UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Ein Appell zur Solidarität mit Julian Assange

8379

Ein Appell zur Solidarität mit Julian Assange „Lernt. Hinterfragt. Handelt. Jetzt!“

earth-europe-677583-70

Politik

Julian Assange sorgte als investigativer, politischer Journalist und Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks international für Aufsehen.

Protestaktion gegen die Inhaftierung von Julian Assange auf dem Piccadilly Circus in London, Juli 2023.
Mehr Artikel
Mehr Artikel
Bild vergrössern

Protestaktion gegen die Inhaftierung von Julian Assange auf dem Piccadilly Circus in London, Juli 2023. Foto: Alisdare Hickson (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 10. Juni 2024
0
0
Lesezeit7 min.
DruckenDrucken
KorrekturKorrektur
Wikileaks sammelt Dokumente von RegimekritikerInnen und Whistleblowern aus aller Welt und veröffentlicht sie online. 2010 veröffentlichte die Internet-Plattform Auszüge aus Militärprotokollen, die Kriegsverbrechen der US-Armee während der Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan belegen. Die USA leiteten daraufhin Ermittlungen nicht etwa gegen die Kriegsverbrecher, sondern gegen Assange ein. Sie werfen dem Journalisten Spionage vor und fordern von Grossbritannien dessen Auslieferung. Seit mehr als vier Jahren befindet sich der Publizist ohne Anklage im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Im Falle einer Auslieferung in die USA droht ihm eine lebenslange Isolationshaft.

„Vereint euch in einem gemeinsamen Ziel und gemeinsamen Prinzip, um zu planen, zu bauen, zu dokumentieren, zu finanzieren und zu verteidigen. … Lernt. Hinterfragt. Handelt. Jetzt!“ Julian Assange

Für Julian Assange, den Gründer von Wikileaks, hat das Jahr 2024 erneut in einer Zelle im Hochsicherheitsknast Belmarsh begonnen.

Als ZuschauerInnen haben wir unappetitliche, grenzenlose Einflussnahme und Rechtsbeugung durch politische Akteure und Geheimdienste recht ausgiebig beobachten können.

Ein Lehrstück in vielerlei Hinsicht, über das scheibchenweise Zerlegen eines Menschen, den man einkerkert, foltert und der Öffentlichkeit entzieht; auch über Macht, Machtdemonstrationen und Skrupellosigkeit.

Wir haben aber auch Positives lernen können, über die Kraft der Solidarität, des zivilen Ungehorsams und der Utopie von einer Gesellschaft in Frieden und Achtung.

Selbst wenn wir keinen direkten Erfolg erringen konnten, haben wir eine Menge bewirkt.

Nur ist ein grosser, starker Deich nicht entstanden. Also fragen wir uns, warum im Fall Julian Assanges eine grosse Vernetzung ausbleibt. Dringend genug ist die Geschichte um ihn und Wikileaks, mit allen Implikationen, allemal. Auch im Fall von Edward Snowden gab es keine grossen Proteste. Trotz grosser Sympathie wurde er von unserer Gesellschaft nicht beschützt. Als das „freie Europa“ seine Asylanträge ablehnte, oder ihn einfach schmoren liess, waren die Proteste eher verhalten. Ohne Wikileaks würde Snowden in einem der berüchtigten Foltergefängnisse in den USA dahinvegetieren oder dort schon gestorben sein.

Nun hockt er in Russland fest, denn die vermeintlich freien westlichen Staaten buckeln; ohne Rückgrat, in Angst vor der Macht des Bündnispartners und militärischen Welthegemons USA.

Menschenrechte? Die sonst so vollmundig auftretenden PolitikerInnen aller Couleur ducken sich weg, wenn es um Snowden und Assange geht. Und wir? Wir brauchen dringend ein grosses Netz solidarischen Handelns. Julian Assange und Edward Snowden sind zwei Beispiele dafür, wie gut es gelingen kann, Menschen aus unserer Mitte zu reissen und unsichtbar zu machen.

Warum sollte der Albtraum, den Julian durchlebt, ein besonderer Grund sein ,für ihn einzustehen, bei soviel Gräuel und Unrecht überall?

„Es ist ein viel grösseres Problem, das weit über Assange hinausgeht. Der Fall Assange hätte Folgen für so viele Menschen, sollte er in die Vereinigten Staaten ausgeliefert und strafrechtlich verfolgt werden“, sagt Julia Hall, Expertin für nationale Sicherheit und Menschenrechte von Amnesty International. [1]

Wir durchleben gerade eine dystopische Zeit und vielleicht werden unsere Chancen, Dinge zum Besseren zu wenden, von Jahr zu Jahr kleiner.

Dass wir alle an einem Tau ziehen, wenn wir uns das Ausmass dessen bewusst machen, was sich zusammenbraut, ist eine grosse Hoffnung.

„Sobald sich der Zug auf der Reise des Lebens in Bewegung setzt, auf der die Ereignisse verhängnisvolle Wege nehmen, kann man nicht neutral sein, denn das bedeutet, sich seinem Schicksal zu unterwerfen.“ Howard Zinn Wir sind eine kleine Gruppe und haben schon ziemlich viel auf die Beine gestellt. Dass wir recht gute Sachen machen, hat auch damit zu tun, dass wir unsere gegenseitige Kritik nicht nur ertragen. Wir haben in den letzten Jahren gegenseitig auf uns Acht gegeben und früh begonnen, unsere Situation als Gruppe zu analysieren, um unsere jeweiligen Begabungen bestmöglich zu nutzen. Wir versuchen eine „Überhitzung“ der Gruppe zu vermeiden. Wenn jede Hand etwas trägt, wird die Last auf die Einzelnen geringer. Überforderung und Stress durch Schönes auszugleichen, gemeinsam zu essen und zu feiern, das stärkt uns und auch unser Gefühl, dass wir, wenn auch keine Berge, so doch Hügel versetzen können. [2] Der Themenkreis um Julian Assange und WikiLeaks ist unser Schwerpunkt. Assange wird von den USA missbräuchlich nach einem Spionagegesetz aus dem Jahr 1917 angeklagt. Es ist nicht erstaunlich, dass die Anklage durchaus auch in den USA selbst. als verfassungsfeindlich kritisiert wird. [3] So ziemlich alle, die sich mit dieser Anklage befassen, warnen, dass, wenn die Ankläger erfolgreich sind, ein Präzedenzfall geschaffen wird. Nie zuvor wurde dieses Gesetz gegen amerikanische JournalistInnen eingesetzt, und Assange ist nicht einmal Amerikaner, sondern Australier.

Im Grunde ist diese Anklage eine staatenübergreifende geladene Waffe gegen jeden.

Damit kann jede Bekanntmachung, die Regierungen und Machthabern nicht passt, von ihnen zur kriminellen Handlung, zur Staatsbedrohung erklärt werden. Was in USA geht, geht auch sonst überall. Kompromittierende Informationen zur Verschlusssache abzustempeln, würde zur rechtlich gängigen Praxis von Machthabern.

Übrigens ist unter diesem Gesetz bislang kein/e Journalist/in angeklagt worden, Assange bildet die erste Ausnahme, ein Präzedenzfall.

Sehr wohl sind aber HinweisgeberInnen häufiger unter dem „espionage act” angeklagt worden, vor der Obama-Regierung drei, das toppte die Regierung des Friedensnobelpreisträgers Obama mit sieben, während die nachfolgenden Trump- und Biden-Regierungen diese menschen- und pressefeindliche Praxis fortsetzten und erweiterten.

Es ist gut, die Funktionsweise von Macht und Regierungswechseln zu bedenken, auch dann, wenn wir meinen, na ja, die jetzige Regierung ist zwar blöd, aber immer noch „demokratisch“.

Kürzlich stellte jemand die These auf, dass gerade in Demokratien die Herrschenden ein besonderes Interesse an Geheimhaltung hätten, denn die müssten sich vor ihren WählerInnen verantworten.

Das ist ein interessanter Gedanke, aber ist das tatsächlich so?

Julian Assange und Wikileaks wurden, auch bevor Julian 2012 in die ecuadorianische Botschaft floh – ausgespäht. In der Botschaft ging der Zauber aber richtig los.

Anfang April 2019 veröffentlichte die spanische Zeitung El País , Wikileaks habe über Spionageaktionen gegen Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London berichtet, und, dass in diesem Zusammenhang die spanische Polizei in einem mutmasslichen Erpressungsfall ermittelte. Offenbar wurde versucht, Geld von Wikileaks zu erpressen, mit Material, das bei den „Überwachungsaktionen“ in der Botschaft Ecuadors erbeutet wurde. [4]

Anfang Juli 2019 berichtete die gleiche Zeitung, dass eine spanische Sicherheitsfirma Assanges Treffen mit seinen AnwältInnen ausspioniert habe, und die Zeitung Zugang zu Video-, Audio- und zu schriftlichem Material habe, die zeigen, dass der WikiLeaks-Gründer in der ecuadorianischen Botschaft in London Ziel einer umfassenden Überwachungsaktion war. [5]

Ende September 2019 schreibt ebenfalls El País: „Spanische Sicherheitsfirma spionierte Julian Assange in London für die Vereinigten Staaten aus…“

Ein privates spanisches Verteidigungs- und Sicherheitsunternehmen, UC Global S. L., wurde mit dem Schutz der ecuadorianischen Botschaft in London beauftragt. Während des langen Aufenthalts des WikiLeaks-Gründers Julian Assange spionierte ihn das Unternehmen für den US-Geheimdienst aus. Das geht aus Aussagen und Dokumenten hervor, zu denen El País Zugang hatte. Der Eigentümer des Unternehmens, David Morales, soll der CIA Audio- und Videomaterial von den Treffen zwischen Assange und seinen Anwälten übergeben haben. Der Oberste Gerichtshof Spaniens ermittelte diesbezüglich gegen Morales. [6]

Die Artikel sind interessant (gute Übersetzungen liefert DeepL). Sie verdeutlichen Verstrickungen des ehemaligen Special-Forces-Soldaten des spanischen Militärs, Morales, und dessen Firma UC Global, mit der neuen Regierung Ecuadors und deren Botschafter Moreno, sowie den US-Behörden und US-Geheimdiensten. Eine unheilige Dreifaltigkeit. Nebenbei erfahren wir auch ein wenig über Materialien, die zum Bespitzeln geeignet sind, z. B. spezielle Klebefolien für Fensterscheiben, die Vibrationen eliminieren, oder Fenster durchdringende Mikrophone – beides zum besseren Horchen. Um die Folgen zu erfassen, die eine solche Rundum-Bespitzelung für Julian Assange selbst hatte und immer noch hat, von der Erstellung eines recht genauen Persönlichkeitsprofils mit allen Implikationen, bis zur Verhinderung von Schutz in jeglicher Form, reicht unsere Phantasie vermutlich nicht aus. Wir kennen nur Bruchstücke.

Ein paar Bruchstücke hat auch Edward Snowden beigefügt. Und auch ebenso das Pegasus-Projekt, das auch einen aktuellen, furchtbaren Bezug hat. [7]

Thespina Lazaridu / Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 486, Februar 2024, www.graswurzel.net

Fussnoten:

[1] https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/grossbritannien/dok/2021/amnesty-expertin-julia-hall-assange-muss-freigelassen-werden

[2] https://www.bitchute.com/video/OsgdnuQl508j/

[3] Siehe: https://www.newyorker.com/news/news-desk/the-espionage-act-and-a-growing-threat-to-press-freedom https://www.washingtonpost.com/world/national-security/some-federal-prosecutors-disagreed- with-decision-to-charge-assange-under-espionage-act/2019/05/24/ ce9271bc-7e4d-11e9-8bb7-0fc796cf2ec0_story.html

[4] https://web.archive.org/web/20211020033243/https://english.elpais.com/elpais/2019/04/10/inenglish/1554906053_635126.html?rel=mas

[5] https://web.archive.org/web/20211019235920/https://english.elpais.com/elpais/2019/07/09/inenglish/1562663427_224669.html?rel=mas

[6] https://web.archive.org/web/20211101195920/https://english.elpais.com/elpais/2019/09/25/inenglish/1569384196_652151.html

[7] Dass die israelische Regierung an der Cyber-Waffe Pegasus beteiligt sei, liest man z.B. hier: https://thewire.in/rights/one-year-after-pegasus-project-revelations-the-state-of-israel-continues-to-evade-scrutiny
Dass palästinensische Menschenrechtsaktivisten damit ausgespäht wurden, berichtete 2021 z.B. „die Zeit“: https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-11/pegasus-spaehsoftware-palaestinensische- menschenrechtsaktivisten-handy-fund-spionagetechnologie
Weitere Infos: https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/projekt-pegasus-spionage-software-medien-zivilgesellschaft https://taz.de/Fragen-und-Antworten-zur-Pegasus-Affaere/!5787113/
https://forbiddenstories.org/pegasus-project-articles/
Es ist nicht anzunehmen, dass nur Menschenrechtsaktivist*innen in Palästina ausgespäht wurden. Das lehrt uns der Umgang mit dem Thema Assange und Wikileaks. Wenn eine Regierung über Cyber-Waffen wie Pegasus verfügt, kann sie umfassende Geheimdienstoperationen, wie sie auch bei Julian Assange zum Tragen kommen, durchführen.

Thespina Lazaridu ist aktiv in der Gruppe Free Assange Köln. Im Mai 2023 erschien in der GWR 479 ihr Artikel „Solidarität mit Julian Assange! Ein mörderisches System gegen Pressefreiheit und die Dokumentation von Kriegsverbrechen“.