Nächtliche Massenschlägerei von Maskierten im Hipster-Bezirk Terror in Berlin

Politik

In Berlins Hipster-Bezirk Prenzlauer Berg ist es zu einer nächtlichen Massenschlägerei von Maskierten und Bewaffneten bekommen – vor einer Notunterkunft für Geflüchtete. Ist das ein Zufall? Die Polizeimeldung und einige Massenmedien wollen es so aussehen lassen.

Dunkles Berlin.
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Dunkles Berlin. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

16. März 2016
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Doch es gibt berechtigte Zweifel an dieser Lesart der Vorkommnisse. Der Berliner Gazette-Mitherausgeber Florian Kosak unternimmt einen Streifzug durch seinen ehemaligen Kiez:

Der Prenzlauer Berg verändert sich, wer hätte das gedacht? Einige Jahre lang schien hier die Zeit still zu stehen. Die Sanierungen waren abgeschlossen. Der alte Osten war nicht mehr sichtbar, die Mischung eine andere geworden, weniger alte Leute, weniger arm aussehende Menschen, viele Familien, viele Touristen. Wie es dann weiter ging, kann ich nicht aus erster Hand sagen, ich zog weg, weil es mir persönlich nicht mehr aufregend genug war. Doch ich habe noch viele Freunde im Prenzlauer Berg und die Nachrichten, die sie mir in letzter Zeit zutragen, beunruhigen mich.

Vor zwei Wochen ist es zu einer Massenschlägerei gekommen, kurz vor Mitternacht in der Wicherstrasse, etwa dort, wo am Humannplatz ein Park und ein Spielplatz liegen, zur Linken ein Café, zur Rechten eine Kneipe in der Fans von Eintracht Frankfurt gerne Fussballübertragen gucken und gegenüber eine Kita sowie eine Turnhalle, die in eine Notunterkunft für Geflüchtete verwandelt worden ist und wo sich zahlreiche WillkommensbürgerInnen engagieren.

Basecaps und Pyrotechnik

An der Massenschlägerei sollen Hunderte beteiligt gewesen sein. Sie sollen schwarze, sportliche Kleidung und Basecaps getragen haben, sie sollen gegrölt und Pyrotechnik gezündet haben. In den meisten Medien, Tagesspiegel oder Berliner Zeitung, findet man nicht viel mehr dazu. Sie berufen sich auf eine Polizeimeldung. Augenzeugen kommen nicht zu Wort. Eigene Recherchen? Fehlanzeige.

Die Geschichte der Polizei lässt sich in einem Satz zusammenfassen: rivalisierende Fussballfans seien ein Tag vor dem Spiel Eintracht Frankfurt gegen Hertha BSC Berlin aufeinandergetroffen. In der Vergangenheit habe es solche gewalttätigen Konflikte bereits gegeben. Der Tagesspiegel schreibt:

“Im August 2014 gab es tief in der Nacht eine Auseinandersetzung zwischen Fans des 1. FC Union und Eintracht Frankfurt in einem Kreuzberger Lokal in der Oranienstrasse. Bis zu 100 Personen hatten sich vor der Kneipe versammelt; einige “Problemfans” von Hertha pflegen auch enge Kontakte zu Union. Im November 2009 hatten Berliner Schläger eine Kneipe in der Kreuzberger Adalbertstrasse angegriffen, in der Eintracht-Fans gesessen haben. Auch da begann eine Schlägerei auf der Strasse.”

Und weiter: “Schon vor dem Spiel im Herbst 2009 hatte es Ärger gegeben: Damals hatten Frankfurter Fans die Hertha-Anhänger vor dem Stadiontor auf dem Olympischen Platz angegriffen und auf sie eingeschlagen; Hertha pflegt eine Fanfreundschaft mit den Anhängern des Karlsruher SC, die bei Eintracht-Anhänger wenig beliebt sind.”

“Gewöhnliche” Auseinandersetzung unter Fussballfans?

Aus dieser Vorgeschichte kommt man zum Schluss, die Massenschlägerei in der Wichertstrasse folge demselben Muster. Sie sei daher eine “gewöhnliche” Auseinandersetzung unter Fussballfans gewesen. Immerhin gibt es dort ja auch eine “hessische Kneipe”, die für Fussballübertragungen bekannt ist und die deshalb als Dreh- und Angelpunkt dieses Vorkommnisses genannt wird. Es gibt dafür allerdings weder Augenzeugen noch sonstige Belege.

Die Polizei ist mit “Funk- und Mannschaftswagen sowie Zivilfahrzeugen und sogar dem Auto einer Hundestaffel” (B.Z.) schnell zur Stelle gewesen, doch da schien schon vieles gelaufen zu sein. Die Polizei habe nur noch Reste der Massenversammlung vorgefunden, viele hatten im Angesicht des Blaulichts die Flucht angetreten. Die Gewissheit, dass man dieses Ereignis wie oben beschrieben einreihen könne, scheint ohne konkreten Beleg auszukommen.

Was also war passiert? Die B.Z. macht sich die Mühe, mehr als die Polizeimeldung nachzuerzählen. Die Lokalzeitung zitiert einen Augenzeugen: “Kurz vor 23.30 Uhr wurde es plötzlich laut in der Wichertstrasse. Eine Gruppe komplett schwarz gekleideter Männer stürmte aus dem Lokal, zündete eine rote Leuchtspur-Rakete und lief brüllend und schubsend Richtung Humannplatz. Glas klirrte, alles wirkte doch sehr gespenstisch und gefährlich. Ein Nachbar rief die Polizei, wenig später kam eine Gruppe der schwarz gekleideten Männer zurück. (...) Erst gegen zwei Uhr zogen die letzten (Polizei-)Beamten wieder ab.”

Augenzeugenberichte im Netz

Es gibt weitere Augenzeugenberichte im Netz. O.D. Kampmann, Herausgeber des lokalen Online-Nachrichtenangebots Prenzlberger Stimme, schreibt: “Eine Gruppe von rund 50 dunkel gekleideten jungen Menschen eilt schweigend durch die Wichertstrasse, zerstreut sich auf dem Humannplatz, sammelt sich Minuten später wieder und verschwindet. Plötzlich hört man das Skandieren akustisch nicht verständlicher Worte.”

Und darüber hinaus schreibt Kampmann: “Ein Stückchen weiter dasselbe gespenstische Bild. Als wären sie irgendwie in Eile, zieht ein halbhundert Mann starker Trupp hektisch, aber still durch die Erich-Weinert-Strasse. Biegt links ab, dann wieder rechts… Auf Fragen nach der Bedeutung des seltsamen Aufzugs reagieren die Angesprochen weder freundlich, noch unfreundlich – sie reagieren gar nicht. Dann aus der Ferne wieder ein Sprechchor, der wie ein Schlachtruf durch die Nacht hallt. Wie auf Befehl stürmt die Gruppe in Richtung des vielstimmigen Signals.”

Allein in Kampmanns Bericht findet sich ein Hinweis auf die Notunterkunft in der Wicherstrasse, wenn er schreibt: “Vereinzelte Passanten beobachten das Treiben verunsichert bis verstört; hinter dem Eingang der als Flüchtlingsnotunterkunft dienenden Sporthalle in der Wichertstrasse sieht man jemand nervös telefonieren.” Seine Leser gehen darauf ein, wenn sieim Kommentarbereich schreiben, die “Fussballfans” hätten weniger die Kneipe, als die Sporthalle im Sinn gehabt oder wenn sie über die “rechten Hooligans” spotten, “die sich zufällig genau vor einer Flüchtlingsunterkunft” versammeln.

Karneval der Gewalt

Es gibt weitere Stimmen, die der Polizeimeldung und den Darstellungen der Berliner Zeitung und des Tagesspiegel widersprechen – oder doch zumindest den Zweifel begründet erscheinen lassen, die Massenschlägerei wäre dem altbekannten Ritual von Fussballfans gefolgt. In einer Facebook-Gruppe findet sich der Augenzeugenbericht einer Nachbarin: “Ich war mit meinem Hund draussen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt am Humannplatz und versteckten uns in den Büschen dort, zu Tode geängstigt. Es waren einfach so viele, ich denke mehr als Hundert.”

Und weiter: “Sie kamen aus Richtung Gudvanger/Krugerstrasse, gingen geschlossen nach links in die Wicherstrasse hinein. Sie fingen an zu schreien, sich zu schlagen und irgendwelche Rauchsachen rumzuschmeissen. Dann passierte etwas und sie liefen plötzlich alle davon in verschiedene Richtungen, versteckten sich. Das war der Moment, in dem mein Hund und ich losliefen, nach Hause, genau an der Ecke Wichertstr. Sie versuchten auch, in mein Haus einzudringen, nachdem ich die Tür geschlossen hatte, aber das hat nicht geklappt. Dann kam die Polizei.”

Die Vorkommnisse, die sich vor der Ankunft der Polizei abgespielt haben, tragen wirre Züge eines Umzugs, der Gewalt austrahlt und auch Gewalt ausübt und der in der beschaulichen Nachbarschaft Angst und Schrecken verbreitet. Und das wahrscheinlich auch soll. Dieser Effekt lässt sich aus den Augenzeugenberichten ablesen. Ein Gespräch, das ich mit einer Anwohnerin geführt habe, bestätigt dies.

“100 maskierte Männer, alle in Schwarz”

Sie hat glasige Augen und wirkt noch immer verwirrt, als ich am Tag danach mit ihr spreche. Sie selbst ist in keiner Willkommensbürger-Initiative aktiv und hat alles von ihrem Balkon aus beobachtet, nachdem sie und ihr Partner von dem Lärm aufgeschreckt waren. Sie hat nicht lange gebraucht, um die Polizei zu rufen. Das Schauspiel, das sich ihr darbot, beschreibt sie wie folgt: “100 maskierte Männer, alle in Schwarz, sprinteten Richtung Norden, also weg von der Notunterkunft. Sie schrien und die Luft war voller Rauch.”

Sie schickt die folgenden Sätze hinterher, die mich nachdenklich stimmen: “Ich kann in den lokalen Medien keinen einzigen Artikel finden, der die Situation angemessen erklärt. Auch in den sozialen Netzwerken habe ich nichts dazu gefunden. Ich lag die ganze Nacht wach und habe darüber nachgedacht. Ich denke, sie wollten niemanden wirklich verletzen, aber sie wollten Angst machen. Vielleicht sollten die Nachbarn Angst bekommen. Oder Prenzlauer-Berg-Familien mit jungen Kindern sollten das Gefühl bekommen, dass es nicht mehr sicher ist, wenn Geflüchtete unter uns wohnen. So könnte es dazu kommen, dass eben jene Familien fordern, dass die Refugees woanders untergebracht werden.”

Hunderte von Geflüchteten sind seit vergangenen Herbst in der Notunterkunft untergebracht. Viele davon sind vor den Kriegen in Syrien, im Irak und in Afghanistan geflohen. Ein Mädchen aus Basra, das schon ein bisschen Deutsch spricht und in einer Willkommensklasse zur Schule geht, beschreibt die nächtlichen Vorgänge, ohne dass ich zweimal nachfragen muss.

Die Worte fallen ihr aus dem Mund, schneller als sie darüber nachdenken kann, wie sie einen korrekten Satz formen kann: “Nazis, Waffen, Angst, auch mein Vater.” Sie zeigt auf ein Metallgeländer, als sie von Waffen spricht. Auch die Security-Leute der Notunterkunft bestätigen: “Die waren bewaffnet und wollten hier rein.” Offenbar haben die Sicherheitsleute in dieser Nacht genug Geistesgegenwart bewiesen und schnell genug gehandelt. Es scheint, als konnte Schlimmeres verhindert werden.

Soll die vergiftete Stimmung zur Normalität werden?

Umso nachdenklicher stimmen mich die Meldungen, die kein Wort über die Flüchtlingsunterkunft verlieren. Das Problem ist bekannt. Es ist so eindeutig wie “Refugees No Welcome”-Aufkleber am Gitter der Notunterkunft und NPD-Demos, die die Nachbarschaft durchziehen. Es ist aber auch in mehrdeutiger Form spürbar. Zum Beispiel dann, wenn die Kita nebenan, mit den Geflüchteten nichts zu tun haben will. Oder wenn die Schule in der Dunckerstrasse, die die Turnhalle noch bis vergangenen September genutzt hat, ihren Schülern abrät, direkten Kontakt mit den Geflüchteten aufzunehmen.

Ist die nächtliche Massenschlägerei vor der Notunterkunft und ihrer unmittelbaren Nachbarschaft nun ein mehrdeutiges oder ein eindeutiges Signal? So oder so: Wir sollten es auf jeden Fall als ein Signal begreifen. Der Prenzlauer Berg verändert sich weiter, die Entwicklungen im gesamten Deutschland, ob nun in Sachsen oder in Bayern, gehen auch an diesem Hipster-Bezirk nicht vorbei. Ich meine den Rechtspopulismus und die Radikalisierung, die unserer Gesellschaft entspringen. Wir sollten nicht tatenlos zusehen wie das passiert.

Denn wenn wir tatenlos zusehen, breitet sich diese vergiftete Stimmung aus und Terror wird zur Normalität. So wird es “akzeptabel”, dass sich Menschen in Nachbarschaften, in denen Notunterkünfte stehen, fürchten müssen – und die Geflüchteten umso mehr. Normal und akzeptabel wird auch, dass wir nicht mehr über die Dinge reden können, die die Menschen bedrücken und dass wir uns gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben. Missgunst, Verdacht, Hass. Wollen wir in so einem Land leben? Nur wenn wir uns entschieden gegen den radikalisierten Terror, aber auch der Ignoranz all dessen stellen, nur dann können wir diese Tendenz korrigieren.

Florian Kosak
berlinergazette.de

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