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Der harte Kern der Stadtbilddebatte: Das Herrenvolk unter sich

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Das Herrenvolk unter sich Der harte Kern der Stadtbilddebatte

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Politik

Neuigkeiten aus der bundesdeutschen Streitkultur: Der Ausländer stört den inneren Frieden.

Demonstration am Rudolfplatz in Köln, „Menschenrechte verteidigen - Merz-Politik stoppen. Mein Stadtbild ist bunt Töchter gegen Merz!“, 2. November 2025.
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Demonstration am Rudolfplatz in Köln, „Menschenrechte verteidigen - Merz-Politik stoppen. Mein Stadtbild ist bunt Töchter gegen Merz!“, 2. November 2025. Foto: Elke Wetzig (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 18. November 2025
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Mit seiner Äusserung zu Migranten im Stadtbild, hat Bundeskanzler Friedrich Merz eine Debatte ausgelöst, die sich vor allem durch Unsachlichkeit auszeichnet, viele Menschen herausfordert und offenbar kein Ende kennt. Ja, es geht gegen „die“ Ausländer – das hat wohl keiner missverstanden. Aber ist damit schon alles gesagt? Bleibt dann nur noch die Mahnung übrig, dass man sich in der öffentlichen Rede um mehr Mässigung & Achtsamkeit bemühen sollte?

Im Grunde hat die breite Aufregung von Profis und Laien nicht viel mehr erbracht als derartige Erkenntnisse. Gegen diese billige Tour hier noch einmal ein Blick auf den – sicher nicht – letzten Skandal, den sich der Kanzler mit seiner nassforschen Art geleistet hat.

Verunsicherte Bürger

Erfolgt ist der Satz zum Stadtbild im Rahmen einer Antwort auf die Reporterfrage, wie Merz denn seine Ankündigung, die Wählerschaft der AfD zu halbieren, realisieren wolle: „Bei der Migration sind wir sehr weit. Wir haben in dieser Bundesregierung die Zahlen August 2024, August 2025 im Vergleich um 60 Prozent nach unten gebracht, aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr grossem Umfang Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen. Das muss beibehalten werden, das ist in der Koalition verabredet.“

Stolz verkündet der Kanzler also, dass er versucht, in Sachen Abschiebung und Abschottung die AfD alt aussehen zu lassen. Mit der schwarzroten Koalition will er als die erfolgreichere AfD auftreten und diese damit überflüssig machen. Die Botschaft ist klar: Die Migranten sind das Problem – das ist offiziell angesagt, auch in der Koalition geteilt und eigentlich als eine Selbstverständlichkeit unterstellt, die in der BRD nur noch spezielle Gutmenschen aufregt.
Die Stadtbild-Äusserung hat Merz nun gleich den Vorwurf des Rassismus eingebracht, mit dem in Deutschland zurzeit ziemlich freihändig operiert wird: Ein falsches Wort zu Israel oder ein Anklang an alte Nazi-Parolen, schon ist man Antisemit oder wird mit dem § 86a Strafgesetzbuch (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen) behelligt.

Letzteres ist jüngst einem Professor und gestandenen Welt-Kolumnisten passiert, der den alten Schlachtruf „Deutschland erwache!“ mal ironisch, als Warnung vor faschistoiden Tendenzen verwenden wollte. Auch an die Adresse des Kanzlers ging der Rassismus-Vorwurf, weil angeblich das Wort „Stadtbild“ zwar nicht direkt, aber irgendwie doch eine Nazi-Tradition hat.

Diese Entrüstung hat etwas Verlogenes, wie das Jacobin-Magazin die Debatte kommentierte: Hier zeige sich das Bedürfnis, „sich selbst als moralisch aufgeklärte, antifaschistische und feministisch sensibilisierte Nation zu inszenieren“. Deswegen wird die Sprache verurteilt, die allzu offen ausspricht, was im gesunden Volksempfinden längst präsent ist – siehe den Befund: „Stadtbild-Debatte: Mehrheit stimmt Merz zu“ (ZDF-Barometer, 25.10.2025). Dass Deutschland mittlerweile Rekordwerte beim Abschieben verzeichnet und sich den „Flüchtlingsstrom“ vom Hals hält, wird dagegen recht gleichgültig in der Öffentlichkeit aufgenommen.

Der Rassismus-Verdacht im Falle Merz kann sich allerdings darauf berufen, dass hier die Migranten zum erstrangigen Sicherheitsproblem in den Städten erklärt werden – so als läge es in ihrer (Volks-)Natur, für unordentliche Verhältnisse zu sorgen. Das ist eine Denkweise, die sich ja auch im Sprachdenkmal „Ausländerkriminalität“ niedergeschlagen hat – und ebenfalls kaum noch Anstoss erregt. Dass „irreguläre Migration“ eins der Hauptprobleme des gesellschaftlichen Zusammenlebens darstellt, ist vielmehr eine weitgehend geteilte Auffassung in der politischen Klasse und demgemäss auch beim normalen Patrioten. Im letzten Wahlkampf wurden dazu ja einschlägige Messerattacken als schlagende Beispiele gross herausgestellt.

Der christliche Politiker Merz wendet sich natürlich nicht im klassischen Sinne gegen eine bestimmte Ethnie, die für alle Übel verantwortlich zu machen sei; es geht ihm um unsere Volksgemeinschaft, pardon: Zivilgesellschaft mit ihrer überlieferten Leit- bzw. Stadtkultur, die vor bedenklichen invasiven Tendenzen, sprich vor Migranten jeglicher Couleur zu schützen sei. Das macht die Äusserung nicht besser, belegt aber, wie sehr sie in den transatlantischen Konsens von Trump bis Meloni passt, also die demokratische Normalität Anno Domini 2025 wiedergibt. Und mit seinen markigen Worten versucht Merz ja gerade in die Fussstapfen von Trump zu treten.

Das Herrenvolk unter sich

Zur Klarstellung, wie er seinen Vorstoss gemeint hat, schob Merz eine Äusserung nach, die die Sache klären sollte. „Wer es aus dem Lebensalltag sieht, weiss dass ich mit dieser Bemerkung, die ich in der letzten Woche gemacht habe, recht habe“, zitierte ihn der Stern; es sei nicht das erste Mal, dass er dies gesagt habe, und er sei nicht der Einzige, der dies gesagt habe: „Fragen Sie ihre Töchter, fragen Sie im Bekanntenkreis. Alle bestätigen, dass das ein Problem ist, spätestens mit Einbruch der Dunkelheit.“ Er hätte auch sagen können: Fragen Sie Frau Weidel, die das seit Jahren behauptet und damit erfolgreich Stimmung gegen Ausländer macht.

In der Sache wurde also nichts zurückgenommen: Merz macht die Existenz von Migranten in den Städten allgemein für die Kriminalität und speziell für Belästigungen von Frauen verantwortlich. Ein hartes Durchgreifen in Form von Abschiebung und „Remigration“ der betreffenden Personen würde demnach die Sicherheit von Frauen vor allem am Abend und in der Nacht erhöhen. Das ist natürlich infam.
Es wird so getan, als ob die Sicherheitsprobleme vorwiegend von diesem Personenkreis ausgingen. Vergessen soll man an dieser Stelle, wie viel Gewalt nicht auf dunklen Strassen, sondern in den Familien und Partnerschaften stattfindet. Ein Blick in die Kriminalstatistik zur „häuslichen Gewalt“ könnte hier rasch für Aufklärung sorgen.

In einer weiteren Äusserung spezifizierte der Kanzler seine Sicht: „Auf einer Pressekonferenz in London am 22. Oktober wurde Merz konkreter und sagte, wen er meint: Migranten ohne Aufenthaltsrecht und Arbeit, die sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln halten. Er betonte ausserdem: ‚Ja, wir brauchen auch in Zukunft Einwanderung'.“ Migration ist eben nicht gleich Migration.

Worauf es ankommt: Dass die Einwanderung entsprechend staatlicher Kontrolle erfolgt und sich nicht einfach Menschen in Deutschland aufhalten, die dazu kein Recht haben. Damit stellt der Kanzler eine Verbindung her zwischen der Durchsetzung staatlicher Gewalt gegenüber Ausländern und der privaten Sicherheit seiner Bürger und Bürgerinnen. Diese sollen demnach nur in Sicherheit leben können, wenn die staatliche Gewalt unbedingt gilt.

Damit spricht der Kanzler aber gleichzeitig ein vernichtendes Urteil über diese Gesellschaft aus: Ohne Respekt vor der staatliche Gewalt gehen deren Mitglieder aufeinander los, statt sich an die „geltenden Regeln“ eines zivilen Verkehrs zu halten. Die Gesellschaft basiert eben auf so vielen, vor allem wirtschaftlichen Gegensätzen, dass ihre Existenz nur mit einem erheblichen Gewaltaufwand aufrechterhalten werden kann – nach innen wie nach aussen.

Das bedeutet übrigens nicht, dass damit die deutschen Volksangehörigen vor der Gewalt von Mitbürgern, Ehepartnern, Kollegen, Amokläufern etc. geschützt wären. Eine Straftat muss ja erst einmal begangen sein, bevor der Staat strafend eingreift. Die Strafe soll dann abschrecken, sie schafft nicht die Gründe für strafbares Verhalten aus der Welt. Sie sorgt vielmehr dafür, dass sich die ständig manifest werdenden Gegensätze in Grenzen halten.

Und so sind denn auch die Gesetzesbücher umfangreich bei der Auflistung aller denkbaren Rechtsbrüche – beginnend mit dem Vertragsrecht, Arbeitsrecht, Mietrecht, Verkehrsrecht bis hin zu den privatesten Angelegenheiten beim Familienrecht oder der sexuellen Selbstbestimmung, um nur einige zu nennen. Und weil die Interessen der Bürger ständig durch andere bestritten werden, soll jedermann und jede Frau für einen starken Staat sein, der mit einem enormen Gewaltapparat – mit Justiz, Polizei, Geheimdienst und Militär – für eine Ordnung sorgt, in der viele gewinnen und die Mehrheit sehen muss, wie sie in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen zurechtkommt. Das soll dann der innere Frieden sein, in dem man sich wohl fühlt und auch noch „nach Einbruch der Dunkelheit“ auf die Strasse gehen kann!

Suitbert Cechura