Skrupellose Trinkwassergefährdung geht weiter Bau der A49

Politik

Mit der Aufhebung des Teil-Baustopps an der A49[1] geht die Trinkwassergefährdung durch die Verlagerung von Boden mit sprengstofftypischen Kontaminationen in Mittelhessen in eine neue Runde.

Besetzung im Dannenröder Forst am 4. Oktober 2020.
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Besetzung im Dannenröder Forst am 4. Oktober 2020. Foto: Leonhard Lenz (PD)

28. August 2022
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Denn diese Aufhebung bedeutet, dass das Regierungspräsidium Giessen trotz mehrfacher Hinweise auf in der Nähe des bisherigen Baustopps an der Artilleriestrasse befindliche Restbelastungen von bis zu 22 mg/ kg Hexyl [2] nichts unternimmt, um die Bauarbeiter vor dem Einatmen der hochgiftigen Stäube zu schützen und eine weitere Verlagerung des wassergefährdenden Stoffes in andere in Wasserschutzgebieten befindliche Bereiche der Trasse zu verhindern. Diese Hexylbelastungen liegen zwar unterhalb des sogenannten „Eingreifswertes“ von Sanierungen[3], sie liegen aber deutlich oberhalb der 5 mg/kg, die nach den Vorgaben des Regierungspräsidiums Giessen selbst innerhalb des Altlasten-Geländes der WASAG wieder eingebaut werden dürfen.[4]

Im Endbericht zur Sanierung sind weitere Hexylbelastungen auch für andere Bereiche der Trasse dokumentiert.[5] Diese wurden (in Teilen) bereits ausgegraben und an andere Stellen verlagert, ohne dass Material zur Entsorgung in Haufwerken separiert worden wäre. Elisa David von den Parents for Future kommentiert: „Die Strategie der Bau-verantwortlichen ist perfide: das vergiftete Material wird ohne Beprobung ausgegraben und grossflächig an anderen Stellen verteilt. Damit muss es nicht für teures Geld entsorgt werden. Und wurden die Giftstoffe erst einmal andernorts grossflächig verteilt, dann lassen sie sich ungefähr so gut wiederfinden wie eine Nadel in einem Heuhaufen. Damit ist auch kaum nachweisbar, dass dem Verbot, wassergefährdende Stoffe innerhalb der Wasserschutzzone abzulagern, zuwider gehandelt wurde. Obschon die Beweise ja eigentlich in den Plänen im Regierungspräsidium vorliegen.“

Es hat den Anschein, als ob das Regierungspräsidium diese gravierende Gefährdung des Trinkwassers für 500.000 Menschen duldet und verharmlost: Irritierenderweise wurden laut einer Pressemitteilung des Regierungspräsidiums in dem kontaminierten Haufwerk ausser Hexyl keine weiteren der beprobten Parameter aufgefunden[6] – in einer privaten Beprobung wurde allerdings neben Hexyl auch Tetradinitrodiphenylamin und Pikrinsäure nachgewiesen. In seinen Pressemitteilungen bezieht sich das Regierungspräsidium ausserdem regelmässig auf die sogenannten „Eingreifwerte“. Dabei sind diese ohne jede Relevanz für die Verlagerung von kontaminierten Böden - sie gelten nur für Boden, der vor Ort verbleibt, nicht aber für Boden, der an andere Stellen gebracht wird.

Elisabeth David von den Parents for Future kommentiert: „Damit sind die Mischprobenwerte von 0,36 bis 15 mg/kg Hexyl in dem separierten Haufen an der Artilleriestrasse keineswegs so harmlos, wie es in der Pressemitteilung des Regierungspräsidiums klingt. Es wird damit verschleiert, dass ein Wiedereinbau von Hexylwerten von über 0,02 (!) mg/kg ausserhalb des WASAG-Geländes verboten ist!“ 3 Falsch ist dabei Aussage des Regierungspräsidiums, dass die nachgewiesenen Werte unterhalb des „Zielwertes“ von 50 mg/kg liegen: sie liegen zwar unterhalb des „Eingreifwertes“, aber deutlich über dem Wert, dessen Wiederverwendung zulässig ist! (In der oben erwähnten privaten Beprobung lag der Hexyl-Wert übrigens einmal bei 1408 mg/kg und einmal bei 6343 mg/kg![7])

Bilder zeigen ausserdem, dass der Hexylhaufen, der Anlass des Baustopps war, vor der Abdeckung mit Plastikfolien grösser war.[8] Damit muss mutmasslich kontaminierter Boden vor der Abdeckung an andere Stellen verlagert worden sein. Das wurde bisher abgestritten. Zugegeben wurde aber die Verlagerung von grossen Massen von Boden aus der vom Baustopp betroffenen Baugrube in die Wasserschutzzone II, für die eigentlich besondere Schutzmassnahmen gelten. Trotzdem schreibt das Regierungspräsidium in seiner neuesten Pressemitteilung, es läge keine Gefährdung des Grundwassers vor - es seien in den Analysen keine Kontaminationen gefunden worden. Elisa David von den Parents for Future kommentiert: „Das wäre ja so, als wenn hundert Stecknadeln, die über 12.000 qm verteilt wurden, allein deshalb nicht vorhanden sind, weil in ein paar Rasteruntersuchungen keine gefunden wurden!“

Auf die Frage nach den Entsorgungsprotokollen von kontaminiertem Boden antwortete das Regierungspräsidium im Juni, diese lägen nicht vor, da kein Boden hätte entsorgt werden müssen. Bei Proben im Bereich eines von Anwoh-ner:innen gemeldeten unkartierten Gebäudes[9] wurden allerdings im Oktober 2021 PAK- Werte von bis zu 9 mg/kg festgestellt. Umgelagerter Boden darf aber nicht mehr als 3 mg/ kg des giftigen PAK enthalten, ohne entsorgt werden zu müssen (vgl. Fussnote 4). Es ist mehr als unverständlich, warum das Regierungspräsidium beim Ausbau der A49 nicht auf die Einhaltung seiner Vorgaben besteht.[10]

Es drängt sich der Eindruck auf, dass auch die übergeordneten Behörden das illegale Treiben der Bauausführenden tolerieren: Hinweisen auf Verstösse gegen die Nebenbestimmungen zum Planfeststellungsbeschluss (wie fehlende Beprobungen von zu sanierenden Altkanälen, vgl. Foto rechts)[11] wurde bisher weder von der Planfeststellungsbehörde noch vom Fernstrassenbundesamt nachgegangen - mit dem Argument, dass das Regierungspräsidium keine Verstösse habe feststellen können.

Auch die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft Marburg argumentiert wenig nachvollziehbar: Von ihnen wurde abgelehnt, Ermittlungen zu den Arbeiten an der ca. 100 Meter von der Trasse entfernten ehemaligen Kläranlage des Sprengstoffgeländes[12] aufzunehmen, weil bei „Erdaushub aus dem Trassenbereich(!) , der der Markierung ‚Kläranlage' am nächsten kommt … keinerlei Auffälligkeit“ festgestellt worden wäre. Elisa David fragt: „Ob die Polizei Ermittlungen zu einem gemeldeten Einbruch in ein Schmuckgeschäft wohl auch ablehnen würde mit der Argumentation, im 100 Meter entfernten Getränkemarkt seien keine Einbruchsspuren festgestellt worden?“

Es ist zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen eines Besseren besinnen und den Wasser- und Bodenschutz umsetzen wie gesetzlich vorgeschrieben.

AG Danni lebt

Fussnoten:

[1] https://rp-giessen.hessen.de/presse/baustopp-aufgrund-altlastenverdacht-wird-aufgehoben

[2] Diese Restbelastungen sind in der Anlage 1 zum Endbericht zur Sanierung vom 25.2.21 dokumentiert, die auf Antrag im Regierungspräsidium einsehbar sind.

[3] Dokumentiert im Sanierungsplan zum WASAG-Gelände vom 1.11.2017 S. 21

[4] Vgl. die Grenzwerte des RP Giessen, dokumentiert in dem Analysebericht Nr. 013221-02 vom 28.10.21, S. 2

[5] Auch diese sind in der Anlage 1 zum Endbericht der Sanierung vom 25.2.21 dokumentiert. Siehe auch https://www.danni-lebt.de/un-recht/rp/restkontamination/

[6] https://rp-giessen.hessen.de/presse/laborergebnisse-liegen-vor

[7] Messwerte eines zertifizierten Analyseinstituts von zwei Bodenproben aus dem kontaminierten Haufwerk im Auftrag von Anwohner:innen:

[8] https://www.danni-lebt.de/un-recht/baustopp/fundort/

[9] https://www.danni-lebt.de/un-recht/wasserschutz/sanierungsgebiet/

[10] Das Regierungspräsidium behauptet, die Erde dürfe innerhalb des WASAG-Geländes noch weiter verwendet werden. Das widerspricht aber den Vorgaben

[11] https://www.danni-lebt.de/un-recht/rp/altkan%C3%A4le/

[12] https://www.danni-lebt.de/un-recht/rp/kl%C3%A4ranlage Die Planfeststellungsbehörde behauptet hier, diese Arbeiten hätten nicht planfestgestellt werden müssen, weil sie im Auftrag der Bundeswehr erfolgt seien, während die Bundeswehr wiederum schreibt, die Verantwortung läge bei der Bau-ARGE. Fakt ist, dass die Bundeswehr ihr Gelände gerade an die Bau-ARGE vermietet hat, dass die verlegten Leitungen unter der Trasse hindurchführen und dass schwer vorstellbar ist, dass die Bundeswehr eine rund um die Uhr-Bewachung von Kanalarbeiten finanziert, wie sie über Monate vor Ort war. Über den Grund dieser beim Ausbau der A49 einmaligen Überwachung lässt sich nur spekulieren.