Die Techno-finanzielle Rache Meme-Schwarm und Micro Trading

Politik

Franco “Bifo” Berardi wie er lebt und schreibt. Polemisch, zugespitzt, tiefschürfend analytisch ohne Brimborium. Der Text erschien am vierten Februar auf Ill Will Editions, hier die Übersetzung dazu.

Börse in London.
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Börse in London. Foto: NAC Kazatomprom JSC (CC BY-SA 4.0 cropped)

18. Februar 2021
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Korrektur
Während das Jahr 2 des Zeitalters der Pandemie beginnt, gestaltet sich die letzte Schlacht zwischen der Menschheit und dem entfesselten Kapitalismus immer hässlicher: die Schlinge um unseren Hals zieht sich dabei immer enger zu.

Der allgemeine Trend der letzten vierzig Jahre ist die Privatisierung von allem. Am 11. September 1973 stürzte ein von Henry Kissinger unterstützter Nazi-Mörder Salvador Allende und ergriff die Macht in Chile, und ermordete auf seinem Weg an die Macht dreissigtausend linke Militante. Seitdem ist die Wirtschaft den Chicagoer Verfechtern des grenzenlosen Profitstrebens unterworfen, mit ihrer programmatischen Absenkung der Löhne der Arbeiter. So begann die anhaltende Ära des Neoliberalismus, der auf der Hitlerschen Doktrin der natürlichen Auslese basiert.

Im ersten Monat des Jahres 2 des Zeitalters der Pandemie inszeniert das Silicon Valley seinen finalen Coup: Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (derselbe, dem Dorsey und Zuckerberg gedient hatten, als er ein Gewinner war) wird seines Rechtes beraubt, zu kommunizieren.

Im selben Monat bemächtigt sich Big Pharma der Kontrolle über das Leben der Mehrheit der menschlichen Spezies und bekräftigt das koloniale Privileg der weissen Raubtierrasse über den Globalen Süden: Der Impfstoff-Nationalismus kündigt seine Absicht an, eine bereits wackelige geopolitische Ordnung völlig zu erschüttern.

Die Zeichen des Chaos sind allgegenwärtig: eine verblassende liberale Demokratie ist nicht in der Lage, die Ausbreitung eines globalen Bürgerkriegs niedriger Intensität zwischen ihren zerstrittenen Identitäten aufzuhalten.

In jüngster Zeit hat sich eine neue chaotische Sequenz im Finanzsektor herausgebildet, die das Potenzial hat, zu einem permanenten Faktor der Instabilität zu werden.

Die Genese des Schwarms

Wenn ich mich besonders für die Arbeit des in Barcelona lebenden Künstlers Max Esteban interessiere, dann deshalb, weil er neben seiner Arbeit als Künstler auch einen MBA (Master of Business Administration) der Stanford University und einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften besitzt und ein Experte in Sachen Finanzen ist. Esteban arbeitet derzeit an einem Projekt der visuellen Kritik am Finanzwahnsinn, das den zeitgenössischen Geist infiziert hat.

Twenty Red Lights (ein Video, das mit drei Serien von je zwanzig Fotos verknüpft ist) ist ein Versuch, sowohl die finanzielle Dynamik als auch die Auswirkungen zu visualisieren, die ihre Dominanz auf der Ebene des täglichen Lebens und der sozialen Vorstellungskraft erzeugt hat: Effekte von Panik, Aggression und Zynismus. Wenn man den Raum der Ausstellung betritt, sieht man sich mit drei Fotografien konfrontiert: abgedunkelte Firmengebäude, schummrig beleuchtete Fenster von Banken bei Nacht. Schwarz, Weiss, Grau, ein Hauch von Blau und rote Zahlen von dreizehn Chiffren. Bankcodes, Passwörter, Kryptographen, Wucherungen von bedeutungslosen Zeichen: Stummheiten und Codes. Beschleunigtes Rauschen, erhöhter Blutdruck, deaktivierte Empathie.

A Forest, das Projekt, das Esteban jetzt entwickelt, ist eine Video-Erkundung über künstliche Intelligenz und die Natur der Realität: sind die Bilder real? Ist die Stimme real? Ist unser Leben real? Die semiotische Simulation hat unsere Wahrnehmung der Realität tiefgreifend verändert, und das Finanzwesen ist ein Spiel, das auf semiotischer Simulation basiert. Es ist unmöglich, die Regeln des Finanz-Spiels zu verstehen, denn diese Regeln ändern sich ständig. Es handelt sich nicht um natürliche Regeln, sondern um den Effekt einer nie endenden Verhandlung: eine sprachliche Projektion, die auf Macht basiert.

Macht ist im Wesentlichen definiert als die Auferlegung von Regeln des (sprachlichen) Tauschverkehrs. In der Tat haben Geld und Sprache etwas gemeinsam: Beide sind nichts und bewegen doch alles. Geld ist ein Zeichen ohne Bedeutung. Bedeutungen werden durch die Potenz des Sprachakts definiert und durch die Macht des Subjekts der Äusserung auferlegt.

In den letzten zwanzig Jahren hat Christian Marazzi wiederholt behauptet, dass die Kapitalakkumulation mehr und mehr ein Effekt der Sprache ist. In 'Kapital und Sprache' erklärt Marazzi, dass die Volatilität der Finanzmärkte nicht auf die Diskrepanz zwischen der monetär-finanziellen Ökonomie und der "realen Ökonomie" (materielle Güter, die produziert und ausgetauscht werden) zurückgeführt werden sollte. Die Unterscheidung zwischen Real- und Geldwirtschaft verschwand 1971, als Nixon die Konvertierbarkeit des amerikanischen Dollars aufhob und damit die Verbindung zwischen Geld und Realität löste. Oder besser gesagt, er etablierte eine neue Ordnung der sogenannten Realität.

Nixons Akt legte schlagartig die semiotische Natur des Geldes offen und ebnete den Weg zur freischwebenden Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Seit diesem Moment ist die Unterscheidung zwischen der "Realwirtschaft" und der Geldwirtschaft hinfällig: Die Volatilität der Finanzmärkte und die Dematerialisierung (oder besser: Mentalisierung) der Arbeit sind lediglich zwei Seiten derselben Medaille. Nach 1971 hat der Finanzmarkt aufgehört, ein Abbild der "realen" Wirtschaft zu sein, oder eine monetäre Stütze für die Bedürfnisse der "realen" Investoren. Die Börse hat sich in eine Fabrik verwandelt, die Geld aus dem Nichts erschafft, die nichts gegen nichts eintauscht, während sie reale Effekte in der gesellschaftlichen Verteilung des Reichtums erzeugt. Der Begriff der "Realität" wurde an diesem Punkt brüchig und unsicher und das Verhältnis zwischen Signifikant und Signifikat begann zu schwanken:

"Das Kapital gehört nicht mehr zur Ordnung der politischen Ökonomie: es operiert mit der politischen Ökonomie als ihrem simulierten Modell... Das Realitätsprinzip entsprach einer bestimmten Stufe des Wertgesetzes. Heute ist das ganze System von der Unbestimmtheit überschwemmt, und jede Realität wird von der Hyperrealität der Codes und der Simulation aufgesogen. Das Prinzip der Simulation regiert uns jetzt, nicht mehr das überholte Realitätsprinzip" (Jean Baudrillard)

Was ist der entscheidende Faktor in einem Regime der fliessenden Werte? Wer entscheidet über den Preis eines Wertes? Wer entscheidet über die Bedeutung einer Äusserung, wenn die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat aleatorisch ist? Die Antwort lautet: die Macht.

Seit das feste Regime der Vertauschbarkeit zwischen Signifikant und Signifikat aufgehoben und durch ein Regime der fliessenden Bedeutungszuschreibung ersetzt wurde, ist das Grundprinzip des Finanzmarktes (und des Marktes im Allgemeinen) Gewalt: die gewaltsame Durchsetzung von Vorherrschaft.

Der Finanzcrash von 2008 war der Effekt einer Anhäufung von Akten der monetären Simulation - Derivate, Credit Default Swaps und, in grösserem Massstab, Defizite und Schulden. Plötzlich bröckelte die simulierte Konstruktion und die Gesellschaft war gezwungen, die Rechnung zu bezahlen: Verarmung, Prekarisierung der Arbeit, Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und so weiter.

Schulden waren und sind das sprachliche Mittel, das Menschen dazu zwingt, ihr Leben der Ausbeutung zu unterwerfen [1].

In den folgenden Jahren kämpfte die Occupy-Bewegung für die Emanzipation der Gesellschaft von der Auferlegung von Schulden, einer sprachlichen Injunktion, die das soziale Leben direkt bedroht. Dafür wurde sie brutal unterdrückt und kriminalisiert.

Die Occupy-Bewegung wurde besiegt, weil die Strassen nicht der richtige Ort sind, um einen abstrakten Feind zu bekämpfen. Ein Molotow-Cocktail ist nicht die richtige Waffe, um ein schwebendes, nicht greifbares Ziel zu treffen.

Zehn Jahre nach dem Aufstieg und Fall von Occupy werden wir nun Zeuge der Entstehung einer molekularen Finanzklasse, die die Rebellion gegen das kapitalistische Spiel in eine rachsüchtige Teilnahme an diesem Spiel verwandelt. Dieser neue molekulare, fragmentierte Finanz-Akteur wird von der Dynamik des Schwarms angetrieben.

“Schwarm" bezieht sich hier auf die automatisierte Koordination bezüglich den Aktionen eines Körpers, der von einem techno-linguistischen Automationssystem gesteuert wird. Der Schwarm ist ein überindividueller Organismus, der aus der automatisierten Koordination verschiedener individueller Organismen entsteht. Durch die Implementierung techno-linguistischer Maschinen in den Fluss der vernetzten Kommunikation transformiert Semiocapital den lebendigen Körper der Gesellschaft nach dem Modell des Schwarms.

Der Meme-Schwarm in Aktion

Seit dem Beginn der Pandemie ist die Zahl der “Kleinhändler” enorm gestiegen.

Millionen von Arbeitslosen (hauptsächlich weisse Männer unterschiedlichen Alters), Abenteurer und wütende Libertäre, kleine Geschäftsleute, die wegen des Lockdowns und der darauf folgenden wirtschaftlichen Störungen aus dem Geschäft waren, verbrachten ihre Tage mit Kaufen, Verkaufen, Handeln und Investieren auf den Bildschirmen ihrer Personal Computer. Als Ergebnis dieser unzähligen kleinen Einzelinvestitionen floss eine riesige Menge Geld in die Finanzmaschine und half dem Aktienmarkt, die weit verbreitete Depression zu überleben.

Der Schwarm ist ihre Macht, und die Herrschaft des Schwarms ist ihre Herrschaft.

Dieselben Amateur-Investoren haben vor kurzem Chaos auf dem Aktienmarkt angerichtet, indem sie sich auf irrationale Weise zusammengerottet und Wellen der Unordnung im Handelsprozess provoziert haben. Irrationaler Überschwang ist in der Finanzwelt nichts Neues, aber dieses Mal sind die überschwänglichen Akteure eine bunte Menge, die vom Kreis der Macht ausgeschlossen ist. Der Schwarm ist ihre Macht, und die Herrschaft des Schwarms ist ihre Herrschaft.

Diese Schar von Aussenseitern wurde durch die völlige Deregulierung begünstigt, die die Trump-Administration im Finanzbereich durchgesetzt hat. Wie Doug Henwood beobachtet hat:

"Es ist lustig zu sehen, wie sich einige Wall Street´ler beschweren, dass diese Aktion etwas Unfaires hat, da dies die Art von Spielchen sind, die sie untereinander und mit der Öffentlichkeit die ganze Zeit spielen. Sie reden Aktien hoch oder reden sie runter, je nach ihren Interessen, und verschwören sich gegen das, was sie als schwache oder verletzliche Spieler sehen, die ganze Zeit. Es ist nur so, dass die Amateurspekulanten mit Namen wie DeepFuckingValue, die sie jetzt angreifen, die falsche Sorte von Leuten sind. Sie leben nicht in Greenwich in Häusern mit Zwanzig-Personen-Garagen."

Etwa drei Millionen Menschen beteiligten sich an dem Meme-Schwarm-Handel, der den Breakout von GameStop befeuerte. Die GameStop-Geschichte ist eine knifflige Angelegenheit: Sie basiert auf der Technik des Leerverkaufs, einer Art ausgeklügeltem Ponzi-Schema, das eine Blase erzeugt, die irgendwann vorhersehbar platzen muss.

"Sie können darauf wetten, dass der Preis einer Aktie fallen wird, indem Sie eine Short-Position einnehmen. Dazu müssen Sie sich die Aktie zunächst von jemand anderem leihen. Ihr Broker verkauft dann sofort die Aktie. Da Sie denken, dass der Preis weiter fallen wird, sind Sie ruhig, kühl und gelassen. Sie warten, bis der Preis weiter fällt, und kaufen dann die Aktie zu einem niedrigeren Preis zurück, damit Sie die Aktien an denjenigen zurückgeben können, von dem Sie sie geliehen haben" [2].

Das GameStop-Ereignis ist besonders interessant, weil es von einem Meme angetrieben wurde. Die Händler haben sich in einen Schwarm verwandelt, dank der semi-tribalen Strukturen der Reddit- und Gamer-Community, die ihnen die Macht verliehen, sich gegen die etablierten Kräfte der Hedge-Fonds zu stellen. Memes sind Schwarm-Gestalter, weil sie die Konstruktion von provisorischen Identitäten erleichtern, indem sie individuelle Gehirne mit einer netzwerk-automatisierten Intention verknüpfen. Der Schwarm ist die Automatisierung der Aktivität eines kollektiven Körpers auf der Grundlage der selbstreflexiven Gehirnaktivität von Individuen, ein Phänomen, das Brett Scott als Markt Surrealismus bezeichnet:

"Markt Surrealismus entsteht, weil sich herausstellt, dass all die Kurven, die 'technische trader' beobachten, auch die Aktionen anderer 'technischer trader' widerspiegeln. Wenn Händler Händler beobachten, die Händler beobachten, anstatt das Unternehmen zu beobachten, verfällt der Markt in eine Twilight Zone" [3].

Die Techno-finanzielle Rache

Ich denke, wir sollten das GameStop-Ereignis als eine Episode des laufenden amerikanischen Bürgerkriegs sehen. Der Bürgerkrieg nimmt in der vernetzten Welt nie dagewesene Formen an (Hacking, Netzwerkstörungen usw.)

"This is a Financial revolution" lautet der Titel eines Artikels des (nicht ganz so krypto-trumpistischen) Magazins 'Zerohedge'. Neben vielen anderen Medien aus der sogenannten "Populisten-Galaxis" gibt 'Zerohedge' einer Wut Ausdruck, die aus einer Geschichte wirtschaftlicher und sozialer Erniedrigung entspringt. Die Wut gegen die etablierten Mächte der Finanzelite wird in diesen Worten ausgedrückt:

"It's a class war. Es ist an der Zeit, dass wir uns wehren"; "Es gibt und gab eine herrschende Klasse, deren einziges Ziel es ist, die Macht zu behalten. Sie gaukeln uns vor, dass sie wissen, was das Beste für uns ist. 1% weiss es besser als 99%. Hier geht es nicht [um] Aktien, dies ist eine Finanzrevolution...";

"Die Lektion ist offensichtlich: Wenn wir es vermasseln, zahlen wir den Preis für unsere Fehler. Aber wenn die Banken es vermasseln, kommt das ganze Finanzsystem zu ihrer Rettung";

"Kleinanleger werden seit Jahren geschröpft. Es ist zum Verzweifeln. Die Menschen sind wütend. Wir haben gesehen, wie Menschen im Namen des Kampfes gegen Diskriminierung Gebäude anzündeten, andere stürmten das US-Kapitol, wieder andere zerstörten via Twitter das Leben von Menschen und wieder andere griffen ihre Mitbürger an, die keine Masken trugen" [4].

Natürlich ist jeder Versuch, den Aufstand gegen die Ermordung von George Floyd mit dem Trader-Angriff auf die Wall Street zu vermengen oder zu verwässern, ungerecht und ärgerlich, ja. Die Aufstandsbewegung, die das Land im vergangenen Mai erschütterte, war ebenso wie die Occupy-Wall-Street-Bewegung vor zehn Jahren der Versuch, einen Prozess der Neuzusammensetzung aller ausgebeuteten Menschen gegen die Macht zu provozieren.

Solange ein segmentierter und identitärer Egoismus vorherrscht, solange die soziale Solidarität durch den Besitztrieb überschattet wird, wird der vorherrschende Trend nicht sozialer Aufstand, sondern Bürgerkrieg sein.

Die Micro-Trading-Störung hingegen ist ein blosser Ausdruck des egoistischen Besitzinstinkts und zielt darauf ab, ein bisschen Geld und vielleicht einen Platz an der Börse zu ergattern. Aber der Punkt ist klar: Alle Segmente der amerikanischen Gesellschaft führen einen Krieg gegen alle anderen Segmente.

Solange ein segmentierter und identitärer Egoismus vorherrscht, solange die soziale Solidarität durch den Besitztrieb überschattet wird, wird der vorherrschende Trend nicht sozialer Aufstand, sondern Bürgerkrieg sein.

Der Geist des Jokers breitet sich aus, vom Capitol Hill bis zur Wall Street

Die Kultur der fragmentarischen Sub-Finanzklasse, die sich zunehmend in Schwärme verwandelt, ist keine Kultur der Solidarität und des sozialen Wandels, sondern eine, die auf Rache (und möglicherweise etwas Geld) abzielt.

Eine Möglichkeit, den Trumpismus zu verstehen, ist es ihn als massive Rache- und Demütigungsaktion eines grossen Teils der amerikanischen Bevölkerung zu begreifen, der sich seiner sozialen Mobilität und seiner Perspektiven beschnitten sah, so dass seine Zukunft radikal ungewiss war. In seinem Buch "Revenge Capitalism" (Rache-Kapitalismus) zeichnet Max Haiven die Wurzeln der aktuellen Regression und des reaktionären Trends nach, der die Welt in eine neue Dunkelheit treibt. Seine Wurzeln liegen in Erniedrigung und Rache. Im Jahr 2016 wählten die Gedemütigten Trump, weil sie ihn (richtigerweise) als den "Humiliator in Chief" wahrnahmen.

Trump versprach Rache durch Demütigung, u. a. gegen Clinton, gegen Mexikaner und gegen Wall Street´ler. Nun, da der Demütiger seinerseits gedemütigt wurde, rächen sich seine Anhänger an Institutionen wie dem Kongress und der Wall Street. Sie erwarten keinen Sieg, sie erwarten keine Veränderung - sie wollen nur Rache. Ich zitiere wieder aus Zerohedge:

"Dies ist eine persönliche Angelegenheit für mich und Millionen anderer. . . Ich mache das so schmerzhaft wie möglich für sie [...] Das ist die menschliche Natur: Wir tun seltsame Dinge, wenn wir wütend sind. Aber dadurch fühlen wir uns besser. [...] Aber wie die Reddit-Nutzer sagen: Es geht nicht um das Geld. It's personal. It's emotional."

Und weiter:

"Sie lassen sich wissentlich auf ein destruktives (und selbstzerstörerisches) Verhalten ein. Es ist für sie in Ordnung, Geld zu verlieren, weil sie wütend sind."

Der Joker-Moment ist in der Weltgeschichte angekommen. Der Moment, in dem die Massenproduktion von Psychosen die "normale" Akkumulation von Kapital gefährdet. Aber die "normale" Akkumulation von Kapital ist bereits eine Hauptquelle der Psychose. Was kommt also als Nächstes? Der neoliberale Kapitalismus ist seit langem eine Brutstätte der Frustration: Den Menschen wurde Wohlstand, Verlässlichkeit, ja sogar Glück versprochen, aber alle diese neoliberalen Versprechen haben sich als Täuschungen herausgestellt. Die Brokerindustrie verspricht, dem täglichen Elend zu entkommen, indem sie den Menschen (vor allem weissen Männern) weismacht, sie seien zu Marktgrösse und wirtschaftlichem Erfolg bestimmt. Ein weiteres trügerisches Versprechen, genau wie alle anderen. Doch für ein bisschen Rache ist es noch nicht zu spät.

Franco “Bifo” Berardi

Übersetzung: Sūnzǐ Bīngfǎ

Fussnoten:

[1] Zu diesem Punkt siehe Maurizio Lazzarato: The Making of Indebted Man, Semiotexte, 2012.

[2] Alexis Goldstein, "What Happened with Gamestock?" Markets Weekly.

[3] Brett Scott, "The real lesson of the GameStop story is the power of the swarm", The Guardian.

[4] "How does this all End?", "This is a Financial Revolution", Zerohedge.


Fussnoten Übersetzer

Micro Trading: Investitionsmethode an der Börse, siehe https://www.strategieboerse.de/micro-trading.html

Semiotik: Siehe Einführung in die Sprachwissenschaften der Uni Bremen http://www.fb10.uni-bremen.de/khwagner/grundkurs1/kapitel3.aspx

Signifikant und Signifikat: Siehe wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Signifikant

aleatorisch: Vom Zufall abhängend

Ponzi-Schema: siehe Schneeballsystem