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„Das Schweigen in Deutschland ist ohrenbetäubend“: Offenes Parlament zu Gaza und Israel

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Offenes Parlament zu Gaza und Israel „Das Schweigen in Deutschland ist ohrenbetäubend“

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Politik

Auf der Marschallbrücke in Berlin-Mitte fand am Mittwoch ein „offenes Parlament“ zum Schweigen über Gaza statt.

Offenes Parlament zu Gaza und Israel auf der Marschallbrücke in Berlin-Mitte, 4. Juni 2025.
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Offenes Parlament zu Gaza und Israel auf der Marschallbrücke in Berlin-Mitte, 4. Juni 2025. Foto: zVg

Datum 5. Juni 2025
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Knapp 50 Menschen kamen ab 17.30 Uhr zusammen, um dem Raum zu geben, worüber in Deutschland allzu viel geschwiegen wird: den Gefühlen von Schuld, Sprachlosigkeit und Ohnmacht im Angesicht all der Gewalt in Nahost.

Das offene Parlament ist für alle Bürger:innen aufgeschlossen. Raphael Thelen, Pressesprecher der Neuen Generation und Mitorganisator des Parlaments, über das Konzept: „Wir wollen miteinander reden: Über das, was in Gaza und Israel passiert, und was das mit uns macht. Wir wollen nicht argumentieren, nicht überzeugen, sondern einander zuhören und uns auf Augenhöhe begegnen.“

„Wenn wir Israel kritisieren, fühlen wir uns schuldig. Wenn wir schweigen, fühlen wir uns mitschuldig. Dazwischen liegt ein schwarzes Loch“, sagt Theodor Schnarr während des offenen Parlaments.

Lina Eichler, ebenfalls am offenen Parlament beteiligt, äussert sich ähnlich: „Das Schweigen in Deutschland ist ohrenbetäubend. Während in Gaza Menschen verhungern und bombardiert werden, diskutieren wir hier, ob man das überhaupt sagen darf. Wer heute schweigt, macht sich morgen schuldig. Es reicht – wir müssen den Mut haben, die Wahrheit auszusprechen, auch wenn sie unbequem ist.“

In Deutschland fällt es vielen schwer, über Gaza zu sprechen. Kein Wunder: Millionen hierzulande Geborene haben Eltern oder Grosseltern, die Täter:innen waren – Angehörige der SS, der Wehrmacht oder Mitläufer des NS-Regimes. Die Erinnerung daran sitzt tief – ebenso wie die Angst, das Falsche zu sagen. Doch das darf keine Entschuldigung sein.

„Ich habe die letzten Jahre geschwiegen, weil ich nicht wusste, wie ich sprechen soll“, ergänzt Schnarr. „Doch das deutsche Schweigen schützt niemanden. Es lähmt uns und macht uns blind.“

Weitere Versammlungen sind geplant. Denn wenn wir als Gesellschaft Verantwortung übernehmen wollen – für die Geschichte und für die Gegenwart –, dann müssen wir auch diese Gespräche führen. Im Kleinen, mit offenem Herzen und ohne Ausflüchte.

Die heutige Veranstaltung war Teil einer neuen Gesprächsreihe der Neuen Generation, die auf dem Prinzip ihrer „Mini-Versammlungen“ basiert. Die Mini-Versammlungen sind moderierte Kleingruppen, in denen Menschen sich auf Augenhöhe begegnen, einander zuhören und ihre Perspektiven teilen. Angeleitet durch einfache Gesprächsregeln entsteht ein Raum für echtes Verstehen – jenseits von Polarisierung und Rechthaberei. Ziel ist nicht recht zu haben, sondern Verbindung und Erkenntnis. So soll demokratische Kultur im Kleinen erfahrbar werden.

Hintergrund

Seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 eskaliert die Gewalt im Nahen Osten dramatisch. Im Gazastreifen, im Westjordanland, in Israel, dem Libanon und Syrien sind zehntausende Menschen getötet, verletzt oder vertrieben worden. Der Internationale Gerichtshof hat bereits Anfang 2024 vor einem möglichen Genozid in Gaza gewarnt – die humanitäre Lage ist seither katastrophal: gezielte Angriffe auf zivile Infrastruktur, Massenvertreibungen und die systematische Blockade von Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe durch Israel gefährden Millionen.

Zivilgesellschaftliche Stimmen fordern ein Ende der Gewalt auf allen Seiten, die Anerkennung und Benennung aller Kriegsverbrechen – auch jener der israelischen Regierung – sowie ein klares Bekenntnis zur Gültigkeit des Völkerrechts. Kritik wird auch an der Bundesregierung laut: Während die deutsche Regierung zu Recht die Kriegsverbrechen der Hamas verurteilt, benennt sie die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung und Armee noch immer nicht als solche. Durch Rüstungsexporte, einseitige Parteinahme und das Ignorieren internationaler Gerichtsurteile untergräbt sie das humanitäre Recht und kriminalisiert legitime Proteste in Deutschland.

pm