Neuer Klassizismus
Kein europäisches EU-Mitgliedsland hat in den vergangenen 10 Jahren soviel Milliarden Euro Fördermittel erhalten wie das osteuropäische Land am Baltikum. Das ist kaum zu übersehen: Überall in ganz Polen sind die blauen Informationstafeln anzutreffen, die ein von EU-Subventionen gesponsertes Projekt präsentieren. Unzählige Infrastrukturmassnahmen wurden mit diesen Mitteln realisiert und die polnische Gesellschaft erlebte durch diese immensen Investitionen einen noch nie dagewesenen Modernisierunsschub und ein damit verbundenes stetiges Wirtschaftswachstum.Von diesem Aufschwung haben letztendlich aber mehr oder weniger nur die grossen Wirtschaftsmetropolen Warschau, Danzig und Krakau profitiert. Die Lebensqualität ist dort spürbar angestiegen und neben einer neuen Klasse der Superreichen hat sich dort auch eine wacklige Mittelschicht gebildet. Der Rest des Landes ist nicht vom Fleck gekommen. Verfallene Bahnhöfe, renovierungsbedürftige Wohnhäuser, verrostete Fabrikareale und industrielle Betonruinen prägen die Landschaft der zum Teil verarmten Regionen des östlichen Teils von Polen. Daher spricht man auch von einer Teilung des Landes in Polen A und Polen B.
Während die frustrierte Landbevölkerung in Polen schon seit Jahren konsequent und stoisch die ultrarechte PiS von Jarosław Kaczyński wählt, hat die jahrelange Zustimmung der jungen Wähler für die liberale Bürgerplattform PO in den letzten zwei Jahren stark gelitten. Viele Junge Leute verdienen nicht mehr als 1500 Zloty, was 400 Schweizer Franken entspricht. Daher wurde und wird der Konsum auch zu einem grossen Teil über Kredite finanziert. Diese Generation hat das Entstehen einer neuen reichen Klasse mit ihrer hemmungslosen Gier nach immer mehr materiellen Gütern hautnah miterlebt und lange Zeit gehofft, an dem Wirtschaftswunder partizipieren zu können. Nun sind viele von den leeren Versprechungen der liberalen Partei von Donald Tusk bitter enttäuscht. Viele Polen sehen mittlerweile ihr Land als verlängerte Werkbank mit billigen Arbeitskräften für internationale Konzerne.
Das Ende des Traums?
Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes durch die PO hat in Polen zu einem starken Anstieg der Leiharbeiter und Zeitarbeitverträge geführt. Der Niedriglohnsektor ist enorm gewachsen, feste Anstellungsverträge sind seltener geworden, Kosteneinsparungen führten zu immer mehr Stress und Unsicherheit am Arbeitsplatz und der Konkurrenzdruck in den Betrieben hat enorm zugenommen. Eine Auswirkung davon ist, das sich der durchschnittliche Konsum von Schmerzmitteln und Schlaftabletten in der polnischen Gesellschaft auf einem ziemlich hohen Level befindet.Auch viele mittelständische Familien haben sich von der Politik der PO abgewandt, da auch ihre bescheidenen Träume von etwas Wohlstand und Sicherheit immer mehr ins Wanken geraten sind. Etliche polnische Kleinfamilien haben ihre Eigenheime mit Fremdwährungskrediten zu damals günstigen Konditionen in Schweizer Franken finanziert, und so ging im Januar 2015 ein kleines Erdbeben durch die polnische Gesellschaft, als die Schweizer Nationalbank die Bindung an den Euro durch ihre Euro-Stützungskäufe aufkündigte und der Schweizer Frankenkurs gegenüber dem Zloty über Nacht in die Höhe schnellte. Damit bezahlten die Eigenheimbesitzer von einem Tag auf den Anderen monatlich 25% mehr Hypothekarzinsen an die Banken, was zehntausende Haushalte in Polen in finanzielle Nöte versetzt hat.
Die Prekarisierung hat mitunter dazu geführt, dass viele Polen der Liberalen Partei bei diesen Wahlen die Stimme verweigert haben oder gar nicht an der Abstimmung teilgenommen haben. Bei genauerem hinsehen auf die Parlamentswahlen vom Herbst 2015 wird klar, dass bei einer Wahlbeteiligung von gut 50% und einem Stimmenanteil von 38% für die PiS nur gerade 19% aller Wahlberechtigten Polen für die PiS gestimmt haben. Das Wahlergebnis muss also nicht unbedingt als ein bahnbrechender Sieg der katholisch-national Gesinnten Kräfte gedeutet werden, sondern vielmehr als eine grosse Abstrafung an die Niedriglohn-Politik der liberalen PO, welche 15% weniger Stimmenanteile zu beklagen hat und somit im polnischen Parlament für die nächsten vier Jahren faktisch entmachtet ist, da die PiS nun mit 235 Mandaten von 460 über die absolute Mehrheit im Sejm verfügt.
Rechte Seilschaften
Wer sich die Ideologie der Regierungspartei PiS etwas genauer ansieht stellt sehr schnell fest, dass es sich hier um ein rechtes Polit-Gebilde handelt, in welchem ein ausgeprägter polnischer Nationalismus auf einen konservativen christlichen Fundamentalismus trifft. Diese Grundwerte finden in der polnischen Gesellschaft vermehrt wieder mehr Zustimmung. Seit Jahren wird aus allen Ecken der politischen Landschaft von den zahlreichen national-faschistischen Organisationen über die klerikal-konservativen Kreise bis hin zur bürgerlichen Mitte eine Repolonisierung der Gesellschaft gefordert. Viele fühlen sich den westlichen Industrieländern ausgeliefert und fordern eine Politik der Rückkehr zu nationalen Interessen.Regelmässig kommt es im ganzen Land zu grossen Demonstrationen der vereinigten nationalen Rechten, auf denen die Liebe zum Vaterland und die Ablehnung jeglichen fremden Einflusses bekundet wird. Seit etlichen Jahren unterhält die rechtsextreme polnische Szene Beziehungen zu den ungarischen Faschisten der Jobbik-Bewegung und der regierenden Fidesz-Partei von Viktor Orbán, was sicher ein Indiz dafür ist, das sich auch die nun mittlerweile etablierte polnische Rechte bereits in Ungarn umgesehen hat und somit für die kommenden vier Jahre Regierungszeit gewappnet ist.
Man kann der PiS zwar nicht vorwerfen, dass sie im Wahlkampf ihre Ansichten nicht klar formuliert hätte, jedoch waren da die Äusserungen der Kanditaten noch einiges moderater und weichgespülter. Seit dem Regierungsantritt haben die konservativen Nationalisten ihre Redensart deutlich verschärft und es wird nun vielen Bürgern und Politiker in Europa erst so richtig klar, mit wem sie es da zu tun bekommen werden.
Dass mit Antoni Macierewicz, ein bekennender Antisemit und einer der umstrittensten Politiker Polens zum neuen Verteidungsminister ernannt wurde, ist ein klares Zeichen für die Bereitschaft des frisch gewählten Parlaments, einen neuen polnischen Weg zu gehen. Judenfeindliche Äusserungen auf dem katholischen Rundfunksender "Radio Maryja", wie dies Macierewicz jahrelang praktiziert hat, lässt in Polen kaum jemanden gross aufhorchen, da der Antisemitismus immer noch in weiten Teilen der Bevölkerung verankert ist. Das weiss man zum Teil auch im europäischen Ausland. Wenn nun aber höchste Vertreter der neuen Regierung mit solch derben Begriffen aus dem nationalistischen Repertoire wie "Rasse" an die Öffentlichkeit treten, klingeln bei dem Einen oder Anderen Demokraten nun doch die Alarmglocken.
Der neue polnischen Aussenminister Witold Waszczykowski hat sich am 3. Januar 2016 in einem Interview mit der deutschen Bild-Zeitung folgendermassen geäussert: "Als müsse sich die Welt nach marxistischem Vorbild automatisch in nur eine Richtung bewegen - zu einem neuen Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energie setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen. Das hat mit traditionellen polnischen Werten nichts mehr zu tun."
Reform des Verfassungsgericht
Dass die PiS durch ihre absolute Mehrheit im Parlament im Eiltempo ein neues Mediengesetz verabschiedet hat, welches ihnen erlaubt, Spitzenpositionen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Radio durch parteitreues Personal zu ersetzen um ihre nationale Propaganda unter die Gesellschaft zu bringen, ist mehr als bemerkenswert. Wirklich besorgnisserregend sind jedoch die Bemühungen des Parlaments, eine Reform des polnischen Verfassungsgericht durchzuführen, welche das Ziel hat, das Gericht in Warschau auszuhebeln, um eigene Gesetze zu installieren, ohne diese dabei zu prüfen ob diese auch nicht in irgendeiner Form gegen die polnische Verfassung verstösst.Polens junge Demokratie ist nach europäischem Recht nach der Gewaltenteilung aufgebaut. Das Volk wählt das Parlament (Legislative), in Polen unterteilt in zwei Kammern, der Sejm und der Senat, welches dann Gesetze verabschiedet. Das polnische Verfassungsgericht (Judikative) überprüft dann die vom Parlament verabschiedeten neuen Gesetze auf ihre Rechtmässigkeit.
Die Verfassungsreform der PiS sieht nun vor, dass ein Beschluss des Verfassungsgericht neu eine zweidrittel Mehrheit braucht, statt bisher nur eine einfache Mehrheit. Hinzu kommt, dass nun 12 der 15 Richter anwesend sein müssen um beschlussfähig zu sein. Bisher waren dafür nur neun Richter nötig. Der letzte Punkt der Änderung ist auch der wesentlichste: Das Verfassungsgericht, welches bereits mit hunderten pendenten Vorlagen heillos überlastet ist, soll neu nun alle Anträge nur noch chronologisch, will heissen der Reihe nach (dem Eingangsdatum) bearbeiten dürfen. Das würde für das Verfassungsgericht bedeuten, dass alle neuen Gesetzesänderungen des PiS dominierten Parlaments einfach nur noch im Sejm und Senat durchgewunken werden müssen, ohne das diese überhaupt auf ihre Rechtmässigkeit vom Verfassungsgericht überprüft werden können. Diese drei Änderungen zusammen bewirken in der Konsequenz eine faktische Lähmung der polnischen Judikative, womit ein zentrales Element der modernen Demokratie ausgeschaltet wäre.
Dank diesem "undemokratischen" Schachzug hat die regierende PiS freie Hand für eine tiefgehende Umgestaltung der polnischen Verfassung und Gesetzgebung. Wie und wozu sie diesen Freipass anwenden werden um Polen nach ihrem nationalistischen Gusto umzupflügen, werden wir wohl in Kürze beobachten können.