Das war seit 1989 ein zentrales Motto der deutschlandkritischen Linken. Es galt dagegen zu kämpfen, dass Deutschland überhaupt wieder Krieg führen kann und besonders zu verhindern, dass deutsche Waffen dort wieder Tod und Zerstörung bringen, wo die Wehrmacht 1944/45 durch die Alliierten mit Gewalt daran gehindert werden musste. Ein weiteres Motiv der deutschlandkritischen Linken bestand in der kritischen Intervention, wo sich die deutsche Nazierb*innen mit ihren alten Verbündeten in anderen europäischen Ländern erneut zusammenfanden.
In den 1990er Jahren war die Thematisierung der Kollaboration zwischen den Nazis und den kroatischen Rechten vor 1945 und nach 1989 ein wchtiges Thema der deutschlandkritischen Linken. Diese kroatischen Faschisten hatten sich bis 1945 im Antisemitismus von ihren deutschen Kumpanen nicht übertreffen lassen. Im Kalten Krieg konnten viele ihrer Anführer als Verteidiger des christlichen Abendlandes gegen den Bolschewismus reüssieren. Einige von ihnen liessen sich in München wieder, wo sie für Radio Liberty und anderen Propagandasendern des sogenannten globalen Westens arbeiteten. Mit dem von der deutschen Regierung geförderten Zerfall des von den Partisan*innen gegen NS-Deutschland gegründeten Jugoslawien begann für diese kroatische Rechten ihr zweiter Frühling. Sie liessen im nun unabhängigen Staat Kroatien sofort Denkmäler für ihre Vorfahren aufstellen und Strasse und Plätze nach ihnen benennen.
Deren NS-Kollaboration war dafür ebensowenig ein Hinderungsgrund wie deren eliminatorischer Antisemitismus. Es war ein Verdienst der deutschlandkritischen Linken der 1990er Jahre, diese Kontinuität immer wieder angeprangert zu haben. Dafür wurden sie von den Liberalen und den Olivgrünen jener Zeit schon bald als Handlanger des autoritären serbischen Präsidenten Milosevic geziehen. Doch ein Grossteil dieser antideutschen Linken jener Jahre liess sich von solchen Diffamierungen nicht in darin beirren, die braune Geschichte der deutsch-kroatischen Kooperation zu benennen. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass ein kleinerer Teil dieser Bewegung tatsächlich den serbischen Nationalismus erst verharmloste, dann affirmierte und so ins rechte Lager wechselte. Jürgen Elsässer ist dafür ein prägnantes Beispiel. Doch die meisten gesellschaftlichen Linken wandten sich damals gegen die Ethnisierung des Sozialen auf allen Seiten. Sie kritisierten alle Machthaber und besonders die deutschkroatische Kooperation aus dem Wissen um die deutsche Geschichte. Nun wäre eigentlich Gleiches auch bei der Positionierung zum Konflikt Ukraine-Russland zu erwarten gewesen. Denn auch in der Ukraine gab es einen deutschfreundlichen Nationalismus, der auch in einer nicht immer widerspruchsfreien Kooperation mit den Nazis stand. Deren Exponenten flohen vor der Roten Armee ins zerfallende NS-System und reüssieren im Kalten Krieg als Kämpfer*innen für das christliche Abendland.
Viele lebten wie ihre rechten Kumpanen aus Kroatien in München. 1959 ist dort Stefan Bandera, ein eliminatorischen Antisemit und Führungsfigur der NS-freundlichen ukrainischen Nationalismus, wahrscheinlich einem KGB-Attentat erlegen. Schon nach der Unabhängigkeit der Ukraine witterten diese Nationalisteen Morgenluft. Spätestens nach dem Maidan-Umsturz von 2014 waren sie am Ziel. Bald wurden in vielen Städten Denkmäler von Bandera und anderen Nationalistenführern errichtet. Natürlich ist auch die russische Seite des Konflikts reaktionär und nationalistisch.
Eine Parteiname für Putin kommt für eine emanzipatorische Linke daher nicht in Frage. Heni, Grüneklee und ich haben sich dazu ausführlicher in dem Buch „Nie wieder Krieg ohne uns – Deutschland und die Ukraine“ ausführlicher dazu geäussert. Wie in den 199er Jahren hätte also die Aufgabe der gesellschaftlichen Linken nicht in einer Parteinahme auf einer Seite der Herrschenden bestanden sondern im Kampf gegen die der Ethnisierung des Sozialen, die Unterstützung von Kriegsgegner*innen und Deserteur*innen auf allen Seiten.
Wenn Deutschland in der Ukraine keine Nazis sehen wollen
Doch die Reaktion der gesellschaftlichen Linken war hier völlig anders als bei Kroatien. Wer heute nur daran erinnert, dass die prodeutschen ukrainischen Nationalisten, die nach 2014 in Kiew durchaus nicht mit bürgerlich-demokratischen Wahlen an die Macht kamen, Denkmäler des Antisemiten und zeitweiligen NS-Verbündeten Stefan Bandera errichteten, gilt als Putin-Versteher*innen oder Schlimmeres. Besonders häufig kommt dann auch der Vorwurf, man würde die Ukraine verraten. Doch kaum jemand fragt, welche Ukraine denn? Die der deutschlandfreundlichen Kräfte um Bandera und Co. oder den Ukrainer*innen, die gemeinsam mit der Roten Armee gegen die Wehrmacht kämpften.Sie waren in die Rote Armee integriert und gehörten zu den Befreiern des NS-Vernichtungslagers Auschwitz. Die wenigen Überlebenden, die am 27. Januar 1945 mit den Hochrufen „Die Russen kommen“ ihre Befreier begrüssten, hatten ukrainische Einheiten als Teil der Roten Armee vor sich. Denkmäler, die an sie erinnerte, wurden nach dem Maidan-Umsturz in der Ukraine abgerissen. Noch 2014 bildete sich vor allem im östlichen Teil der Ukraine die Bewegung des Anti-Maidan, die auch verhindern wollte, dass diese Denkmäler beseitigt und dafür Bandera und andere Führungsversuche der NS-freundlichen Teils des ukrainischen Nationalismus geehrt werden, die an der Ermordung von Jüdinnen und Juden beteiligt waren.
Allein nach diesen historischen Fakten hätten eine Positionierung von deutschlandkritischen Linken klarsein müssen. Sie hätten immer wieder öffentlich die Frage stellen müssen, welche Ukrainier*innen denn gemeint sind, wenn von „der Ukraine“ geredet wird. Ist es die Ukraine derjenigen, die als Teil der Roten Armee Auschwitz befreit haben oder die Ukraine jene Kräfte, die gemeinsam mit dem NS an deren Ermordung beteiligt war. Doch diese Fragen wurden nach 2014 in Deutschland kaum noch gestellt, was deutlich machte: es gibt keine wahrnehmbare deutschlandkritische Linke mehr. Dabei hatten sie in den frühen 1990er Jahren auf antideutschen Kongressen noch vor dem Szenario gewarnt, dass in Osteuropa wieder Denkmäler für die Naziverbündeten aufstellen. Heute wird diese Dystrophine von der Realität übertroffen.
In der Ukraine werden nicht nur die NS-Verbündeten geehrt. Es werden auch wieder deutsche Waffen gegen Russland eingesetzt und manche ehemaligen Deutschlandkritiker*innen rufen dazu „Nie wieder Russland“. „Bald wird es nicht mehr die Rote Armee sein, die Auschwitz befreit hat, sondern das Asow-Bataillon“, schreibt die französische Schriftstellerin Marie Rotkopf in ihrer hellsichtigen Schrift „Deutschland über alles. Die deutsche Mentalität und der Krieg“. Hier findet man die polemische Auseinandersetzung mit den deutschen Zuständen, wie wir sie aus der nicht mehr existierenden deutschlandkritischen Linken der frühen 1990er Jahren kennen. Heute hat Deutschland seine Geschichte vollständig entsorgt und die vielen Gedenkstellen und Gedenkaktivitäten sind Teil davon, weil sie meistens das aktuelle Deutschland als Gedenkweltmeister darstellen, dass damit wieder Weltpolitik machen kann. Dafür werden die historischen Stätten der deutschen Niederlage ohne öffentliche Aufmerksamkeit abgewickelt. Das „Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Grossen Vaterländischen Krieg“, dass in Berlin-Karlshorst an den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion erinnerte, heisst heute nur noch »Museum Berlin-Karlshorst«. Ein geschichtsvergessener Irrtum, wie es Thomas Blum in seiner Kolumne in der Zeitung nd – der Tag auf den Punkt bringt. Er gehörte zu den wenigen, den dieser Akt des Geschichtsrevisionismus überhaupt auffiel.
Feministische Aussenpolitik und Entsorgung deutscher Geschichte
Kaum jemand stellt einen Zusammenhang her zwischen der autoritären Durchsetzung der Corona-Massnahme, die einstimmen auf die deutsche Kriegsfähigkeit wenige Jahre später. Der Publizist Stefan Ripplinger gehörte zu den wenigen, deswegen folgt hier ein längeres Zitat von ihm. Er schreibt in seinen kürzlich im Papyrossa-Verlag erschienen Buch „Kunst im Krieg“: „Corona stellte so gesehen einen Wendepunkt dar. In dieser Zeit wurde das vorher eher unpersönliche Verhältnis zwischen Staat und Kunst sehr persönlich, aber in der Folge nicht selten schmerzhaft.« Zum Schmerzhaften später. Als der Bundeskanzler vom ganzen Parlament beklatscht die »Zeitenwende« offiziell machte, kam für die Kultur die Stunde, in der sie sich beweisen musste.Die Ukraine-Fahnen wurden so schnell und massenhaft gehisst, dass es Lieferprobleme beim Nachschub gab. Ein Fahnenmeer als Zeichen der Unterstützung einer menschenfeindlichen Politik, was man freilich – wie zuvor bei Corona – als menschenfreundliche Solidarität ausgab. Und auch sonst liess man sich nicht lumpen und schmiss kurzerhand alles aus dem Programm, was verdächtig russisch daherkam, während man dem letzten nationalistischen Mist eine Bühne bot, solange der sich mit blau-gelben Blumen schmückte. »Kulturpolitik wird zur Militarisierung. Treiber dieser Entwicklung sind – das ist die Ironie der Geschichte – international, nicht national gesinnte Kräfte«, schreibt Ripplinger. Also »feministische Aussenpolitik« statt »Stahlhelmfraktion«. Das gilt auch für den Kulturbetrieb, wo die globale Hipster-Avantgarde ihr gesamtes Phrasenarsenal an Machtkritik zum Einsatz an die Heimatfront gekarrt hat. »Der Bevölkerung, die die Kosten des Krieges zu erbringen hat, ohne an der Beute beteiligt zu werden, müssen wahre Schreckbilder des Gegners gemalt werden«, führt Ripplinger aus.
Man könnte noch ergänzen, dass die Exponentin dieser feministischen Aussenpolitik in Deutschland Annalena Baerbock immer erklärte, dass sie auf den Schultern ihrer Grosseltern steht. Dazu gehört auch der überzeugte Nationalsozialist Waldemar Baerbock. Doch das ist wieder deutscher Standard und kein Aufreger mehr. Denn Deutschland hat seine Geschichte bewältigt und entsorgt und macht damit umso unverhohlener wieder Weltpolitik, mit Diplomatie und wenn nötig auch mit Waffen. Wer da nicht in Reih und Glied mittun will, und womöglich pazifistische Einwände hat, ist dann einer Diffamierungskampagne ausgeliefert. Auch hier tun sich Linksliberale wie Sascha Lobo mit seinem Verdikt gegen den „Lumpenpazifismus““ besonders lautstark hervor. In Gerald Grüneklees Band „Nur die Lumpen werden überleben“ kann man sich darüber genauer informieren.
Corona- Geschichtsrevisionismus - Aufstieg der Rechten
Stefan Ripplinger ist einer der wenigen, der eine Linie vom Corona-Notstand bis zur deutschen Zeitenwende zieht. Es ist schon auffällig, dass in der Diskussion über den Aufstieg der Rechten in Deutschland diese Zusammenhänge in der Regel ausgeblendet werden. Der Corona-Notstand und die Kriegsfähigkeit sind natürlich bei den Autor*innen tabu, die die Phrase vom Rechtsruck vor allem nutzen, um das angeblich so liberale Modell Deutschland umso mehr zu preisen als angebliches Bollwerk gegen die illiberalen Staaten, zu denen sie natürlich die Ukraine niemals zählen. Aus diesen Kreisen kommen nicht wenige Exponent*innen des autoritären Corona-Notstands und der Verfechter*innen der deutschen Kriegsfähigkeit.Doch auch bei kritischen Autor*innen zum Thema wird das Thema Corona-Notstand und die deutsche Kriegsfähigkeit als Treiber der Rechtsentwicklung ausgeblendet Das wird auch in zwei Büchern deutlich, die kürzlich erschienen sind und die sehr fundiert den Boden kritisieren, auf dem Parteien wie die AfD wachsen.
Beide machen deutlich, dass die liberale Demokratie nicht im Gegensatz zur AfD steht, sondern die Bedingungen schafft, unter denen immer wieder rechte Bewegungen entstehen. Das gelingt dem langjährigen Beobachter der rechten Szene Anton Stengl, in seinem 2014 im Verlag Die Buchmacherei erschienenen Buch "Ungleichheit und Hass", in dem er profundes Hintergrundwissen über die Rechte in Deutschland einarbeitet. Stengl beschäftigt sich auch in einem Kapitel mit den ukrainischen und russischen Rechten und ihren Verbindungen nach Deutschland.
Nur bei der Corona-Politik verfällt er in eine unkritische Verteidigung aller offiziellen Massnahmen und hat hier keine Kritik an der autoritären Staatlichkeit. Auch in dem von Judith Goetz und Thorsten Mense im Unrast-Verlag herausgegebenen Sammelband "Rechts, wo die Mitte ist" wird die offizielle Corona-Politik weitgehend ausgespart, obwohl sie doch auch ein weiteres profundes Beispiel für einen autoritären Umbau des Staates durch die sogenannte Mitte der Gesellschaft wäre.
So ist es kein Wunder, dass 5 Jahre nach dem Beginn des Corona-Notstands manchmal von Aufarbeitung geredet wurde, um dann so weiterzumachen, als wäre nichts geschehen. Clemens Heni hat mit seinem neuen Buch „Was bedeutet Aufarbeitung der Corona-Politik?“ an die linke Kritik an der Corona-Politik vor 5 Jahren an.