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Staatsanwaltschaft Halle ignoriert neue Beweise im Fall Rose und lehnt Wiederaufnahme der Ermittlungen ab

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Familie erhebt schwere Vorwürfe Staatsanwaltschaft Halle ignoriert neue Beweise im Fall Rose und lehnt Wiederaufnahme der Ermittlungen ab

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Politik

Die Staatsanwaltschaft Halle hat eine Wiederaufnahme der Ermittlungen im Fall Jürgen Rose abgelehnt. Der 36-jährige Ingenieur war im Dezember 1997 nach einem Aufenthalt im Polizeirevier Dessau verstorben.

Jürgen Rose
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Jürgen Rose Foto: zVg

Datum 13. Juni 2025
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Obwohl neue Beweismittel vorliegen, sieht die Behörde nach eigenen Angaben „keine Anknüpfungstatsachen, die eine Wiederaufnahme der Ermittlungen rechtfertigen“. Die Familie des Verstorbenen reagiert mit Unverständnis und hat Beschwerde eingelegt. Sowohl die Ablehnung der Staatsanwaltschaft Halle als auch die Beschwerde der Familie Rose sind hier einsehbar.

Am 28. März 2024 stellten das Recherche-Zentrum e.V. und die Familie Rose im Rahmen einer Pressekonferenz erstmals konkrete Manipulationen in der Ermittlungsakte vor. Ein renommierter Londoner Schriftforensiker hatte unter anderem nachgewiesen, dass in den Protokollen jener Nacht sämtliche Zeitangaben, die Jürgen Rose betreffen, mithilfe von Tipp-Ex nachträglich verändert worden waren. Noch am selben Tag reichten die Angehörigen eine umfassende Strafanzeige beim Generalbundesanwalt ein. Sie richtet sich gegen vier zum damaligen Zeitpunkt diensthabende Beamte des Dessauer Polizeireviers, die unmittelbar mit Jürgen Rose Kontakt hatten.

Die Bundesanwaltschaft verwies das Verfahren im August 2024 an die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. In einem Antwortschreiben aus Karlsruhe wurde zwar auf eine „auffällige Häufung erklärungsbedürftiger Todesfälle“ im Revier Dessau hingewiesen. Es würden jedoch Hinweise auf ein strukturelles Fehlverhalten innerhalb der Polizei oder Justizbehörden des Landes Sachsen-Anhalt fehlen.

Die Strafanzeige wurde daraufhin an die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg weitergeleitet, die sie zur Prüfung an die Staatsanwaltschaft Halle abgab. Diese lehnte im Januar 2025 eine Wiederaufnahme ab.

In ihrer Entscheidung beruft sich die Staatsanwaltschaft Halle überwiegend auf einen Prüfvermerk aus dem Jahr 2018. Dieser war im Zusammenhang mit dem Fall Oury Jalloh entstanden, bezieht sich jedoch auch auf Jürgen Rose. Alternative Hypothesen wie Suizid oder ein Überfall durch Unbekannte wurden nahezu vollständig übernommen. Eine eigenständige Bewertung der neuen Beweise erfolgte nicht. Von den 20 Seiten der Entscheidung entfallen 19 auf wörtliche Zitate des damaligen Vermerks.

Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der die Familie Rose vertritt, kritisiert die pauschale Zurückweisung der Strafanzeige ohne eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den neuen Beweismitteln. Besonders problematisch sei die erneute Berufung auf die Suizidthese. Ein rechtsmedizinisches Gutachten belegt, dass Jürgen Rose Verletzungen durch Tritte und Schlagstockeinsatz erlitt, die er sich unmöglich selbst zugefügt haben kann.

Die Beschwerde gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Halle liegt nun bei der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Für die Familie Rose stellt sich jedoch die Frage nach der Unabhängigkeit der Prüfung. Die heutige Leitung der Behörde war bereits an früheren Bewertungen im Zusammenhang mit dem Fall beteiligt. Einer der damaligen Verfasser des Prüfvermerks von 2018, Jörg Blank, ist heute stellvertretender Generalstaatsanwalt. Heike Geyer, die 2017 als Leitende Oberstaatsanwältin in Halle die Ermittlungen im Fall Oury Jalloh einstellte, steht seit 2024 an der Spitze der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt.

Die vom Landtag Sachsen-Anhalt eingesetzten Sonderberater hatten im Jahr 2020 Hinweise auf Absprachen zwischen dem Justizministerium und der Staatsanwaltschaft Halle dokumentiert. Diese betrafen die „strategische Ausrichtung der Ermittlungen“ im Fall Jalloh. Die Familie Rose zweifelt daher an einer neutralen Bearbeitung der Beschwerde und erhebt den Vorwurf der Befangenheit – unter anderem gegen Heike Geyer.

Rechtsanwalt Scharmer beantragt, „das Verfahren entweder an den Generalbundesanwalt aufgrund der nunmehr zumindest feststellbaren Zuständigkeit zu verweisen oder aber zumindest die Sache dem Justizministerium Sachsen-Anhalt vorzulegen und von dort zu bestimmen, dass die Bearbeitung der Beschwerde an eine Vertreterin oder einen Vertreter der Generalstaatsanwältin, nicht aber LOStA Blank oder OStA Wetzel, unter Entziehung der Weisungskompetenz der Generalstaatsanwältin im vorliegenden Fall abgegeben wird.“

Petition und offener Brief an den Generalbundesanwalt

Parallel dazu hat das Recherche-Zentrum e.V. eine Petition eingerichtet, die auf den Fall aufmerksam macht und den öffentlichen Druck auf die zuständigen Behörden erhöhen soll. Sie enthält einen offenen Brief an den Generalbundeswalt Jens Rommel und den für den Oury-Jalloh-Komplex zuständigen Bundesanwalt Kai Lohse. Der Fall Jürgen Rose steht im Zusammenhang mit einer Reihe ungeklärter Todesfälle im Polizeirevier Dessau, darunter auch die Fälle von Mario Bichtemann (2002) und Oury Jalloh (2005).

Recherche-Zentrum