UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Der lange Marsch der Le Pen-Dynastie | Untergrund-Blättle

606

Zum Europawahlsieg des faschistischen Front National in Frankreich Der lange Marsch der Le Pen-Dynastie

Politik

Es ist kein Sieg von NeofaschistInnen, dafür ist der stetige Aufstieg des französischen Front National (FN) seit seiner Gründung 1972 zu kontinuierlich, sind die Traditionen des alten Faschismus bei der Le Pen-Dynastie zu präsent.

Jean-Marie Le Pen mit seiner Tochter Marine bei einem Marsch durch Paris zu Ehren Jeanne d'Arcs am 1. Mai 2010.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Jean-Marie Le Pen mit seiner Tochter Marine bei einem Marsch durch Paris zu Ehren Jeanne d'Arcs am 1. Mai 2010. Foto: Marie-Lan Nguyen (CC BY 3.0 unported - cropped)

17. Juni 2014
0
0
3 min.
Drucken
Korrektur
Jean-Marie Le Pen hat seinen Namen an der Spitze einer der langlebigsten und gefährlichsten faschistischen Formationen Europas von Generation zu Generation weitergegeben: Seine Tochter Marine holte nun bei den Europawahlen 25%; der FN wurde erstmals stärkste Partei.

Seit den letzten grossen Streiks 2010 ist es still geworden um die - von der BRD aus oft mythologisiert wahrgenommene - Arbeiterbewegung Frankreichs. Kaum ist eine linke Regierung an der Macht, welche die alte Rechtsregierung nur kopiert, ja militärisch noch übertrifft (wir sahen es schon mit Rot-Grün an der Macht in der BRD), so hält die Arbeiterbewegung nicht nur stille, sondern internalisiert noch die ideologische Bewegung nach rechts. 43% der Arbeiterschaft haben FN gewählt, nur 9 Prozent aus dem Industriemanagement. Marine hat mit ihrem "sozialen" und "antiliberalen" Diskurs dort verfangen, wo tatsächliche Gegnerschaft zur französischen Atompolitik, zu den Afrikakriegen der französischen Armee, zur Abschiebepolitik gegen Roma und MigrantInnen noch nie Thema war. Das Erschrecken über den FN-Wahlsieg muss auch unseren Blick auf die Defizite der französischen Arbeiterbewegung schärfen. Letztere ist sozial-national - genauso wie der FN-Diskurs.

Jean-Marie Le Pen hat 1957 für die Kolonialmacht Gefangene in Algerien gefoltert. Er wurde dadurch zum personifizierten Symbol für die 600.000 bis 800.000 flüchtenden Algerienfranzosen/französinnen von 1962, die sich von de Gaulles Entkolonialisierungspolitik ab 1959 verraten fühlten. Sie liessen sich vor allem an der Mittelmeerküste nieder und bildeten über Generationen hinweg die kulturelle Tiefenschicht, auf welcher die Wahlerfolge des 1972 von Le Pen gegründeten Front National aufbauen konnten.

Doch der Alte war noch ein Erbe der rechten Anti-Steuer-Bewegung des Poujadismus, an der er selbst in den Fünfzigerjahren beteiligt war. Pierre Poujade wollte provozieren, stören - aber nicht wirklich an die Macht. So provozierte auch Jean-Marie Le Pen, etwa mit dem Spruch, Auschwitz sei nur ein "Detail" der Geschichte des Zweiten Weltkriegs.

Er provoziert noch immer, jüngst etwa mit dem Spruch, der Ebolavirus könne das Problem der weltweiten Überbevölkerung "regeln" - doch damit, und mit seiner Weigerung, eine breite Basis in Gemeinderäten und Départements aufzubauen, verhinderte er auch den wahlstrategischen Durchbruch des FN.

Seine Tochter geht da schlauer und mit der ihr eigenen Strategie der "Entdiabolisierung" vor.

Im Gegensatz zum Alten setzte sie auf die Jugend und auf einen sozial angehauchten Diskurs. Sie hielt sich geschickt aus den Massendemos gegen gleichgeschlechtliche Ehen heraus und schöpfte trotzdem deren Wählerpotential ab. Sie verbreiterte die Parteibasis durch strategische Erfolge bei den Kommunalwahlen.

Mit ihrer geschickt eingesetzten Rolle als "Frau" kaschiert sie den FN-Machismus. Die letzte Barriere für ihre nunmehr anerkannte Regierungsfähigkeit und den möglichen Griff zur Macht überwand sie durch ihr öffentliches Zurückfahren des Antisemitismus und ihre propagandistische Konzentration auf MigrantInnen- und Islamfeindlichkeit. Das führte einerseits zwar zur Abspaltung eines nationalsozialistischen Flügels rechts aussen.

Ihr Lebensgefährte Louis Aliot, Vize-Präsident des FN, meinte jüngst aber, der Antisemitismus habe "die Leute daran gehindert, uns zu wählen. Es war ausschliesslich das. In dem Moment, in dem wir diesen ideologischen Käfig gesprengt haben, haben wir auch den Rest an Vorbehalten überwunden."

Viele FN-AussteigerInnen warnen jedoch, dass jenseits des propagandistischen Äusseren im Kern der Partei der alte Faschismus im modernisierten Gewand Marine Le Pens weiter fortwirkt.

Eine wirkliche Gegenmacht scheint kaum in Sicht. Bleibt allein die Hoffnung, dass sich die FN-Bürgermeister so in Skandale verwickeln wie die Gewählten von UMP und PS bisher. Dann wäre der Lack ab und ein Niedergang à la Haider in Österreich wäre denkbar.

Snowman / Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 390, Sommer 2014, www.graswurzel.net

Mehr zum Thema...
Marine Le Pen an einer Dassault Rafale Ausstellung, Juni 2015.
Marine Le Pen kehrte im Präsidentschaftswahlkampf zu antisemitischen Versatzstücken zurückDer Neofaschismus des Front National

12.07.2017

- 33,9% der abgegebenen Stimmen stimmten in der Stichwahl am 7.

mehr...
1. Mai-Feier der Front National vor der Opéra Garnier in Paris.
„Front National“ heisst nun „Rassemblement national“Ein und dieselbe neofaschistische Sauce

05.09.2018

- Seit Juni dieses Jahres Zeit heisst die französische rechte Partei „Front National“ nun „Rassemblement national“ („Nationale Sammlung“). Dies soll für einen Neuanfang unter der Parteichefin Marine Le Pen stehen. Doch wohin geht die Reise?

mehr...
Der Geograf Christophe Guilluy beobachtete bereits 2013 eine bruchlinienartige Trennung, einen immer grösseren Abgrund zwischen zwei Frankreichs, «dem der Metropolen, die sich im Gleichschritt mit der Globalisierung entwickeln» und andererseits dem «peripheren Frankreich» der benachteiligten Schichten - und genau dort gewinne der FN mehr und mehr Zuspruch.
Zur ideologischen Ausrichtung der Wählerschaft des Front NationalKommt nach Trump Marine Le Pen in Frankreich?

05.12.2016

- Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sehen sich Marine Le Pen und ihr entmachteter Vater Jean-Marie Le Pen gleichermassen im Aufwind, sie beeilten sich, zu den Ersten zu gehören, die Trump zum Wahlsieg gratulierten.

mehr...
Böser Geist oder Lackmustest? Jean Marie Le Pen und der Front National

16.04.2015 - Jean Marie Le Pen (Jahrgang 1928) hat seiner Tochter Marine Le Pen grosszügig den Parteivorsitz überlassen, wenn auch mit dem Hintergedanken als lebender Dynast weiter die Richtung anzugeben. Die Tochter und ihre Umgebung wollen den Alten gerne loswerden, weil sie meinen, dass er ihnen mit seinen antisemitischen und Geschichtsrevisionistischen Äusserungen schadet.

Front National Programm für Präsidentschaftswahl: Frankreich zuerst

10.02.2017 - Am vergangenen Wochenende fand in Lyon der sogenannte „Präsidentschaftskonvent“ des Front National statt. Marine Le Pen verkündete ihre 144 Programmpunkte zur Präsidentschaftswahl. Über das Programm des FN, den Spagat zwischen proletarischen und mittelständischen Wählerschichten und die Frage, wie gross die Gefahr ist, dass Marine Le Pen wirklich Präsidentin werden könnte, sprachen wir mit dem freien Journalisten Bernard Schmid.

Dossier: Front National
Gauthier Bouchet (   - )
Propaganda
Fuck your national Identitiy

Aktueller Termin in Freiburg im Breisgau

Noise & Electronic Live Music @ KTS Freiburg

Es wird laut, noisy, experimentell, harsh und brutal. Grodock, Der verlorene Faden, Peace Generator und Al Akxa sind auf Tour und nimmt dich mit in die Katakomben der elektronischen Musik. Nach dem Konzert lohnt sich das Bleiben. ...

Freitag, 24. März 2023 - 20:00 Uhr

KTS - Kulturtreff in Selbstverwaltung, Basler Straße 103, 79100 Freiburg im Breisgau

Event in Amsterdam

Aman molli: Practice of Modal Music

Freitag, 24. März 2023
- 20:00 -

Joe’s Garage

Pretoriusstraat 43

1092EZ Amsterdam

Mehr auf UB online...

Anarchist:innen am 1. Mai 2021 in Wrocław, Polen
Vorheriger Artikel

Ein Plädoyer für einen Bewegungsanarchismus und (Anti-)Politik

Bewegungslinke, Anarchismus und (Anti-)Politik (Teil 1)

Leopard 2 Panzer der Deutschen Armee bei einer Übung in Grafenwoehr, Juni 2018.
Nächster Artikel

Eine Zwischenbilanz der moralischen Aufrüstung

Die Ampel im „Kriegsrausch“

Untergrund-Blättle