Die EU, mehrere EU-Staaten und die Ukraine suchen die Gedenkfeiern in Moskau zum Sieg über NS-Deutschland zu sabotieren – mit allerlei Drohungen, der Sperrung des Luftraums für die Anreise und der Debatte über ein Sondertribunal gegen Russland […] Mehrere Dutzend Staaten nehmen an den Veranstaltungen in der russischen Hauptstadt teil, darunter BRICS-Staaten wie China, Brasilien, Südafrika und Indonesien, aber auch das EU-Mitglied Slowakei sowie der EU-Beitrittskandidat Serbien. Die Teilnahme der beiden letzteren hatte die EU zu unterbinden versucht, nicht zuletzt mit der Drohung, ein Staat, der Repräsentanten nach Moskau entsende, dürfe der EU nicht beitreten. (German Foreign Policy, 9.5.2025 Befreiung ohne Befreier II.)[2]
Eine willkommene Gelegenheit für die laufende Kriegspropaganda bot und bietet auch der 8.Mai 2025, der 80. Jahrestag der deutschen Niederlage: Zum einen, das Böse in Gestalt eines ewigen, unverbesserlichen grossrussischen Imperialismus auszumalen, der in der russischen Seele genetische einfach verankert sein muss. Diese Methode fügt sich nahtlos in die klassische Methode der Kriegspropaganda ein, das heisst: Den von den politischen Kriegsvorbereitern und Kriegstreibern ausgemachten aussen- und geopolitischen Feind als eine unmittelbare, existenzielle Bedrohung eines jeden Einzelnen in den furchterregendsten und düstersten Farben und Bildern zu zeichnen.
Leit- und Massenmedien, einschlägige Denk-"Fabriken" und sonstige "Experten für Sicherheit" geben sich alle Mühe, den längst überfälligen, kriegsnotwendigen "Mentalitätswandel" der Bevölkerung ebenfalls herbeizuführen. Leuchtet es mehrheitlich den in der NATO eingemeindeten Bevölkerungen ein, dass der Befreier von Nationalsozialismus und Konzentrationslagern selbst eine Nachbildung dessen sei, dann ist der staatlich erwünschte Mentalitätswandel auch nach dieser Seite hin gelungen. Zugleich bietet der 80. Jahrestag der deutschen Niederlage die Gelegenheit, diplomatisch und aussenpolitisch klarzustellen, dass eine weitere militärische und weltpolitische Niederlage für Deutschland nicht mehr in Frage kommt. Dafür wird demonstrativ und vor den Augen der Weltöffentlichkeit dem ehemalige Befreier feindselig begegnet und etwaigen Abweichlern vom deutschen Kriegskurs praktisch gedroht. In politischer Frontlinie bekunden die deutschen Kriegsvorbereiter und Kriegstreiber ihre definitive Entschlossenheit, notfalls auch ohne die USA einen nuklearen Krieg gegen die Atomsupermacht Russland in Angriff zu nehmen. Und in Kollaboration mit ihren europäischen Kollegen die Kriegsvorbereitung gegen Russland mit allen Mitteln als gesamteuropäisches Kunstwerk voranzutreiben - "whatever it takes": F.Merz, Pistorius, Steinmeier, Strack-Zimmernann, Kaja Kallas, Mark Rutte, v.d.Leyen und Co. Ein gegenüber dem herrschenden Narrativ vom "grossrussischen Imperialismus" alternatives Erinnerungs-Narrativ ist in heutiger Zeit durchaus angebracht.
Die kurze Geschichte des herrschenden Erinnerungs-Narrativs
In gewohnter Manier ruft der Bundespräsident auch zum 80. Jahrestag der deutschen Niederlage einen Weckruf aus. Einen Weckruf der puren Kriegspropaganda und der Entschlossenheit zum Krieg: "Die Befreier von Auschwitz sind zu neuen Aggressoren geworden...Wir müssen militärisch stärker werden, aber nicht um Krieg zu führen, sondern um Krieg zu verhindern...Wir wissen, was zu tun ist." (Steinmeier, 8.5.2025)[3]Zweck und Ziel dieser langatmigen Rede des Bundespräsidenten sind damit hinreichend charakterisiert: Russland eine militärische und weltpolitische Niederlage zu bereiten, von dem es sich nicht mehr erholt. Das ist "zu tun" (Steinmeier) und als Befreiung zu verstehen.
Den richtungsweisenden Grundstein zu diesem Weckruf hat Theodor Heuss als Mitglied des Parlamentarischen Rates am 8. Mai 1949 bei der Verkündung des Grundgesetzes gelegt mit den Worten:
"Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind." (Theodor Heuss, 8.5.1949)[4]
Jeder Einzelne soll sich als Mitglied in einem imaginierten Wir-Kollektiv an das Datum des 8. Mai 1945 erinnern. Sich erinnern in der von Theodor Heuss vorgegebenen Weise des Sich-Erinnerns: Paradoxie-Tragik-Erlösung-Vernichtung. Dieses mit der Antike, mit dem Alten Testament, mit der jüdisch-christlicher Erlösungsreligion und mit dem Vater Unser konstruierte Narrativ will mit der schlichten Darlegung der Vergangenheit, wie sie einfach war, nichts zu tun haben.
Dem grossen deutschen Ganzen gilt das vorgetragene Pathos, das sich auf die 50-65 Millionen Toten des ersten deutschen Weltkriegs beruft, um das grosse deutsche Ganze mit seiner "tragischen" Geschichte über die Schlachtfelder, Trümmer und Gräber hinaus zu erheben. Um angesichts der erdichteten "Paradoxie, Tragik, Vernichtung und Erlösung" die Frage aufzuwerfen, was mit dem grossen deutschen Ganzen in Zukunft denn geschehen soll. Das soll sich das Publikum fragen, obwohl die politischen Nachfolger des Dritten Reichs die Antwort auf die öffentlichkeitswirksam gestellte Frage längst bereit hatten. Das durch Theodor Heuss dem Vater Unser entlehnte Wort von der Erlösung des grossen deutschen Ganzen, ist sprichwörtlichen und zukunftsweisend gemeint: "Erlöse uns von dem Bösen". (Arbeitsgemeinschaft für liturgische Texte (1970)[5] Glücklicherweise wohnt der Erlösungsidee die Vorstellung inne, dass die Erlösung des grossen Ganzen vom "Bösen" in die Zukunft blickend einen Abschluss, ein Ende des Bösen findet, finden muss: Ein Akt der Befreiung, den die Erlösung des grossen Ganzen durch "jeden von uns" (Theodor Heuss) verlangt. Eine Erlösung von jenem Bösen, das dem deutschen grossen Ganzen zwischen 1933 bis 1945 die Schmach einer zweiten militärischen und weltpolitischen Niederlage bereitet haben soll. Und eine Erlösung vom jenem anderen Bösen, das endgültig den Einsatz von Leib und Leben durch die zu Erlösenden erfordert.
Grundgesetzlich aufgegeben war der deutschen Bevölkerung im Nachkriegsdeutschland-West ein Mentalitätswandel mit einem doppelten Befreiungsauftrag: Sich neben der Befreiung vom absolut Bösen in Gestalt des Dritten Reichs darüber im Klaren zu werden, dass die Zukunft Deutschlands als zukünftige Weltfriedens-Macht die Erlösung vom Reich des Bösen im Osten gebietet. Diesen Aufruf zur doppelten Befreiung vom absolut Bösen verkünden die 8.Mai-Festtagsreden in ihrer 80-jährigen Geschichte bis auf den heutigen Tag immer und immer wieder, nicht zuletzt eben auch die Festtags-Reden zum 8.Mai 2025.
Wie aber kam es zum 8. Mai 1945 und zum Auftrag, die Nation vom absolut Bösen im Osten mittels seiner kriegstüchtig und resilient herzurichtenden Bevölkerung in Deutschland zu erlösen und zu befreien?
Kein deutscher Platz an der Sonne - eine andere Erinnerung
Aber allerdings sind wir der Ansicht, dass es sich nicht empfiehlt, Deutschland in zukunftsreichen Ländern von vornherein auszuschliessen vom Mitbewerb anderer Völker. (Bravo!) ... Die Zeiten, wo der Deutsche dem einen seiner Nachbarn die Erde überliess, dem anderen das Meer und sich selbst den Himmel reservierte, wo die reine Doktrin thront (Heiterkeit – Bravo!) – diese Zeiten sind vorüber ... (Bravo!)Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne. (Bravo!) ... werden wir bestrebt sein, getreu den Überlieferungen der deutschen Politik, ohne unnötige Schärfe, aber auch ohne Schwäche unsere Rechte und unsere Interessen zu wahren. (Lebhafter Beifall.) In Ostasien wie in Westindien werden wir bestrebt sein, getreu den Ueberlieferungen der deutschen Politik, ohne unnöthige Schärfe, aber auch ohne Schwäche unsere Rechte und unsere Interessen zu wahren. (Lebhafter Beifall.) (Bernhard Freiherr von Bülow, 6.Dezember 1897)[6]
Diese Überzeugung war bei den Regierungsverantwortlichen des wilhelminisch-kaiserlich geführten und verwalteten Deutschland längst herangereift: Mit allen zu Gebote stehenden Mitteln haben die kaiserlichen Reichs- und Staatsführer das deutsche grosse Ganze zu einem weltmarktkonkurrenzfähigen Kapitalstandort hergerichtet. Und dessen Reichtumsakkumulation gebietet, dass seinem Zugriff auf die Reichtumsquellen und Bevölkerungen fremder, "zukunftsreicher Länder" (von Bülow) freie Bahn geschaffen wird.
Aus dieser Überzeugung heraus haben die berufenen politischen Sachwalter des wilhelminisch-kaiserlichen Kapitalstandortes die daraus erwachsenen Ansprüche an die eigene Nation zugleich an die Verwalter und Souveräne anderer Nationen adressiert als "unsere Rechte und Interessen". Diese unsere Rechte und Interessen sind "ohne unnöthige (sic!) Schärfe", das heisst: "ohne Schwäche" geltend zu machen. Dass diesem Geltendmachen "unserer Rechte und Interessen" andere Nationen im Wege stehen, nährte und beförderte die Unzufriedenheit und Kritik der Regierungsverantwortlichen des wilhelminisch-kaiserlichen Standort Deutschland.
Das ergibt den Befund: "Die Zeiten", da dem deutschen grossen Ganzen kein geo- und weltpolitisch massgebliches Mitspracherecht in der Ausübung globaler, ökonomischer, militärischer und politischer Hausherrengewalt von den herrschenden Weltmächten zuerkannt wird, "diese Zeiten sind vorüber" (von Bülow).
Eingedenk dessen und im Anspruch, "unsere Interessen und Rechte" (von Bülow) auf der Ebene konkurrierender Weltmächte geltend zu machen, ist ein deutscher "Griff nach der Weltmacht" (Fritz Fischer, 1984)[7] keine Frage. Nur dann ist dem wilhelminisch-kaiserlichen Kapitalstandort Deutschland eine gewinnbringende Zukunft gesichert, wenn ihm eine deutschfarbene Weltmacht, die über ein geo- und weltpolitisches Mitspracherecht in der Ausübung weltweiter Hausherrengewalt verfügt, den Weg gegen alle Konkurrenten bahnt. Das bedeutet:
Krieg - was denn sonst?
Dass die Weltmacht-Konkurrenten, denen die deutsche Herausforderung galt, von sich aus keinen Anlass sehen, einen ihnen womöglich ebenbürtigen oder in naher Zukunft gar überlegenen Konkurrenten Raum zu geben, davon gingen die politischen Sachwalter des seit Bismarck zu einem grossen Ganzen vereinigten Deutschland aus. In allerlei generalstabsmässigen und strategischen Vorüberlegungen, Texten und Reden zum in jedem Fall anvisierten "kommenden Krieg" (Fritz Fischer), dokumentierten die politischen Sachwalter des deutschen grossen Ganzen dies: "ohne Schwäche" (von Bülow) den als Rechtsansprüche formulierten deutschen Interessen gegen die als Feinde dargestellten damaligen Weltmachtkonkurrenten mit allen Mitteln militärischer und staatlicher Gewalt endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Unter Einsatz der eigenen Bevölkerung und unter bewusster Inkaufnahme von zig Millionen Toten, Verletzten und Verstümmelten, Traumatisierten und am Weltgemetzel irre Gewordenen so zum Durchbruch zu verhelfen, dass es keinen Widerstand seitens der Weltmacht-Konkurrenten gegen einen deutschen Platz an der Sonne geopolitischer Weltmachtgeltung mehr geben konnte.Die Weltmachtkonkurrenten ihrerseits kannten keinen vernünftigen Grund, ein deutsches Recht auf Erfolg in der Standort-, Weltmarkt- und Weltmachtkonkurrenz widerspruchslos hinzunehmen und schärften ebenfalls die ihnen zur Verfügung stehenden Zerstörungs- und Vernichtungsmittel. Und alle politischen Souveräne taten das ihre, um in der Zeit des Friedens den nötigen Mentalitätswandel bei ihren Bevölkerungen zu bewirken. Also die Bevölkerungen kriegstüchtig herzurichten und die Zustimmung derer zu gewinnen, die in den "kommenden Krieg" geschickt, das heisst befohlen werden, um den Sieg des eigenen grossen Ganzen zu erringen - what ever it takes.
Diese im Frieden bewerkstelligte Mobilisierung ihrer staatsbürgerlichen Massen ist allen politischen Souveränen so glänzend gelungen, dass die Staatsbürgermassen in ihrem falschen, in ihrem staatstreu-patriotischen Bewusstsein, das kommende Gemetzel, das ihre Regierungsverantwortlichen für sie vorsahen, als für sie existenziell notwendig und richtig betrachteten. So konnte der präventive Verteidigungskrieg um den Sieg in der Weltmacht-Konkurrenz in Angriff genommen und durchgefochten werden. Die 4 Jahre andauernde Schlächterei, Weltkrieg genannt, kostete neben 21 Millionen Verletzten 20 Millionen in die Schlacht Geschickten und Daheimgebliebenen das Leben.
Allerdings hat das von den staatsbürgerlichen Massen vollbrachte und erlittene 4 Jahre andauernde Gemetzel für das deutsche grosse Ganze eine Niederlage gebracht: Die Zerstörungs- und Vernichtungsgewalt der Konkurrenten hat sich als überlegen erwiesen, der "Griff nach der Weltmacht" (Fritz Fischer) war misslungen. Doch der Anspruch auf einen deutschen Platz an der Sonne in den höchsten Etagen der globalen Staatenkonkurrenz sah sich durch die Niederlage nur umso mehr herausgefordert - what ever it takes.
Wieder kein Platz an der Sonne
So fand Hitler, fanden seine Anhänger, fand die nationalsozialistische Bewegung, fand die Weimarer Bevölkerung das Ergebnis des ersten deutschen Griffs nach der Weltmacht vor. Die massgeblichen Regierungsverantwortlichen des grossen deutschen Ganzen in Gestalt des Dritten Reichs zogen eine recht nüchterne geo- und weltpolitische Bilanz, die zugleich Aufforderung war: "Deutschland ist keine Weltmacht mehr, gleichgültig, ob es militärisch stark oder schwach dasteht." (A.Hitler, Mein Kampf, 1936: 731)[8]Dieser minderwertige Status einer nachgeordneten Macht gebietet Befreiung, gebietet die Erlösung (Theodor Heuss) des grossen Ganzen von einem Zustand, der nicht hinnehmbar ist.[9] Das aller Welt verkündete und erklärte weltpolitische Ziel lautete somit: "Die Voraussetzung zum äusseren Freiheitskampf zu schaffen." (Mein Kampf: 686) Ganz Staatsmann, betrachtet das damalige Staatsoberhaupt die deutsche Niederlage als das Böse, das über das eigene grosse Ganze hereingebrochen ist. Andererseits als ein Geschenk, als eine Aufgabe und Herausforderung, das grosse deutsche Ganze durch die Tat der Befreiung zu erlösen. Dieses Programm entlang der alten staatsmännischen Weisheit: "Jede Niederlage kann zum Vater eines späteren Sieges werden." (Mein Kampf: 359)
Für die massgeblichen Regierungsverantwortlichen des grossen deutschen Ganzen in Gestalt des Dritten Reichs bedeutete der misslungene deutsche Griff nach der Weltmacht eine "Urkatastrophe" (G.F.Kennan, 1979) nicht wegen der für die Schlächterei Dahingerafften, Verletzten, Verstümmelten und (Kriegs-) Traumatisierten. Nachfolgende Generationen werden an ihre Stelle treten und die in der lebendigen, menschlichen Säule des Staats gerissenen Lücken wieder auffüllen.
Zumal, wenn die neue Riege der Regierungsverantwortlichen mit allerlei geeigneten bevölkerungspolitischen Massnahmen die Geburtenrate des ihr unterstehenden Volkes zu befördern weiss. Auch die breitflächigen Trümmerwüsten und darniederliegende Infrastruktur müssen keine Schutthaufen bleiben, sogar Autobahnen sind machbar. Und ein staatlich-militärischer Gewaltapparat gehört ohnehin zur Grundausstattung eines jeden staatlichen Gebildes, Niederlage hin oder her. Es bedarf lediglich eines nochmaligen Mentalitätswandels der Bevölkerung, die im zweiten Anlauf zum Griff nach der Weltmacht unbedingt noch kriegstüchtiger, kriegstauglicher und kriegsresilienter heranzuzüchten ist als im ersten Griff nach der Weltmacht. Dann steht dem Sieg im zweiten Griff nach der Weltmacht eigentlich nichts mehr im Wege. So lautet die ganz gewöhnliche staatsmännische Folgerung aus einer erlittenen Niederlage des grossen Ganzen.
Die Tat der Befreiung für einen endgültigen Platz an der Sonne im ehrenwerten Kries von Weltmächten verlangt zudem nach Innen aufzuräumen, um der Kriegstüchtigkeit, der Resilienz und vor allem dem zweiten Mentalitätswandels der deutschen Bevölkerung den Weg zu bahnen. Aufzuräumen war unter anderem mit solchen Menschen im Lande, die nicht bereit schienen, einen Mentalitätswandel hin zu einem neuerlichen deutschen "Griff nach der Weltmacht" zu vollziehen.
Und darüber hinaus ragt im Osten nach wie vor ein mächtiges, ein gewaltiges, ein bis in den unendlichen Weiten der sibirischen Taiga hausendes Reich des Bösen empor, das schon durch seine reine Existenz als Bedrohung gilt und damit jeglichem deutschen Griff nach der Weltmacht im Wege steht. Die Bevölkerung für die Tat der Befreiung von den Weltmacht-Konkurrenten und vom Reich des Bösen zu gewinnen, dieser Mentalitätswandel gelang den ab 1933 regierenden politischen Entscheidungsträgern wie ihren Vorgängern vor 1914 denn auch recht zufriedenstellend.
Eine Bevölkerung, die auch nach der Schlächterei von 194-1918, mehrheitlich davon überzeugt war, dass Krieg sein soll, wenn die Regierungsverantwortlichen meinen, Krieg müsse eben sein. Damit hatten die damaligen Regierenden wiederum alle erdenkliche Freiheit, ihrer staatsmännischen Pflicht nach zu handeln und dem Anspruch, "ohne Schwäche unsere Rechte und unsere Interessen zu wahren" (von Bülow), allerhöchste Geltung zu verschaffen. So konnte zum zweiten Mal der Griff nach der Weltmacht, der dem deutschen grossen Ganzen den ihm gebührenden Platz an der Sonne zubilligen sollte, in Angriff genommen werden - und zwar auf diese Weise:
Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein. Zur Weltmacht aber braucht es jene Grösse, die ihm in der heutigen Zeit die notwendige Bedeutung und seinen Bürgern das Leben gibt. (Mein Kampf, 1936: 742) Doch trotz aller glaubwürdigen Abschreckungsgewalt hat der Krieg wiederum ein böses Ende für Deutschland gefunden und seinen Bürgern notwendigerweise nicht das Leben gegeben, sondern genommen. Die Zerstörungs- und Vernichtungsgewalt der gegnerischen Konkurrenten war der eigenen Zerstörungs- und Vernichtungsgewalt im zweiten, diesmal 6 Jahre andauernden präventiven Verteidigungskrieg "unserer Rechte und Interessen" (von Bülow) überlegen. Mit 50 bis 60 Millionen Getöteten, zig Millionen Verletzten, ein kaum bezifferbares Millionenheer von (Kriegs-, Flucht-, und Vertreibungs-) Traumatisierten[10] bezahlte das falsche, das staatstreue Bewusstsein der staatsbürgerlichen Massen dafür, dass es auftragsgemäss wiederum seine ganz gewöhnliche staatsbürgerliche (Kriegs- und Wehrdienst-) Pflicht erfüllte.
Ausblick: Dem grossrussischen Imperialismus mit globalen NATO-Imperialismus begegnen
Von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen... Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden...im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" (GG, Präambel 1949)[11]Nie wieder!“ – das haben wir uns nach dem Krieg geschworen. Doch dieses „Nie wieder!“, es bedeutet für uns Deutsche vor allem: 'Nie wieder allein!' Und dieser Satz gilt nirgendwo so sehr wie in Europa. Wir müssen Europa zusammenhalten. (W. Steinmeier, 8. Mai 2020)[12]
Für die politischen Macht- und Regierungsaspiranten des bundesrepublikanischen Nachkriegsdeutschland war längst vor der Unterschrift unter den Kapitulationsvertrag klar: Erstens "Nie wieder allein!' (Steinmeier) einen Krieg beginnen. Zweitens: Nur ein vergrössertes, wiedervereinigtes Deutschland hat je Aussicht, in einem neu zu schaffenden Europa eine Führungsrolle zu übernehmen und darüber "unseren Rechten und Interessen" (von Bülow, 1897) geo- und weltpolitisches Gewicht und Geltung zu verschaffen. Ein erster Schritt auf dem langen Weg zu neuer imperialistischer Grösse, den sich die deutsche, nunmehr demokratisch exekutierte Staatsräson ab 8. Mai 1945 in Auftrag gegeben hat, sollte bald getan sein: Das am 8.Mai 1949 in die Präambel des Grundgesetzes "vor Gott und den Menschen" eingeschriebene, alttestamentarische Gebot der Wiederherstellung eines neuen grossen deutschen Ganzen hat sich am 3. Oktober 1989 erfüllt.
Das kann aber nicht genügen. Denn nur eine entschlossene militärische und geostrategische, imperialistische Vorwärts-Einkreisung Russlands - zunächst unter amerikanischem Nuklear- und NATO-Schutzschirm - bietet die Aussicht auf einen nun endlich erfolgreichen dritten Griff nach der Weltmacht mit einem zum NATO-Frontstaat hergerichteten Deutschland als europäische Führungsmacht. Dieses Unternehmen, Zeitenwende genannt, gebietet eine militärisch schrankenlose deutsch-europäischen Aufrüstung nunmehr unter der Prämisse, einen notfalls nuklearen Krieg auch ohne die USA gegen die Atom-Weltmacht Russland, dem ausgewiesenen Bösen, siegreich durchzustehen.
Verlangt ist somit wiederum die kriegspropagandistische und praktisch in Angriff zu nehmende Bearbeitung und Zurichtung der im global ausgreifenden NATO-Expansionismus eingemeindeten deutschen und europäischen Bevölkerungen. Die sind zum dritten Mal aufgefordert, an sich einen Mentalitätswandel zu vollziehen: weg von einer friedensverwöhnten inneren Haltung zu einem opferbereiten, kriegswilligen, kriegstauglichen und kriegstüchtigen deutsch-europäischen Bevölkerung in und ohne Uniform. Eine kriegsfähige Bevölkerung, die sich im kommenden Kugel-, Drohnen-, Bomben- und auch nuklearen Raketenhagel resilient bis zum Letzten erweist - what ever it takes.
Ist es in diesem deutsch-europäisch geplanten Dritten Weltkrieg endlich gelungen, sich ein für allemal vom russischen Befreier zu befreien, kann sich die zukünftige deutsch-europäische Weltfriedensmacht "in Ostasien wie in Westindien ohne Schwäche" (von Bülow, 1897) der präventiven Vorwärts-Verteidigung ihrer global angelegten Rechte und Interessen widmen. Und den ihm gebührenden und zustehenden "Platz an der Sonne" im Kreis der Weltmächte, die ihr Hausherrenrecht über den Planeten und über die Menschheit ausüben, geniessen. Wenngleich auch diese Unternehmung mit einem "unübersehbar grossem Heer von Toten und einem Gebirge menschlichen Leids" (von Weizsäcker, 8.5.1985)[13] gesegnet sein wird. So funktioniert es, "Von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen." (GG, Präambel)