu organisieren, die unter dem Streik massiv zurückgegangen waren. Allein im Oktober 1972 wurden 65 Fabriken von Arbeiter*innen besetzt und unter Arbeiter*innenkontrolle gebracht. Viele Industriegürtel hatten auch eine einigende Funktion, zumal in ihnen Arbeiter*innen aus verschiedenen Branchen mit Bäuer*innen zusammenfanden. In vielen Industriegürteln wurden zudem offene Kinderkrippen und Kindergärten errichtet und eigene Zeitungen herausgegeben.

Um die Güterverteilung in den Quartieren effektiv zu koordinieren, gründeten sich hingegen die «Comandos Comunales»19 (CC), autonome Arbeiter*innenstrukturen, die als Koordinierungs- und Entscheidungsstrukturen fungierten, um anstehende Aufgaben zu verteilen und, zusammen mit den staatlichen «Juntas de Abastecimiento y Control de Precios» (JAP)20 – oder teilweise gegen sie21 –, die Lebensmittelversorgung zu koordinieren.

Sowohl die CI als auch die CC waren Ausdruck einer zunehmenden Polarisierung innerhalb der Linken selbst und stellten die Führungsposition der Unidad Popular und der Gewerkschaft CUT in Frage. Die Selbstinitiative der Arbeiter*innenklasse sorgte innerhalb der UP für Unruhe, zumal einige ihrer Fraktionen, insbesondere die Kommunistische Partei, als Antwort auf den Streik vom Oktober nicht die Intensivierung des Klassenkampfes, sondern dessen Eindämmung anvisierten. Nebst der Einbindung des Militärs forderten Teile der UP die Rückgabe mehrerer Fabriken, um die nationale Bourgeoisie zu beschwichtigen.

Der sogenannte «Prats-Millas-Plan», der von General Prats und Orlando Millas (beides KP-Mitglieder) ausgearbeitet wurde, sah vor, rund 123 besetzte Fabriken an ihre Eigentümer zurückzugeben und die staatlich kontrollierten Unternehmen auf 49 zu reduzieren. Die KP befürchtete, dass durch die autonom organisierten Fabrikbesetzungen – die den legalen Rahmen des bürgerlichen Staates durchbrachen – die CUT und somit letzten Endes auch die UP, die Kontrolle über die Fabriken verlieren würde. Allende stützte diesen Kurs, weil die Selbstorganisation der Arbeiter*innen einem unzulässigen «Parallelsyndikalismus» gleichkäme. Der «Prats-Millas-Plan» wurde jedoch nie umgesetzt, erfolgreiche Arbeiter*innenmobilisierungen verhinderten die Pläne der Regierung.

Weitaus entscheidender war die am 20. Oktober 1972 eingeführte «Ley de control de armas», ein Waffenkontrollgesetz, das den Handlungshorizont des Militärs erweiterte. Dadurch etablierte sich bereits vor dem Putsch die Repression gegen die organisierten Arbeiter*innen, denn zahlreiche Häuser und Cordones Industriales wurden – unter dem Vorwand dass die Arbeiter*innen illegal Waffen gelagert hätten – durchsucht und viele Arbeiter*innen wurden verhaftet oder gefoltert.

Ein Koordinierungszusammenschluss aus Cordones Industriales, die «Coordinadora Provincial de Cordones Industriales», wandte sich in diesem Sinne am 5. September 1973, nur sechs Tage vor dem Militärputsch, per Brief an den Präsidenten Allende. Darin hielten sie fest: «Wir fordern die Aufhebung des Waffenkontrollkontrollgesetzes. Dieses, sogenannte ‹verfluchte Gesetz›, hat nur dazu gedient, die Arbeiter durch Razzien in Fabriken und Arbeiterquartieren zu kränken. Das Gesetz dient den reaktionären Kräften als Generalprobe, um sich gegen die Arbeiter zu stellen, sie einzuschüchtern und die tragenden Figuren der Bewegung zu identifizieren.»

Im selben Brief wurde ausserdem vehement beteuert, dass viele Entscheidungen der Regierung die reaktionären Kräfte gestärkt haben, rechte Kräfte im Aufschwung seien und dass ein Putsch eine unmittelbare Bedrohung sei: «Wir sind absolut davon überzeugt, dass historisch gesehen der Reformismus, der den Dialog mit denjenigen sucht, die uns immer und immer wieder verraten haben, der schnellste Weg zum Faschismus ist. […] Wir sind nicht nur der Meinung, dass wir uns rasant in Richtung Faschismus bewegen, sondern auch, dass uns die Mittel zur Selbstverteidigung vorenthalten werden.»

Nur wenige Tage später kam es zum befürchteten Militärputsch. Allende selbst hatte einen Monat zuvor, im August 1973, Augusto Pinochet zum Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte ernannt, nachdem General Prats seinen Posten aufgegeben hatte. Stunden vor seinem Tod hielt Allende per Radio aus dem Präsidentenpalast seine letzte Rede an die Nation. Im Wissen, dass er den Tag wohl nicht überleben wird und dass seine letzten Worte wohl in die Geschichtsbücher eingehen, verabschiedete und bedankte er sich bei den chilenischen Arbeiter*innen und gab dem Imperialismus und dem ausländischen Kapital die Schuld für den Verrat des Militärs.

Linker Staatsfetischismus

«In Chile ist weder die Linke gescheitert, noch der Sozialismus, noch die Revolution, noch die Arbeiterschaft. In Chile ist auf tragische Art und Weise eine reformistische Illusion beendet worden, die darauf setzte Revolution zu machen mit […] dem Einverständnis derer, gegen die sie sich richtete: Der herrschenden Klasse». (Miguel Enríquez)

Im Chile der 1970er Jahren stellten die radikalsten Segmente der Arbeiter*innenklasse die politische Form der Warenproduktion in Frage – den gesetzlichen Rahmen des bürgerlichen Staates und dessen Funktion zur Aufrechterhaltung des Privateigentums – nicht aber die Warenproduktion selbst. Was es aber in Chile seitens der Arbeiter*innen durchaus gab, waren Räte-ähnliche Selbstorganisationsversuche, die danach trachteten, mit dem legalen und bürokratischen Rahmen des Staates, der Gewerkschaften und der politischen Parteien zu brechen. Doch leider blieben diese Bemühungen sporadisch und defensiv. Es gelang den Selbstorganisationsversuchen nicht, über eine embryonale Phase hinaus zu gelangen.

Die in der Unidad Popular vereinten reformistischen Kräfte der Linken, insbesondere Allende und die Kommunistische Partei – vernarrt in die Idee eines neutralen Militarismus und von einem unersättlichen Vertrauen in die juristischen Werkzeuge des Staates beseelt – sahen in den radikalen Teilen der Arbeiter*innenklasse nicht nur eine Gefahr für die eigene politische Hegemonie, sondern auch für den Sozialismus insgesamt.

Eine traditionell antiimperialistische Ausrichtung charakterisierte ihre ideologische Neigung, die, ganz im Duktus des marxistisch-leninistischen Staatsfetischismus, danach trachtete, die unterdrückte Klasse zu repräsentieren und die bürgerlichen Machtapparate und die Ökonomie im Namen der Revolution zu übernehmen. Die Regierung erhoffte sich durch die Eindämmung des Klassenkampfes eine Abwendung des Militärputsches. Das Gegenteil war der Fall: Faktisch verschob sie mit ihrer Politik das Kräfteverhältnis unwissentlich immer mehr zugunsten eines Putsches.

Heutzutage ist es extrem unwahrscheinlich, dass unter Linken in Chile dem Militär im selben Mass, wie in den 1970er Jahren, Vertrauen geschenkt wird. Zu traumatisierend waren die Jahre der Militärdiktatur. Auch die Polizei steht eher schlecht da. Das brutale Vorgehen gegen Demonstrant*innen der letzten Monate und Jahre, inklusive zahlreichen Fällen von Folter und sexueller Misshandlung, wird sicher nicht so schnell aus dem kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft verschwinden. Dass die Revoltierenden kein Vertrauen in den Gewaltapparat des Staates gezeigt haben und der Aufstand hauptsächlich ohne politische Führer oder Parteien verlief, zeugt von einer weitaus radikaleren und kritischeren Einstellung gegenüber dem Staat und der bürgerlichen Politik als während der 1970er Jahre. Nichtsdestotrotz ist es sehr wahrscheinlich, dass die Abstimmung über eine neue Verfassung einen rekuperativen Charakter hat, obwohl von vielen Seiten kritisiert wird, dass eine neue Verfassung an den strukturellen Fundamenten der Gesellschaft nichts ändern wird.

Es bleibt abzuwarten, ob alle Hoffnung auf die Abstimmung für eine neue Verfassung im Oktober gesetzt wird oder ob es wieder zu Massenmobilisierungen kommt und die unzähligen Basisversammlungen in den Quartieren weiter wachsen und sich vernetzen. Allerdings fehlte diesen horizontalen Organisationsformen ein entscheidender Aspekt, der in den 1970er Jahren viel präsenter war: Der Klassenkampf muss auch auf der Ebene der Produktion geführt werden. Die Cordones Industriales und die Comandos Comunales sind in dieser Hinsicht interessante Anknüpfungspunkte, die aus der Vergessenheit gerettet werden müssen.

Auch wenn die Piñera-Regierung die andauernde Covid-19-Pandemie arglistig als Verschnaufpause nutzte und die Repression und die Kontrolle des Staates intensivierte, zeichnen sich weitere Konflikte ab. Die Verschärfung gesellschaftlicher Widersprüche im Zuge der Pandemie könnte in einer politisierten chilenischen Gesellschaft die Wut der Leute weiter befeuern und zu einer Intensivierung des Klassenkampfes führen. Ob sich tatsächlich ein Aufstand 2.0 – wie er in den sozialen Medien und auf den Strassen genannt wird – anbahnt und wie radikal der sein wird, kann nur die reale Bewegung auf der Strasse beantworten.

M. Lautrèamont
ajourmag.ch

Fussnoten:

[1] Dem Übergang zur Demokratie war zwei Jahre zuvor ein Referendum über eine Verlängerung der Amtszeit Pinochets vorausgegangen.

[2] Diejenigen Segmente der Klasse die vom Produktionsprozess ausgeschlossen sind oder durch informelle Arbeit ihr Überleben sichern.

[3] Die Mapuche sind das grösste indigene Volk Chiles und leisten seit jeher Widerstand gegen den Staat und den Extraktivismus. Dadurch sind sie seit Jahrzehnten mit Repression konfrontiert und werden durch Antiterrorgesetze bekämpft.

[4] Zu deutsch: Breite Front

[5] Mehr noch: Nicht nur die traditionelle Linke Chiles ist dem Untergang geweiht, vielmehr befindet sich die gesamte Linke Lateinamerikas in einer äusserst prekären Situation: Das flüchtige Aufbäumen linker Regierungen im Rahmen des sogenannten «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» ist bereits passé. Die Abhängigkeit vom Extraktivismus machte viele Regierungen anfällig für Rohstoffpreisschwankungen auf dem Weltmarkt und, noch viel wichtiger, die durch den Rohstoffverkauf finanzierten Sozialprogramme führten zu einer Depolitisierung der Basis, weil sie oft mit einer Individualisierung sozialer Probleme einhergingen.

[6] Obwohl parteiunabhängig wurde er von liberalen und konservativen Parteien unterstützt.

[7] Ende der 1950er Jahre formierte sich in Chile eine neue soziale Bewegung: Proletarisierte aus dem ländlichen Raum drangen in die Städte und besetzten meist unbebaute Brachen, die mittlerweile weitgehend normale Viertel der Grossstadt Santiago sind. Solche Landbesetzungen sind nicht unüblich in der Geschichte der Entstehung von Grossstädten. Was jedoch die Bewegung der «pobladores» in Chile auszeichnet, ist das hohe Mass an Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe in den besetzten Stadtteilen.

[8] Ebenfalls Teil des Bündnisses waren die Sozialdemokratische Partei Chiles, die Christliche Linke Partei Chiles, die Unabhängige Volksaktion (eine links-populistische/nationalistische Partei), die Radikale Partei, die aus dem radikalen Flügel der liberalen Partei hervorgegangen war, die linkschristliche Bewegung der Einheitlichen Volksaktion (MAPU) und eine Abspaltung derselben: die Arbeiter und Bauernbewegung der Einheitlichen Volksaktion. Die politisch-militärische marxistisch-leninistische/guevaristische linksradikale Gruppe «MIR» (Movimiento de Izquierda Revolucionaria) hingegen, die im Verlauf der Amtszeit Allendes eine nicht unwichtige Rolle spielen sollte, begnügte sich mit einer kritischen Unterstützung der Regierung Allendes, war aber selbst nicht Teil der UP.

[9] Ein grosse Anzahl Ländereien in den Händen weniger Grossgrundbesitzer.

[10] Vgl. Allende. Mensaje al Congreso Pleno. 21. Mai 1972. in. Die Partizipation der Werktätigen an der Führung der Betriebe während der Regierung der Unidad Popular in Chile (1970-1973)

[11] Nach dem ersten Jahr der Amtszeit Allendes lagen schätzungsweise 20 Prozent der industriellen Produktion in staatlichen Händen (was sich bis zum Militärputsch nicht gross ändern sollte). Wobei dies insgesamt nur 10% der Arbeiterschaft betraf, also ca. 56'000 Arbeiter*innen. Die klein und mittlere Industrie, wie auch die Textil-, Bau und Lebensmittelindustrie, in denen ca. 500'000 Arbeiter*innen beschäftigt waren, blieben meist von Verstaatlichungen verschont. Vgl. Gaudichaud Frank, in: Poder Popular, Estado y luchas sociales.

[12] Dies veranlasste die Regierung im April 1972 dazu, die sogenannten Juntas de Abastecimiento Popular (JAP) ins Leben zu rufen – Populäre Warendistributionsläden in denen überteuerte Preise unterbunden wurden.

[13] Die MIR war eine bewaffnete linksradikale Organisation, die stets skeptisch gegenüber dem parlamentarischen Weg Allendes war und – trotz ihres avantgardistischen Anspruchs – die Autonomie der Arbeiter*innenklasse gegenüber der UP verteidigte und versuchte den Klassenkampf zu radikalisieren. Als eine der wenigen linken Gruppierungen leistete sie zudem nach dem Militärputsch bewaffneten Widerstand.

[14] Zu Deutsch: Arbeiterzentrale. Die CUT wurde 1952 gegründet und hatte ca. 700'000 Mitglieder, also ca. 25 Prozent der Arbeiterschaft, davon waren jedoch nur die Hälfte Industrie oder Minenarbeiterinnen. Grösstenteils waren die Mitgliederinnen öffentliche Angestellte oder Bäuerinnen. Im öffentlichen Sektor betrug die Mitgliedschaft in der CUT ganze 95 Prozent, was jedoch nicht überinterpretiert werden sollte zumal 90 Prozent der ganzen Arbeiterschaft im Privaten Sektor tätig war und davon nur 23 Prozent in der CUT organisiert war. Vgl. Gaudichaud Frank, in: Poder Popular, Estado y luchas sociales. Bei der Gründung der CUT waren anfangs auch Anarchistinnen teil der Gewerkschaft. Sie distanzierten sich jedoch zunehmen, aufgrund der hierarchischen Orientierung und der reformistischen Ambitionen der CUT.

[15] Der Streik spornte u. a. auch nationalistische Gruppen wie «Patria y Libertad» (Nation und Frieden) an. Attentate gegen linke Aktivisten und Organisationen begannen sich zu vermehren.

[16] Dieser Versuch wurde nicht von Pinochet organisiert, sondern vom Oberleutnant Roberto Souper, der im Militär nicht genügend Unterstützung hatte, um den Militärputsch erfolgreich zu Ende zu führen.

[17] Zu deutsch: Industriegürtel. In den CI waren mehrere besetzte Fabriken und Unternehmen einer Gegend miteinander koordiniert und vernetzt. Sie wurden vor allem vom linken Flügel der SP und dem MIR unterstützt. Es gibt keine genauen Angaben über die Anzahl der CI in ganz Chile, doch über folgende hat man sicher Kenntnis: Cordónes Industriales O'Higgins, Vicuña Mackenna, Macul, San Joaquín, Recoleta, Mapocho-Cordillera, Santa Rosa-Gran Avenida, Panamericana Norte, Santiago Zentrum, Arica, Concepción (CI Talcahuano), Antofagasta, Osorno und in Valparaíso (CI El Salto, 15 Norte, Quilpué). Am stärksten waren die CI in Santiago, der Hauptstadt, wo zehntausende Arbeiter*innen in der Cordónes organisiert waren.

[18] Die Selbstorganisation des öffentlichen Lebens und Teilen der Produktion in räteähnlichen Strukturen, hatten u.a. ihren Ursprung in den Landbesetzungen der 1950er Jahren, in denen Selbstorganisation und gegenseitige Hilfe wichtige Fundamente waren. Die Selbstorganisationsversuche der 1970er kamen also nicht von ungefähr. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass es gerade solche aus weitgehend autonomen Landbesetzungen hervorgegangenen Quartieren wie «La Legua» waren, die zumindest in den ersten Jahren der Diktatur das Zentrum des Widerstandes waren.

[19] Es gab ungefähr 100 Comandos Comunales.

[20] Versorgungs- und Preiskontrollinstanzen, die ab Mitte 1971 erschaffen wurden, um die eintretende Lebensmittelknappheit abzufedern. Sie waren Warendistributionsläden in denen überteuerte Preise unterbunden wurden.

[21] In einigen Fällen, wurde die Distribution der Lebensmittel, wie auch die Hortung derselben zum Zwecke der Gewinnoptimierung ohne jegliche staatliche Intervention organisiert: Läden, die überrissene Preise forderten oder Grundgüter horteten, wurden besetzt und von den Arbeiter*innen selbst kontrolliert.