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Deutschland und sein Völkerrecht: Über Völkerrechtswidrige Angriffskriege

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Über Völkerrechtswidrige Angriffskriege Deutschland und sein Völkerrecht

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Politik

„Wir halten weiterhin an dem Grundsatz fest, dass internationale Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen.“

Das Gebäude des jugoslawischen Verteidigungsministeriums in Belgrad, das 1999 bei NATO-Luftangriffen bombardiert wurde.
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Das Gebäude des jugoslawischen Verteidigungsministeriums in Belgrad, das 1999 bei NATO-Luftangriffen bombardiert wurde. Foto: A.Milenković (CC-BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 19. August 2025
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Dieser Satz stammt aus der „Gemeinsamen Erklärung von Präsident Macron, Premierminister Meloni, Bundeskanzler Merz, Premierminister Tusk, Premierminister Starmer, Präsidentin von der Leyen und Präsident Stubb zum Frieden für die Ukraine vor dem geplanten Treffen von Präsident Trump mit Präsident Putin“, so die Berliner Zeitung.

Okay – internationale Grenzen dürfen also nicht mit Gewalt verändert werden. Man könnte natürlich eine naheliegende Gegenfrage stellen: Wie sind sie denn eigentlich zustande gekommen und wie sollten sie eigentlich sonst verändert werden? Aber lassen wir solche Gedanken einmal beiseite. Bleiben wir ganz empirisch.

Liebe Westeuropäer, erinnert ihr euch noch an den 24. März 1999?

Damals begann ein 78 Tage lang andauerndes Bombardement der Republik Jugoslawien mit massiven Luftangriffen, Zerstörung von Regierungsgebäuden, Industrieanlagen, Transport, Telekommunikation- und Energie-Infrastruktur, mehreren tausend zivilen Opfern (mit vielen Spätfolgen durch uranangereicherte Munition). Der „Einsatz“ war ein klar völkerrechtswidriger Angriffskrieg der Nato, nicht gedeckt durch ein UN-Mandat des Sicherheitsrats, legitimiert durch Lügen.
Das war übrigens der erste „richtige“ Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Annalena Baerbock, die bekanntlich „vom Völkerrecht kommt“, war bei dessen Beginn 18 Jahre alt, hätte also auch schon damals „in einer anderen Welt aufwachen“ können – und zwar in einer, in der die Nato einen Krieg gegen ein souveränes europäisches Land führte.

Am Ende stand die gewaltsame Veränderung von Grenzen: Aus Rest-Jugoslawien, das zuvor schon bereits durch mehrere Wellen von westlich unterstütztem Separatismus dezimiert worden war (Mittel dabei war eine offensive Einmischung in die Souveränität des jugoslawischen Zentralstaats durch die Förderung radikal-nationalistischer und separatistischer Bewegungen, die Zusage sofortiger völkerrechtlicher Anerkennung, das Versprechen auf EU-Mitgliedschaft), wurden das heutige Serbien und ein neuer Staat namens Kosovo.

Die EU und insbesondere Deutschland, das sich an Jugoslawien als Resultat des Zweiten Weltkriegs besonders störte und deshalb dessen Teilung an vorderster Front unterstützte, hatten es damit geschafft, einen ziemlich grossen und aus ihrer Sicht zu mächtigen Staat in handliche Kleinstaaten zu zerlegen, die man danach ökonomisch wie politisch von sich abhängig machen konnte; einzig Serbien ist eine unangenehme Restgrösse geblieben – bis heute. Daneben trat als Ergebnis des Kriegs die Neugründung namens Kosovo. Die USA eröffneten dort einen ihrer grossen Militärstützpunkte auf dem Kontinent ¬– weitblickend wie sie nun einmal agieren, ausserhalb der EU. 2008 wurde die Republik Kosovo von den meisten europäischen Staaten staatsrechtlich anerkannt. Die Aggression der Nato hatte sich in vieler Hinsicht gelohnt…

Allerdings ist dieser Fall „selbstverständlich“ nicht vergleichbar mit der Ukraine.

„Wir bekräftigen, dass die unprovozierte und völkerrechtswidrige Invasion Russlands in der Ukraine einen eklatanten Verstoss gegen die Charta der Vereinten Nationen, die Schlussakte von Helsinki, das Budapester Memorandum und andere russische Verpflichtungserklärungen darstellt. Wir unterstreichen unser unerschütterliches Bekenntnis zur Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität der Ukraine.“ (ebd.)

Im Unterschied zu Jugoslawien, dessen territoriale Integrität und Souveränität seinerzeit nicht so hoch im Kurs stand, entnehmen die (jedenfalls die massgeblichen) westeuropäischen Regierenden dem Völkerrecht in diesem Fall, dass die Ukraine unteilbar zu bleiben hat. Zudem gehört sie zu „uns“, zu „Europa“, wie es jetzt immer heisst, womit Russland einfach nicht mehr als europäischen Staat gezählt wird – was andererseits auch nicht verwundern darf, denn europäische Staaten sind ja nicht aggressiv und führen keine völkerrechtswidrigen Angriffskriege (s.o.).

Dass der Krieg Russlands in der Ukraine völkerrechtswidrig ist, stimmt; dass er „unprovoziert“ stattfand, ist dagegen eine ziemlich kühne Behauptung angesichts der bei Politik und Medien sicherlich nicht unbekannten dates & facts:

  • Das Versprechen, das die NATO dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow gegeben hat, sich nicht nach Osten auszudehnen (James Baker, US-Aussenminister, 1990: »not one inch«).
  • Die NATO-Osterweiterungsrunden, in denen von 1999 bis 2020 14 Staaten der NATO beigetreten sind und die Grenze des »Verteidigungsbündnisses« um 1.000 Kilometer nach Osten verschoben wurde.
  • Die Rede des russischen Präsidenten Putin vor der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, in der er eine veränderte Politik seines Landes ankündigte, wenn die Vorwärtsbewegung der NATO weitergehen sollte.
  • Die Intervention Russlands im Krieg, den Georgien 2008 gegen zwei separatistische Provinzen führte. Ihr ging voraus, dass die USA zuvor eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens auf die Tagesordnung des NATO-Gipfels gesetzt hatten.
  • Das geplante Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine 2013, mit dem die Ukraine ökonomisch auf die EU bezogen werden sollte, und die Weigerung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch, dieses Abkommen ohne Änderungen zu unterzeichnen.
  • Der daraufhin vom Westen unterstützte militante Euromaidan-Protest und der anschliessende Putsch gegen den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch.
  • Der Protest der südöstlichen Landesteile gegen die Putsch-Regierung und die Gründung der »Volksrepubliken«.
  • Die von Russland unterstützte Volksabstimmung auf der Krim über ihre Loslösung von der Ukraine und die Rückkehr in die Russische Föderation 2014, die von der Ukraine und von den westlichen Staaten nicht anerkannt wurde. (Dabei ging es Russland – angesichts der instabilen politischen Verhältnisse in der Ukraine – insbesondere um die Sicherheit der russischen Kriegsmarine im Schwarzen Meer.)
  • Der von der Putsch-Regierung in Kiew ab 2014 geführte Krieg gegen die Volksrepubliken mit 14.000 Toten. Damit verbunden: die systematische Missachtung des Minsker Abkommens durch die Regierung in Kiew – ohne dass die beiden westlichen »Garantiemächte« Deutschland und Frankreich dagegen einschritten.
  • Die parallel laufende massive Aufrüstung der Ukraine durch die NATO-Staaten seit 2014 (die von Angela Merkel inzwischen sogar öffentlich zum eigentlichen Zweck des Minsker Abkommens erklärt wurde).
  • Das ukrainische Beitrittsgesuch zur NATO (2018) und die russische Besorgnis angesichts der möglichen Stationierung von Mittelstreckenraketen, die Moskau in zehn bis fünfzehn Minuten erreichen könnten.
  • Die vielen und alle ergebnislosen Verhandlungen über die russischen Sicherheitsbedenken im Herbst 2021, in denen die westlichen Staaten einzeln und im Verbund sämtliche russischen Bedenken und Vorschläge zurückgewiesen haben und den Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze als unzulässigen Einschüchterungsversuch bewertet haben. (Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit).


Zweifellos handelt es sich bei dieser Aufzählung um russische Desinformations-Versuche – bitte legen Sie diese Zeilen also schnellstens ad acta und lassen Sie diese nicht in ihren freiheitsliebenden, westeuropäischen Kopf. Machen Sie sich stattdessen klar, dass „gewaltsame Änderungen“ von Grenzen einfach nicht gehen. Punkt.

Fazit: Die deutsche Aussenpolitik will das Völkerrecht gegen andere Staaten in Anschlag bringen und sich gleichzeitig selbst jederzeit die Ausnahmen herausnehmen, die sie für nötig erachtet. Sie zählt sich zu den Mächten auf der Welt, die darüber zu befinden haben, wann Grenzen zu Recht geändert werden und wann eben nicht. Aus staatlicher Perspektive ein durchaus verständliches Verhalten – und oft auch nützlich. Vor allem dann, wenn man die Macht hat, das so durchzusetzen. Die Freunde des Völkerrechts, die auf eine Bremse staatlicher Gewalttaten hoffen, könnten daraus allerdings ihre Schlüsse ziehen…

PS: Im Fall der Krim, um den es am Freitag auch gehen soll, handelt es sich „unseren“ völkerrechtlichen Anschauungen nach um eine „Annexion“ – auch wenn diese Änderung der Grenzen nicht mit Gewalt erfolgte und in einem Referendum eine überwiegende Mehrheit für den Anschluss an Russland stimmte (was nicht einmal im Westen angezweifelt wird).

Beim Anschluss der DDR an die Bundesrepublik wurde übrigens auf ein solches Referendum der Bevölkerung verzichtet. Für die „Wiedervereinigung“ der Deutschen reichte ein „Einigungsvertrag“, der auf der Seite der DDR ausgehandelt bzw. unterschrieben wurde von Politikern, deren Legitimität die BRD ansonsten selbstverständlich systematisch bezweifelte…

Renate Dillmann