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Der „nicht nachvollziehbare“ GDL-Streik

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Über Ge- und „Miss“brauch gewerkschaftlicher Macht Der „nicht nachvollziehbare“ GDL-Streik

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Politik

Der GDL-Streik ist zwar gerade wegen der vereinbarten Schlichtung ausgesetzt, öffentlich breitgetretene Empörung über die bereits gelaufenen Streiks und über die Drohung mit weiteren existiert aber weiterhin.

Fachtagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 13.4.2015 mit dem deutschen Gewerkschaftsfunktionär Claus Weselsky.
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Fachtagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 13.4.2015 mit dem deutschen Gewerkschaftsfunktionär Claus Weselsky. Foto: Rosa Luxemburg-Stiftung (CC BY 2.0 cropped)

Datum 30. Mai 2015
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In Leserzuschriften oder in ein hingehaltenes Mikrofon wird oft Folgendes bekannt gegeben: „Der Sinn des Streiks erschliesst sich mir nicht, ist für mich nicht nachvollziehbar“. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es an der Kompliziertheit des Sachverhalts und/oder an der gedanklichen Schwerfälligkeit des zitierten jungen Bahnkunden liegt, wenn er beklagt, den „Sinn“ nicht erfassen zu können. Ein guter Grund, solange die Klappe zu halten, bis man sich eine grobe Klarheit verschafft hat, ist es jedenfalls nicht.

Ein Blick in die Medien und auf die Verlautbarungen von Bahn und GDL würde diesbezüglich ja einiges bewirken. Aber ein Unverständnis, das Aufklärung verlangt, liegt hier gar nicht vor. Den Streik als etwas kaum zu ‚Kapierendes' zu bezeichnen, will eine Kritik am Streik äussern, ohne auch nur ein sachliches Argument ins Feld zu führen. Dass der Redner für den Streik kein Verständnis aufbringt, ihn also nicht gutheissen will, ist das höchst subjektive Verdikt, das gegen den Streik vorgetragen wird und ihn inhaltlich erledigen soll. Warum er ihn der Sache nach ablehnt, bleibt bei diesem Statement offen.

Vielleicht denkt er auch in Richtung von Eberhard W. aus Darmstadt, der in einer Leserzuschrift schreibt: “Denen geht es doch nur um die Macht“. Das ist etwas ganz Unanständiges, weil die GDL die Macht angeblich nur um ihrer selbst willen betätigen und vergrössern will. Zum einen ist das dieselbe Denkfigur wie oben: so etwas Unsinniges ist nicht zu verstehen. Allerdings ist das „Unsinnige“ von Herrn W., hier stellvertretend für viele zitiert, hinkonstruiert. Nur Macht auszuüben, ohne Zweck und Inhalt, also bloss irgendwelchen anderen irgendetwas aufzuzwingen, das macht in aller Regel keiner. Dass bei der GDL eine durchgeknallte Abweichung von dieser Regel vorliegt, wird behauptet und ihr Vorsitzender als „Grössen-Bahnsinniger“ (BILD) bezeichnet.

Darüber, worum es im Kampf DB/GDL geht, muss man dafür komplett hinwegsehen, und darüber, wie die GDL ihre Streiks begründet, sowieso. Die verkündet nämlich glasklar, wofür sie ihre Macht einsetzt: Sie will von der DB die Anerkennung ihres Rechts erzwingen, für die Interessen ihrer erweiterten Mitgliedschaft (also auch für Zugbegleiter und Rangierlokführer) eigenständig Tarifverträge abzuschliessen.

Bei der konkurrierenden EVG sieht sie diese Interessen nämlich nicht angemessen aufgehoben. Sie wirft der EVG vor, verschlechterte Arbeitsbedingungen und faktische Lohnminderungen seitens der DB hingenommen zu haben. Die Macht, die die GDL aufgrund der Schlüsselstellung der Lokführer im Betriebsablauf hat, setzt sie ein, um auch für ihre Mitglieder in anderen Bereichen Zugeständnisse zu erzwingen. Dass alternativ zur EVG, bei der DB etwas „herausgeholt“ werden soll, ist in dieser allgemeinen Hinsicht jedermann, auch Eberhard W., geläufig. Dass die GDL aber trotz ihres niedrigen Organisationsgrads im Bereich der Zugbegleiter, mehr Lohn und weniger Arbeitszeit für alle ihre Mitglieder durchsetzen will, wird ihr angekreidet. Und dass sie sich angesichts der kategorischen Weigerung der Bahn, darüber auch nur mit ihr zu verhandeln, nicht für ohnmächtig erklärt, sondern alle Züge stillstehen lässt, das wird diskreditiert mit dem Etikett der Machtgeilheit.

Dabei besinnt sich die GDL auf das einzige Mittel, über das eine Arbeiterschaft zur Durchsetzung ihrer Interessen verfügt, die Streikmacht ihrer Mitglieder. Durch deren Einsatz bessere Tarifabschlüsse erzielen, darüber mehr Mitglieder gewinnen, um die eigene Macht zu steigern, eben solche Tarifabschlüsse anzustreben – so lautet der produktive Zirkel, der den kämpferischen Lokführern vorschwebt. Um die Steigerung ihrer gewerkschaftlichen Macht geht es ihr also in der Tat; mit „Machtgelüsten“ hat das aber wenig zu tun. Dieser Gewerkschaft geht es um nichts weiter, aber auch um nicht weniger als die Anerkennung ihres Rechts, selber den permanenten Kampf um Abwehr gegen und Kompensation für all die Zumutungen zu führen, mit denen sie auch in Zukunft todsicher rechnet

Genau das soll ihr mit dem neuen Gesetz zur Tarifeinheit bestritten werden. Wenn ihr die Mitgliedergewinnung nicht in ausreichendem Ausmass gelingt, müsste sie sich künftig nach der Tarifvereinbarung der Mehrheitsgewerkschaft EVG richten. Ihr wäre das Druckmittel, selbstständig Streiks auszurufen, genommen, ihre Tarifverhandlungen wären pure Plauderstunden und Bittstellerei.

So wird dem „Geist“ des Streikrechts auf die Sprünge geholfen, ohne das Streikrecht grundsätzlich anzutasten. Gewerkschaftlicher Kampf ist staatlich erlaubt und geregelt, mit dem Ziel der Einigung mit den Unternehmen über die Bedingungen gewinnbringender Arbeit unter deren Kommando, also der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, das die Lohnabhängigen immer wieder zum Aussetzen ihrer Dienste nötigt.

Berthold Beimler