Der Aufstand gegen den ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch „Der Widerstand wächst auch“

Politik

Über den faschistischen Coup und die Selbstverteidigung der Linken. Interview mit Dmitry Kolesnik.

Euromaidan Demonstrant in Kiew am 21. Januar 2014.
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Euromaidan Demonstrant in Kiew am 21. Januar 2014. Foto: Mstyslav Chernov (CC BY-SA 3.0 unported)

5. März 2014
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Als der Aufstand gegen den ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch Ende letzten Jahres begann, hast du da teilgenommen oder warst du von Anfang an skeptisch?

Zuerst muss ich betonen, dass der Aufstand begann, als die Regierung die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit der EU suspendierte, das sogenannte Assoziierungsabkommen, das verbunden war mit der Forderung, Austeritätsmassnahmen umzusetzen und IWF-Kredite aufzunehmen. Die Unterzeichnung dieses Vertrags war die Forderung einiger Gruppen von Oligarchen (auch innerhalb der regierenden Partei). Das ist der Grund, warum die Linke nicht an den Protesten teilgenommen hat.

Die Proteste waren auch von Anfang an dominiert von den Gruppen der äussersten Rechten, daher gab es unter den Demonstranten immer antilinke Ressentiments. Für Linke und Antifaschisten war es wirklich gefährlich, daran teilzunehmen.

Dann, nach der brutalen Zerstreuung der Demonstranten gelang es den Massenmedien und diversen NGO´s eine grosse Anzahl von Menschen zu mobilisieren – insbesondere aus dem Westen der Ukraine (wo es immer eine Rivalität um Einfluss mit den östlichen Regionen gab, die mehrheitlich die Regierungspartei unterstützten).

Also haben wir ursprünglich einen Konflikt zwischen Oligarchen und einen Riot der äussersten Rechten gesehen. Als die Proteste zu einer Massenbewegung wurden, haben einige Linke versucht, an ihnen teilzunehmen. Einige davon wurden geschlagen und vertrieben – wie Gewerkschafter, Feministinnen und Anarchisten, als man erkannte, dass es sich um Linke handelt. Andere beteiligten sich, ohne ihre Identität als Linke preiszugeben, hauptsächlich im medizinischen Bereich.

Als wir auf dem Maidan waren, fiel es uns schwer, Linke zu treffen. Kannst du uns ein bisschen etwas über die antifaschistische Bewegung in Kiew sagen? Wie ist sie organisiert, welche Gruppen gibt es? Gibt es Auseinandersetzungen mit den Faschisten?

Die antifaschistische Bewegung in Kiew war tatsächlich sehr schwach. Und es ist tatsächlich ein Problem vieler ehemaliger Länder der Sowjetunion, in denen wir einen Aufschwung von extrem rechtem Nationalismus und Konservativismus beobachten können. Darüber hinaus wurde in der Ukraine der Antifaschismus dadurch diskreditiert, dass die Ex-Regierung ihn in ihrer offiziellen Rhetorik sich lange Zeit seiner bedient hat. Bis dahin war wirklicher Antifaschismus in erster Linie das Projekt einiger kleiner antifaschistischer Jugendgruppen. Nun allerdings sehen wir, dass, wenn Antifaschismus nicht länger mit der vormaligen Regierung assoziiert wird, er in vielen Regionen schnell einen Aufschwung erlebt, als Reaktion auf den Terror der faschistischen Militanten.

Es gibt harte Strassenkämpfe mit Faschisten, in denen die Sturmtruppen der Nazi-Koalition „Rechter Sektor“ von ganz normalen Arbeitern geschlagen werden. Normalerweise werden diese Gruppen antifaschistischen Widerstands spontan organisiert, um die Städte vor den Nazi-Truppen zu schützen, die versuchen, Gemeinden und Städte zu übernehmen.

Es gibt auch ein neu organisiertes Zentrum des Antifaschistischen Widerstands, das versucht, die einzelnen Aktivitäten zu koordinieren. Allerdings gibt es nun ein anderes Problem: Die Unterstützer der vorherigen Regierung und russische Nationalisten wollen die antifaschistische Bewegung für sich nutzen. Wie auch immer: Gleichzeitig zum massenhaften Aufkommen des Faschismus können wir auch ein massenhaftes Aufkommen antifaschistischer Gegenwehr in der Ukraine beobachten.

Auf dem Maidan sahen wir eine ganze Reihe von faschistischen Gruppierungen, Swoboda, Prawy Sektor, UPA und viele weitere. Waren die schon immer so stark oder sind sie erst kürzlich gewachsen?

Diese Gruppen haben von Anfang an den Protest angeführt, also haben der Euromaidan und der aus ihm hervorgehende Coup eindeutig eine braune Färbung bekommen. Der extrem rechte Nationalismus war immer in einigen Regionen sehr stark, insbesondere dort, wo die Nazi-Kollaborateure der UPA bis in die 1950er Jahre aktiv waren.

Dieser faschistische Nationalismus kam wieder auf in den 1990er Jahren, während einer Welle ähnlicher rechter nationalistischer Bewegungen überall in Osteuropa. Nach der „Oragenen Revolution“ begann Präsident Juschtschenko eine Kampagne in Schulen, die eine Glorifizierung der Nazi-Kollaborateure zum Inhalt hatte, die von der ukrainischen Diaspora in den USA und Kanada erfreut aufgenommen wurde. Den Schulkindern wurde erzählt, die Nazis seien im Recht gewesen und haben dann paramilitärische Camps der ultrapatriotischen Gruppen besucht.

Leute aus dem Mittelstand, der von der Krise hart getroffen wurde, waren arbeitslos, die frustrierte Jugend war offen für eine Ideologie, die ihnen erklärte, sie seien „überlegen“ ob ihres Blutes, ihrer Religion, ihres Geburtsorts. Was wir heute sehen, ist das Resultat.

Auch Janukowitsch hat diese rechten Gruppen immer gefüttert – er dachte, eine Opposition wie Swoboda würde bei Wahlen vergleichsweise unattraktiv aussehen und er könnte leicht gegen sie gewinnen. Und weil die Nazi-Paramilitärs gut ausgebildet und überzeugt, zu kämpfen, waren, wurden sie vom gesamten Euromaidan mit offenen Armen begrüsst – also hatten sie Zulauf. Und nun treten tausende von Jugendlichen auf der Strasse den Nazi-Einheiten bei. Ausserdem muss man die Ukrainische Rechte auch im Zusammenhang mit dem Rechtstrend überall in Europa sehen.

Ein Genosse von Borotba hat uns erklärt, dass der „Prawy Sektor“ sich vor allem aus Hooligans von Dynamo Kiew rekrutiert hat. Ist da was dran?

Am Anfang war der „Rechte Sektor“ eine Koalition von Nazigruppen wie der Sozial-Nationalen Vereinigung (Social-National Assembly), den Patrioten der Ukraine, den „Vikings“, der Ukrainischen Nationalen Selbstverteidigungsgruppen und anderen. Die Fusssoldaten dieser Gruppen kamen zu einem grossen Teil aus den Ultra-Szenen von Dynamo Kiev, Karpaty Lviv und anderen. Nazismus ist in den Fanszenen der Ukraine weit verbreitet. Ukrainische Teams haben auch schon Strafen wegen Nazismus im Stadium kassiert. Ausserdem kommen Nazi-Ultras aus Polen, Russland, Schweden und Ungarn, um ihren Gesinnungsgenossen in der Ukraine beizustehen.

Wie reagieren die Antifaschisten auf die Bedrohung der wachsenden faschistischen Bewegung?

Wie ich gesagt habe, es gibt eine Reihe von Bestrebungen, den antifaschistischen Widerstand zu organisieren. In manchen Städten nimmt das die Form von Selbstverteidigungseinheiten an. Fast jeden Tag gibt es Auseinandersetzungen, während Nazi-Gangs Städte stürmen, Wohnungen Plündern, linke Aktivisten jagen, die in vielen Gegenden nur noch im Untergrund tätig sein können. Die Paramilitärs des „Rechten Sektors“ haben Checkpoints aufgebaut, sie suchen nach Dissidenten, Regierungsunterstützern und Linken. Die Nazis werden auch in die Polizei und Sicherheitsorgane eingegliedert. An manchen Orten werden diese rechten Paramilitärs von Selbstverteidigungseinheiten vertrieben, manche Städte organisieren 24-Stunden-Wachen, um sie nicht in ihre Gemeinden zu lassen. Borotba organisiert ausserdem das Zentrum des Antifaschistischen Widerstands.

Ist es in Kiew derzeit gefährlich für Leute, die als Antifas bekannt sind? Gibt es beispielsweise Ultras von Arsenal Kiew, die den Selbstschutz organisieren?

Ja, es ist wirklich gefährlich. Vor allem für die, die man schon als Linke oder Antifas kennt. Einige von ihnen wurden verprügelt, während andere aus der Stadt geflohen sind. Soviel ich von den Arsenal Ultras sagen kann, haben leider viele die Seiten gewechselt und sind zu den Nazis gegangen. Ihre Seiten in den sozialen Netzwerken sind jetzt voll mit nationalistischem und patriotischem Müll.

Was denkst du über die linken Parteien und Organisationen in der Ukraine, über Avtonomia, Borotba oder die Kommunistische Partei?

Es gab lange und ermüdende Debatten in der ukrainischen Linken. Fast alle, die es gibt, sind nun gegen die Nazis und die Oligarchen, die hinter den rechten Paramilitärs stehen. Einige Linke, die am Euromaidan teilnehmen wollten, sind verprügelt und rausgeworfen worden. Linke Symbolik ist in den Gebieten, in denen die neue Regierung das Sagen hat, verboten.

Dennoch gibt es einige kleine linksliberale Gruppen wie „Linke Opposition“ und die Studentenvereinigung „Direkte Aktion“, die den Nazi-Coup unterstützen und mit der Rechten kollaborieren. Sicher, sie können nicht als Linke auftreten, aber sie wollen trotzdem teilnehmen und stellen sich jetzt feindlich gegen die Konterrebellion gegen den Euromaidan in den östlichen Städten. Wie üblich wird die Position der Liberalen entweder von den westlichen NGOs beeinflusst oder durch den Umstand, dass viele von ihnen frühere Nationalisten sind, die jetzt nur zurück zu ihren früheren Freunden finden. Aber diese kleinen Gruppen sind ohnehin ohne Einfluss.

Borotba versucht den anntifaschistischen Widerstand, vor allem in den östlichen Städten und in Kiew, zu organisieren, und stellt sich gegen die rechte Regierung und die russische Intervention. Ähnlich ist die Position der Anarchosyndikalisten von CRAS. Ähnlich wie bei der kleinen Gruppe Autonome Arbeiterunion – die ihre Position zum rechten Aufstand geändert haben – haben einige von ihnen den rechten Riot unterstützt, während andere sich gegen die Nazis wandten.

Die Kommunistische Partei der Ukraine hat sich natüürlich gegen den Coup positioniert, allerdings unterstützt sich gleichzeitig die Ex-Regierung und eine mögliche russische Intervention. Im übrigen ist sie der Partei der alten Leute, die nicht mehr in der Lage sind, sich gegen die Anschläge der faschistischen Paramilitärs zu währen, die einen wirklichen Terror gegen sie entfesselt haben.

# Dmitry Kolesnik ist Redakteur der linken ukrainischen Seite Liva.com.ua. Lower Class Magazine hat ihn zum Stand der antifaschistischen Bewegung in der Ukraine befragt.

LCM