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Arbeiten die Deutschen zu viel: Die Produktivität der Arbeit steigt ständig

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Die Produktivität der Arbeit steigt ständig Arbeiten die Deutschen zu viel?

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Politik

Diese Frage stellt sich hierzulande natürlich niemand, obgleich die Produktivität der Arbeit ständig steigt und die Krankheitsstatistiken der Krankenkassen die negativen Gesundheitsfolgen der Arbeit dokumentieren.

Datum 2. Juni 2025
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Stattdessen sind die Medien voll von Äusserungen von Industriellen, Politikern und Journalisten, dass die Deutschen zu wenig arbeiten. Was ist da eigentlich der Massstab, an dem das zu viel oder zu wenig gemessen wird?

Die Produktivität der Arbeit steigt ständig

Diese Tatsache wird eigentlich von niemandem bestritten. Das heisst ja nichts anderes, dass für die Herstellung der verschiedenen Güter immer weniger Zeit aufgewandt werden muss. Um die Menschheit mit dem notwendigen zum Leben oder auch Annehmlichkeiten zu versorgen, braucht es also immer weniger Arbeit. Warum also die Forderung nach Mehrarbeit. Auch das ist kein Geheimnis: Es geht eben nicht um die Versorgung der Menschen mit einem Dach über den Kopf, Essen, Kleidung, Kultur und Urlaub, sondern alles ist Mittel des Geschäfts, Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen. Und für diesen Zweck gibt es nie ein Genug, sondern dieser Zweck ist masslos und daher kann es nie genug lohnende Arbeit geben. Deshalb gibt es auch die Forderung nach ständigem Wachstum.

Vom Standpunkt der Versorgung könnte es auch reichen, wenn alle Menschen ausreichend versorgt und vergnügt sind, dass nicht die Wirtschaft, sondern die Freizeit wachsen könnte. Nicht so im Kapitalismus. Technische Neuerungen dienen daher auch nicht der Entlastung derer, die arbeiten, sondern sind ein Mittel in der Konkurrenz um Marktanteile, in der die Billigkeit der Produkte Konkurrenzvorteile verschafft. Billigkeit heisst eben auch, dass die Kosten für die Arbeitskräfte ebenfalls billig zu sein haben. Viel Arbeit für wenig Geld ist daher die ständig gültige Devise.

Das Wachstum der Wirtschaft in Deutschland stockt

Ein Zustand, der Wirtschaftsbossen, Politikern, Medien und Gewerkschaftern keine Ruhe lässt. Wirtschaftsbosse haben ein unmittelbares Interesse an der Vermehrung ihres Reichtums. Die Politik ist davon abhängig, dass in dem von ihr regierten Land möglichst viel Wachstum stattfindet, an dem sie sich durch Steuern bedienen kann. Und das umso dringlicher, da sich Deutschland auf einen Krieg vorbereitet, der jetzt schon viel kostet. Die Medien begleiten die Politik kritisch, ob ihr Handeln auch vom Erfolg für Deutschland gekrönt ist.

Arbeitnehmer sind vom Gang des Geschäfts abhängig, das gilt Gewerkschaftern nicht als Übel, sondern sie haben es zum Anlass genommen, sich mehr um das Wohl von Unternehmen als um das ihrer Mitglieder kümmern. Wenn nun alle Parteien ein Mehr an Arbeit von denen fordern, die arbeiten müssen und nicht von der Arbeit anderer leben, dann kann einem dies auch zu denken geben. Schliesslich verzichten viele Grossunternehmen gerade auf die Beschäftigung einer erheblichen Zahl ihrer Mitarbeiter. Entlassungen im grossen Stil bei VW, Thyssen-Krupp, Siemens, ZF, Schäffler, Bosch, Ford usw. füllen die Titelseiten von Zeitungen.

Mit der Forderung nach Mehrarbeit ist offensichtlich etwas anderes gemeint, als dass deutschen Unternehmen die Beschäftigten ausgehen würden. Gedacht ist bei dieser Forderung wohl an etwas anderes: Mehr Arbeit fürs gleiche oder weniger Geld. Das soll die Arbeit lohnender machen und die Gewinne für die Unternehmen wieder sprudeln lassen. Und dies Anliegen stösst in der deutschen Öffentlichkeit auf weitgehende Zustimmung und keinerlei Kritik.

Die nationale Einigkeit

Angestossen wurde die Debatte im letzten Jahr von Wirtschaftsvertretern wie dem Telekom-Chef Tim Höttges. Die Politiker liessen sich nicht zweimal bitten mit vorne dran der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Und so fand die Forderung denn auch Eingang in den Koalitionsvertrag. Und auch die Gewerkschaft Verdi wollte sich dieser Forderung nicht verschliessen und hat im Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes einer Verlängerung der Arbeitszeit zugestimmt. Als nun der neue Kanzler vor wenigen Tagen dies als seine Forderung bekräftigte gab es auch gleich eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die dieser Forderung Objektivität verleihen sollte.
Die Medien griffen diese Studien sofort begierig auf (Bild am Sonntag 18.5.2025, rtl-aktuell 18.5.2025). Bloss Zahlen sprechen nicht für sich, wie sie erhoben und in welches Verhältnis sie gesetzt werden spricht jedoch Bände: „Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat mit Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) berechnet, wie viele Stunden in den einzelnen Ländern je Einwohner im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre) gearbeitet wurde.“ (BamS)

Wenn die Stunden aller Menschen einer bestimmten Altersgruppe unterschiedslos zusammengezählt werden, dann heisst dies, dass diese Alterspopulation für eins da ist, ob Männlein, Weiblein, Jugendlicher oder Alter: Zum Arbeiten zum Wohle der Nation. Erstellt wurde eine Rangliste, geordnet nach der Stundenzahl in den einzelnen Ländern, in der Deutschland auf einem der letzten Plätzen rangiert. Als Erfolgsmeldung für die Deutschen gilt dies allerdings nicht, wenn sie weniger arbeiten müssen und mehr Freizeit haben. Schliesslich ist der Erfolg Deutschlands nicht der Erfolg der Deutschen in Sachen Freizeit.

Die Rangliste soll für die Konkurrenzsituation der einzelnen Länder stehen in Sachen Gewinn ihrer Unternehmen. Und weil die Studie erstellt wurde, um den Anspruch auf Mehrarbeit zu untermauern, ist es auch völlig unerheblich, was die betreffenden Arbeitnehmer in den einzelnen Stunden leisten. Da werden Äpfel und Birnen zusammengezählt. Schliesslich macht es einen Unterschied, ob ein Auto von Hand zusammengeschweisst wird oder durch einen Roboter. Im ersten Fall braucht es eine ganze Mannschaft, diese wird ihren Lohn los und überflüssig, wenn es reicht, dass ein Mensch die Roboter beaufsichtigt. Eine teure Investition, die sich durch die Lohneinsparungen schnell lohnt. An der Bestimmung des Personenkreises, deren Arbeitsstunden berechnet wurden wie auch immer, fällt auf, dass es für die Untersuchung unerheblich scheint, wie lange Kinder oder Jugendliche sich in der Ausbildung befinden. Schliesslich lernen sie ja, statt zu arbeiten, wozu sie offenbar da sind. Jede nicht geleistete Arbeitsstunde ist in dieser Rechnungsweise ein Minus.

Ein Ergebnis stösst allerdings auf, dass die Deutschen in den letzten Jahren nicht weniger gearbeitet haben. So antwortet der IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer auf die Frage von Bild am Sonntag „Haben wir früher mehr gearbeitet?“: „Im Vergleich zu den 1970er Jahren arbeiten wir weniger, aber seit der Wiedervereinigung arbeiten wir tendenziell immer etwas mehr.“ (BamS) Das hindert allerdings einen Kanzleramtsminister Thorsten Frei in einem Artikel gleich neben der Darstellung der Studie nicht daran, das glatte Gegenteil zu behaupten: „Ungeachtet der Tatsache, dass es bei uns viele Menschen gibt, die sehr leistungsstark sind und sich reinhängen, ist die Pro-Kopf-Arbeitszeit der Deutschen in den vergangenen Jahren kontinuierlich nach unten gegangen.“ (BamS)

So frei gehen Politiker eben mit der Wahrheit um und ihre Behauptungen werden zu Fakten. Wenn Studien nicht in allen Belangen das hergeben, was die Politik gerne hätte, dann ist die Politik so frei, sich die Fakten selber zu erfinden und die Medien sind so frei, jedes Geschwätz von Politikern als Fakten zu verbreiten.

Die Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) sieht sich denn auch gleich gefordert, ihrem Kollegen beizuspringen und zu überlegen, wie Mütter schneller wieder in Arbeit gebracht werden können (SZ 19.5.2025) – zwar haben diese Mütter reichlich zu tun, aber Arbeit ist eben nicht gleich Arbeit, es geht eben immer um lohnende Arbeit für andere.

Suitbert Cechura

In diesem Beitrag wird eine angebliche Studie des IW zu Arbeitszeiten erwähnt, die es allerdings gar nicht gibt. Die Pressemitteilung dazu findet sich hier: https://www.untergrund-blättle.ch/wirtschaft/fake-news-in-tagesthemen-arbeitszeit-studie-des-iw-existiert-nicht-009099.html