Auf einer Wellenlänge mit Jair Bolsonaro Boliviens Elite: Feuer und Flamme für den Fleischexport

Politik

Die Brände in Brasilien, Bolivien und Paraguay dienen der Viehwirtschaft, der chinesischen Mittelschicht und dem Drogenhandel.

Waldbrand in Bolivien, September 2019.
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Waldbrand in Bolivien, September 2019. Foto: Puya Raimondi (CC BY-SA 4.0 cropped)

9. September 2019
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Fünf Tage am Stück war Luis Pardo López nun in den Feuern rund um Chiquitina, im Südosten Boliviens. Der Besitzer eines Herrenmodegeschäfts in Cochabamba, Boliviens viertgrösster Stadt, ist einer von Hunderten Freiwilligen, die sich in den letzten Tagen im Andenstaat mobilisiert haben, um gegen die Waldbrände im Land vorzugehen. Weder wollten sie auf die Hilfe der Regierung warten noch vertrauen sie darauf, dass diese tatsächlich eintrifft. Schliesslich wüten die Feuer seit Anfang August, und es wurde kaum etwas dagegen unternommen. Trotz der Forderung der Zivilgesellschaft, endlich internationale Hilfe zuzulassen, verhielt sich die Regierung um Evo Morales über Wochen passiv. Bis ein grosses Tankflugzeug und Löschhelikopter aufgeboten wurden, verging sehr viel Zeit.

Dabei brennt es nicht nur im Amazonas-Regenwald, sondern auch im Gran Chaco, einer Hunderte Quadratkilometer grossen Region mit verschiedenen Vegetationen, die sich von Argentinien über Paraguay bis nach Bolivien erstreckt. Chiquitina im Departament Santa Cruz, umgeben von der brasilianischen Grenze, ist Teil davon.

Feuer gelegt mit alten Autoreifen

Inzwischen sind über eine Million Hektaren Land verbrannt. Das entspricht einem Zehntel der Schweiz. Doch die tatsächlichen Auswirkungen dürften erst in ein paar Wochen ersichtlich werden. Denn noch immer sind viele Feuer nicht gelöscht. Einige brennen schon länger, andere sind neu hinzugekommen. «Das derzeitige Chaos», erklärt Luis Pardo via WhatsApp, «wird genutzt, um weitere Brände zu legen.» Der 33-Jährige, der zusammen mit seinen rund dreissig compañeros vor Ort ist, spricht von Feuern, die mit Hilfe von alten Autoreifen und trockenen Baumstämmen gelegt worden seien; alle 20 bis 25 Meter hätten sie entsprechende Feuerstellen gefunden. «Wir müssen dieses Desaster an die Öffentlichkeit tragen», sagt Pardo, müde vom Nachteinsatz. «Ich möchte, dass die Menschen wissen, was in meinem Land passiert.»

Das wollen auch andere in Bolivien, etwa die StudentInnen der Kommunikationswissenschaften der Universität Cochabamba. Viele von ihnen sind junge Mütter, die ihrer Kinder wegen nicht ins Krisengebiet fahren können. Deshalb haben sie wie andernorts im Land eine WhatsApp-Gruppe organisiert, bestehend aus Freiwilligen, Feuerwehrfrauen und -männern, Hausfrauen, Veterinär-MedizinerInnen sowie nationalen und internationalen JournalistInnen. Es ist von Hilfslieferungen die Rede, von neuen Handschuhen, Gesichtsmasken, Stiefeln, Trinkwasser und Nahrungsmitteln. Selbst wenn die WhatsApp-Mitteilungen zwischendurch etwas chaotisch wirken: Sie ermöglichen die rasche Kommunikation zwischen Stadt und Land, zwischen Versorgungszentren und Krisengebiet. Ausserdem zeigt es das Engagement aus der Zivilgesellschaft.

Täglich laufen neue Bilder, Videos und Augenzeugen-Berichte in den Nachrichtenkanal: von verkohlten Wasserschweinen und Tapiren, von meterhohen Flammen und noch höheren Rauchschwaden. Auf einem der Videos sind HelferInnen zu sehen, die verzweifelt versuchen, von Hand ihre comunidad von der Feuersbrunst zu schützen. Die Polizei von Chiquitania hat am Dienstag zwei Männer festgenommen, die mit Benzin und alten Autoreifen weitere Flächen zu roden versuchten. Offenbar, so teilte der zuständige Polizeikommandant mit, hatten die Männer die Kontrolle über das Feuer verloren – wie andernorts auch.

Wie viel Kalkül tatsächlich hinter den Bränden steckt, ist schwierig zu sagen, zumal Brandrodungen in der betroffenen Region in dieser Jahreszeit Alltag sind. Allerdings wurden sie durch Evo Morales Anfang Juli zusätzlich legitimiert. Per Dekret hat der bolivianische Präsident kontrollierten Brandrodungen zugestimmt, um in Beni und Santa Cruz neue Landwirtschaftsflächen zu erschliessen – also genau dort, wo das Feuer derzeit wütet. «Wir haben die Aufgabe und die Mission, dass Bolivien wirtschaftlich wächst», sagte Evo Morales damals und forderte die Viehzüchter auf, moderne Kühlanlagen zu bauen, um bolivianisches Fleisch in die Welt exportieren zu können, konkret: nach China.

Bolivien werde 2020 für 150 Millionen Dollar Fleisch exportieren, hatte der Präsident des Bolivianischen Instituts für Aussenhandel kürzlich dem Online-Portal dialogochino.net gesagt. Ziel sei es jedoch, die Zahl der Rinder innerhalb von zehn Jahren von 10 Millionen auf 17 Millionen Tiere zu erhöhen. Gemäss den bolivianischen Viehzüchtern und ihrer Planung 2020–2030, die Anfang 2019 präsentiert wurde, müsste dazu die Fläche für Viehzucht von derzeit 13 Millionen Hektar auf 20 Millionen Hektar vergrössert werden. Brandrodungen sind der schnellste und günstigste Weg dazu. Die Landwirtschaftsindustrie hat seit der Jahrtausendwende kräftig Gebrauch davon gemacht. Allein zwischen 2000 und 2013 sind im ganzen Land 32 Millionen Hektar verbrannt worden, hauptsächlich für Viehzucht und Landwirtschaft; ein Drittel davon waren Waldbrände.

Auf einer Wellenlänge mit Jair Bolsonaro

Bestärkt fühlen sich die bolivianischen Viehzüchter durch die hohe Nachfrage aus China mit seiner schnell wachsenden Mittelschicht. Ein Abkommen für den Soja-Export wurde Ende 2018 abgeschlossen, eines für Fleisch im April dieses Jahres. Als wichtigster Geldgeber des Andenstaates hat sich China inzwischen mit verschiedenen Infrastruktur- und Rohstoff-Projekten – allen voran Erdöl und Gas – im bolivianischen Tiefland eingerichtet. Auch da hatte Morales seine Finger im Spiel, als er bereits Mitte 2015 ankündete, entsprechende Projekte in geschützten Gebieten vorantreiben zu wollen. Das sei eine «weise und verantwortungsvolle Entscheidung», liess er sich damals zitieren und erwähnte, dass sich Bolivien nicht den Stiftungen und NGOs aus Europa und den Vereinigten Staaten unterwerfen werde, die Widerstand gegen diese Aktivitäten leisteten.

Seine Worte erinnern heute an jene von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der nach der Ankündigung Deutschlands und Norwegens, ihre finanzielle Unterstützung zum Schutze des Amazonas zu sistieren, lapidar meinte: «Ist Norwegen nicht jenes Land, das drüben am Nordpol Wale tötet und Erdöl fördert? Sie haben uns nichts zu bieten und sollen ihr Geld Angela Merkel zur Aufforstung Deutschlands geben.»

Die europäischen Regierungen mögen einen Doppel-Diskurs führen: einerseits Handelsverträge für Getreide- und Fleischimport mit lateinamerikanischen Staaten abschliessen, andererseits Geld zum Schutz des Amazonas spenden. Zudem wurde nach dem Brand von Notre Dame in Paris im April innert kürzester Zeit 850 Millionen Dollar gesammelt, die G7 will die Länder des südamerikanischen Regenwaldes jedoch «nur» mit 20 Millionen unterstützen. Und dennoch: Internationale Hilfe abzulehnen, so wie es Brasilien und Bolivien derzeit tun, ist in Zeiten des Klimawandels geradezu zynisch.

Evo Morales, erster indigener Präsident Lateinamerikas, war einst als Hoffnungsträger eines ganzen Kontinenten gestartet, er, der Koka-Bauer aus Isallavi, einer kleinen comunidad der Aymaras im Südwesten des Landes. Heute wird der frühere Gewerkschaftsführer mit dem rechtsextremen Präsidenten seines Nachbarlandes verglichen und ist vergangene Woche von den indigenen Organisationen des Amazonas-Beckens gar des Umwelt-Genozids angeklagt worden. Wie schwach seine Verbindung zu Pachamama, zu Mutter Erde geworden ist, zeigte sich vor ein paar Tagen, als er sich zuerst in einen Overall zwängte und ausgerüstet mit einem Wassertank medienwirksam mithalf, die Brände in Chiquitania zu löschen. Dass er sich dabei rund eine Stunde in den Wäldern verlor, kann als Randnotiz vermerkt werden. Doch dass er keine 24 Stunden später mit dem chinesischen Botschafter in Santa Cruz vor die Kameras trat und den Export der ersten 24 Tonnen Rindfleisch nach Ostasien zelebrierte, belegt die Abhängigkeiten zur Agrarindustrie, einer der einflussreichsten Sektoren der bolivianischen Wirtschaft.

Koka-Plantagen zerstören die Böden

Daniela Leyton Michovich, politische Analystin und Aktivistin aus La Paz, ist nicht überrascht vom Verhalten des bolivianischen Präsidenten und hebt die beiden Gesichter Evo Morales' hervor: nach aussen der Freund von Mutter Erde, ein sogenannter Pachamamista, nach Innen ein Diener der Eliten. Morales sei schon früh romantisiert worden, insbesondere vom Ausland – ohne dass seine tatsächlichen Interessen wahrgenommen worden seien. «Seine politische Agenda reduzierte sich auf die Koka-Bauern», sagt Daniela Leyton im Gespräch. «Er hatte kein Interesse an einer politischen Neuausrichtung Boliviens und hat bis heute Mühe, die eigenen Leute – insbesondere Indigene anderer comunidades – anzuerkennen.»

Leyton bezieht sich auf den Konflikt im Tipnis-Nationalpark im Zentrum des Landes, wo Morales trotz heftigem Widerstand der lokalen comunidades ankündigte, eine Autobahn quer durch den Park bauen zu wollen (Infosperber berichtete). Schon als Führer der Kokabauern, wollte er diese fruchtbare Gegend erschliessen, «dies schuldete er seiner Basis, den cocaleros». Als er dann 2011, inzwischen als Staatspräsident, mit dem Autobahn-Projekt vorpreschte, war dies auch ein Zeichen an die Kokabauern, die fortan vermehrt im Nationalpark zu säen begannen. «Die Kokapflanze», erklärt Leyton, «trocknet früher oder später aber die Böden aus, und die Produzenten müssen sich auf die Suche nach neuen Anbauflächen machen.»

In anderthalb Monaten stehen in Bolivien Präsidentschaftswahlen an und Evo Morales, seit 2006 im Amt, wird für eine vierte Amtszeit kandidieren. Die Stimmen der Koka-Bauern dürfte er bekommen, meint Analystin Daniela Leyton Michovich, genauso wie jene der Viehzüchter und der Soja-Produzenten. «Die Feuer dienen letztlich den alten Eliten im Land, sowie Morales selbst.» Leidtragende dagegen sei einmal mehr die indigene Bevölkerung, die, so vermutet Leyton, in den nächsten Monaten und Jahren aus ihren Territorien vertrieben werden. Sie rechnet damit, dass es in den von den Bränden betroffenen Gebieten schon bald zu illegalen Parzellierungen kommen wird. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass in Santa Cruz seit 2001 mittels Feuer gerodet werden darf. Allerdings ist die Abholzung seit dem Dekret im Juli auch auf Gemeinschaftsgebiet möglich, sprich: in den Territorien der Indigenen.

Von verschiedener Seite war dieser Tage zu hören, dass sich bereits Rindvieh-Züchter aus den USA für die freigewordenen Flächen interessieren. Ebenfalls Interesse haben die Koka-Bauern, die die Nähe zu Brasilien und Paraguay schätzen. «Denn», sagt Leyton, «das alles geht einher mit dem Drogenhandel.»

Mehr möchte sie dazu allerdings nicht sagen. Sie verweist lediglich auf eine Studie aus dem Jahr 2017, die zum Schluss kommt, dass nur ein kleiner Teil der bolivianischen Bevölkerung Koka in seiner traditionellen Form konsumiert, nämlich kauend. Für diesen Konsum würden 15'000 Hektaren Anbaufläche reichen. Von der Regierung zugelassen sind allerdings 22'000 Hektaren. Und das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) geht davon aus, das landesweit 24'500 Hektaren Koka angesät werden. Stellt sich also die Frage, was mit der Differenz geschieht. «Die Antwort», sagt Leyton, «können wir uns vorstellen.»

Romano Paganini / Infosperber