Wie die Zivilgesellschaft verhindern kann, dass die Stadt zur demokratiefreien Zone wird G20 in Hamburg

Politik

Der G20-Gipfel kommt nach Hamburg und alle rüsten auf: Polizei, Medien und GegendemonstrantInnen. Die Grundstimmung: Angst. Doch Angst ist kein guter Partner.

Demozug der G20-Protestwelle in Hamburg, 2. Juli 2017.
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Demozug der G20-Protestwelle in Hamburg, 2. Juli 2017. Foto: Frank Schwichtenberg (CC BY-SA 4.0 cropped)

5. Juli 2017
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In einer demokratischen Gesellschaft sollte die Stadt auch dann ein angstfreier und mit Grundrechten verbürgter Raum sein – selbst wenn die globale Politik-Elite zu Besuch ist. Umso wichtiger ist es zu verstehen, was die Zivilgesellschaft für die Tage des Gipfels plant. Berliner Gazette-Redaktionsleiterin Magdalena Taube unternimmt einen Streifzug:

„G20 in Hamburg“. Eine Mischung aus Vorfreude und Schaudern scheint aufzukommen, wenn die Wortkombination dieser Tage fällt. Der Spiegel, mit Sitz in Hamburg, hebt das Thema aufs Cover und sieht die Hansestadt angesichts des Grossereignisses im alten Glanz erstrahlen („Comeback einer Weltstadt“). AktivistInnen treffen sich im gesamten Bundesgebiet an runden Tischen, um die Zivilgesellschaft zu mobilisieren und Demos auf die Beine zu stellen.

Auch Polizei sowie Innenbehörde lassen es krachen: Grösster Polizeieinsatz ever mit 15.000 PolizistInnen, Containergefängnis mit Schnellgericht, Drohnen, Hubschrauber, das „gesamte deutsche Polizeiequipment“ wird zum Einsatz kommen – so Hamburgs Polizeidirektor Hartmut Dudde. Kurz vor Gipfelbeginn geht die Polizei hart gegen ein genehmigtes Protestcamp vor. Und ja, auch die autonome Szene mobilisiert sich.

Dass es in Hamburg krachen wird, scheint für die Behörden ausser Frage zu stehen. Jedenfalls weisen sie (häufig im Schulterschluss mit Mainstream-Medien) beständig darauf hin. Überhaupt scheint bei diesem Gipfel alles mit Ansage zu kommen. Frei nach dem Motto: Trump und Erdoğan in der „Autonomenhochburg“, das kann nur Ärger geben! Vorsorglich wird das Versammlungsrecht, das einen Grundstein unserer demokratischen Ordnung darstellt, per Allgemeinverfügung ausser Kraft gesetzt: Auf einer Fläche von 38 Quadratkilometern wird am 7. und 8. Juli ein „Transferkorridor“ eingerichtet, der einen sicheren Transport der GipfelteilnehmerInnen gewährleisten soll.

Rund um die Messehallen, dem Hauptveranstaltungsort, wird eine Sicherheitszone eingerichtet (rote Zone). Hier dürfen sich nur „Anwohner, deren Besucher, ortsansässige Gewerbetreibende oder Personen mit berechtigtem Interesse aufhalten (z.B. Lieferdienste, Pflegedienste, Post).“ Wer hinein will, muss durch eine Kontrollstelle und seinen Ausweis vorzeigen. Kinder müssen keinen Ausweis vorzeigen.

Die Polizei rechnet mit 100.000 GegendemonstrantInnen, darunter 6.000 bis 7.000 „gewaltbereite Autonome“ (auch die Zahl 8.000 wird genannt). Mag sein, dass es im Jahr 2007 in Heiligendamm auch so viele waren, doch die Stimmung war eine andere. Heute wird man buchstäblich ausgeladen: Wenn man dieser Tage als Nicht-Hamburger ankündigt, während des Gipfels in die Stadt fahren zu wollen, gibt es hochgezogene Augenbrauen. Menschen, die mit dem Gedanken gespielt haben, an einer Demo teilzunehmen, werden abgeschreckt: Kann man überhaupt nach Hamburg fahren? Wird die Stadt komplett lahmgelegt? Beobachtet mich die Polizei, wenn ich „G20 Protest“ bei Google eingebe?

Massenmedien überschlagen sich mit Angstszenarien. Der Psychokrieg wird rechtlich flankiert: Versammlungsrecht war gestern. Ein Ausnahmezustand scheint vorprogrammiert. Hamburger Polizei und Innenbehörde werden nicht müde zu warnen. Der Polizei-Direktor Hartmut Dudde präsentiert sich als „harter Hund“ und Vertreter der Hamburger Linie, sprich: besonders hartes Durchgreifen gegen DemonstrantInnen und Strategien wie die Einkesselung von Demozügen.

Darf ich da eigentlich auch mitmachen?

Einmal mehr drängen sich grundlegende Fragen auf: Ist es angesichts der angekündigten Gegenproteste tatsächlich gerechtfertigt, dass die Behörden und Massenmedien derart Stimmung machen? – man zählt jetzt schon die Toten. Ist es gerechtfertigt, dass das im Grundgesetz verankerte Versammlungsrecht ausser Kraft gesetzt wird? Welche Akteure werden eigentlich in Hamburg aktiv sein? Welches Gesicht wird die Zivilgesellschaft haben, wenn an zwei Tagen Ausnahmezustand herrscht?

Recherchen im Netz (natürlich ohne Google!) und Gespräche mit involvierten AkteurInnen machen deutlich: Es sind (natürlich) nicht nur „Radikale“, „Krawallmacher“ und „Demo-Touristen“, die Anfang Juli nach Hamburg wollen, um gegen G20 zu protestieren. Die Gegenstimmen sind vielfältig: von Kirchen, über Jugendorganisationen, von Parteien bis hin zu Gewerkschaften. Auch wenn es kein Bündnis gibt, das alle Aktivitäten bündelt – und somit auch die Verantwortung übernehmen müsste –, so gibt es immerhin ein Informationsportal, das ein erster Anlaufpunkt sein kann.

#NoG20 2017 versammelt Infos zu Kundgebungen und Demonstrationen, zu Anreise und Unterbringung („NoG20 Bettenbörse“). Es gibt tägliche Updates, Ansprechpartner für die Presse und einen „Protest Reader“. Es wird deutlich, dass die Seite aufklären und mobilisieren will, doch sie verzichtet auf Slogans und richtet sich an ein breites Publikum, das Motto: „5 Tage im Juli – Gemeinsam gegen G20“.

Dass das Versammlungsrecht für zwei Tage ausser Kraft gesetzt werden soll, stösst hier natürlich auf grössten Widerstand. An die Behörden gerichtet, schreiben die Koordinatoren von NoG20: „Wenn sie eine demokratiefreie Zone in Hamburg wollen, wollen wir ein G20-freies Hamburg. Der Hamburger Senat und die deutsche Bundesregierung stellen die Parade von Gaunern und Tyrannen über das Leben und den Alltag der Menschen in Hamburg, um ihnen die Peinlichkeit des Anblicks der Menschen aus aller Welt zu ersparen, die nicht ihrer Meinung sind.“

Es gibt in Hamburg viele Menschen, die die Polizeimassnahmen im Vorfeld des Gipfels kritisieren. Unter dem Motto „Hamburg ist unsere Stadt. Wir wollen unsere Grundrechte nicht zum G20-Gipfel abgeben!“ wurde von BürgerInnen eine Kampagne gestartet, die viele UnterstützerInnen gefunden hat. „Sicherheit ist der alles dominierende Massstab. Es herrscht eine Ordnung nach Massgabe der Polizei in der Stadt.“ So die MacherInnen der Webseite grundrechte-verteidigen.hamburg.

Hier geht es um ganz grundlegende demokratische Anliegen: Die massive Einschränkung des öffentlichen Lebens während des Gipfels und die Unmöglichkeit an einer Demo in Sicht- und Hörweite des Gipfels teilzunehmen. Daher soll es trotz des Versammlungsverbots zu Protesten auch innerhalb der so genannten „blauen Zone“ (jener Raum, in dem Versammlungen verboten sein werden) kommen. Beides ist absehbar und angekündigt. Zudem wird es Versuche geben, die „rote Zone“ rund um die Messehallen zu blockieren.

Das Bündnis ruft BlockG20 zu „massenhaftem zivilem Ungehorsam“ auf. Das Ziel: „den Ablauf des G20-Gipfels spürbar zu stören und die Inszenierung der Macht, die der Gipfel darstellt, zu brechen. Wir werden dazu einen massenhaften, öffentlich angekündigten Regelübertritt begehen. Unsere Aktionen sind ein gerechtfertigtes Mittel des massenhaften widerständigen Ungehorsams.“

Warum sollte ich dahingehen?

G20 wird von zahlreichen Veranstaltungen gesäumt sein. Neben dem bereits erwähnten Blockaden, die sich demonstrativ über das Versammlungsverbot hinwegsetzen werden, gibt es auch andere Protestformen. Ganz klassisch: Die Grossdemo. Am Vorabend des Gipfels, dem 6. Juli, findet „Welcome to Hell“ statt – organisiert von dem autonomen Zentrum „Rote Flora“. Für den 8. Juli, dem zweiten Gipfeltag, sind zwei Demos geplant. Bei Grenzenlose Solidarität statt G20 werden die meisten TeilnehmerInnen erwartet, etwa 100.000 Menschen.

Die Demo wird von einem breiten Spektrum getragen: Von „Afrique-Europe-Interact“ bis hin zu „ZECKO – Antifaschistisches Lifestyle Magazin“ gibt es 104 erstunterzeichnende Gruppen und Organisationen. Darunter ist auch die Partei DIE LINKE, der Flüchtlingsrat Hamburg oder die Reitschule Bern. Die Demo wird vom Deichtorplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs bis zum Heiligengeistfeld verlaufen. Die Route liegt also knapp ausserhalb der Verbotszone. Knackpunkt: Die Abschlusskundgebung am frühen Abend soll auf dem Heiligengeistfeld stattfinden – innerhalb der blauen Versammlungsverbotszone. Die Organisatoren der Demo wollen gerichtlich durchsetzen, dort zusammen kommen zu dürfen.

Es soll eine zweite grosse Demo gehen, die am selben Tag stattfindet und den Namen Hamburg zeigt Haltung trägt. Diese wendet sich nicht gegen den G20-Gipfel an sich, sondern will Unmut gegenüber der Politik im allgemeinen bekunden. Getragen wird sie von einem Bündnis aus Einzelpersonen, viele davon von den Grünen oder der SPD. Kritik an dieser bürgerlichen Demo wurde laut, der Linkenpolitiker Jan van Aken sagte im NDR: „Die Initiative „Hamburg zeigt Haltung“ ist von der Politik initiiert worden und soll den Protest spalten.“

Warum sollte man angesichts der vielen Warnungen überhaupt noch an einer Gegendemo teilnehmen? Eine mögliche Antwort: Je mehr Leute kommen, desto sicherer wird es. Natürlich liegt es auch in der Verantwortung der OrganisatorInnen der Demonstrationen, sich breit aufzustellen, viele Menschen anzusprechen und einzubeziehen.

Wer beeinflusst, wie der G20 aussieht?

Auch wenn es um die Informationsbeschaffung zum Thema G20 geht, gibt es zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen. Beispielsweise will das alternative Medienzentrum FCMC im Millerntorstadion einen Blick jenseits der offiziellen Kanäle und Mainstream-Medien bieten. Solch ein Zentrum gab es beispielsweise auch bei den Protesten gegen die WTO 1999 in Seattle – ein wichtiger Moment für die globalisierubgskritische Bewegung. Damals ist das Portal Indymedia entstanden. Die AktivistInnen nutzten Indymedia um Informationen unabhängig von Mainstream-Medien im Internet verbreiten zu können. Wenn es in den Nuller Jahren dann um Graswurzel-Journalismus ging, wurde das Portal gern als Beispiel angeführt.

Paul Ratzel, einer der Organisatoren des FCMC gibt sich im offiziellen Statement kämpferisch: „Während Hamburgs Innensenator Andy Grote die Camps gegen den G20-Gipfel verhindern möchte, freuen wir uns, unweit der „roten Zone“ einen weiteren Baustein der Infrastruktur gegen den G20 ankündigen zu können. Das FCMC verbindet die Aktivitäten auf der Strasse mit den Diskursen dahinter. Wir wollen den G20 Gipfel in Hamburg nutzen, um eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu alternativen globalen Politikweisen zu vertiefen.“ Das Medienzentrum wird ab dem 4. Juli geöffnet sein und bietet JournalistInnen und anderen Interessenten auf 2500 Quadratmetern Platz zum Arbeiten – im Ballsaal des Millerntorstadions. Es sind Pressekonferenzen, Talks, Berichterstattung und ein Live-Stream geplant.

Trump, Erdogan, Pressefreiheit, Welthandel, Demokratie, Grundrechte, Sicherheitszonen, Proteste, Versammlungsfreiheit, Weltstadt: Die Schlagworte zu G20 liessen sich beliebig fortsetzen – welches Wort wäre wohl das grösste, wenn man eine Tag-Cloud anlegen würde? G20 in Hamburg wird zweifelsohne ein grosses Event, für alle, die hingehen werden: Gipfel-TeilnehmerInnen, Polizei- und Sicherheitskräfte, GegendemonstrantInnen und für alle HamburgerInnen. Wie G20 am Ende aussehen wird, liegt nicht nur in den Händen von Polizei und Behörden. Sondern eben auch in den Händen der Zivilgesellschaft.

Und was ist mit Leuten, denen das alles egal ist? Die könnte vielleicht ein Satz ködern, der mir in den letzten Monaten immer wieder begegnet ist, ich habe ihn von besorgten Müttern gehört, von Polizeibeamten und auch von AktivistInnen: „So ein Gipfel sollte nicht im Herzen einer Millionenstadt stattfinden.“ Wer sich nicht für Politik und soziale Bewegungen interessiert, der oder die kann einen solchen Satz als Legitimation begreifen, sich mit G20 in Hamburg nicht auseinandersetzen zu müssen. Doch wer hier anbeisst, kann in eine Diskussion hineingezogen werden. Schliesslich können wir fragen: Wenn die (grösstenteils) demokratisch gewählten VertreterInnen der G20-Staaten nicht mehr zusammenkommen können und sich nur noch hinter komplett verschlossenen Türen auf einsamen Inseln treffen, offenbart sich darin nicht ein grundlegendes Problem unserer Demokratie?

Magdalena Taube
berlinergazette.de

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