«White Ops» und «Grey Ops» Die USA fälschten Al-Qaida-Videos im Irak

Politik

Ein Angestellter eines Subunternehmens enthüllt: die USA produzierten falsche Terroristen-Videos im Namen der Demokratie.

Hochsicherheitseinrichtung des US-Militärs im Irak - Camp Victory, 24. April 2006.
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Hochsicherheitseinrichtung des US-Militärs im Irak - Camp Victory, 24. April 2006. Foto: usnp (PD)

12. Oktober 2016
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Dass vor und im Irakkrieg die Wahrheit nicht nur verbogen, sondern seitens der USA teils unverfroren gelogen wurde, ist heute bekannt. Infosperber fasste Anfang September zusammen, wie das Pentagon die Medien an der Nase herumgeführt hat.

Anfang Oktober enthüllte das «Bureau of Investigative Journalism» (TBIJ) zusammen mit der «Sunday Times», wie weit die Propaganda der USA ging: Im Auftrag des Pentagons und der US-Sicherheitsdienste produzierte die britische PR-Firma Bell Pottinger Nachrichten für arabischsprachige Sender sowie gefälschte Al-Qaida-Propaganda.

Auf dem Weg ins Chaos

Das TBIJ stützt sich dabei auf Aussagen eines ehemaligen Angestellten von Bell Pottinger sowie auf eigene Recherchen. Martin Wells, freischaffender Videoreporter und von 2006 bis 2008 im Einsatz bei Bell Pottinger, wurde von dem PR-Unternehmen angestellt, um «Sachen aus dem mittleren Osten zu machen».

Wells hatte nach eigenen Angaben keine Ahnung, worauf er sich einliess, als er 2006 über eine Agentur die Einladung zum Vorstellungsgespräch erhielt. Ein Gespräch, erfuhr er dort, erübrige sich eigentlich, die US-Sicherheit hätte ihn längst durchleuchtet.

48 Stunden nach dem 20-minütigen Gespräch flog Wells nach Bagdad. Sein Ziel, erfuhr er, war «Camp Victory», eine Hochsicherheitseinrichtung des US-Militärs. Er landete in einer Stadt im Chaos. Nach seiner Ankunft im Mai 2006 gab es in der Stadt fünf Selbstmordanschläge – einschliesslich einer Autobombe in der Nähe von «Camp Victory», bei denen 14 Personen ums Leben kamen.

«White Ops» und «Grey Ops»

Wells Aufgabe für die nächsten Monate lautete offiziell, das Programm «Förderung demokratischer Wahlen» zu unterstützen – ein riesiges Projekt mit zeitweise bis zu 300 britischen und irakischen Angestellten, das sich die USA im Jahr durchschnittlich 100 Millionen Dollar kosten liessen, schreibt TBIJ.

Dem Video-Editor wurde schnell klar, dass sich seine Aufgabe nicht darauf beschränken würde, Nachrichten zu editieren. Er beschreibt mehrere Produkte, die er für das Pentagon hergestellt habe: Fernsehwerbung beispielsweise, die Al-Qaida in den Schmutz zog, oder Nachrichten, die den Eindruck erwecken sollten, sie seien «vom Arabischen Fernsehen gemacht» worden und diesem zur Verfügung gestellt wurden.

«Die Agentur schickte Teams, die Bombenangriffe filmten und sie wie eine Nachricht editierten», sagt Wells zu den News-Aktivitäten. «Der US-amerikanische Ursprung sollte dabei verborgen bleiben». Ob die Sender je erfuhren, aus welcher Quelle die Videos kamen, weiss er nicht. Ein anderer Subunternehmer, mit dem TBIJ gesprochen hat, nennt das «graue» Medienarbeit. Dabei werde der Hersteller nicht genannt. Im Gegensatz zur «weissen Medienarbeit, bei der bekannt ist, wer sie hergestellt hat.

«Black Ops»: falsche Terroristen-Videos

Zu Wells Aufgaben gehörte es, Skripte für Seifenopern zu schreiben, in denen sich ein Protagonist gegen den Terrorismus wendet, sowie gefälschte Al-Qaida Propagandavideos herzustellen. «Schwarze» Medienarbeit («black ops») nannten das die US-Militärs.

Der Videofachmann erhielt detaillierte Instruktionen, wie diese Videos zu machen seien, wie lang sie sein sollten, welches Encoding und welches File-Format sie haben müssten. US-Soldaten nahmen die vorher codierten Video-CDs mit auf Patrouille und liessen sie «im Chaos fallen, wenn sie Ziele stürmten», schreibt TBIJ. «Wenn sie ein Haus durchsuchten, und sie wussten, sie werden dabei ohnehin Unordnung hinterlassen, liessen sie einfach eine CD dort», präzisiert Wells.

Die Anweisungen kamen von ganz oben

Der Code dieser CDs verband den Computer beim Abspielen über den «Real Player» mit Google Analytics und übermittelte die IP-Adresse des Computers oder Laptops. Wenn jemand die CDs abspielte, wurde dessen Aufenthaltsort übermittelt. «Manche [CDs] tauchten an interessanten Orten wieder auf», erinnert sich Wells, im Iran zum Beispiel, in Syrien, sogar in den USA. Eine interessante Information für die Geheimdienste.

Seine Vorgesetzten hätten die Videos direkt zum Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak, David Petraeus, übermittelt, gelegentlich sogar zum Weissen Haus, sagte Wells.

Rückblickend sieht der Videoreporter seine Rolle ambivalent. «Irgendwann fragte ich mich, ob ich das Richtige tat», sagt er. Das Ziel von Bell Pottinger sei es gewesen, die sinnlose Gewalt von Al-Qaida zu beleuchten. Niemand werde jemals wirklich wissen, ob das Programm erfolgreich gewesen sei. «Wenn es damals aber nur ein Menschenleben gerettet hat, war es eine gute Sache», sagt er.

Für die rechtlich zweifelhaften Operationen Drittfirmen beauftragt

Gemäss Nachforschungen des TBIJ waren zwischen 2006 und 2008 mehr als 40 Firmen damit beauftragt, TV- und Radioinhalte zu platzieren und Umfragen durchzuführen. Darunter auch solche aus den USA. Die britische Bell Pottinger hielt jedoch den bei weitem grössten Auftrag. Nach Nachforschungen von TBIJ erhielt das Unternehmen zwischen Mai 2007 und Dezember 2011 mehr als eine halbe Millarde Dollar.

Den US-Streitkräften fehlte es nicht nur an detailliertem Fachwissen über den News-Betrieb, dazu kam auch der eigene rechtliche Status. Nach US-amerikanischen Gesetzen ist der Einsatz von frei erfundener Propaganda verboten. Das ist offensichtlich der Grund, warum die US-Regierung ausländische Subunternehmer damit beauftragte. Bell Pottinger operierte dabei in einer rechtlichen Grauzone.

So lukrativ ist Demokratie

Der Mitgründer und ehemalige Vorstand des Unternehmens, Lord Tim Bell, hat bestätigt, dass Bell Pottinger an «verschiedenen verdeckten militärischen Operationen» im Auftrag des Pentagon, der CIA und des nationalen Sicherheitsrats der USA mitgewirkt hat.

Bell ist einer der erfolgreichsten britischen PR-Leute. Ihm wird zugeschrieben, Magret Thatchers «eisernes» Profil auf Hochglanz poliert und der konservativen Partei dreimal zum Wahlsieg verholfen zu haben. Die von ihm mitgegründete Agentur Bell Pottinger hat zahlreiche namhafte Kunden in ihrer Kartei, darunter einige repressive Regimes und die Ehefrau von Baschar al Assad.

Propaganda auf beiden Seiten

Und klar, auf russischer Seite läuft es ähnlich. Das ZDF und die deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT haben geleakte Emails aus der Ostukraine lesen können.

Red. / Infosperber

Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts des Bureaus of investigative Journalism», der «Sunday Times» und anderer Quellen erstellt. Grosse Medien in der Schweiz haben bisher nicht darüber berichtet.