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Die deutsche Wehrdienst-Debatte: Krieg braucht Kanonenfutter

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Krieg braucht Kanonenfutter Die deutsche Wehrdienst-Debatte

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Politik

Die NATO rüstet gigantisch auf – materiell, ideell und im Blick aufs benötigte Menschenmaterial. „Das wird ein Kraftakt“, so der deutsche Minister für „Verteidigung“.

NATO-Soldaten bei einer Übung in Polen, 16. April 2025.
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NATO-Soldaten bei einer Übung in Polen, 16. April 2025. Foto: Liseth Espinel Cuervo (PD)

Datum 10. Juni 2025
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Die Pflicht zur Vaterlandsverteidigung kann dabei nicht oft genug betont werden, speziell im Juni kümmert sich die Bundeswehr um die „Sichtbarkeit“ ihres Auftrags an der Heimatfront („Veteranentag“, Aktionstag zur BW-Werbung). Und auch die Debatte über Wehrdienst bzw. Wehrpflicht kommt voran.

Im Juni-Heft von Konkret (Nr. 6/25) erschien ein Beitrag „Vaterland verpflichtet“ über die gegenwärtige Wehrdienst-Debatte. Die Wehrpflicht kommt wieder, so der Einstieg des aktuellen Kommentars, zu dem es hier einige Nachträge gibt. Das Konkret-Heft geht übrigens auch auf sonstige Massnahmen zur „Militarisierung der Herzen“ und auf den Aufbruch der „Verantwortungs“-Koalition (z.B. deren „Nähe zur AfD“) ein.

Seit der „Zeitenwende“ wird ja die Notwendigkeit eines Wehrdienstes, der junge Menschen an die Bundeswehr heranführt, allenthalben betont, wobei eigentlich nur noch der Zeitpunkt der (Wieder-)Einführung offen ist. Zustimmung gibt es von rechts bis links. Sie reicht von der AfD (Weidel: „Anstatt Waffen an die Ukraine zu liefern … eine zweijährige Wehrpflicht“) und der neuen Koalition, wie von Merz in seiner Regierungserklärung noch einmal bekräftigt, über die „Freiheitsdienst“-Idee der Grünen bis hin zu Bodo Ramelow, der schon im März 2022 für eine allgemeine Wehrpflicht votierte, während sich der Generalinspekteur der Bundeswehr dagegen aussprach. FDP-Lindner hatte seinerzeit auch widersprochen, doch mittlerweile können Liberale dem Pflicht-Gedanken ebenfalls einiges abgewinnen.

Seit dem Beginn des Ukrainekriegs sind dabei unterschiedliche Modelle, in Regierungskreisen mit Vorliebe nach Art des schwedischen Auswahlverfahrens, in der Diskussion. Im CDU/CSU-Wahlprogramm wurde eine „aufwachsende Wehrpflicht“ gefordert, während das Verteidigungsministerium, auch wenn seinem Kanzler das Vertrauen fehlte, schon mal am Aufwuchs zu arbeiten begann. Pistorius jedenfalls wies noch Ende 2024 seine Behörde an, „die Parameter zur Einführung eines neuen Wehrdienstes weiter auszuplanen und gemeinsam mit der Umsetzung zu beginnen“.

Am besten: Nur willige Helfer

Der Koalitionsvertrag hat jetzt – „zunächst“, wie es der Kompromiss der Koalitionäre formuliert – Klarheit geschaffen, auch wenn gleich aus CDU oder CSU Einspruch gegen die SPD-Auslegung des Vertragstextes kam. Dort heisst die einschlägige Passage: „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“ Die Freiwilligkeit gilt demnach nur vorläufig. Geschuldet ist das der Tatsache, dass, wie die Militärs vermelden, die notwendigen bürokratischen Strukturen, die Kasernen und Ausbilder fehlen – von Fragen der Arbeitsmarktsituation oder der Geschlechtergerechtigkeit ganz abgesehen.
Vielleicht geht aber alles auch viel schneller. Unionsfraktionsvize Röttgen z.B. will die Regierungspläne für die Rekrutierungsoffensive nachschärfen, wie er nach der Regierungserklärung in der Welt unter dem Aufmacher „Es ist eine Revolution nötig“ mitteilte: „Sollte Freiwilligkeit nicht ausreichen, müsse schon jetzt eine Wehrpflicht im Gesetz verankert werden. ‚Die Instrumente, auf die wir zurückgreifen, wenn der Versuch der Freiwilligkeit nicht zum Erfolg führen sollte, müssen jetzt schon geschaffen werden'... Es müsse ‚im neuen Wehrdienstgesetz bereits ausformuliert werden, dass, sollte der Weg der Freiwilligkeit keinen Erfolg bringen, andernfalls eine Pflicht greift. Denn wir haben jetzt nicht die Zeit, es zwei Jahre zu versuchen und erst danach die Alternative vorzubereiten'.“ (Junge Welt, 26.5.25)

Klar ist somit, dass die Wehrpflicht kommt, erneuert, erweitert, verbessert, wie auch immer. Der Koalitionsvertrag formuliert: „Wir werden noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen.“ Zur Zeit ist erst einmal der Versand eines Fragebogens an die junge Generation vorgesehen: Beantwortung für Männer obligatorisch, für Frauen freiwillig! Gefragt wird, wie es mit Einstellung und Fähigkeiten in puncto Wehrwillen aussieht. Auf dieser Basis will die Bundeswehr dann entscheiden, wen sie nimmt – natürlich nur die Besten der Besten und die Willigen. Eine Militarisierung der Zivilgesellschaft ist das so oder so, wie immer die Regelungen im Einzelnen aussehen. Ein umfassendes Bild der betreffenden Generation und ihrer Stellung zum neuen Leitbild Kriegstüchtigkeit wird verfügbar. Vielleicht braucht dann gar keine eigene Wehrerfassungs-Bürokratie mehr installiert zu werden; wie bei der Grundsteuerreform müssen die Betroffenen selber dafür sorgen, dass dem Staat alle Daten vorliegen. Entscheidend aber ist: So sind alle Jugendlichen – auch diejenigen, die von der Bundeswehrwerbung innerhalb und ausserhalb der Schule noch nicht erreicht wurden – auf Stand gebracht, wissen also, dass militärische Resilienz, auch wenn sie noch individuelle Wahlmöglichkeiten zulässt, unabdingbar ist.

Und trostloser Weise reicht der Konsens, dass man fürs Vaterland einzustehen hat, bis in die Friedensbewegung. Deren Zeitschrift FriedensForum, die ihr KDV-Schwerpunktheft Nr. 2/25 mit dem kontrafaktischen Slogan „Kriegsdienstverweigerung ist Menschenrecht – immer und überall“ aufmachte, stellte als „das beste Buch zur Wehrpflicht“ die Erinnerungen eines Totalverweigerers vor (FF 2/25, S. 32). Der blickt auf seine Jugendideale zurück, mit denen er sich damals gegen die „vom Staat geforderte Pflicht“ wandte, „am Irrsinn der wechselseitigen Vernichtungsdrohung mitzuwirken“. Heute ist der Mann geläutert: Pazifismus sei passé, da die Welt „kriegerischer“ geworden sei und man sich nicht dem Imperialismus Putins unterwerfen dürfe; deshalb sei die „militärische Verteidigungsfähigkeit der BRD“ unverzichtbar samt Massnahmen zu einem nationalen Schulterschluss. Nur eine Einschränkung macht der Ex-Pazifist: „Eine Wehrpflicht darf nicht zu diesen Massnahmen zählen.“

Im Allgemeinen ist somit Konsens: Wenn das Vaterland ruft, muss man antworten. Und zur Propagierung des neuen militaristischen Leitbildes tut die Bundeswehr auch einiges. So wird am 15. Juni zum ersten Mal in der BRD der neu geschaffene nationale „Veteranentag“ begangen. Ab jetzt sollen, wie die Zuständigen mitteilen, jedes Jahr „die Veteraninnen und Veteranen der Bundeswehr geehrt und ihnen somit mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit verschafft werden“. Ende des Monats folgt dann der Aktionstag der Bundeswehr 2025. Dazu vermeldet das Ministerium: „Die Bundeswehr steht ganz im Dienst der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands. Als Armee der Demokratie ist sie in der Gesellschaft verwurzelt. Doch viele Menschen kommen nur selten mit dem Militär in Kontakt. Einmal im Jahr lässt sich das ändern: Am Tag der Bundeswehr öffnen die Streitkräfte ihre Tore für alle Interessierten.“

Der Werbung für die Bundeswehr ist also bei Jugendlichen Tür und Tor geöffnet, ob mit oder ohne Jugendoffizier. Der Dienst an der Waffe ist geboten und ausserdem eine geile Sache. Denn bei uns – wir leben ja in einer freiheitlichen Marktwirtschaft – hat man die freie Auswahl, jedenfalls zur Zeit noch und in einem gewissen Rahmen. Da darf sogar ein Ole Nymoen mit seinem Buch „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ in TV-Talkshows auftreten, um den Schein einer Wahlmöglichkeit in Sachen Vaterlandsliebe bzw. mögliche Verirrungen im Jungvolk zu illustrieren. Als junger Mensch soll man eben „sein Ding“ finden und den Bund auch mal als einen attraktiven Arbeitgeber betrachten, bei dem man als Halbwüchsiger mit einem Sold von 2.700 Euro einsteigt. So liebevoll nachgezeichnet im Bildzeitungs-Porträt eines „Vorzeigejungen“ (der bei Overton gewürdigt wurde): „Ich bin 16 und will zum Bund. Meine Eltern sind entsetzt“ (BamS, 6.4.25). Das passt zum Koalitionsvertrag, in dem es heisst: „Für die neue Ausgestaltung dieses Dienstes sind die Kriterien Attraktivität, Sinnhaftigkeit und Beitrag zur Aufwuchsfähigkeit leitend. Wertschätzung durch anspruchsvollen Dienst, verbunden mit Qualifikationsmöglichkeiten, werden die Bereitschaft zum Wehrdienst dauerhaft steigern.“

Gleichgültig übrigens dagegen, dass Jugendliche, wenn man sich ans Völkerrecht hielte, hier nichts verloren haben. Laut UN-Kinderrechtskonvention müssen Kinder – zu denen alle Minderjährigen unter 18 zählen – eigentlich vorm Militärdienst geschützt werden. Eine Konvention aus dem Jahr 1959, die die BRD 1992 nur mit Einschränkungen ratifizierte (was etwa die geringeren Rechte minderjähriger Flüchtlinge betraf) und bei der sie in puncto Wehrdienst jetzt wieder Ausnahmeregelungen in Anspruch nimmt. „Was viele nicht wissen“, meldete jüngst der Sender RBB: „Bereits mit 17 darf man Zeitsoldat werden – vorausgesetzt, die Eltern stimmen zu. Laut eigenen Angaben stellte die Bundeswehr im vergangenen Jahr 2.203 Soldatinnen und Soldaten im Alter von 17 Jahren ein. Sie machten damit rund zehn Prozent der Neueinstellungen aus.“
Für solche Ausnahmen, die mit dem besonderen Charakter dieses Minderjährigen-Dienstes begründet werden, rügte der zuständige UN-Ausschuss die Bundesregierung mehrfach (Junge Welt, 29.1.25). Hierzulande stört das aber kaum jemand, auch nicht die RBB-Redakteure. Denn Aufregung über Kindersoldaten findet ihr Material doch nicht bei uns! Sondern in Afrika oder sonstwo im Busch. Da wird dann schon mal ein kongolesischer Milizenchef vom Internationalen Strafgerichtshof wegen der „Rekrutierung von Kindersoldaten“ verurteilt – „ein Meilenstein in der internationalen Rechtsprechung“, wie Amnesty International den Schuldspruch aus dem Jahr 2012 lobte...

Vaterland verpflichtet

Die Pflicht steht sowieso felsenfest und im Kriegsfall der Zwang, der nicht darauf wartet, bis sich die Nationalhelden melden. Die ganze Zivilgesellschaft wird auf diesen Fall hin jetzt durchgemustert. Greift in ihr an allen denkbaren Stellen – vom (Daten-)Verkehr über Wirtschaft, Bildung, Gesundheitswesen, Medien bis hin zur Seelsorge – die militärische Logik, ist also, wie es heisst, Resilienz gegeben? Dazu gibt es seit 2025 den neuen „Operationsplan Deutschland“ (OPLAN DEU). Dessen Ziel ist ein Gesamtverteidigungskonzept für die „Drehscheibe Deutschland“, bei dem es um den „Heimatschutz“ als Bestandteil neuer Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung geht.

Der Plan versteht sich als Instrument der Herbeiführung einer gesamtgesellschaftlichen Kultur, in der Krieg akzeptiert und als Teil des gesellschaftlichen Lebens aktiv (mit-)gestaltet wird. Es gehe darum, zu begreifen, „dass militärische Gewalt überhaupt zum Wohle der Welt und zur Förderung legitimer nationaler Interessen Deutschlands eingesetzt werden sollte“, so Militärexperte Franz-Stefan Gady (zum einschlägigen Expertentum siehe auch die Übersicht im FriedensForum, Nr. 3/25).

Insofern läuft alles nach einer Übergangsphase auf die Allgemeine Wehrpflicht hinaus, wie das FriedensForum konstatiert: „Die Ausdehnung der Wehrpflicht auf Frauen ist ebenfalls zu befürchten. Auch das KDV-Anerkennunsverfahren könnte dann wieder für alle Verweigerer gelten“ – mit all den „Hürden und Beschränkungen“, die der Gesetzgeber im Adenauer-Staat vorausschauend eingebaut hat und die schon mal Ablehnungsquoten von 40 % ermöglichten. Hinzu kommen heute weitere Klarstellungen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg: Schon im Vorkriegsfall – wenn geschossen wird, erst recht – ist alles unter einen militärischen Vorbehalt gestellt.

Was das für praktische Konsequenzen hat, machen etwa die Asyl-Anträge russischer Kriegsdienstverweigerer beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) deutlich, die reihenweise abgelehnt werden. Ähnliche Signale gab es Anfang 2025 im Kontext eines Beschlusses zur Abschiebung eines ukrainischen Kriegsdienstverweigerers. Der Bundesgerichtshof hielt dessen Abschiebung in ein Kriegsgebiet für rechtens – ein Beschluss mit „politischer Handschrift“, wie Kritiker monierten. Der BGH hält es „auch nach deutschem Verfassungsrecht nicht von vornherein (für) undenkbar, dass Wehrpflichtige in ausserordentlicher Lage zusätzlichen Einschränkungen unterliegen und in letzter Konsequenz sogar gehindert sein könnten, den Kriegsdienst an der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern.“

Im Not-, also Kriegsfall, wird alles zur Front und wann dieser Fall eintritt, entscheidet die Obrigkeit. Die wird auch dafür sorgen, dass juristische Querelen, wie sie sich am BGH-Entscheid festmachen, die Kriegführung nicht stören. Die von der Friedensbewegung geäusserte Hoffnung, mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht gäbe es auch wieder die Chance, „erneut für das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung ohne jegliche Einschränkung zu streiten“, täuscht sich also über die Möglichkeiten erlaubter Kriegsgegnerschaft.

Erlaubt ist die nämlich gerade nicht, sondern nur die persönliche Ausnahme von einer anerkannten und anzuerkennenden Notwendigkeit. Zugelassen ist allein die gewissensmässige Haltung zum staatlichen Zwang, wie sie in klassischer Form der genannte Totalverweigerer vorführt: Mitmachen beim Einsatz für Deutschland ist selbstverständlich, jetzt auch beim „Irrsinn“ der Vernichtung, aber wo der Einzelne seinen Platz findet und ob er eine Waffe oder Verbandszeug in der Hand hält, da darf er mitreden!

Verweigerung erlaubt, aber...

Verweigerung bleibt eine Möglichkeit, Sand ins Getriebe zu werfen. Das kann man zugestehen, jedenfalls gilt das für Friedenszeiten und für die Länder, in denen das Recht existiert. Im Kriegsfall sieht es anders aus. Die Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen (OHCHR) hat z.B. Ende 2024 auf den Tatbestand verwiesen, „dass die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern, in der Ukraine nicht besteht“. Theoretisch gibt es sie laut Verfassung (ähnlich wie in Russland, wo ein KDV-Antrag bis zur Einberufung gestellt werden kann), aber faktisch werde sie vom Kiewer Regime weitgehend ausser Kraft gesetzt, sei nur als Ausnahmefall bei einem speziellen religiösen Bekenntnis möglich. Doch welche nennenswerte Religionsgemeinschaft verbietet ihren Mitgliedern schon den Dienst an der Waffe? Für Gewissensprobleme ist doch im Kriegsfall die Militärseelsorge zuständig. Und die christlichen Kirchen haben in zwei Weltkriegen eine veritable Kriegstheologie entwickelt, die dem Militärdienst treu zur Seite steht.

Die Website IVA hatte schon Anfang des Jahres darauf hingewiesen, was die Erlaubnis, den Dienst an der Waffe „aus Gewissensgründen“ zu verweigern, faktisch bedeutet. Verlangt ist eben ein Treuebekenntnis zum Dienst am Vaterland, das mit einer persönlichen Ausnahme, aber nicht mit einer Absage an eine kriegsträchtige Politik verbunden werden darf. Die Notwendigkeiten der Vaterlandsverteidigung dürfen dadurch nicht beeinträchtigt werden, wie noch einmal der oben genannte BGH-Beschluss klargestellt hat. Martin Singe von der Friedenskooperative hat die damit verbundenen juristischen Fragen jüngst aufgegriffen und gegen diese Auslegung, die sich auch auf einen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts beruft, Stellung bezogen.

Der Autor aus der Friedensbewegung muss allerdings konzedieren, „dass die eine Einberufung aufschiebende Wirkung von KDV-Antragstellungen nach herrschender Gesetzeslage im Kriegsfall nicht mehr gilt“. Es treffe auch zu, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem einschlägigen Entscheid offen gelassen hat, ob nicht im Kriegsfall andere Regeln für das KDV-Anerkennungsverfahren zu erlassen wären. Aber die Konsequenz, die der BGH daraus zieht, sei nicht haltbar, so die Kritik. Hier werde ein Verfassungsbruch ins Auge gefasst. Moniert wird die Feststellung des BGH: „Angesichts dessen erachtet es der Senat für – jedenfalls prinzipiell – nicht undenkbar, dass ungeachtet des besonders hohen Rangs der in Art. 4 GG verbürgten Gewissensfreiheit auch die deutsche verfassungsrechtliche Ordnung es gestatten oder sogar erfordern könnte, den Schutz des Kriegsdienstverweigerungsrechts in ausserordentlicher Lage gegenüber anderen hochrangigen Verfassungswerten zurücktreten zu lassen.“ Die Kritik an dieser Position beruft sich auf abweichende staatsrechtliche Meinungen, wie sie etwa die Verfassungsrechtlerin Kathrin Groh – ihres Zeichens Professorin an der Bundeswehrhochschule München – in einem Kommentar zu dem BGH-Beschluss dargelegt hat. Eine direkte Ausserkraftsetzung des KDV-Rechts im Notstandsfall hält die Expertin für nicht vertretbar.

Aber – dann kommt die grosse Einschränkung: Verfassungsrechtlich sei schon klar, dass der Schutz des Vaterlandes ein höchstrangiger Wert ist. Insofern liege der BGH nicht ganz falsch. Groh: „Es ist richtig, dass die Bürger eines Staates dessen geborene Verteidiger sind. Die Annahme dahinter ist, dass das Volk in Waffen für seinen Staat zuverlässig kämpfen wird, da es mit ihm zugleich auch den Schutz seiner eigenen Freiheiten und Werte gegen äussere Angreifer verteidigt.“ Das betreffende Rechtsbewusstsein gehe dann bei der konkreten Auslegung solcher Grundsätze mit der Zeit und müsste heute – eigentlich – mehr Respekt vor dem Grundrechte-Katalog im Grundgesetz zeigen, meint Groh.

Entscheidend ist aber, wie die Bundeswehrprofessorin mitteilt, dass das Prüfungsverfahren für die Verweigerer im KDV-Gesetz als Verwaltungsverfahren „ausgestaltet ist“. Es soll nicht nur sicherstellen, dass allein „diejenigen als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, bei denen mit hinreichender Sicherheit die Ernsthaftigkeit ihrer Gewissensentscheidung festgestellt werden kann“, sondern bietet zugleich die verfassungskonforme „Stellschraube“, mit „der Einschränkungen des Grundrechts“ zu bewirken sind. Der „Strengegrad der Gewissenserforschung“ ist eben Sache der Behörden, die hier recht frei mit Ablehnung der Anträge bzw. Abschreckung der Kandidaten operieren können. „Um die kollidierenden Verfassungsgüter der effektiven Landesverteidigung und der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr zu schützen, durften früher inquisitorische Befragungen der Verweigerer durchgeführt werden.“ (Groh)

Und wenn die Militarisierung der Gesellschaft fortschreitet, ist es eine einfache Übung, auf dem Verwaltungswege an der Stellschraube zu drehen und Personal für die Prüfungsausschüsse zu finden bzw. einzuweisen, das im Verweigerer sofort den „Lumpenpazifisten“ (Spiegel) oder den „Engel aus der Hölle“ (Scholz) erkennt. Dass dieser Zeitgeist Platz greift, dass moderne Experten eine regelrechte Militärethik etablieren, die die „Dämonisierung des Krieges“ überwindet und damit pazifistische Gewissensregungen per se dubios erscheinen lässt, hat Norbert Wohlfahrt jüngst in seinem Beitrag „Geistige Verrohung ‒ ein Streifzug durch die aktuelle Kriegsliteratur“ (Z – Zeitschrift für marxistische Erneuerung, Nr. 142, 2025) dargelegt. Und dieser Zeitgeist dürfte sich dann auch in neuen Entscheidungen der Justiz, beim BGH oder Verfassungsgericht niederschlagen.

Johannes Schillo