Das Blut an den Händen von Wladimir Putin Eine ukrainische Tragödie

Politik

Im Jahr 2014 annektierte der russische Präsident die Krim. Die Welt schaute zu, hielt kurz den Atem an, protestierte etwas, „bestrafte“ Russland mit einer Handvoll Sanktionen und schaute dann rasch wieder weg.

Russischer Panzer auf einer zerstörten ukrainischen Brücke, März 2022.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Russischer Panzer auf einer zerstörten ukrainischen Brücke, März 2022. Foto: Mvs.gov.ua (CC BY 4.0 cropped)

15. März 2022
0
2
10 min.
Drucken
Korrektur
Die Krim (der Ukraine gewaltsam entrissen) war nunmehr eine „geo-politische Tatsache“.

Doch die Krim war nur der erste Streich im dubiosen Planspiel des Herrn im Kreml, war doch für Wladimir Putin die Krim nur der „kleine Finger“, die demokratische Republik Ukraine sollte die ganze Hand werden.

Nun ist es passiert: Die Ukraine steht in Flammen, viele Dörfer und Städte wurden von Raketen und Bomben beschossen und zerstört, einige von ihnen liegen bereits in Schutt und Asche, Mütter haben ihr Ehemänner und Kinder haben ihre Väter verloren, hunderte ukrainische Männer sind bei der Verteidigung ihrer Heimat getötet worden und auch in den Reihen der Aggressoren haben Tausende Soldaten ihr Leben verloren, es waren junge Männer, die nicht ahnten, was ihr oberster Kriegsherr mit ihnen vor hatte und von denen die meisten auch erst nach erfolgtem Angriff bemerkt hatten, dass Putin sie in einen Krieg und damit in den Tod und nicht in ein „Manöver“ geschickt hatte. Allein für dieses an seinen eigenen Soldaten begangene Verbrechen müsste ihn das russische Volk zur Rechenschaft ziehen und ihn danach auf den Mond schiessen.

Doch wie soll das geschehen, wenn die Mehrheit der Russen (noch) fest davon überzeugt ist, dass „Väterchen Putin“ allein aus Verantwortungsgefühl gegenüber seinem von ihm geliebten Volk handelt und einfach alles richtig macht, um den Neo-Faschisten in der Ukraine lediglich zuvor kommen musste, da der in ständigem Drogenrausch stehende und autokratisch regierende ukrainische Präsident Selenskij vorgehabt habe, Russland zu überfallen und mit dem Einsatz von Atomraketen und Giftgas das ganze Land vernichten wollte.

Ja, das ist die Macht und die Magie einer teuflischen, einzig auf Lügen basierende Propaganda, die sich in den Ohrgängen und im Unterbewusstsein von Menschen in Diktaturen festsetzen, da ein kritisches Hinterfragen von Fakten in Autokratien nun einmal nicht möglich ist.

Hier stellt sich mal wieder die dringliche Frage ein: Wie lange noch wird das russische Volk benötigen und wann wird es reif und mutig genug sein, um das perfide Lügengebäude Putins und seiner gleichgeschalteten Duma zum längst überfälligen Einsturz zu bringen? Diese so wichtige Frage lässt sich wohl zur Zeit nicht beantworten.

Aber irgend wann einmal muss doch jeder Russe mitbekommen und erkennen können, dass und warum ihr Präsident jede Kritik an sich und an seiner menschenverachtenden Politik im Keim erstickt und brutal jeden Demonstranten nieder prügeln und ins Gefängnis werfen lässt, der es wagt, öffentlich Freiheit und Demokratie zu fordern und das Wort KRIEG überhaupt auszusprechen (da drohen sogar, von der Duma abgesegnet bis zu fünfzehn Jahren Haft), also jenen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine eben auch als Krieg benennt.

Und irgendwann einmal muss doch auch noch dem im allerletzten Winkel des Putin-Reiches lebenden Russen klar sein, dass sein geliebtes „Väterchen Putin“ eben kein „liebes Väterchen“, sondern ein mit eiserner Faust regierender, eiskalter Diktator ist, der alle Regeln der Menschenrechte, der Pressefreiheit, aller demokratischen und diplomatischen Spielregeln und humanistischen Gesetze und Prinzipien der Zivilisation missachtet und in diabolischer Selbstherrlichkeit die ganze Welt scham-und zügellos heraus fordert. Und auch nicht davor zurück zu schrecken scheint, sogar einen 3. Weltkrieg mit dem Einsatz von Atomwaffen anzuzetteln, um seinen kranken Traum von einem Grossrussland in Wirklichkeit zu verwandeln, sich also ein Riesenreich zu schaffen, wie es einst zu Zeiten der Zaren und der späteren Sowjetunion gegeben hat, ein Reich, das sich von Polen bis an die Grenzen zu China ausweiten soll und er dann in diesem Reich zum mächtigsten Mann der Welt aufsteigt.

Was treibt den russischen Präsidenten nur dazu? Ist es allein Grössenwahn, ähnlich dem eines Hitlers?

Historiker, Soziologen und Psychologen (und im Falle Putins müssen wohl auch noch einige Psychiater dabei sein) werden sich jedenfalls noch sehr lange mit dem Phänomen PUTIN zu befassen haben. Doch vielleicht wäre es besser, diesen Despoten einfach im Papierkorb der Geschichte für immer verschwinden zu lassen.

Und dieser Despot ist dafür verantwortlich, dass sich fast drei Millionen ukrainische Frauen mit ihren kleinen Kindern und ihren alten Eltern seit dem 24. Februar des Jahres 2022 auf der Flucht gen Westen befinden, um sich in Polen, in Ungarn, Tschechien, in Rumänien, in der Slowakei und in anderen europäischen Ländern (so auch in Deutschland) erst einmal vor dem Wüten der russischen Armee in Sicherheit zu bringen. Sie hatten in den meisten Fällen, nach Angst einjagendem Sirenengeheul und tödlichen Raketeneinschlägen nur wenige Minuten Zeit, um das Nötigste zusammen zu suchen und in Panik und in grösster Lebensangst in ihre Koffer zu werfen.

Der russische Präsident Putin hatte seiner Soldateska den Auftrag erteilt, seine ukrainischen Blutsbrüder-und Blutsschwestern von heute auf morgen brutal aus ihrer Heimat zu bomben. Gnadenlos und plangemäss nach einer teuflischen Strategie des Völker-und des Brudermords. Die Ukraine wollte er aus seiner Welt einfach entfernen wie eine lästige Fliege vor seiner Nase. Die Ukraine wird diesen Krieg militärisch eigentlich mit den ihr zur Verfügung stehenden Waffen nicht gewinnen können, doch ergeben werden sich die Ukrainer niemals. Und daraus könnte sich eine noch nicht vorstellbare Situation ergeben, in der nach einem Waffenstillstand und durch Vermittlung von bekannten Persönlichkeiten aus West und Ost der Krieg vielleicht doch noch ein Ende haben könnte, bevor die Ukraine völlig zerstört worden ist.

Seit Beendigung des 2. Weltkrieges hat es in der ganzen Welt innerhalb von drei Wochen keine so gigantische Fluchtbewegung gegeben. Wladimir Putin (das steht bereits heute fest) wird somit in die Geschichte eingehen als einer der grausamsten Despoten der neueren Geschichte, der (wenn sich nichts ändert) auch von keinem neutralen Welt-Gericht für den grössten jemals im Verlauf von wenigen Wochen entstandenen Exodus zur Verantwortung gezogen werden kann. Das gehört zu den nur schwer erklärbaren Absurditäten, die zur Real-Politik ebenso gehören wie die Luft zum Atmen.

Ja, da sitze ich nun seit dem 24. Februar 2022 mehrfach am Tag und oft auch noch bis spät in die Nacht hinein stundenlang vor dem Fernseher (dem Nachfolger der Kassandra und der moderne Verkünder von Krisen, Katastrophen, von Terror, Krieg und Scheusslichkeiten aller Arten), wandere emotional erregt von Sender zu Sender und sause parallel dazu auch immer wieder durch das Internet, immer noch hoffend (ich weiss natürlich, dass es naiv ist), vielleicht doch noch zu erfahren, dass alles, was ich da an schrecklichen Bildern aus Leid und Tränen, aus leisen Hoffnungen, diesen Krieg zu überleben und aus Todesängsten in mich hinein habe fliessen lassen, nichts anderes ist als ein mich bedrohendes Spukgespenst, also nur ein böser über mich hergefallener Albtraum, der sich dann spätestens beim Erwachen am nächsten Morgen rasch wieder aus meinem Bewusstsein entfernen wird.

Wenn sich böse Träume also meistens rasch wieder auflösen, so tut das die Wirklichkeit in unserer Welt (wie wir es immer wieder schmerzhaft erfahren müssen) eben nicht sofort. Noch immer vermag ich nicht glauben zu wollen, was ich da (so fern von allen Schreckensorten) mit eigenen Augen im TV sehen und mit eigenen Ohren hören muss: Krieg vor den Toren Europas, Krieg in der Ukraine, Krieg in einer Zeit, in der eine solche von einem einzigen Diktator inszenierte „Gewalt-und Todes-Aktion“ für jeden aufrechten, in einer Demokratie aufgewachsenen Menschen von heute eigentlich nicht mehr denkbar ist. Zumindest war das bis zum 24. Februar so. Danach war alles anders und nichts wird künftig mehr so sein wie bisher.

Mit meinem permanenten „Hinsehen“ auf das, worüber mutige Journalisten aus aller Welt in Ton und Bild rund um die Uhr berichten, damit lasse ich den grausamen Krieg Putins gegen sein ukrainisches Brudervolk nun bereits seit achtzehn Tagen in mein Zimmer, in mein Bewusstsein und somit auch in mein Leben hinein. Das ist kaum zu ertragen, das ist Psychoterror.

Und was mich dabei mit tiefer Trauer, Verzweiflung und mit unglaublicher Wut erfüllt, das ist die offenkundige Unfähigkeit der internationalen Staatengemeinschaft, der es bisher nicht gelungen ist, Putin in die Schranken zu weisen. Wobei hier aber fairerweise auch gesagt werden muss, dass ein in „anderen Welten“ lebender Autokrat wie Wladimir Putin nicht willens ist, sich von irgendeinem Gremium oder einem europäischen Staatsmann sagen zu lassen, was er tun muss oder was er nicht tun darf, mögen das nun der Weltsicherheitsrat sein (in dem er, welch Ironie, ein Veto-Recht hat) oder die UN-Vollversammlung. Oder wer auch immer als Vermittler in diesem Konflikt auftreten möchte.

Was mich aber noch wütender als wütend macht beim Hinschauen auf diesen mörderischen Putin-Krieg (der offensichtlich die gesamte ukrainische Infrastruktur und das gesamte Land zerstören soll), das ist die schaurige Gewissheit in mir (Jahrgang 1939), nichts, aber auch gar nichts tun zu können in diesem Augenblick, in dem ein von Grössenwahn befallener Despot seine kranken Phantasien gnadenlos und auf Teufel komm raus in eine neue politische Wirklichkeit umzusetzen versucht.

Ich hoffe dennoch, dass die internationale Staatengemeinschaft, insbesondere die EU und die Nato dennoch so klug und vernünftig sein werden, sich nicht von Putin bis zum Äussersten provozieren zu lassen (aber auch Putin nicht unnötig zu provozieren) und „aus Versehen“ einen folgenschweren Fehler zu begehen, der die Ouvertüre zu einem 3. Weltkrieg sein könnte. Doch was nützt alle Besonnenheit des Westens, wenn der Mann im Kreml da nicht mit spielt?

Im Februar dieses Jahres erschien im Untergrund Blättle ein Textbeitrag von mir, in dem ich unter anderem folgendes geschrieben habe: „Putin reibt sich natürlich die Hände, weiss er doch, dass er der Dompteur ist, der mit seiner russischen Peitsche zwar nicht alle, doch zumindest einige westliche Politiker vielleicht noch viele Jahre vor sich hertreiben wird, bis sie dann endlich vor ihm niederknien und um Gnade flehen. Oder umgekehrt (siehe nach im Text „Die gefährlichen Planspiele des roten Zaren“, erschienen im UB am 10. Februar 2022).

Das war meine Einschätzung und ist es auch noch heute. Und wenn sich Putin in diesen Tagen schadenfroh, die Demokratien des Westens gleichermassen verachtend wie fürchtend die Hände reiben sollte ob seines vermeintlichen Sieges gegen seinen „Todfeind“ namens Ukraine, dann wird von diesen Händen ukrainisches Blut fliessen, so wies es bereits einmal von den Händen eines russischen Diktators in Strömen in die heilige Erde von Mütterchen Russland geflossen ist, damals, als „Väterchen Stalin“ 1932/33 die Ukraine von aller Versorgung abgekoppelt hatte und vier Millionen Ukrainer einen qualvollen Hungertod erleiden mussten. Dieses Verbrechen („Holodomor“) gehört bis heute zu den grössten und schmerzhaftesten Traumata der Ukraine. Sollte sich nach neunzig Jahren eine solche Tragödie nun abermals mit dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 wiederholen?

Dann würde ebenso viel vergossenes Blut an den Händen von Wladimir Putin kleben wie damals an den Händen von Generalissimo Joseph Stalin. Und noch eines dürfte bereits feststehen: Nicht alle Politiker und Staatspräsidenten aus aller Welt werden künftig die blutbefleckten Hände Putins drücken wollen, denn er ist und bleibt der Schuldige an diesem grausamen Vernichtungskrieg. Der Faden des Vertrauens ist gerissen und wohl kaum wieder zusammen zu fügen.

Axel Michael Sallowsky