Wie der russische Präsident sein Lügengebäude aufrecht erhält Plötzlich wurde der Zynismus zum Putinismus

Politik

Nicht erst seit dem Tag, an dem sich Wladimir Putin auf dem Kreml-Thron nieder gelassen hatte, doch spätestens seit dem 24. Februar 2022 muss der aus der antiken griechischen Philosophen-Küche kommende Begriff „Zynismus“ völlig neu definiert werden.

Vladimir Putin in einem Trainingscenter der Aeroflot, 5. März 2022.
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Vladimir Putin in einem Trainingscenter der Aeroflot, 5. März 2022. Foto: Kremlin.ru (CC BY 4.0 cropped)

17. März 2022
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Mit dem Krieg gegen sein „Bruder-und Schwestern-Volk“ in der Ukraine hat Wladimir Putin nämlich die Notwendigkeit einer Neu-Interpretation und einer exakten Definition des Begriffes „Zynismus“ überhaupt erst in Gang gebracht. Und das gleich auf mehreren subjektiven Bedeutungs-Ebenen.

Wenn es zum Beispiel im „Grossen Wörterbuch der deutschen Sprache“ heisst, das Wort zynisch stehe „für eine gefühllose, mitleidlose, menschenverachtende Haltung“ (anderen Menschen gegenüber) und im Duden der Zynismus als „grausame, den Anstand beleidigende Weise“ erläutert wird, so hat der russische Präsident es geschafft (ohne es gewollt zu haben), durch seine Rolle auf der Bühne der Weltpolitik den vielen traditionellen Interpretationen eine neue, eine diabolische Variante hinzu gefügt zu haben, die alles übertrifft, was bisher im Zusammenhang mit dem Begriff Zynismus gestanden hat oder was man damit in Verbindung bringen wollte und einfach nicht anders benennen konnte.

Was der Zyniker Wladimir Putin seit Beginn des Krieges in welchem Zusammenhang auch immer über den ukrainischen Präsidenten an Bosheit und Häme, an persönlichen Verunglimpfungen und hasserfüllt von sich gegeben hat, ob er ihn nun einen Faschisten nannte, der sich (wie dessen gesamte Regierungsmannschaft) angeblich ständig im Drogenrausch befände und einen Genozid gegen russischsprachige Ukrainer und sogar einen Überfall auf Russland geplant habe - stets waren solche abwegigen Statements in einen krankhaften, kaum noch zu überbietenden Zynismus getaucht, worüber zumindest die westliche Welt nur den Kopf schütteln konnte und sich die Frage stellen musste, ob der Mann, der derartige, absurde Statements in die Geschichte seines Landes hinaus posaunt, nicht gar den (gesunden) Menschenverstand verloren hat?

Es ist natürlich bekannt, dass die LÜGE im Verbund mit eben diesem Zynismus ein probates demagogisches Propaganda-Mittel nicht nur in der Politik von gestern war, sondern nach wie weltweit angewandt wird und besonders beliebt ist bei den grossen und kleinen Diktatoren von heute (neben Russland, Nordkorea, China, Türkei, Syrien u.a.)

Und was die Alten im 20. Jahrhundert (Stalin, Franco, Hitler, Mussolini, Pinochet u.a.) bereits so gut konnten, das können also auch die neuen Autokraten des 21. Jahrhunderts und so bedienen sie sich fleissig und perfide jeweils einer aggressiven Innen-und Aussen-Politik, die zu 99 Prozent auf schamlosen Lügen, auf raffinierter Täuschung, auf Bedrohung, auf Folter, auf Intrigen und Unterdrückung, auf Verrat und Gewalt, auf Denunziation und auf Angst beruht, stets begleitet von permanenter „Hirnwäsche“ durch die staatlichen Medien.

Und in der „hohen und teuflischen Kunst“ der Lüge war und ist Wladimir Putin ein Meister, an dessen Händen zwar nicht ganz so viel Blut klebt wie bei dem gütigen „Väterchen Stalin während dessen Gewaltherrschaft, aber doch genug, um ihn bedenkenlos einreihen zu können in die gruslige Ahnengalerie historischer Monster, denn der Krieg gegen sein Brudervolk wird von Tag zu Tag mehr zu einem Völkermord und Blutbad vor allem an unschuldigen Frauen und Kindern (während die Männer ihre Heimat verteidigen gegen den Aggressor).

Sich nach einigen Kriegstagen (und nach bereits begangenen Kriegsverbrechen) zu Verhandlungen um einen Waffenstillstand bereit zu erklären - um zur gleichen Zeit eine ukrainische Stadt nach der anderen in Schutt und Asche zu legen, weiterhin Menschen zu töten und an der Flucht zu behindern, bei dem immer heftiger werdenden Bombardement auf zivile Einrichtungen, selbst Krankenhäuser und auch Kinderkliniken nicht mehr verschonend, das grosse Leid, die Tränen und die Angst der Ukraine, ausgelöst durch diesen Krieg einfach ignorierend - das alles liefert der demokratischen Welt den Beweis, dass der russische Präsident offensichtlich dazu bereit ist, nicht nur im eigenen Haus, sondern überall in Europa und wohl auch darüber hinaus über Leichen zu gehen: kalt, herzlos, zynisch.

Das einzige, was den noch amtierenden russischen Staatspräsidenten vielleicht noch von dem Tyrannen Stalin unterscheidet, das könnte die Vermutung sein, dass er nicht - so wie einst Stalin – persönlich selbst Hand angelegt hat bei der Tötung von politischen, ihm gefährlich gewordenen Rivalen. Es sei daher nochmals gesagt: Auch wenn Putin nicht zur Pistole greift, so lässt er dennoch jeden Menschen, der ihm zu widersprechen wagt und der friedlich für Freiheit und für Demokratie auf den Strassen von Moskau und Petersburg protestiert von seinen Polizeihorden brutal zusammen schlagen und in eines der berüchtigten Folter-Gefängnisse bringen (man denke hier nur kurz einmal an das tragische Schicksal von Alexei Nawalny).

Und was der „Rote Zar“ allein in der Zeit zwischen dem 24. Februar bis heute an verleumderischen, bösartigen, menschenverachtenden und zynischen Statements abgegeben hat über die Republik Ukraine und über deren demokratisch gewählten Präsidenten Selenskyj, was er seinem eigenen, entmündigten und ihm offenbar noch hörigen Volk über diesen grausamen Angriffskrieg erzählt, das alles ist so ungeheuerlich, dass man eigentlich nur noch heulen möchte über die zynische Dimension in der Politik eines Mannes, der es nicht lassen kann, jede politische Wahrheit und alle historischen Tatsachen auf zynische Weise in eine grausige, sehr gefährliche Lüge zu verwandeln, in eine explosive Lüge, die durchaus einen 3. Weltkrieg auslösen könnte. Und wer, wie eben Putin, allein schon mit diesem Gedanken spielt, der ist auch fähig, daraus Ernst werden zu lassen. Arm ist das Land dran, das einen solchen Tyrannen als Präsidenten lieben und verehren muss und der es nun mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine das Kunststück fertig brachte, dass sich ein Grossteil der Welt von ihm abgewandt hat, denn wer möchte einem Kriegsverbrecher (wie Joe Biden Putin betitelt hat) noch gern die blutbefleckte Hand reichen?

Und die Folge, also die Konsequenz aus all dem?

Das Wort „Zynismus“ wird nunmehr (vielleicht sogar für immer?) durch das Wort „Putinismus“ ersetzt, so dass es ab sofort heissen muss (zum Beispiel vor Gericht): „Der Angeklagte hat einen grausamen Mord begangen, sein Putinismus bei der Schilderung und Rechtfertigung seines Verbrechens war einfach unerträglich“.

Wenn ein Journalist, ein Schriftsteller, ein Politiker, ein Moderator von Talk-Shows oder wer auch immer künftig das Wort Zynismus in den Mund zu nehmen gedenkt, der müsste er sich nun also des neuen Begriffs „Putinismus“ bedienen.

Und dieser nunmehr erklärbare „Putinismus“ überragt alles, was der Zynismus auf Seiten von Kriegsverbrechen bisher in der Geschichte der Menschheit angerichtet hat. Die absolute Steigerung beziehungsweise die neue Deutung des klassischen Zynismus heisst nun also ab sofort „Putinismus“. Und dieser „Putinismus“ erklärt auch, warum Wladimir Putin sowohl über das Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs (sofortiges Ende dieses Krieges) als auch über den Ausschluss Russlands aus dem Europarat einfach nur lacht, ganz laut lacht und wo dieses teuflische Lachen in den langen Gängen des düsteren Kremls ein schauriges Echo hinterlässt.

Ich bin gespannt, wann auch der Duden den „Putinismus“ als Ausdruck eines verwahrlosten und menschenverachtenden Denkens und Handelns eines Despoten in seinem Programm aufnimmt.

Axel Michael Sallowsky