Es braucht keine Veteranen, sondern eine Gesellschaft, die immer neue Produktion von „Veteranen“ verhindert! Zum nationalen Veteranentag am 15. Juni

Politik
Neulich lese ich an einer Grabstätte auf einem Friedhof in Bremen die Inschrift: "Gesegnet ist wer jung und rein dem Vaterland als Held sich opfert. Hell liegt des Lebens Frühling hinter ihm, was dunkel vor ihm lag bleibt ihm erspart".


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Kriegergrab Riensberg auf einem Friedhof in Bremen. Foto: zVg

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Der Erste Weltkrieg ist eine ideologische Erfolgsgeschichte. Noch 1913/ 1914 wurde etwa angesichts von Soldatenselbstmorden seitens der Militärbehörden der Habsburgermonarchie gewarnt: „Insbesondere antimilitaristische Artikel und bösartige Lügenmärchen der Zeitungen würden nicht nur die Rekruten verunsichern, sondern auch die Institution des Militärs an sich diffamieren“ [1].
Das änderte sich in den Folgemonaten schnell, wir müssen uns nur der Bilder erinnern, die vom Hurra-Patriotismus zeugen, mit denen zügeweise junge Männer an die Kriegsfront geschickt wurden. Wir wissen nicht, ob jener junge Mann, dessen auf so widerwärtige Art auf dem Friedhof gedacht wird, ideologisch aufgerüstet und verblendet wie so viele zu Beginn des Ersten Weltkrieges, ebenfalls freiwillig in den Krieg zog; angesichts der damaligen Kriegsbegeisterung und der offenbar ebenso verbohrten Familie ist es anzunehmen. Wir wissen aber, wie viele Menschen ihr Leben liessen im Namen des „Patriotismus“.
Und wir wissen, wie jene zurückkehrten, die „überlebten“, in einer Weise, in der nicht wenige den Tod vorgezogen hätten. Und diesen Tod dann auch wählten, denn Suizide waren nicht selten: die psychischen wie körperlichen Versehrungen des Krieges hinterliessen – und hinterlassen bis heute [2] – ihre Spuren. Hinzu kommt, dass diese Kriegsversehrungen nicht zuletzt aufgrund vorherrschender Männlichkeitsvorstellungen stigmatisiert wurden [3] und die Gesellschaft jenen, die nun mit inneren und äusseren Verletzungen zurückkehrten, aus dem Weg ging. Die verkrüppelten Gestalten, die zurückkehrten [4] wurden sich selbst überlassen, niemand – ausser vielleicht ein paar engen Angehörigen – kümmerte sich um sie; ja, sie wurden bewusst nach Kräften ignoriert, wurde ihnen als lebenden Mahnmalen doch letztlich vorgeworfen, an Ereignisse zu erinnern, die man vergessen wollte: die „Veteranen“ störten beim (Wieder)Aufbau der neuen – oder vielmehr alten – Gesellschaft.
Doch „Mord bleibt Mord und verliert nichts von seiner Schande, wenn man ihn zum legalisierten Massenmord vergrössert“, äusserte der Gewerkschaftler Edo Fimmen auf dem Internationalen Kongress für den Weltfrieden in Den Haag vom 10. – 15. Dezember 1922. Vielleicht war einigen derer, die nach dem Ersten Weltkrieg den Suizid wählten, auch dies zum Bewusstsein gekommen.
So ist es allemal besser, sich dem Kriegsgeschehen so früh wie möglich zu verweigern, wie es jene Hunderttausende russischer und ukrainischer Soldaten tun, die sich in den letzten Jahren der militärischen Erfassung durch Flucht oder, wenn dies nicht mehr möglich ist, durch Desertion aus der Armee entziehen [5] – auch wenn dies bezeichnenderweise in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft kaum ein Thema ist. Ganz klar: der „Veteranentag“ ist ein ideologischer Akt, es ist eine symbolische Politik im Rahmen der – inzwischen ja auch offen ausgesprochenen – Kriegsvorbereitung.
Die Veteranen (und künftig womöglich auch Veteraninnen) selbst werden nach der Rückkehr aus dem Krieg (so es eine Rückkehr gibt) auch in Zukunft erkennen müssen, wie heuchlerisch und substanzlos eine „Ehrung“ ist, die nichts, aber auch gar nichts an den Lebensrealitäten ändern wird, auch nicht an den mentalen und physischen Kriegsversehrungen.
Wer nicht aus der Geschichte lernt kommt darin um. Und so ist nicht nur an einstige Kriegsbegeisterung, sondern auch an den Umgang mit Veteranen jenseits staatsoffizieller Akte und nicht zuletzt an den Widerstand gegen den Krieg zu erinnern, wenn nun allenthalben wieder Kriegstüchtigkeit propagiert wird. Auch die halbherzige Antikriegs-Partei „Die Linke“ stimmte 2025 beinahe schrankenlosen Aufrüstungs-, um nicht zu sagen Kriegskrediten zu (auch in dieser Hinsicht also, erinnern wir uns an 1914, eine nachholende Sozialdemokratisierung betreibt) und der mit sozialdemokratischem Parteibuch ausgestattete Verteidigungsminister Boris Pistorius verkündet, dass „unser“ Land mit Bildung und Sozialleistungen nicht verteidigt werden könne.
Kriegsvorbereitung statt Bildung, bewusst in Kauf genommene soziale Entwürdigung, Verelendung und Armut (Pistorius ignoriert – oder nimmt in Kauf -, dass man eben damit im Übrigen die Rechten stärkt) – das ist eine eindeutige Ansage, wir wissen also, was auf uns zukommt. Nein, es gilt friedensfähig zu werden anstatt an der Kriegsspirale zu drehen. Es ist an der Zeit, laut vernehmlich „Nein“ zu sagen. Dafür lässt sich, immerhin, dieser unsägliche „Veteranentag“ gut nutzen [6]!
Fussnoten:
[1] https://ww1.habsburger.net/de/kapitel/tod-durch-eigene-hand-soldatenselbstmorde-parlamentarische-anfragen-und-der
[2] Vgl. z.B. die aus Afghanistan- und Irak-Krieg zurückgekehrten Soldaten im 21. Jahrhundert, siehe Thomas Haehnel (2011): Amok und Kollektivsuizid- Selbsttötung als Gruppenphänomen; Leiden: Brill. S. 133f.; die „Neue Zürcher Zeitung“ brachte es am 11.11.2017 auf den Punkt: „Am Veterans Day feiern die USA ihre ehemaligen Armeeangehörigen wieder als Helden. Was dabei kaum zur Sprache kommt: Tagtäglich bringen sich 20 von ihnen um“ – obwohl nur 1% der US-Bevölkerung Veteranen sind, machen diese damit 20% der Suizide aus.
[3] "dies wurde bis in die damalige Schwulenszene deutlich. In „Die Freundschaft", einer der bekanntesten Zeitungen für Homosexuellenrechte, wurden Homosexuelle 1920 als kriegsgestählte Veteranen dargestellt und ausgerufen: "Männer brauchen wir, ganze Männer. Weibliche Männer taugen nicht zu Kampf und Streit“ (https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/182566/deutsche-soldaten-und-maennlichkeit-im-ersten-weltkrieg/)
[4] Vgl. den aufrüttelnden Bildband „Krieg dem Kriege! Guerre à la guerre! =War against war! Oorlog aan den oorlog! Des Antimilitaristen Ernst Friedrich (1924, Belin: Freie Jugend) über die Kriegsopfer
[5] Gerald Grüneklee (2024): Nur Lumpen werden überleben – Die Ukraine, der Krieg und die antimiliaristische Perspektive; Wien: Mandelbaum Verlag
[6] Vgl. auch meinen letztjährigen Artikel zum Thema an dieser Stelle, https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/es-braucht-einen-antikriegstag-keinen-veteranentag-008448.html
[1] https://ww1.habsburger.net/de/kapitel/tod-durch-eigene-hand-soldatenselbstmorde-parlamentarische-anfragen-und-der
[2] Vgl. z.B. die aus Afghanistan- und Irak-Krieg zurückgekehrten Soldaten im 21. Jahrhundert, siehe Thomas Haehnel (2011): Amok und Kollektivsuizid- Selbsttötung als Gruppenphänomen; Leiden: Brill. S. 133f.; die „Neue Zürcher Zeitung“ brachte es am 11.11.2017 auf den Punkt: „Am Veterans Day feiern die USA ihre ehemaligen Armeeangehörigen wieder als Helden. Was dabei kaum zur Sprache kommt: Tagtäglich bringen sich 20 von ihnen um“ – obwohl nur 1% der US-Bevölkerung Veteranen sind, machen diese damit 20% der Suizide aus.
[3] "dies wurde bis in die damalige Schwulenszene deutlich. In „Die Freundschaft", einer der bekanntesten Zeitungen für Homosexuellenrechte, wurden Homosexuelle 1920 als kriegsgestählte Veteranen dargestellt und ausgerufen: "Männer brauchen wir, ganze Männer. Weibliche Männer taugen nicht zu Kampf und Streit“ (https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/182566/deutsche-soldaten-und-maennlichkeit-im-ersten-weltkrieg/)
[4] Vgl. den aufrüttelnden Bildband „Krieg dem Kriege! Guerre à la guerre! =War against war! Oorlog aan den oorlog! Des Antimilitaristen Ernst Friedrich (1924, Belin: Freie Jugend) über die Kriegsopfer
[5] Gerald Grüneklee (2024): Nur Lumpen werden überleben – Die Ukraine, der Krieg und die antimiliaristische Perspektive; Wien: Mandelbaum Verlag
[6] Vgl. auch meinen letztjährigen Artikel zum Thema an dieser Stelle, https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/es-braucht-einen-antikriegstag-keinen-veteranentag-008448.html